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ADB:Lessing, Gottfried

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Artikel „Lessing, Gottfried“ von Carl Bertheau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 18 (1883), S. 448–449, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Lessing,_Gottfried&oldid=- (Version vom 10. November 2024, 18:28 Uhr UTC)
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Lessing: Johann Gottfried L. (Vater Gotthold Ephraim’s), tüchtiger und gelehrter lutherischer Geistlicher, wurde am 24. November 1693 zu Kamenz geboren, wo sein Vater Theophilus L. (geb. 1647 in Schkeuditz, † 1735) damals Rathsherr, später Syndikus und seit 1712 Bürgermeister war. Der vierte Vorfahre von Theophilus, Clemens Lessigk, hatte als Pastor in der Superintendentur Chemnitz im J. 1580 das Concordienbuch unterschrieben; Theophilus, Sohn des Bürgermeisters in Schkeuditz, Christian L., hatte das Gymnasium in Merseburg besucht, dann in Leipzig studirt und hier im J. 1669 de tolerantia religionum disputirt und war seit 1682 in Kamenz Mitglied des Rathes. Sein ältester Sohn zweiter Ehe, unser Johann Gottfried L., zeichnete sich frühzeitig durch ein starkes Gedächtniß und eine besondere Neigung zum Studium der Geschichte aus. Er wurde im J. 1707 auf das Gymnasium in Görlitz geschickt, von wo er im J. 1712 die Universität Wittenberg bezog. Hier trieb er außer den theologischen Studien die orientalischen Sprachen, aber auch das Französische und Englische mit besonderem Fleiß; in der letzteren Sprache soll er sich eine für einen deutschen Gelehrten damals ungewöhnliche Fertigkeit angeeignet haben. Dabei zeichnete er sich schon gleich anfangs in Disputationen so aus, daß ihm schon im J. 1712 vom Dekan Brendel die Magisterwürde umsonst angetragen wurde. Nach vollendeten Studien machte er zwar im J. 1716 in Dresden das theologische Examen, hatte aber die Absicht, die akademische Laufbahn zu wählen. Er begab sich auch zu diesem Zwecke im J. 1717 wieder nach Wittenberg und schrieb vielleicht als Habilitationsschrift aus Anlaß des bevorstehenden Reformationsjubiläums seine „Vindiciae reformationis Lutheri a praeiudiciis novaturientium“; als aber nicht lange danach (noch im J. 1717) aus seiner Vaterstadt an ihn der Ruf in ein geistliches Amt erging, zögerte er nicht, demselben zu folgen. Mit dem Beginne des Jahres 1718 übernahm er das Amt eines Mittwochspredigers und Katecheten in Kamenz, ward sodann 1724 Archidiaconus und 1733 oder 1734 Pastor primarius daselbst. Im J. 1725 heirathete er die älteste Tochter des Pastor primarius Feller in Kamenz, aus welcher Ehe zehn Söhne und zwei Töchter stammten, von denen noch vier Söhne und eine Tochter am Leben waren, als er am 22. August 1770 im 77. Lebensjahre starb. – L. war ein fleißiger und gründlicher Gelehrter; das Studiren blieb ihm bis in sein Alter seine Freude und Erholung; und so war es ihm auch ein Lieblingsgedanke, daß seine Söhne studiren sollten, den er bei der zahlreichen Familie unter eignen Entbehrungen ausführte. Mit einer Reihe bekannter Theologen stand er in einem gelehrten Briefwechsel; doch scheint der Inhalt dieser Correspondenz nicht mehr nachweisbar zu sein. Die Gegenstände seiner Studien und zugleich den Umfang derselben lernt man aus den Titeln zahlreicher von ihm veröffentlichter Schriften und Abhandlungen kennen; sie beziehen sich u. A. auf Fragen der Dogmatik und Katechetik, auf kirchenhistorische Untersuchungen und die praktische Theologie; [449] mehrere Werke Tillotson’s übersetzte er aus dem Englischen, Daniel Superville’s Betrachtungen über den Gebrauch des heiligen Abendmahls aus dem Französischen. Als eine Theuerung Kamenz heimsuchte (? im J. 1717), dichtete er vier Trostlieder, welche Dresden 1720 unter dem Titel „Sonderbare Hausandacht“ mit einem Gebete herauskamen und hernach in das von ihm besorgte Kamenzer Gesangbuch (1729, 2. Aufl. 1732) aufgenommen wurden. Zu diesen Liedern gehört auch das mit den Worten „Mein lieber Gott soll walten“ beginnende; es kann nämlich nicht zweifelhaft sein, daß auch dieses Lied von L. herrührt, wie es denn auch im genannten Gesangbuch als von ihm gedichtet bezeichnet ist; daß es sich schon im J. 1718 in der ersten Auflage von Erdmann Neumeister’s Evangelischem Nachklang (Hamburg bei Joh. Nic. Gennagel, S. 52 ff.) gedruckt findet und zwar mit zahlreichen Abänderungen, wie Neumeister sie mit den Liedern, die nicht von ihm herstammen, vorzunehmen pflegte, ist wahrscheinlich entweder so zu erklären, daß ein früherer Druck dieses Liedes zwar vorhanden, aber uns bisher unbekannt ist, oder daher, daß L. es Neumeister handschriftlich mitgetheilt hat, wie denn beide nachweislich in Briefwechsel gestanden haben. Die sechste Strophe dieses Liedes ist der oft citirte Vers: „Andreas hat gefehlet, Philippus falsch gezählet, wir rechnen wie ein Kind; mein Jesus kann addiren und kann multipliciren, auch da wo lauter Nullen sind.“ Dieser Vers findet sich im Neumeister’schen Nachklang ganz so durch den Druck ausgezeichnet, wie auch sonst in seinen Sammlungen von ihm nicht herrührende Zeilen oder Verstheile gedruckt wurden; es kann kein Zweifel sein, daß er wirklich, wie das ganze Lied in seiner Fassung im Kamenzer Gesangbuch, von L. gedichtet ist. In die zweite Auflage dieses Gesangbuches nahm L. noch ein fünftes eignes Lied auf, ein Lied zum Preise der Gnade Gottes: „Komm, komm, mein heller Morgenstern“; dieses hat eine weitere Verbreitung gefunden als seine übrigen; es findet sich u. A. in den noch im Gebrauch befindlichen Gesangbüchern in Hannover und Lüneburg. Wegen seines Kamenzer Gesangbuches ward L. von den Wittenberger Theologen angegriffen; sie warfen ihm vor, daß er Lieder aus dem Freylinghausen’schen Gesangbuche, das von der Wittenberger Facultät verworfen war, und sogar Lieder mit dactylischen Versen aufgenommen habe. Der theologische Standpunkt Lessing’s war der eines dem Pietismus nicht feindlichen Lutherthums; daß er auf seine Kinder dabei den Eindruck eines ganzen Mannes machte, der auch lebte, was er glaubte, ist aus den Aeußerungen Gotthold Ephraim’s über seinen Vater bekannt genug.

Johann Gottfried Lessing, Zweyhundertjährige Gedächtnißschrift derer ersten evangelischen Predigten, welche in der Sechs-Stadt Camentz 1527 an Ostern gehalten worden u. s. f., Leipzig 1727, S. 105 f. u. S. 116. – Jo. Fr. Voigtii Primae lineolae vitae a Jo. Godo. Lessingio actae. Budiss. 1768, 4°. – K. G. Lessing, Gotthold Ephraim Lessing’s Leben, 1. Thl., Berlin 1793, S. 5–26. – Meusel VIII, S. 198 ff. – Wetzel, Analecta hymnica, II, S. 180 f. – Otto, Lexikon der oberlaus. Schriftsteller II, S. 460. – Rotermund zum Jöcher III, Sp. 1687 f. – Bode, Quellennachweis, S. 107. – Zöllner, Das deutsche Kirchenlied in der Oberlausitz, Dresden 1871, S. 71.