ADB:Leuzinger, Rudolf
[679] seinen Neigungen. Als er daher 1844 hörte, daß der Kartograph Jacob Melchior Ziegler begabte junge Leute für die von ihm geleitete geographische Anstalt von Wurster & Comp. in Winterthur suchte, meldete er sich und wurde wegen seiner Fertigkeit im Zeichnen als Lehrling in die lithographische Abtheilung des Geschäftes aufgenommen. Hier eignete er sich in wenig Jahren eine hervorragende Geschicklichkeit namentlich im Terrainstich an. Er gewann bald das volle Vertrauen Ziegler’s, der ihm allmählich die schwierigsten Arbeiten anvertraute. 1847 unternahmen Beide gemeinsam eine Studienreise nach Deutschland, um die bedeutendsten Kartographen und die von ihnen geleiteten Anstalten aus eigener Anschauung kennen zu lernen. L. erntete manches Lob für seine tüchtigen Leistungen und brachte fruchtbare und nachhaltige Anregungen mit heim. Nachdem er seine Lehrzeit vollendet hatte, blieb er noch mehrere Jahre als Kartograph in der Anstalt seines Lehrers und arbeitete an dessen Kartenwerken, namentlich an der Topographischen Karte der Kantone St. Gallen und Appenzell in 16 Blättern (1849–1851), an dem Atlas über alle Theile der Erde (1851) und an dem Hypsometrischen Atlas (1856), sowie an der Topographischen Karte der Insel Madeira (1856) mit. An eigenen Arbeiten schuf er in diesen Jahren Karten der Kantone St. Gallen, Tessin, Graubünden, Glarus und Freiburg, sowie eine Karte der Insel Sumbawa. Nachdem er 15 Jahre lang in der Wurster’schen Officin gearbeitet hatte, wünschte er sich selbständig zu machen. Er siedelte deshalb 1859 nach Glarus über und gründete hier eine neue kartographische und lithographische Anstalt, die durch ihre in wissenschaftlicher und technischer Hinsicht gleich werthvollen Erzeugnisse bald einen guten Ruf gewann. Da er besonders im Terrainstich vortreffliches leistete, wurde er 1860 nach Paris berufen, um für einige Karten der von dem Kaiser Napoleon III. vorbereiteten Histoire de Jules César das Terrain zu bearbeiten. Weil ihm aber das unruhige Leben in der Fremde nicht gefiel, kehrte er trotz mehrerer Angebote glänzender Stellungen schon nach wenigen Monaten nach Hause zurück. Kaum hatte er seine gewohnte Thätigkeit wieder aufgenommen, so verzehrte am 10. Mai 1861 ein gewaltiger Brand einen großen Theil von Glarus. Leuzinger’s Haus blieb zwar verschont, doch war seine wirthschaftliche Existenz durch die allgemeine Nothlage für längere Zeit gefährdet. Deshalb entschloß er sich, einer Einladung der Berner Kantonalregierung folgend, nach Bern überzusiedeln, wo er von der Katasterbehörde mit der Anfertigung von Forstkarten und Bauplänen beschäftigt wurde. Daneben entwarf er verschiedene Schulkarten, Touristenkarten und Kartenbeilagen für mehrere wissenschaftliche Werke. Ein weiteres Feld eröffnete sich für seine Thätigkeit, als 1863 der neu gegründete Schweizer Alpenclub beschloß, regelmäßig ein Jahrbuch mit Kartenbeilagen herauszugeben. L. hat einen großen Theil dieser Karten gezeichnet und gestochen, so daß beinahe jeder Band des Jahrbuchs ein Werk seiner Hand enthält. Da diese Excursionskarten meist nach den Originalaufnahmen des Eidgenössischen topographischen Bureaus hergestellt wurden, trat L. bald in nähere Beziehungen zu dieser Behörde und namentlich zu ihrem Leiter, dem Obersten Hermann Siegfried. Dieser lernte Leuzinger’s hervorragende Geschicklichkeit schätzen, und als 1868 die Bundesversammlung beschlossen hatte, einen neuen großen Atlas der Schweiz im Maßstab der Originalaufnahmen herzustellen, übertrug er ihm den schwierigen Stich der Hochgebirgsblätter. L. führte nicht weniger als 117 derselben in einer Weise aus, die ihm den ungetheilten Beifall der tüchtigsten Fachmänner des In- und Auslandes sicherte. Daneben schuf er noch eine große Anzahl anderer Kartenblätter, theils in Kupferstich, theils in Chromolithographie. Hervorzuheben sind mehrere Uebersichtskarten der [680] Schweiz in verschiedenen Maßstäben, Karten der Kantone Neuenburg, Bern und Aargau, Specialkarten der Centralschweiz, des Berner Oberlandes, der Gegend um Grindelwald und des Rigi, sowie eine große Carte physique et géographique de la France. 1881 nöthigten ihn Unannehmlichkeiten verschiedener Art, Bern zu verlassen. Er wendete sich wieder seiner Glarner Heimath zu und ließ sich inmitten einer herrlichen Gebirgsnatur im „Haltli“ bei Mollis nieder. Hier arbeitete er unermüdlich weiter und schuf immer neue vollkommenere Werke seiner Kunst. Zu erwähnen sind namentlich Reliefkarten der Schweiz, von Südbaiern, Tirol und Salzburg, sowie von Palästina, eine Reisekarte von Oberitalien, eine Eisenbahnkarte Europas in 6 Blättern, zahlreiche kleine Karten für Bädeker’s und Meyer’s Reisebücher, sowie die Terrainzeichnung auf den Karten des Rhonegletscher-Werkes und auf Imfeld’s Montblanc-Karte. Durch die angestrengte Sitzarbeit hatte sich L. im Laufe der Jahre ein Herzleiden zugezogen, dem er am 11. Januar 1896 erlag. Er gilt mit Recht als einer der tüchtigsten Kartographen seines Vaterlandes, besonders als einer der besten Interpreten für die Darstellung des Gebirgsterrains und der geologischen Formen. Nicht zum wenigsten durch seine Mitarbeit ist der Siegfried-Atlas zu einem Musterwerke der modernen Kartographie geworden. Seine Karten, über 300 an der Zahl, vereinigen in seltenem Maße Naturtreue, wissenschaftliche Gründlichkeit und künstlerische Vollendung.
Leuzinger: Rudolf L., Kartograph, ist als Sohn eines unbemittelten Landmanns am 17. December 1826 zu Nettstall im Kanton Glarus geboren. Da beide Eltern frühzeitig starben, wurde er von seiner Heimathgemeinde in der Linthcolonie, einer Erziehungsanstalt für arme und verwaiste Kinder untergebracht. Nach der Schulzeit kam er zu einem Steinmetzmeister in Wädenswyl in die Lehre, doch entsprach diese Beschäftigung in keiner Weise- L. Held, Kartograph Rudolf Leuzinger (Jahrbuch d. Schweizer Alpenclub XXXI [1896], S. 296–303. Mit 2 Porträts). – Deutsche Rundschau für Geographie und Statistik XVIII (1896), S. 279–282 (mit Bild). – Geographisches Jahrbuch XX (1897), S. 474.