ADB:Meyer, Johann Rudolf (Naturforscher)
jener (s. o. S. 587) durch großartiges gemeinnütziges Wirken ausgezeichnet und eine Zeitlang helvetischer Senator, dieser neben seiner geschäftlichen Thätigkeit auch wissenschaftlichen Bestrebungen zugewandt und später (August 1811) durch die erste Besteigung der „Jungfrau“ weithin bekannt geworden. Nachdem Rudolf M. den ersten Unterricht in Aarau empfangen hatte, besuchte er seit 1801 mit seinem jüngeren Bruder Gottlieb (1793–1829) die Erziehungsanstalt Heinrich Pestalozzi’s in Burgdorf. In der Nähe dieses Ortes entgingen beide Knaben am 30. December dieses Jahres nur durch einen fast wunderbaren Zufall der Gefahr des Ertrinkens. In den Jahren 1806–1809 befand sich M. auf der Kantonsschule in Aarau, wo ihn die Lehrstunden des Rektors E. A. Evers und des Professors L. Thilo vornehmlich anzogen. Während ihn der Erstere für die deutsche Litteratur gewann und auf seine stilistischen Arbeiten bildend einwirkte, erfüllte ihn der Letztere mit warmer Neigung für die Naturwissenschaften. Diesen widmete er sich auch hauptsächlich vom Herbst 1809 bis zum Frühling 1813 auf der Universität Tübingen, obgleich er daneben noch den eigentlich medicinischen Studien oblag. Kielmeyer, Autenrieth, Gmelin u. A. waren hier seine Lehrer; mancherlei Anregung empfing er daneben noch durch seine Aarauer Schulgenossen, den nachmaligen Paraguayreisenden Joh. Rudolf Rengger (s. d.) und den späteren Apotheker Ferd. Wydler, der sich als Mitherausgeber von Rengger’s „Reise nach Paraguay“ (Aarau 1835) und durch das reichhaltige Buch: „Leben und Briefwechsel von Albrecht Rengger, Minister des Innern der helvetischen Republik“ (2 Bde., Zürich 1847) einen geachteten Namen erworben hat. Als M. in den Sommerferien 1812 seine Heimat besuchte, unternahm er mit seinem Vater, seinem Oheim Hieronymus M. und seinem Bruder Gottlieb eine Forschungsreise in die höchsten Berneralpen. Es gelang ihm am 16. August, den Hauptgipfel des Finsteraarhornes zu erklimmen, während sein Bruder, dem Vorgange seines Vaters folgend, am 6. September die Jungfrau zum zweiten Male erstieg. Die Beschreibung dieser Reise hat Heinrich Zschokke nach den Aufzeichnungen Rudolf und Gottlieb Meyer’s zuerst in seinen „Miszellen für die Neueste Weltkunde“ (7. Jahrg., 1813, Nr. 53–57) und bald nachher in einem besonderen Abdrucke herausgegeben, freilich nicht ohne bedeutende Aenderungen in der Darstellung der Verfasser. Der ursprüngliche Text ist erst in den „Alpenrosen auf das Jahr 1852“ (S. X–XXXVII) von A. E. Fröhlich aus der Handschrift mitgetheilt worden. Nach dieser Alpenreise setzte M. seine Studien in Tübingen fort, wo er im April 1813 mit seiner „Dissertatio inauguralis sistens examen mineralogico-chemicum strontianitarum in monte Jura juxta Aroviam obviarum“ als Doctor der Medicin promovirte. Wissenschaftliche Zwecke führten ihn sodann in die böhmischen Gebirge und nach Freiberg in Sachsen, wo er den Privatunterricht des berühmten Mineralogen Werner genoß. In Berlin, wohin er sich von da wendete, besuchte er die Vorlesungen an der Hochschule und verkehrte mit hervorragenden Vertretern seines Faches. In sein Vaterland zurückgekehrt, trat er eine Zeit lang in das schweizerische Heer ein und wohnte als Offizier der Belagerung von Hüningen bei. Hierauf anfangs in Aarau, später (seit 1817) in Constanz lebend, beschäftigte er sich angelegentlich mit seiner Wissenschaft und veröffentlichte sein erstes größeres Werk: „Die Geister der Natur“ (1820), nachdem er bereits, fast gleichzeitig mit seiner Dissertation, eine „Geschichtliche Darstellung des Olymps bis zur Gründung der Religion Jesu. Nach Virgil’s Aeneide“ (2 Theile, 1813) ohne seinen Namen hatte erscheinen lassen. In der erstgenannten Schrift, welche den „Ansichten der [596] Natur“ von Alex. v. Humboldt die Anregung verdankt, war seine Absicht nach dem Vorworte: „Ueberblick der Natur im Großen, Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte, Erneuerung des Genusses, den die unmittelbare Ansicht dem fühlenden Menschen gewährt.“ Wenn Humboldt sagt, daß „die ästhetische Behandlung naturhistorischer Gegenstände große Schwierigkeiten in der Composition biete; daß der Reichthum der Natur Anhäufung einzelner Bilder veranlasse, und daß der Stil leicht in eine dichterische Prosa ausarte“, so hat M. diese Worte wol beherzigt und sich bemüht die angedeuteten Klippen zu vermeiden, wenn es ihm auch nicht immer gelungen ist, sich vor der „dichterischen Prosa“ zu hüten. Da diese Art der Behandlung ihn besonders anzog, so bearbeitete er neun Jahre später denselben Gegenstand unter dem gleichen Titel noch einmal ausführlicher und mit Hinzufügung wissenschaftlicher Erläuterungen (1829). Er verbreitet sich hier in vier Abschnitten über das Weltall mit seinen unsichtbar waltenden Kräften, über die jetzige Gestalt der Erde, die Tages- und Jahreszeiten und die unterirdische Welt (Vulkane und Heilquellen) sammt den Erscheinungen des Meeres und der Luft. – Unterdessen war im J. 1821 die Professur der Naturwissenschaften an der Aarauer Kantonsschule durch den Abgang des nach Frankfurt a. M. berufenen L. Thilo erledigt worden. M. wurde sein Nachfolger. Er lehrte an der Anstalt in reichlich zugetheilten Stunden nicht weniger als sechs naturwissenschaftliche Fächer, fand aber daneben doch noch Zeit zu litterarischen Arbeiten. Ein zweiter Theil der „Geister der Natur“ gelangte freilich wegen seines frühen Todes nicht zu Ende, wenn auch mehrere Abschnitte daraus unter dem Titel „Naturzeichnungen“ in den „Alpenrosen auf das Jahr 1833“ Aufnahme fanden; ebenso wenig vollendete er ein angefangenes Werk über die Infusorien, mit welchem er sich um einen von der Naturforschenden Gesellschaft zu Harlem ausgesetzten Preis bewerben wollte, desgleichen ein Lehrbuch der Mineralogie und ein naturgeschichtliches Lesebuch. Dagegen erschienen 1833 die „Charakteristischen Thierzeichnungen zur unterhaltenden Belehrung für Jung und Alt“, von denen eine Anzahl bereits in den „Alpenrosen auf die Jahre 1831 und 1832“ gestanden hatte. Es sind im Ganzen 50 Nummern, darunter 6 mundartliche, lauter lebendig und anschaulich gezeichnete Bilder, die sich überdies durch geschmackvolle Darstellung auszeichnen. Besonders für die Jugend sind diese Zeichnungen anziehend und werthvoll, und nicht mit Unrecht sind einige derselben in die deutschen Lesebücher übergegangen. – Es kann nach dem vorher Gesagten nicht auffallen, daß M. sich auch in eigentlich poetischen Darstellungen versucht hat. Er verfaßte „Trinklieder“ (Alpenrosen 1831) und Erzählungen, so „Der Geist des Gebirges“ (ebenda), „Der Heimathlose“, „Die Erscheinungen in der Balmfeste“ (beide in den Alpenrosen 1832), „Die Ahnherren im Roththal“ (Alpenrosen 1833) und „Fridolin, ein Märchen“ (ebenda 1832). Auch veranlaßte ihn die seinen gemäßigten Grundsätzen nicht zusagende radical-politische Sturm- und Drangzeit des Kantons, welche seit 1830 begann, zu einer scharfen Satire, den „Offenbarungen aus uralten Zeiten“ (1831), in denen die Neuerungs- und Aemtersucht der damaligen politischen Streber unter dem Bilde eines Bergwerkes und der darin ausgebrochenen Verwirrung nicht ohne Glück geschildert wird. – Den stillen Gang seines Lebens in Aarau unterbrach nur einmal im Herbst 1824 eine größere Reise nach London und Paris, die übrigens gleichfalls der Erweiterung seiner Kenntnisse dienen mußte; andere Reisepläne erfüllten sich nicht, da er 1831 und 1832 von der Gicht heimgesucht wurde. Im nächsten Jahre verschlimmerte sich sein Zustand, und nachdem er im October noch die Heilquellen zu Baden besucht hatte, endete er gefaßt und bei vollem Bewußtsein am 6. November 1833 in Aarau. Außer seinem Lehramte hatte er 1823 und 1824 noch das Rectorat der Kantonsschule verwaltet; von 1822–1831 war er Mitglied und von da an bis zu seinem Tode Ehrenmitglied des Sanitätsrathes gewesen. [597] Er hatte in dieser Stellung dazu beigetragen, daß man bei den Prüfungen der medicinischen Candidaten strengere Anforderungen stellte, als es bis dahin geschehen war.
Meyer: Johann Rudolf M., Naturforscher, geb. den 6. März 1791 in Aarau, entstammte einem angesehenen Geschlechte dieser Stadt. Sein Großvater und sein Vater, beide des gleichen Vornamens wie er, waren begüterte Seidenbandfabrikanten,- Erinnerungen an Prof. Dr. Rudolf Meyer in: Alpenrosen auf das Jahr 1852. Aarau u. Thun (1851), S. I–LVI (Fr. = A. E. Fröhlich). – Goedeke, Grundriß, 3. Bd., 2. Abthl. (1881), S. 983 f. – Vgl. auch: Callisen, Medic. Schriftsteller-Lex., 13. Bd., Kopenhagen 1833, S. 28, u. 29. Bd. (1841), S. 368. – N. Nekr. 1833, S. 961. – Rud. Wolf, Biographien zur Culturgeschichte der Schweiz, 2. Cyclus, Zürich 1859, S. 232, Anmerk. 2. – J. C. Poggendorff, Biogr.-litt. Handwörterbuch, 11, 605.