ADB:Loriotus, Peter (gest. 1573)
Moritz von Sachsen nach Leipzig gerufen. Sein Gehalt, den der Kurfürst, ohne die Mittel der Universität in Anspruch zu nehmen, aus eigener Kasse bestritt, belief sich auf 600 fl. und betrug mehr als die übrigen juristischen Professoren zusammen erhielten. In die Facultät ist er, wie es scheint, um sich für seine Lehrmethode die Unabhängigkeit zu bewahren, nicht eingetreten. Denn so großen Beifall er sich bei den Studirenden erwarb, die seine Hörsäle füllten, während die seiner Collegen nur spärlich besucht waren, ebenso entschiedenes Mißfallen erweckte seine von dem Herkommen abweichende Methode bei denen, welche, wie Melchior von Ossa nur den alten „mos docendi Italicus“ gelten lassen wollten. Seine bevorzugte Stellung, seine wohl nicht ohne Ostentation vertretene, von der herrschenden abweichende wissenschaftliche Richtung, und wohl auch sein weder den Calvinern noch den Lutheranern zusagendes Bekenntniß scheinen ihm mancherlei Widerwärtigkeiten bereitet zu haben. Joachim Camerarius schreibt um diese Zeit: „apud nos P. Loriotus absurdis opinionibus sibi magis, quam aliis molestiam creat“; ähnlich klingt das Urtheil der Calviner in Heidelberg (s. unten). Schon [199] 1554 verließ er Leipzig und ging nach Valence, wo Gisbert Regius (Otto Thesaurus II, 1501) sein Schüler war und 1557 Cujas sein College wurde, dem er den Vorrang in der Facultät abtrat. Als 1561 Balduin Heidelberg verlassen wollte, bewarb er sich ohne Erfolg um die erledigte Professur. In dem Vallentiae Allobrogum ultimo Augusti 1561 datirten Schreiben an Kurfürst Friedrich III. erbot er sich für 600 fl. Besoldung die Professur zu übernehmen, obgleich er in Leipzig eine höhere gehabt und jetzt nicht weniger beziehe. Sed civium perturbatus ob religionem status efficit, ut malim apud Celsitudinem tuam ea summa contectus cum quiete jura profiteri, quam inter hos civiles tumultus majus stipendium consequi“. Der academische Senat ging jedoch auf dies Anerbieten nicht ein, weil Balduins Abgang noch nicht entschieden sei und weil „ad Lorriotum quod obtinebit, visum est, eum facile non esse vocandum praesertim quod diceretur, monstrosas in Theologia opiniones defendere“. Um 1564 ging er nach Grenoble, wo er 1573 gestorben ist. Seine kurze Wirksamkeit in Deutschland ist zwar ohne nachhaltige Spuren geblieben, doch bekennt eine Anzahl namhafter Männer dankbar die von ihm empfangene Anregung, so der unglückliche Justus Jonas d. J., der berühmte Kanzler L. Distelmeyer, die Professoren M. Coler und Lorenz Kirchhoff. Beachtenswerth aber ist seine Erscheinung deswegen, weil er der erste Vertreter der neueren französischen Juristenschule in Deutschland war, dessen Lehrmethode „more gallico“ in dem conservativen Leipzig hart mit dem alten mos Italicus zusammenstieß. Worin die Eigenthümlichkeit seiner Methode bestand, zeigen seine aus Vorlesungen hervorgegangenen Schriften, welche er der Mehrzahl nach durch seine Schüler hat herausgeben lassen. Durchaus irrig ist es danach bei ihm von „Cujazischer Manier“ oder gar (wie E. Friedberg, das Collegium juridicum 1882, S. 51) von „historischer Vertiefung des Stoffs“ zu reden. L. gehört zu der vorclassischen Generation der französischen Juristen; Cujazischer Feinheit und Gelehrsamkeit begegnen wir bei ihm nicht; die historisch-antiquarische Exegese ist nicht seine Sache. Dagegen bemüht er sich im Gegensatz zu der analytischen und casuistischen Zersplitterung des mos Italicus um eine rationelle Synthese; er sucht die einzelnen Rechtssätze unter „Axiomata generalia“ zu ordnen und erstrebt sogar den Aufbau eines Rechtssystems, von dessen Vollendung er freilich sehr weit entfernt geblieben ist. Daß er sich mit dem Plane einer umfassenden „juris in artem redactio“ trug, erfahren wir aus der Epist. dedicatoria seines Tractatus an den Kanzler Olivier, dem er sich zum Beistand erbietet, wenn er Frankreichs Tribonian werden wolle. Somit gehört er zu den Vertretern der neben der antiquarisch-philologischen hergehenden synthetischen Richtung der französischen Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts, aber ohne Zweifel zu den Geistern zweiten Rangs. Nur eben wenn man sich diese Richtung seiner Methode klar macht, versteht man den Vorwurf, welchen in Leipzig Melchior von Ossa gegen ihn erhebt: daß seine Schüler nur „locales“ würden, d. h. Leute, die über allgemeine Regeln und Gesichtspunkte mit ihrem Wissen nicht hinauskommen, denen die Kemitniß der Einzelheiten und die casuistische Schulung fehlt. – Wie es zu erklären ist, daß die größere Zahl der Schriften Loriot’s nicht von ihm selbst, sondern bei seinen Lebzeiten von seinen Schülern nach Collegienheften herausgegeben ist, muß dahin gestellt bleiben. Die Schüler geben als Grund die überhäufte Lehrthätigkeit an; nicht unwahrscheinlich ist indeß die Vermuthung von Haase S. 31, daß L. sich gern den doppelten Vortheil schaffte, von seinen Schülern glorificirt zu werden und die Verantwortung für die Mängel seiner Schriften auf seine Editoren abwälzen zu können. – L. hatte 3 Söhne, Dionys, Peter und Franz, welche sich der Jurisprudenz widmeten. Peter L. der Jüngere disputirte öffentlich über eine Dissertation am 19. Novbr. 1554 in Leipzig, wie [200] es scheint nicht lange nach des Vaters Abgang; es ist möglich, daß einzelne der in der nachfolgend verzeichneten Litteratur dem Vater zugeschriebenen Schriften ihn zum Verfasser haben.
Loriotus (Loriolus, Pierre Lorioz), Jurist, aus Evernoy bei Salins gebürtig, lehrte seit 1528 die Rechtswissenschaft in Bourges und ward 1546 unter glänzenden Bedingungen von Kurfürst- Vgl. M. v. Ossa, Testament, herausg. von Thomasius 1717. S. 385 f. 405 ff. Haase, de P. Lorioto – nolla, Lips. 1812. Hautz, Die Juristenfacultät der Universität Heidelberg unter der Regierung des Kurfürsten Friedrich III, S. 4. 1853. Zarncke, Acta Rectorum p. 357. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen 2, 15. Anm. 30, 1864. Villegney, Revue de législation p. Laboulaye 2, 563 s. 1872. Rivier, Zeitschr. f. R. G. 11, 319 ff. 1873. Muther, Zur Geschichte der R. W. S. 109 f. 1876. Stintzing, G. Tanner’s Briefe, S. 42, 46. 69. 1879. Stintzing, Geschichte der d. Rechtswissensch. 1, 126 f. 373 ff. 1880. Hier und bei Haase S. 31 sind Loriot’s Schriften verzeichnet.
Der Verfasser des vorstehenden Artikels war bereits verstorben, als ich im Hauptstaatsarchiv zu Dresden über einige Schriftstücke kam, welche L. betreffen. Ich trage den Inhalt derselben hier kurz nach. Vom 5. Juni 1546 datirt das Bestallungsdecret für Leipzig. In Regensburg fand die Verhandlung mit ihm statt. Auf fünf Jahre verpflichtete sich L. für Leipzig. „nämlich des Tags eine Stunde mündlich im Recht alda zu profitiren, die folgende Stunde aber dasjenige, was er folgenden Tages zu lesen Willens sei, den Auditoribus zu dictiren und auf ihr Begehren sie dasjenige, was sie nach Nothdurft von ihm nicht vermerkt, nach seinem Vermögen mit Fleiß zu berichten, die Scolares im Cirkel zu hören und zu gebührlicher Zeit, wenigstens einmal des Monats, zu disputiren und auch dem Kurfürsten sonst in dessen Sachen zu rathen und zu dienen“. Dafür gewährte ihm der Kurfürst 300 Ducaten und 36 Silbergroschen, daneben freie Wohnung im Ordinariatshaus und versprach überdies Fleiß aufzuwenden, daß er in die Facultät aufgenommen werde. So erhielt denn auch die Juristenfacultät alsbald die Weisung, daß dem neuen Gelehrten dieselben Zugänge wie den übrigen Facultätsmitgliedern zu Theil würden, und Dr. Georg Kommerstadt, welcher die Concepte durchsah, ließ noch an den Viceordinarius Dr. Löffel schreiben, er möge sich in allen Dingen gutwillig erzeigen (Die Ersatzungs etc. 1546. 59. Loc. 10536 Bl. 1. Etliche etc. Loc. 9667 Bl. 11 ff.). Im Juli 1546 dürfte L. in Leipzig eingetroffen, seine Frau ihm bald dahin nachgefolgt sein. Spärlich sind die weiteren Nachrichten über L. Erwähnt sei, daß er nach Moritz’ Tode 1553 unter denjenigen Personen aufgeführt erscheint, welchen kein Dienstgeld mehr gegeben werden soll, die Universität soll dies thun. Wichtiger ist, die Zeit des Abganges L.’s von Leipzig zu bestimmen. Bisher, und auch von Stintzing, wurde dieser Weggang in das Jahr 1554 gesetzt. Wir müssen jedoch Ostern 1555 annehmen. Schreibt doch Kurfürst August noch unterm 29. Jan. 1555 u. A. an ihn, was ihn wohl bewege, nächste Ostern Leipzig verlassen zu wollen. L. stand in Differenzen mit den Theologen und trug dem Kurfürsten seine Beschwerden in einer „Calculation“ vor, welche derselbe jedoch ohne einen Schlüssel nicht verstand. Noch 1561 ist in den Acten einmal die Rede von einem zweiten Schreiben des alten Phantasten, so nennt ihn Dr. Ulrich Mordeisen, an den Kurfürsten, der nach wie vor „von seiner Schwärmerei mit den Zeichen der Thiere Nachmeldung zu thun“, nicht weiche (Cop. 260 Bl. 408. 442. – Buch I. Loc. 8521 Bl. 130b.). Woher v. Langenn (Moritz II, 125) die Nachricht hat, daß L. seine Berufung nach Leipzig höher geachtet habe, als wenn der Kaiser ihm die vornehmsten Würden in seinem Vaterlande übertragen, konnte ich leider nicht ermitteln.