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ADB:Müller, Johann Heinrich

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Artikel „Müller, Johann Heinrich“ von Siegmund Günther in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 22 (1885), S. 583–585, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:M%C3%BCller,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 06:21 Uhr UTC)
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Müller: Johann Heinrich M., Physiker und Astronom, Bruder des Kartographen Johann Christoph (s. S. 582). M. ward, wie letzterer, zu Wörth bei Nürnberg am 15. Januar 1671 geboren und machte die gelehrten Schulen seiner Vaterstadt, zuletzt auch die Altdorfer Hochschule durch, wo er 1697 mit der Dissertation „Problema analyticum de igne“ promovirte. Im Jahre 1705 erhielt er die Professur der Physik am Gymnasium Aegydianum zu Nürnberg und zugleich die Direction der bisher von Eimmart geleiteten städtischen Sternwarte. Vier Jahre später versetzte ihn der Rath an die Universität Altdorf hier hatte sein Vorgänger Sturm die exacten Wissenschaften zu hoher Blüthe gebracht, [584] und M. beeiferte sich, diesem Vorbilde nachzuleben. Bald nach seinem Amtsantritte suchte er um die Erlaubniß nach, das Observatorium, welches bisher auf einem Thurme der Stadtmauer ein ziemlich kümmerliches Dasein gefristet hatte, nach einem geeigneteren Platze verlegen zu dürfen; die Curatoren der Hochschule bewilligten die erforderlichen Mittel mit jener Freigebigkeit, welche der Nürnbergischen Verwaltung stets, sobald es sich um Fragen der Wissenschaft und Kunst handelte, zum Ruhme gereicht hat, und so konnte bereits 1713 eine neue Sternwarte feierlich eingeweiht werden. M. bekleidete seinen Posten bis zu seinem am 2. Mai 1731 erfolgten Tode, unabläßig mit gelehrten Arbeiten beschäftigt. Mit zahlreichen bekannten Gelehrten, wie mit Manfredi, Scheuchzer, Delisle, Musschenbroek u. a. stand er in regem brieflichen Verkehr. Nicht unerwähnt darf Müller’s Gemahlin Clara bleiben, mit der er sich im Jahre 1706 vermählte. Sie war eine Tochter des bekannten Astronomen Georg Christoph Eimmart, von dem sie so trefflich unterrichtet wurde, daß sie selbständige wissenschaftliche Arbeiten auszuführen vermochte. Namentlich wird ihre hohe Geschicklichkeit im Zeichnen gerühmt, von der ihre fünfzehn Blätter „statuarum muliebrium ex antiquitate collectarum“, eine Serie kunstvoll illuminirter Mondphasen und eine Darstellung der ringförmigen Sonnenfinsterniß vom 12. Mai 1706 genugsames Zeugniß ablegen. Sie unterstützte auch ihren Gatten im Rechnen und Beobachten, doch konnte derselbe einer so trefflichen Gehülfin sich nicht lange erfreuen, indem Clara Müller bereits 1707, im einunddreißigsten Lebensjahre, ihrem ersten Wochenbette erlag. – Müller’s Bemühung, seine neue Sternwarte entsprechend auszurüsten, war vom besten Erfolge begleitet. Dieselbe enthielt u. a. einen 32füßigen Tubus, einen Meridianquadranten, der Minuten angab, einen Azimuthalquadranten mit Spiegelteleskop und mikrometrischer Vorrichtung, eine Landeck’sche Pendeluhr, einen Gnomon von 8 Fuß Höhe, einen Hooke’schen Quadranten mit Transversalentheilung und ein kunstvolles Planetolabium, mit welchem zwei reiche Nürnberger Kaufleute die junge Anstalt, als den Stolz ihrer Vaterstadt, beschenkt hatten. Sogar ein Blitzableiter fehlte dem „Tempel der Urania“ nicht. M. hat aber auch die Hülfsmittel, in deren Besitz ihn die Munificenz seiner Obrigkeit gesetzt, aufs Beste zum Nutzen der Wissenschaft zu verwerthen verstanden. Es war damals noch nicht, wie jetzt allgemein, üblich, daß von den Sternwarten fortlaufend deren Beobachtungen veröffentlicht wurden, und es darf deshalb M. als einer der ersten Astronomen bezeichnet werden, welche diese löbliche Sitte in Deutschland einführten; zum Beweise dafür dienen seine „Observationes astronomico-physicae selectae in specula Altdorfina annis 1711–23 habitae“ (Altdorfi 1723). Müller’s sonstige Publicationen sind ausschließlich akademische Gelegenheitsschriften. Wir können dieselben nicht sämmtlich hier aufzählen, sondern müssen uns begnügen, einzelne derselben ihres weitergehenden wissenschaftlichen Interesses halber hervorzuheben. Hierher gehört die „Quaestio curiosa physico-astronomica, an luna cingatur atmosphaera“ (1710). Hierin werden die Gründe dafür, daß unserem Trabanten die Lufthülle nicht gänzlich fehle, recht gut zusammengestellt, mit dem Schlußsatz „Atmosphaera circa lunam penitus negari non potest“ hat sich die Wissenschaft ganz neuerdings wieder befreunden müssen. Als Meteorologe hat M. begonnen, den anormalen Charakter einzelner Jahreszeiten wissenschaftlich zu untersuchen („De hiemis nuperae praeter ordinem mitis ac temporatae causis“, 1724). Recht bemerkenswerth ist auch die Dissertation eines gewissen Munker „De barometri anomaliis quibusdam in prognostico tempestatum“ (1730), welche von demselben unter Müller’s Präsidium vertheidigt wurde und somit nach den damaligen akademischen Gepflogenheiten als das geistige Eigenthum des Professors betrachtet werden kann. Zwei Wetterregeln sind es, die in diesem Schriftchen [585] auf ihre Gültigkeit geprüft werden: Steigt das Quecksilber in der Röhre von einem mittleren Stande rasch in die Höhe, so ist darin ein günstiges Vorzeichen zu erblicken; sinkt es rasch, so darf man auf Wolkenbildung, Regen, Schneefall, Wind und Sturm rechnen. Es wird nachgewiesen, daß diese Sätze zwar im Allgemeinen, jedoch nicht durchaus gelten, und für die Abweichungen werden Erklärungsgründe hergeleitet. Man ersieht aus der Abhandlung mit Vergnügen, daß die auch noch für die Gegenwart charakteristische Sucht, das Barometer schlechthin als einen Wetterpropheten zu behandeln, bereits vor 150 Jahren von fachkundiger Seite ernstlich bekämpft worden ist.

Poggendorff, Biographisch-literarisches Handwörterbuch zur Geschichte der exakten Wissenschaften, 2. Band, Leipzig 1863, S. 222. – Doppelmayr, Historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern, Nürnberg 1730, S. 259. – Günther, Die mathematischen und Naturwissenschaften an der Nürnbergischen Universität Altdorf, Verh. d. Vereins f. Gesch. d. Stadt Nürnberg, 3. Heft, S. 8 ff., S. 29 ff.