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ADB:Meurer, Heinrich

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Artikel „Meurer, Heinrich“ von Otto Beneke in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 532–534, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Meurer,_Heinrich&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:23 Uhr UTC)
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Meurer: Heinrich M., Bürgermeister zu Hamburg, geb. daselbst am 13. October 1643, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, welcher das Amt eines Oberalten (Gemeinde-Vorstehers) bekleidete. Nachdem er die Gelehrtenschulen in seiner Vaterstadt und in Stade absolvirt hatte, studirte er die Rechts- und Staatswissenschaften seit 1661 in Gießen, später in Straßburg, wo er 1665 die juristische Licentiatenwürde erlangte, worauf er sich in Speyer mit der reichskammergerichtlichen Praxis bekannt machte, und fernere 2 Jahre auf Reisen durch Deutschland, Italien, Frankreich und die Niederlande verlebte, behufs Erweiterung seiner politischen und commerciellen Kenntnisse, sowie zur Anbahnung von Verbindungen mit hervorragenden Männern aller dieser Länder. Anno 1667 heimgekehrt, wurde der als kenntnißreich und geschickt sehr bald bekannt gewordene junge Mann, nach mehrjähriger advocatorischer Praxis, im Februar 1672 zum rechtsgelehrten Beisitzer des Niedergerichts, und schon wenige Monate später, zum Mitglied des Senats erwählt, in dessen Traditionen er groß geworden, da sein Großvater als Bürgermeister und mehrere ältere Familienglieder dem Hamburger Rath angehört hatten. In diesem Rathsamte fand er bald Gelegenheit zur Bewährung eminenter Eigenschaften. Scharfsinn, Klugheit, „Erudition und Experienz“, eine fast wundersame Geistes-, Willens- und Arbeitskraft wurden [533] ihm nachgerühmt; auch die von ihm als Prätor gehandhabte kraftvolle Polizei wurde lobend anerkannt, zumal er dabei zu verschiedenen Malen einen unerschrockenen persönlichen Muth an den Tag gelegt hatte, z. B. als er bei einem Pöbeltumult ganz allein mit eigenen Händen einen von Matrosen gemißhandelten Unglücklichen seinen Peinigern entriß und in Sicherheit brachte. So scheint es, daß er damals auch als ein populärer Mann gefeiert wurde, so sehr, daß einige seiner Verehrer ihm zu Ehren eine mit seinem Porträt geschmückte Medaille prägen ließen, deren Vertheilung er jedoch verhinderte und die Stempel vernichtete. – Die glücklichen Erfolge, welche seine staatsmännische Umsicht und Consequenz bei Verfolgung der politischen und commerciellen Interessen Hamburgs auf Gesandtschaften an benachbarte Fürstenhöfe, sowie auf den Niedersächsischen Kreistagen und zumal auf dem Friedenscongreß zu Nimwegen, errang, rechtfertigten auch so sehr die über ihn gehegte hohe Erwartung, daß er schon im J. 1678 (im 35. Lebensjahre), noch während seiner Mission in Nimwegen, zum Bürgermeister erkoren wurde, welches Amt er erst nach seiner Heimkehr im folgenden Jahre antreten konnte. Hier in Hamburg hatten mittlerweile die seit einigen Jahrzehnten herrschenden innern Unruhen einen solchen Umfang erreicht und waren zu solcher Höhe gestiegen, daß der dem Unwesen überall muthig entgegentretende M. sehr bald einerseits ein Hort der Ordnungspartei, andererseits der Gegenstand bittersten Hasses und fanatischer Feindschaft abseiten der auf Umsturz und Anarchie abzielenden Malcontenten wurde. Er mag in den nun folgenden Jahren hier der bestgehaßteste, dort der höchstverehrteste Mann in Hamburg und über dessen Grenzen hinaus gewesen sein, denn ebenso sehr wie er in Celle und in der kaiserlichen Hofburg zu Wien als persona gratissima galt, ebenso kaltsinnig wurde seiner in Berlin und entschieden feindselig am Hofe zu Kopenhagen gedacht, dessen nie rastende Begehrlichkeit in Betreff Hamburgs M. wachsam zu beobachten und unwirksam zu machen bestrebt war. – In der durch obengedachte Differenzen in Parteiungen zerspalteten Bürgerschaft trat gegen den Rath („die ordentliche Obrigkeit“) eine schroffe rücksichtslose Opposition in die Schranken, deren Gebahren mit jedem neuen Erfolge desto zügelloser wurde. Ehrgeizige Parteiführer (Snitker, Jastram u. A.) verleiteten, nicht ohne Geschick, die ihnen blind ergebene Majorität der vom gesetzlichen Wege immer weiter abirrenden Bürgerschaft zu offnen Verfassungswidrigkeiten, welche in der despotischen Herrschaft eines seine Competenz weit überschreitenden Dreißiger-Ausschusses gipfelten. Diesem unheilvollen Treiben gegenüber, welches einer Realisirung der dänischen Annectirungsgelüste in die Hände arbeitete und daher von dieser Seite mit Behagen geschürt wurde, zeigte sich M. als kraftvolles Haupt der Ordnungspartei (deren sonstige politische und moralische Schwächen und Fehler gewiß er am tiefsten beklagte). Und vorzüglich aus seinem energischen Streben, dem Rathe die verfassungsmäßigen Rechte zu erhalten, den Uebergriffen der demokratischen Opposition zu wehren und die dänischerseits gelegten Minen unschädlich zu machen, – entstammte die in kleinlichsten Haß ausartende Feindschaft der Demagogen und ihres Anhanges wider M., der furchtlos blieb, wenn schon er sein Leben bedroht wußte. Vielleicht irrt man nicht, wenn man M. als einen allzu schroff selbständigen, zum Herrschgewaltigen hinneigenden Charakter auffaßt, der rücksichtsloser als eben nöthig, die von ihm als recht erkannte Sache verfocht. Auch mag ihm, wie so manchem energievollen Mann, jene persönliche Liebenswürdigkeit, die so leicht versöhnend wirken kann, wenn Wunden geschlagen werden müssen, – gänzlich gemangelt haben. Denn selbst unter seinen Collegen im Senate hatte er Feinde, die es möglich zu machen wußten, daß der Rath als solcher seinem Bürgermeister nur schwächlich secundirte und ihn nachmals auch schwächlich vertheidigte. Zwar [534] erkannte der Rath die theils calumniosen, theils irrelevanten Anschuldigungspunkte gegen M. als richtig nicht an, protestirte auch gegen das ganze tumultuarische Verfahren der Bürgerschaft, ließ es aber bei diesen voraussichtlich nutzlosen Schritten bewenden „aus Liebe zum Frieden!“ – Die damaligen hamburgischen Zustände charakterisirte ein fremder Zuschauer von seinem Standpunkte aus also: „Die Hamburger stehen vor der Wahl zwischen einem großen und dreißig kleinen Tyrannen.“ In diesem seine besten Kräfte aufreibenden Kampfe (dessen Geschichte darzustellen hier nicht der Ort ist) unterlag M. im J. 1684, als durch die niemals erwiesenen, zum Theil lächerlichen und kleinlichen Anschuldigungen seiner Gegner die Bürgerschaft verleitet wurde, ihn als Verräther zu verhaften und zur Resignation zu zwingen. Aber schon 2 Jahre später, als die Umtriebe seiner Gegner bei dem Erscheinen einer dänischen Belagerungsarmee vor Hamburg an’s Licht kamen, trat ein Umschwung der Dinge ein. Hamburg, durch benachbarte Hülfstruppen verstärkt, hielt die Belagerung siegreich aus. Ein leidlicher Friedenszustand wurde vermittelt. Der Dreißiger-Ausschuß beschloß sein unheilvolles Dasein. Der Rath bekam das Heft wieder in die Hand und gebrauchte das obrigkeitliche Schwert der Gerechtigkeit, wie die damaligen Rechtsanschauungen es forderten. Zuvörderst aber wurde M. vollständig restituirt und in alle seine Ehren, Würden und Pflichten wieder eingesetzt (den 12. November 1686). Aber nicht lange durfte er sich dieser Genugthuung erfreuen; seine Gesundheit war durch die vorhergegangenen Jahre unheilbar zerrüttet. Am 14. Juli 1690 starb er, zweifellos einer der bedeutendsten und ausgezeichnetesten Staatsmänner Hamburgs. Natürlich erscheint es, daß nach ihrem Sturze die Oppositionsmänner in Druckschriften durch calumniöse Verunglimpfung Meurer’s sich selbst zu rechtfertigen suchten, deren böse Wirkung einige übertrieben lobpreisende, sowie bessere, aber lateinisch geschriebene Schriften nicht heben konnten. Einige neuere Geschichtsschreiber Hamburgs (von Heß, Bärmann, Zimmermann), welche nun einmal Meurers Gegner als edle liberale Märtyrer der Bürgerfreiheit aufgefaßt hatten, konnten schon des nöthigen Gegensatzes wegen M. nur im allergehässigsten Lichte darstellen. So ist es denn gekommen, daß unter den unvertilgbaren historischen Irrthümern auch der Lehrsatz von Meurer’s Verbrecherthum sich befindet. Im J. 1836 erwarb sich der Hamburger Bürgermeister Dr. Bartels das Verdienst, die Resultate seiner gründlichen Studien über M. und seine Zeit aus amtlichen actenmäßigen Quellen zu veröffentlichen in dem unten angeführten Buche, welches somit als eine Ehrenrettung des verkannten verdienstvollen Mannes zu betrachten ist, wenn auch die traditionelle Auffassung eines einseitigen Liberalismus die Parteilosigkeit des Verfassers nicht anerkennen mag. Diese Rettung würde übrigens noch vollständiger gelungen sein, wenn Bartels die in der königlichen Bibliothek zu Kopenhagen aufbewahrte handschriftliche Hamburger Chronik eines Zeitgenossen Meurer’s, des Dr. jur. Otto Sperling, gekannt hätte. Der damals in Hamburg wohnhafte, aber den Parteien fern gebliebene Autor, – durchaus kein Freund Meurer’s, hat hier völlig objectiv die Facta und Personalia dargestellt und darin viele bisher unbekannte Belege für die Bartels’sche Auffassung und Beurtheilung Meurer’s wie seiner Gegner geliefert. Der Familie M. war schon 1631 vom Kaiser der Reichsadel ertheilt worden; 1754 wurde der Urenkel des Bürgermeisters mit seinen Nachkommen, welche bis heute im ererbten Besitz der Rittergüter Krummendiek, Campen und Rahde bei Wilster in Holstein geblieben sind, in den Reichsfreiherrenstand erhoben.

Man sehe Bartels, Der Hamburger Bürgermeister Heinrich Meurer, Hamburg 1836, und Hamburger Schriftstellerlexikon Bd. 5 S. 225 ff.