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ADB:Martini, Martin (Jesuit)

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Artikel „Martini, Martin“ von Viktor Hantzsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 52 (1906), S. 220–223, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Martini,_Martin_(Jesuit)&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:25 Uhr UTC)
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Martini: Martin M., von verschiedenen Geschichtschreibern des Jesuitenordens auch Martinsohn oder Martinez, von den Chinesen Wei genannt, Missionar, Geograph und Historiker, wurde 1614 von deutschen Eltern in Trient geboren. Ueber seine Jugend ist nichts bekannt. Am 8. October 1632 trat er zu Rom als Novize in die Gesellschaft Jesu ein und genoß im Collegium Romanum den üblichen Bildungsgang der Ordenszöglinge. Daneben wurde er von Athanasius Kircher privatim in Mathematik und Naturwissenschaften unterrichtet. Da er hervorragende Geistesgaben zeigte und sich in wenig Jahren eine umfassende Gelehrsamkeit aneignete, wurde er von seinen Oberen für die Mission in China bestimmt, der man damals die befähigtsten Köpfe zuwies. 1638 schiffte er sich in Lissabon ein und gelangte unter vielen widrigen Zufällen nach Goa, wo er sich mehrere Jahre aufhielt. Neben seiner Missionsthätigkeit beschäftigten ihn namentlich magnetische und astronomische Beobachtungen. 2 Briefe, in denen er über die von ihm wahrgenommenen Abweichungen der Magnetnadel unter verschiedenen Breiten, über Sonnenflecke, Sternbilder des südlichen Himmels und Dämmerungserscheinungen berichtete und die er seinem Lehrer Kircher übersandte, veröffentlichte dieser auszugsweise in seinem Werke „Magnes sive de arte magnetica“, Romae 1654, S. 316–318 und 348–350. Nach einem weiteren Aufenthalte auf den Philippinen traf M. endlich 1643 in China ein. Hier herrschten damals sehr unruhige Zeiten. Von innen her ward das Reich durch blutige Empörungen erschüttert, von außen durch einen siegreichen Einfall der Mandschu, welche 1644 die Ming-Dynastie stürzten, Peking eroberten und einen neuen Kaiser einsetzten, der die Jesuiten begünstigte und ihnen einen großen Einfluß auf die Regierungsangelegenheiten einräumte. Nachdem sich M. einigermaßen mit Sprache und Sitte des Volkes vertraut gemacht hatte, trat er große Reisen an, die ihn, wie es scheint, durch alle Provinzen des weiten Reiches führten. Er benutzte diese Wanderungen nicht nur zu Missionsversuchen, sondern auch zu wissenschaftlichen Beobachtungen, namentlich zur Vornahme astronomischer Ortsbestimmungen. Da er regen Verkehr mit den Eingebornen unterhielt, eignete er sich allmählich eine so umfassende Kenntnis ihrer Sprache an, daß er versuchen konnte, einige Abhandlungen über Wesen und Eigenschaften Gottes, über die Unsterblichkeit der Seele, sowie verschiedene polemische und moralische Tractate in chinesischer Sprache zu veröffentlichen. Auch verfaßte er eine chinesische Grammatik, die aber nicht im Druck erschienen ist. Wegen dieser tüchtigen Leistungen wurde er nach einigen Jahren zum Superior der Mission in Hang-tcheou ernannt. Hier hatte er viel durch die sogenannten Accomodationsstreitigkeiten zu leiden, die unter den Missionaren über verschiedene rituelle Fragen ausgebrochen waren. Die bekehrten Chinesen wünschten nämlich ihren altgewohnten Ahnencultus, die Verehrung ihres großen Morallehrers Confucius und die ihnen geläufige Benennung Gottes durch das Wort Himmel beizubehalten. Die weltklugen Jesuiten gaben ihren Proselyten in diesen Punkten nach, die gleichfalls als Missionare wirkenden Dominicaner und Franciscaner dagegen lehnten jedes Zugeständniß als Abfall [221] von der reinen katholischen Lehre ohne weiteres ab. Die Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Parteien bildete eine Quelle endloser Zwistigkeiten, und die gegenseitige Erbitterung wurde noch dadurch vermehrt, daß sich die Jesuiten andauernd der höchsten Gunst des Hofes erfreuten und ihre Gegner mit Erfolg von derselben fernzuhalten wußten. Die Dominicaner sandten deshalb ihren Ordensgenossen Morales nach Rom, der es durchsetzte, daß die Inquisition ein Verbot der chinesischen Riten aussprach und Papst Innocenz X. diese Entscheidung bestätigte. Als diese Kunde nach China gelangte, beschlossen die dortigen Jesuiten, Berufung gegen das ihnen gefährlich erscheinende Urtheil einzulegen. Zu diesem Zwecke sandten sie 1651 ihren Mitbruder M. als Procurator der Mission nach Rom ab. Dieser hatte eine sehr gefahrvolle Heimreise zu überstehen. Da er in Macao kein portugiesisches Schiff antraf, das nach Europa absegelte, begab er sich zunächst nach den Philippinen und wartete hier mehrere Monate, bis er ein spanisches Schiff fand, das ihn mitnahm. Im südchinesischen Meere aber wurde dasselbe von holländischen Seeräubern ausgeplündert. M., der mit Mühe sein Leben und seine mitgeführten Manuscripte rettete, wurde als Gefangener nach Batavia gebracht. Hier erlaubte man ihm, da er der holländischen Colonialverwaltung wichtige Mittheilungen über die politischen Vorgänge im Innern Chinas während der letzten Jahre machte, nach längerem Warten am 1. Februar 1653 auf einem holländischen Schiffe nach Europa zurückzukehren. Während der monatelangen Ueberfahrt beschäftigte er sich mit der Sichtung und Verarbeitung seiner Aufzeichnungen und mit der Anfertigung von Karten der einzelnen Provinzen Chinas. Gegen Ende der Reise wurde das Schiff durch schwere Stürme nach Norden verschlagen, so daß es nicht in Holland, sondern in Norwegen landete. Von hier aus begab sich M. über Deutschland, Belgien und Frankreich nach Rom. Hier verhandelte er theils mit der Propaganda und den Inquisitionsbehörden wegen der chinesischen Riten, theils vollendete er als Früchte seines achtjährigen Aufenthaltes in China mehrere Schriften über die Geschichte und Geographie dieses Reiches, die berechtigtes Aufsehen erregten und darum mehrere Ausgaben und Uebersetzungen erlebten. Zuerst erschienen zwei wenig bedeutende Arbeiten kleineren Umfangs, welche offenbar nur dazu dienen sollten, die oberflächliche Neugierde weiter Kreise zu befriedigen: „Brevis relatio de numero et qualitate Christianorum apud Sinas“ (Rom 1654, Köln 1655) und „Zeitung auß der newen Welt oder Chinesischen Königreichen“ (Augspurg 1654). Noch in demselben Jahre veröffentlichte er in lateinischer Sprache nach eigenen Erlebnissen und nach den Mittheilungen seiner Ordensgenossen eine ausführliche Beschreibung des siegreichen Einfalls der Mandschu und der inneren Unruhen, die China in den Jahren 1616–1644 bis zum freiwilligen Tode des letzten Kaisers der Ming-Dynastie erschüttert hatten. Das dem König Casimir von Polen gewidmete Werk ist betitelt „De bello Tartarico historia“. Die erste Ausgabe erschien 1654 in Rom. Weitere lateinische Ausgaben folgten noch in demselben Jahre in Antwerpen, Köln und Wien, im nächsten Jahre in Rom und in Amsterdam, sowie 1661 wiederum in Amsterdam. In deutscher Uebersetzung erschien das Buch 1654 in München, 1654 und 1655 in Amsterdam, sowie 1696 in Hamburg als Anhang zu Adam Olearius, Viel vermehrte Moscowitische und Persianische Reisebeschreibung; englisch 1654 in London als selbständiges Werk und 1655 ebendort als Anhang zu Alvarez Semedo, The History of that great and renowned monarchy of China; französisch 1656 in Amsterdam, sowie 1667 in Lyon und Paris als Anhang zu Alvarez Semedo, Histoire universelle de la Chine; holländisch 1654 in Delft und in Antwerpen, 1655 in Utrecht, [222] 1656 und 1660 in Amsterdam; italienisch 1654 in Mailand und 1655 in Palermo; spanisch 1659 in Amsterdam und 1665 in Madrid; portugiesisch 1657 in Lissabon; endlich schwedisch 1674 in Wijsingsborg.

1655 begab sich M. nach Amsterdam, um sein 2. Hauptwerk, den großen Atlas von China („Novus Atlas Sinensis“) fertig zu stellen und den Stich und Druck der Karten in der berühmten Officin des Johannes Blaeu zu überwachen. Beides gelang vorzüglich, so daß der Atlas noch heute als ein werthvolles Denkmal der alten holländischen Kartographie geschätzt wird. Er erschien seit 1655 in zahlreichen meist undatirten Ausgaben in Großfolioformat mit Titelblatt und Text in lateinischer, französischer, holländischer und spanischer Sprache theils einzeln, theils in den verschiedenen Ausgaben der großen Cosmographia Blaviana. Das Werk ist dem Erzherzog Leopold Wilhelm von Oesterreich gewidmet. In der Einleitung sagt M., daß er es aus 15 chinesischen geographischen Werken zusammengearbeitet und durch die Ergebnisse seiner eigenen Reisen ergänzt und berichtigt habe. Es enthält eine für jene Zeit vortreffliche Uebersichtskarte des chinesischen Reiches, 15 Karten der einzelnen Provinzen Chinas und eine Karte von Japan und Korea. Zur Erläuterung ist ein sehr ausführlicher Text beigegeben, der eine Beschreibung Chinas, seiner Nebenländer und seiner Bewohner, sowie der einzelnen Provinzen und der wichtigsten Städte enthält. Dann folgt ein „Catalogus longitudinum et latitudinum omnium locorum imperii Sinici, quorum fit in nostris mappis mentio“, ein Verzeichniß von fast 2000 Längen- und Breitenbestimmungen, die natürlich bei weitem nicht alle auf eigenen Messungen Martini’s, sondern meist auf Berechnungen nach den Entfernungsangaben der chinesischen Quellenwerke beruhen und darum zum Theil sehr fehlerhaft sind. Als Anhang ist allen Ausgaben Martini’s oben erwähnte Schrift über den tartarischen Krieg beigefügt. Dieser Atlas blieb bis auf du Halde’s Description de la Chine (Paris 1735) und d’Anville’s Nouvel Atlas de la Chine (la Haye 1737) das beste Werk in seiner Art und war ein volles Jahrhunden hindurch eine werthvolle Fundgrube für alle Kartographen. Noch heute ist er die vollständigste geographische Einzelbeschreibung von China, die wir besitzen, und sein Verfasser verdient mit vollem Rechte den Ehrennamen des Vaters der geographischen Kenntniß von China, den ihm Richthofen beigelegt hat. Einzelne Theile des Atlas wurden von anderen Autoren neu herausgegeben. Den gesammten Text ohne die Karten druckte Melchisedek Thevenot in französischer Uebersetzung als Description géographique de l’empire de la Chine in seinen Relations de divers voyages curieux (Paris 1672 und 1696) T. II, P. III, 1–216 ab. Ein Abschnitt, der über die Mandschurei handelt, erschien als Relation de la Tartarie orientale in den beiden Ausgaben des Sammelwerkes Recuil de voyages au nord, Amsterdam 1715, III, 142–185 und ebendort 1732, IV, 365–413. Zwei andere Abschnitte über Japan und Korea nahm Christoph Arnold in seine Wahrhaftige Beschreibung dreyer mächtigen Königreiche, Japan, Siam und Corea (Nürnberg 1672) auf (S. 347–356 und 883–900).

Nach der Vollendung des Atlas kehrte M. von Amsterdam nach Rom zurück. Hier waren unterdessen die Verhandlungen über die Frage der chinesischen Riten zum Abschluß gekommen. Da er nachgewiesen hatte, daß die von seinen Ordensgenossen in China gestatteten Gebräuche nichts mit dem Götzendienst zu thun hätten und ihr Verbot das Christenthum in China äußerst gefährden würde, erhielt er am 23. März 1656 ein vom Papst Alexander VII. bestätigtes Decret der Inquisition, welches die Beobachtung und Beibehaltung jener Gebräuche unter der Bedingung erlaubte, daß sie nicht [223] als religiöse, sondern nur als bürgerliche Ceremonien betrachtet und ohne jede Beimischung von Aberglauben verrichtet würden. Hocherfreut, durch seine Bemühungen seinem Orden zum Siege über die Gegner verholfen zu haben, beschloß M., nach China zurückzukehren, um die Botschaft selbst zu überbringen. Zuvor aber vollendete er ein Werk, das ihn schon seit Jahren beschäftigt hatte, eine in Decaden getheilte chronologische Geschichte des chinesischen Reiches auf Grund der chinesischen Originalquellen. Die erste Decade, welche den Zeitraum von der Entstehung des Reiches bis etwa um die Zeit der Geburt Christi umfaßt, erschien mit einer Widmung an den Kaiser Leopold als „Sinicae historiae decas prima“ in lateinischer Sprache 1658 in München und 1659 in Amsterdam, in französischer Uebersetzung 1692 in Paris. Ob die übrigen Decaden im Manuscript vollendet wurden, ist unbekannt. Zum Druck sind sie offenbar nicht gelangt.

1656 begab sich M. von Rom nach Portugal. Hier schlossen sich ihm 17 junge Missionare an, die er nach China geleiten sollte, darunter der später berühmt gewordene Ferdinand Verbiest. Die meisten erlagen unterwegs den Beschwerden und Gefahren der Reise. M. selbst fiel im südchinesischen Meere in die Hände von Seeräubern, die ihn ausplünderten und zwei Jahre lang gefangen hielten. Erst 1658 erreichte er den Hafen von Macao. Nachdem er seine Ordensgenossen von dem glücklichen Erfolge seiner Sendung benachrichtigt hatte, begab er sich in seinen Missionsbezirk und setzte mit frischen Kräften das Missionswerk fort. Besonders machte er sich durch die Erbauung und Ausschmückung vieler Kirchen verdient. Doch zog er sich infolge übermäßiger Anstrengungen eine schwere Krankheit zu, der er trotz aller Bemühungen seiner Mitbrüder und der chinesischen Aerzte am 6. Juni 1661 in der Stadt Hangtcheou erlag. Er war ein Mann von seltenen Talenten und großer Menschenfreundlichkeit. Noch heute gilt er mit Recht als einer der besten Geographen und Geschichtschreiber unter den Missionaren des 17. Jahrhunderts.

A. G. Camus, Mémoire sur la collection des grands et petits voyages et sur la collection des voyages de Melchisedech Thevenot, Paris 1802, p. 317–324. – v. Wurzbach, Biographisches Lexicon des Kaiserthums Oesterreich XVII (1867), S. 39–40. – F. v. Richthofen, China, Berlin 1877, I, 674–677. – Bibliothèque de la Compagnie de Jésus. Nouvelle édition par C. Sommervogel. V (1894), Sp. 646–650. – A. Huonder, Deutsche Jesuitenmissionäre des 17. und 18. Jahrhunderts. Freiburg 1899, S. 191.