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ADB:Melzer, Julius

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Artikel „Melzer, Julius“ von Rudolf Müller in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), S. 304–307, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Melzer,_Julius&oldid=- (Version vom 6. November 2024, 01:44 Uhr UTC)
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Melzer: Julius M., Bildhauer, geb. zu Bürgstein den 21. Februar 1823, † am 8. November 1853 zu Rom, Sohn eines dortigen Kaufmanns, der hauptsächlich Ausfuhrgeschäfte nach Rußland betrieb, war vorher bestimmt für den gleichen Stand, mußte darum auch, der Volksschule entwachsen, den Lauf des Handlungslehrlings antreten. Selten dürfte es aber einen gleich grellen Widerspruch geben zwischen Vorherbestimmung und Individuum, wie diesfalls im Hinblicke auf den phantasiereichen jungen M. Einen Widerspruch, über dessen Natur endlich auch dem Vater – nach Uebersicht einer Reihe von „Eulenspiegelstreichen“ – die Augen aufgingen. War es unter diesen auch nicht just die Knetung von „Meerkatzen“, so blieb doch keinerlei Material sicher vor Umformung, sei es drolliger, oder sinniger Art. – Zu rechter Zeit mochte dann wol der „alte Max“ zu Rathe gezogen und gehört worden sein, denn der mißrathene Handelslehrling überging in dessen Werkstätte. Hier wie umgewandelt, allen Weisungen folgend, jeder Aufgabe beharrlich obliegend, findig zugleich für originelle Gestaltungen, unterlag sein eigentlicher Beruf auch weiter keinem Zweifel, vollends dann nicht mehr, als M. nach dem Ableben des „Vater Max“, 1838, von seinem Sohne Joseph als Schüler übernommen wurde. – Zuvörderst einer gründlichen Schulung im Wege der Akademie unterzogen, allmählich dann in die Steinbearbeitung eingeführt, erhob sich M. im Laufe weniger Jahre der Leistungsfähigkeit nach über alle seine Ateliergenossen, so daß ihm Max unbedenklich größere Ausführungen übertragen konnte – wie dies besonders während des rüstigen Schaffens für das „Franzensmonument“ geschah (vgl. d. Art. Jos. Max). Also bewährt durch Leistungsfähigkeit, wie nicht minder durch kindliche Treue, war auch das Verhältniß Melzer’s zu seinem edlen Meister nun schon mehr das eines Familienangehörigen, wie blos das eines Schülers. Dafür spricht vor allem Anderen ein unter den Nachlaßpapieren vorgefundenes Notizbüchlein, in das er, wie am Anfangsblatte bemerkt ist, alle „vom geliebten Meister erhaltenen Mittheilungen“ eintrug. Dieser Gepflogenheit dürfte des Weiteren auch die Führung des mit dem 29. Mai 1849 begonnenen und mit geringer Unterbrechung bis 1853 fortgesetzten Tagebuchs entsprungen sein. Vorwiegend darin der Reflexion obliegend, wobei die Geschehnisse als Leitmotive benützt sind für theils poesievolle Umschreibung, theilweise wieder zu vernichtender Selbstkritik, offenbaren diese Aufzeichnungen an und für sich eine ebenso seltsame als liebenswürdige Künstlernatur, die unbändigen Dranges aufstrebt zum Kunsthöchsten, zwischendurch aber auch wieder im Erkennen ihrer körperlichen Hinfälligkeit, kleinmüthig mit sich ringt und am Zielerreichen verzweifelt. Sie vergegenwärtigen ein ungestümes geistiges Ebben und Fluthen, durch freudiges Aufjauchzen bei der vermeintlichen Näherung an seine Ideale und rasch nachfolgender bitterer Anklage: „bisher blos Nichtiges geschaffen zu haben“ – ein Stimmungszug, dem wiederholt die Zertrümmerung begonnener wie in Vollendung begriffener Werke folgte. – Das Tagebuch wird sonach von selbst zur schriftlichen Darstellung des Lebens und Strebens Melzer’s, über welche der Biograph nicht wesentlich hinauszugreifen vermag. – Den ersten Aufzeichnungen ist noch zu entnehmen, daß die Prager Juniereignisse des Jahres 1848 M. nach der Heimath trieben und der dortige Aufenthalt bis Ende Juli 1849 währte, um welche Zeit ihn Max wieder nach Prag einberief und mit der Ausführung eines großen, den segnenden Christus vorstellenden Standbildes betraute. Seine nächste Aufgabe war die Fertigstellung des monumentalen „Studenten“, zur Erinnerung an die Vertreibung der Schweden, 1648, nach dem genial-concipirten Modelle des [305] Meisters (vgl. d. Art. Jos. Max Bd. XX S. 723). Mittlerweile auch mit Erfolg in Concurrenz getreten für die eben erledigte, von Professor Dr. Alois Klar, † 1838, ins Leben gerufene „Künstlerstiftung“, giltig für die Studienreise nach Italien, besagt eine weitere Notiz, daß M. die Reise unter dem 24. Mai 1849 antrat, über Wien, Triest, Venedig, via Florenz, am 11. Juni in Rom eintraf. Durch ein Handschreiben Führich’s Overbeck empfohlen, durch diesen mit Flatz, Küchler, Steinhäuser, Rohden u. A. m. bekannt geworden, befand sich M. sogleich in einem Kreise von Freunden, die ihn über das Fremdsein in der Weltstadt erhoben und künstlerisch mächtig anspornten. – Das Tagebuch folgt nun Schritt für Schritt seinen Erlebnissen, wird Vertrauter seiner Gedanken und Empfindungen … „Heute (30. Juni) war ich bei Overbeck, er kam mir freundlichst entgegen, reichte mir die Hand und hieß mich herzlich willkommen“ … „Als ich schied, war ich uneins, ob mich mehr der große Künstler, oder der liebenswürdige Mensch angemuthet habe“ … Nach dem Besuche der vaticanischen Antikensammlung: „Die Griechen sind wol die größten Künstler gewesen, denn soweit ich bisher Umschau hielt, fand ich sie von Anderen nicht erreicht; so wenig in Würde, Kraft, wie in edler Formenbildung“ … „Habe die Bildhauerateliers von Emil Wolf und Pietro Tenerani – zwei der gegenwärtig gefeiertsten Plastiker – besucht. Ihre meist der Mythologie entnommenen Gegenstände übten – im Rückblicke auf die Werke der Griechen – geringen Eindruck auf mich, obschon besonders Tenerani Meister ist in Technik wie in schöner Form. Was mir abging war eben die den antiken Werken abzusehende Identification des Künstlers mit seinem Gegenstande“. – Angereiht ist diesen Notizen eine schwungvolle Beschreibung des Ausflugs nach Frascati, Albano und zu den Trümmern Tusculums, von wo der Künstler auch mit großen Entschließungen zurückkehrte – nichtsdestoweniger aber unter dem 3. August wieder eintrug: „daß es bei mir doch gar so schwer geht, einen guten Entschluß durchzuführen“ … „Noch gewährt es mir kein Vergnügen mich ernstlich zu beschäftigen … Denn alle die mächtigen Eindrücke des hier bereits Gesehenen lassen mein Thun nichtig erscheinen“. Sich aufschwingend, schrieb er dann nächsten Tages: „Aus den vielen mir vorschwebenden Ideen halte ich endlich die eine fest, um sie nächst schon in Thon zu modelliren“. Es war dies die Statuette „Shakespeare“, die jedoch vor der gänzlichen Vollendung wieder zurückgestellt, später zertrümmert wurde und der Ossian’s Platz machen mußte, über welcher das Jahr 1850 ablief. Im Untergrunde von diesen kurz gefaßten Auszügen ruhen freilich Zwischenfälle, geeignet das willensfesteste Streben zu lähmen. Der dermalige Stiftungsbetrag von 300 fl. Conventionsmünze, absolut unzureichend für ein gesichertes in Rom Existiren, brachte M. nur zu bald in einen Schwebezustand der bedenklichsten Art. Zu stolz, sich im Kreise der Künstler der Hilfe zu versehen, suchte er sie auf dem damals noch sehr langen Wege nach der Heimath, von wo sie meist erst im Stadium peinlichster Entbehrung eintraf. Diese Hemmnisse gilt es darum auch in Mitrechnung bringen bei der Beurtheilung jener oft wiederkehrenden Schwankungen im Thun und Lassen Melzer’s. Ein dem angedeuteten Verhältnisse entsprechendes und verrathenes Geheimniß liegt z. B. in der Notiz: „Das Fleisch kocht, ist aber noch nicht weich. Habe indeß die Suppe abgegossen und frisch Wasser dafür zugethan. Ich koche mir jetzt selbst, aber nicht immer Fleisch, das ist heute das erste Mal. Bisher bestand meine Küche – für den Mittag – aus Kartoffeln, die ich gestern und vorgestern mit Stockfisch verbrämte. Erleide dadurch weniger Zeitverlust, als wenn ich ins Gasthaus ginge, und komme um ein Drittheil billiger weg, was um so nothwendiger, als ich zur äußersten Einschränkung gezwungen bin.“ – In voller Schaffenslust finden wir ihn dagegen [306] einige Wochen später: „Ich begann die Statue des böhmischen Dichters Lomnicky, will sie in Gyps abformen und später für Prag in Marmor ausführen. Als Gegenstück dazu entwarf ich das Standbild der Dichterin Eva v. Lobkowitz. Entworfen ist auch eine Variante der Shakespearefigur, sitzend, und ich glaube damit einen glücklicheren Griff gethan zu haben wie mit der stehenden. Bestimmte sie deshalb auch zur Ausführung in Marmor.“ – Zu welcher geistigen Fluthung merkwürdig wieder contrastirt, was er am Gedenktage seiner Ankunft in Rom niederschrieb: „Schon ein Jahr in Rom! Wie viel in diesem gelitten, wie wenig vollbracht!“ … „Diese Prüfungszeit“, sagt er sich dann beschwichtigend, „hat mich fester, männlicher gemacht“ … „Nun will ich fleißig, doppelt fleißig sein, um mir einen ehrenvollen Platz in der Kunstwelt erobern, meinem geliebten Meister Max im Hochgefühle sein bester Schüler zu sein, wieder vor Augen treten zu können“ … „Die Figur ‚Lomnicky‘, schon zweimal geändert, modellire ich jetzt von Neuem“. – Anläßlich einer Bestellung entstanden mittlerweile noch zwei Modellskizzen für eine nach Bürgstein bestimmte „Muttergottes-Statue“, nebenbei ein Relief, die „Entführung der schönen Jutta durch Bretislav I.“ darstellend. – Notiz vom 6. September: „Achtermann besucht, dessen Mittheilung über die Art, wie er Künstler wurde, überaus ermuthigend auf mich wirkte.“ – Mitte April 1852 kam die 3 Fuß hohe Marmorfigur des Dichters Lomnicky zur Vollendung und wurde sofort zur Ausstellung nach Prag abgeschickt, wo sie ehrenvollste Beurtheilung fand. Beharrlichen Fleißes oblag er hiernach dem Fertigstellen des „Gegenstückes“, der bereits erwähnten Dichterin Eva v. Lobkowitz, und notirte um Ende des Jahres: „Das Urtheil hiesiger Künstler über diese Arbeit konnte kaum günstiger sein, als es war“. – Bis dahin war ihm über Ansuchen der Stiftungsgenuß auf ein drittes Jahr verlängert worden. In dieses datirt eine Skizze, den auferstandenen Heiland vorstellend, die im Großen ausgeführt, der Bürgsteiner Kirche geschenkt werden sollte; ferner eine Statuette der Kaiserin Maria Theresia, ebenfalls zu lebensgroßer Ausführung in Marmor bestimmt. M. notirte hierüber unter dem 19. August 1852: „Ich habe diese hohe Frau als segenspendende Mutter der von ihr beherrschten Kinder, mit vorgestreckter Rechten, das Scepter, mit Eichenlaub umflochten, in der Linken haltend, dargestellt.“ In der gleichen Periode entstand das schöne Hochrelief „Christus erscheint der Magdalena“ – am Ostermorgen –, welches später die Geschwister des Künstlers der Kirche zu Bürgstein widmeten, und die Skizze für die in das neuerbaute Militärhospital zu Karlsbad bestimmte Marmorgruppe „Christus am Kreuze mit zwei zu Seiten knieenden Engeln.“ – Ohne Zweifel stand M. auch um diese Zeit und bis in die Hälfte des Jahres 1853 auf seiner Schaffenshöhe. Ueberwunden schienen jetzt die bisherigen Drangsale und Kümmernisse; eingereiht unter die von der Kunst begnadeten, zu klangvollem Namen Gekommenen, durfte er berechtigter Zuversicht wol auch ausblicken auf eine gesicherte Zukunft. – Fast auffallend freudig spricht diese Zuversicht auch aus einer Notiz des Tagebuchs vom 13. März, zufällig der letzten, die er eintrug, und die im Eingeständnisse gipfelte: „die schöne Nachbarin Rosina habe es ihm angethan“, er gedenke sie „nach einem oder zwei Jahren als Lebensgefährtin heimzuführen!“ – Darüber hinaus ließ sich nur sicher stellen, daß M. rastlos arbeitete, die Statue der Lobkowitz vollendete, die Gruppe für Karlsbad in Marmor begann, desto überraschender wirkte dann die von Freundeshand eingelangte Nachricht vom 5. September, daß er schon wochenlang kränkle und das Schlimmste für ihn zu fürchten sei. Und es hatte damit seine Richtigkeit, denn ein Schreiben der Bildhauer Simon und Knüpel vom 13. November 1853, an Jos. Max adressirt, besagt: „Am 10. November Abends 7 Uhr haben wir den dahingeschiedenen lieben Freund und wackeren Künstler zum einsamen Friedhofe bei St. Lorenzo [307] begleitet und für diesseits Abschied von ihm genommen.“ Er war einem Leberleiden erlegen. – „Eva Lobkowitz“ fand auf der Ausstellung des österreichischen Kunstvereins zu Wien 1854 ungetheilte Anerkennung und überging in den Besitz des kunstsinnigen Fürsten Ferdinand von Lobkowitz. Das Gypsmodell dazu, wie jenes von Lomnicky, nebst mehreren Reliefs und Skizzen kam nach Bürgstein in den Besitz der Geschwister des Künstlers; die Marmorgruppe für Karlsbad wurde dem nachfolgenden Stiftungsnießer Wenz. Lewy zur Vollendung anvertraut. Die Werke Melzer’s tragen in ihrer Gegenstandsauffassung durchweg den romantischen Zug des Prager Meisters. In der Formbildung schloß er sich dagegen in Rom mehr und mehr der von Flaxman eingeschlagenen antikisirenden Richtung an. Seine Gebilde sind von der zu Grunde liegenden Idee vollständig durchdrungen; voll seelischen Ausdrucks sind die Köpfe, geschmackvoll angeordnet und in schönen Linien durchgeführt ist das Ganze.

„Bohemia“ 1854, Nr. 95. Schlesinger, Geschichte Böhmens. Klar’sche Künstlerstiftung, Prag 1883. Tagebuch Jul. Melzer’s. Eigene Aufzeichnungen.