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ADB:Linde, Antonius van der

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Artikel „Linde, Antonius von der“ von Karl Steiff in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 51 (1906), S. 717–719, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Linde,_Antonius_van_der&oldid=- (Version vom 24. Dezember 2024, 18:41 Uhr UTC)
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Linde: Antonius von der L. (ursprünglich, bis 1874, und in seinen holländisch geschriebenen Schriften durchweg, van der L.), geboren am 14. November 1833, † am 13. (nicht 12.) August 1897. Als Sohn eines niederländischen Officiers aus altadeliger Familie zu Haarlem geboren, wirkte er nach Vollendung seiner Studienzeit von 1859–61 als Prediger der reformirten Gemeinde in Amsterdam, trat dann aber zurück und hielt sich, seinen wissenschaftlichen Arbeiten lebend, vorübergehend in Göttingen – wo er mit einer Schrift über Spinoza promovirte, 1862 –, im übrigen aber an verschiedenen Orten seines Heimathlandes auf, bis er 1871 nach Berlin übersiedelte. Nach seiner eigenen Erklärung („Ehescheidungsbüchlein“ S. III f.) [718] haben die Anfechtungen, denen er infolge seiner Schrift über die „Costerlegende“ (s. u.) und seiner entschiedenen Parteinahme für Deutschland im deutsch-französischen Kriege ausgesetzt war, den Anstoß zu diesem Schritt gegeben. Nachdem er in Berlin längere Zeit an der kgl. Bibliothek thätig gewesen war, wurde er von Arnheim aus, wohin er das Jahr zuvor gezogen, 1876 durch die preußische Regierung als Bibliothekar (Vorstand) an der damals noch königlichen Landesbibliothek in Wiesbaden angestellt. In dieser Stellung blieb er, inzwischen mit dem Titel Professor ausgezeichnet, bis 1895. Er starb zu Wiesbaden. Wenn er hienach im Ganzen einen wechselvollen Lebensgang hatte, und wenn auch sonst seine persönlichen Verhältnisse z. Th. getrübt waren, wenn er mehr oder weniger sich vereinsamt sah und verbittert wurde, so war er dabei nicht ohne Schuld. Insbesondere trug seine schroffe, auch in kleinen Dingen kampfeslustige Art viel dazu bei, und dieser Charakterzug tritt auch in seinen Schriften sehr stark hervor. Denn sie verschmähen den ruhigen Gang wissenschaftlicher Erörterung und tragen ein durch und durch persönliches Gepräge. Darum ist die Darstellung lebhaft und unruhig, witzig bis zum Burschikosen, herausfordernd und verletzend, mit überlegenem Spott den Gegner wissenschaftlich und womöglich auch moralisch vernichtend. Aber hinter dieser, sagen wir, ungewöhnlichen Form steckt meist ein ganz bedeutender Inhalt. Denn v. d. L. war ein Schriftsteller von ungewöhnlicher Begabung, hervorragend vor allem durch Scharfsinn und kritisches Urtheil, sowie durch mühelose Beherrschung auch des verwickeltsten Stoffes, dabei von großer Gründlichkeit und von eisernem Fleiß. Kein Wunder, daß er fast jede Frage, die er angefaßt, in der einen oder andern Weise gefördert und manche auch endgültig erledigt hat. Das gilt insbesondere von seinen Arbeiten über die Erfindung der Buchdruckerkunst und über die Geschichte des Schachspiels. In der Schrift: „De haarlemsche Costerlegende“ (1870) hat er, der Haarlemer, den Nachweis zu erbringen gesucht, daß Laurens Coster, dem Haarlem als dem Erfinder der Buchdruckerkunst 1856 ein Denkmal errichtet hatte, dieser Erfinder nicht ist und Haarlem nicht die Wiege der neuen Kunst, und wenn auch gegen diese Schrift ihr eigener Uebersetzer ins Englische, J. H. Hessels, sich später gewendet und wieder Coster’s Sache vertreten hat, so kann doch gesagt werden, daß durch die „Costerlegende“ für jeden Unbefangenen der Jahrhunderte lange Streit so gut wie entschieden worden ist. Diese Studien über die Erfindung des Buchdrucks erweiternd und vertiefend hat v. d. L., um von anderem Einschlägigen abzusehen, in „Gutenberg. Geschichte und Erdichtung“ (1878) das ergänzende Seitenstück zur „Costerlegende“ gegeben, dann aber in der „Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst“ (3 Bde., 1886) ein monumentales Werk geschaffen, das den Gegenstand in der umfassendsten und sachkundigsten Weise behandelt. Die schwierige Frage war hiemit jedenfalls für die damalige Zeit zum Abschluß gebracht. Was sodann die Geschichte des Schachspiels betrifft, so hat unser Autor mit deren Inangriffnahme der Wissenschaft ein neues und zwar schwer zugängliches Gebiet eröffnet, ein Gebiet, daß er sofort selbst mit bestem Erfolg bebaut – denn eine Reihe von Fragen gelten als durch ihn gelöst – und auf dem er auch andere Anregung zu weiteren Forschungen gegeben hat. Von seinen Schriften über das Schachspiel, deren wir, von 1865–81, ein Dutzend gezählt haben, sind als die wichtigsten zu nennen die „Geschichte und Litteratur des Schachspiels“ (2 Bde., 1874. 75) und die „Quellenstudien zur Geschichte des Schachspiels“ (1881). Durch viele Jahre, wie die eben genannten Gebiete, hat v. d. L. noch ein anderes gepflegt, auf dem er freilich sein großes Können nicht in gleichem Maße zeigen konnte, das der Bibliographie (im weiteren Sinn des Worts). Schriften [719] dieser Art – über Haarlem, Dav. Joris, B. Bekker, Spinoza u. A. – hat er schon 1867–70 veröffentlicht; seine Stellung in Wiesbaden zeitigte weiteres, das Verzeichniß der „Handschriften der Kgl. Landesbibliothek in Wiesbaden“ (1877), die „Nassauer Brunnenlitteratur der Kgl. Landesbibliothek in Wiesbaden“ (1883) und namentlich das unvollendet gebliebene Werk „Die Nassauer Drucke der Kgl. Landesbibliothek in Wiesbaden“ (Bd. 1. 2, 1, 1882. 87). – Mit dem Gesagten sind die wichtigsten Richtungen der litterarischen Thätigkeit v. d. Linde’s bezeichnet, aber keineswegs alle. Auch auf philologischem Gebiet hat er in seiner Frühzeit sich versucht, nicht minder auf philosophischem, allgemein-geschichtlichem und politischem, mehr noch aber ist es die Theologie, die er, zunächst im Anschluß an seine Wirksamkeit als Geistlicher, mit Ausgaben, Uebersetzungen und eigenen Arbeiten, allerdings meist kleineren Schriften, bereichert hat. Sein „Servet“ (1890) und seine letzte Schrift: „Antoinette Bourignon“ (1895) sind hier besonders zu nennen. Wie er nun aber auch zu einem Buch über „Kaspar Hauser“ (2 Bde., 1887) gekommen – in dem er den Nürnberger Findling als Betrüger nachzuweisen suchte –, möchte man billig fragen, wenn man nicht auch hier den Forscher erkennen würde, den vielumstrittene Stoffe der Geschichte, zumal wenn er dabei mit eisernem Besen einen Wust von Irrthümern wegfegen konnte, besonders reizten. – Seine sämmtlichen Schriften und Abhandlungen hat v. d. L. – recht bezeichnend – in einem besonderen Buche „Selbstbibliographie“ (1884) zusammengestellt. Sein Bild ist in seiner „Geschichte und Litteratur des Schachspiels“ als Titelbild vor Bd. 2 und in der „Geschichte der Erfindung der Buchdruckerkunst“, Bd. 2 vor S. 623, sowie, in anderer Aufnahme, in der (Leipziger) Illustr. Zeitung Bd. 109, 1897, S. 275 zu finden.

Vgl. u. a. die Nekrologe in der Illustr. Zeitung a. a. O. S. 275 und im Biogr. Jahrbuch Bd. 2, 1898, S. 256 f.