ADB:Leitgeb, Hubert
Franz Unger in Wien veranlaßte ihn in seinem zweiten Studienjahre die österreichische Hauptstadt aufzusuchen, woselbst er sich voll Begeisterung seinem verehrten Lehrer anschloß und durch dessen Anregung bereits 1855 seine Erstlingsarbeit: „Die Luftwege der Pflanzen“ ausführte, die in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften, Band XVIII, abgedruckt wurde. Noch in demselben Jahre promovirte L. in Graz und bestand darauf 1856 die Staatsprüfung für das höhere Schulamt. Neun Jahre lang war er dann als Gymnasiallehrer thätig, zuerst in Cilli in Steiermark, darauf in Görz, wo er fünf Jahre verblieb, später kurze Zeit in Linz und zuletzt in Graz. Hier habilitirte er sich 1866 zugleich als Privatdocent für Botanik. Schon ein Jahr darauf erfolgte seine Ernennung zum außerordentlichen, 1869 die zum ordentlichen Professor, welche Stellung er bis zu seinem Tode bekleidete. Einen ihm 1863 bewilligten Urlaub benutzte L. zu einer Reise nach Wien und München, um in der letzteren Stadt unter Karl v. Nägeli’s Leitung seine entwicklungsgeschichtlichen Studien über Luftwurzeln abzuschließen, deren Resultate er in einer werthvollen Abhandlung: „Die Luftwurzeln der Orchideen“ in den Denkschriften der Wiener Akademie, Bd. LXXIV, 1864 veröffentlichte. Auch 1865 hielt er sich in München auf und beendete, gemeinsam mit Nägeli, die schon früher begonnene epochemachende Arbeit über „Entstehung und Wachsthum der Wurzeln“, die sich im 4. Bande von Nägeli’s „Beiträgen zur wissenschaftlichen Botanik“ findet. Als 1873 A. W. Eichler von Graz nach Kiel übersiedelte, übernahm L. auch noch die Direction des botanischen Gartens und die Stellung eines Docenten der Botanik am Polytechnikum, die er jedoch nach Ablauf des Wintersemesters 1879/80 wieder niederlegte. Zwei an ihn ergangene Berufungen, nach Wien und Tübingen, [628] lehnte er ab, hauptsächlich wol, um sich der Organisation der ihm unterstellten wissenschaftlichen Institute, des von ihm für die Zwecke der anatomischen Forschung begründeten botanischen Institutes und des botanischen Gartens, widmen zu können. Hierfür zu wirken betrachtete er neben seiner wissenschaftlichen und Lehrthätigkeit als Hauptaufgabe seines Lebens und scheute dabei auch vor pecuniären Opfern nicht zurück. Vielfache Ferienreisen, die ihn durch ganz Deutschland nach den verschiedensten Richtungen hin und in die wichtigsten Länder Europas bis zum Orient führten, dienten ihm gleichzeitig zur Information über die Einrichtungen auswärtiger botanischer Anstalten. Sah er nun zwar seine eigne Schöpfung, das Grazer Institut, von sehr kleinen Anfängen aus langsam wachsen und durfte er auch auf eine Neuanlage des botanischen Gartens hoffen, so entsprach doch das, was thatsächlich geschah, nicht seinen hochstrebenden Plänen, mit denen er sich zehn Jahre lang aufs eingehendste beschäftigt hatte. Dieser Umstand, sowie schwere Schicksalsschläge, die ihm nach nur kurzem Eheglück Gattin und Kind raubten, verdüsterten sein ohnehin zur Schwermuth neigendes Gemüth derartig, daß er in seinen letzten Jahren den Lebensmuth völlig verlor und innere Ruhelosigkeit, mit krankhaftem Mißtrauen gepaart, ihn beherrschte. Als er erfuhr, daß mit der Neuanlage des Gartens nicht auch zugleich der Bau eines neuen Institutsgebäudes begonnen werden sollte, erfaßte ihn der Wahn, nun nicht mehr wissenschaftlich arbeiten zu können und in einer unglückseligen Stunde schied er, noch nicht 53 Jahre alt, am Todestage seiner zehn Jahre vorher ihm entrissenen Gattin freiwillig aus dem Leben.
Leitgeb: Hubert L., Botaniker, geboren am 20. October 1835 zu Portendorf bei Klagenfurt in Kärnten, † am 5. April 1888 zu Graz. Vorgebildet auf den Gymnasien zu Klagenfurt und Graz und schon als Schüler besonders durch den Einfluß des tüchtigen Floristen P. Rainer Graf für Botanik lebhaft interessirt, bezog L. im Herbste 1852, noch nicht 17 Jahre alt, die Universität Graz, um sich durch das Studium der Naturwissenschaften für das höhere Lehramt vorzubereiten. Der Ruf des geistvollen PflanzenanatomenLeitgeb’s wissenschaftliche Verdienste sind nicht ohne Anerkennung geblieben. Im J. 1876 wurde er correspondirendes, 1887 wirkliches Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften. Die Deutsche botanische Gesellschaft wählte ihn auf ihrer constituirenden Versammlung 1882 zum Vicepräsidenten; außerdem besaß er die Mitgliedschaft der botanischen Gesellschaften in Regensburg, Edinburg und der Leopoldina in Halle. An der Grazer Universität bekleidete er 1876/77 das Decanat der philosophischen Facultät, 1884/85 das Rectorat. Leitgeb’s Specialgebiet in der Botanik war das der experimentellen Anatomie und Morphologie, indem er, seinem Lehrer Nägeli folgend, auf Grund entwicklungsgeschichtlicher Untersuchungen die Wachsthumsvorgänge im Pflanzenkörper und die gegenseitigen Beziehungen der einzelnen Organe zu einander zu erklären suchte. Auf diesem Felde ist er ein vorbildliches Muster geworden durch die unerreichte Sorgfalt und Gründlichkeit seiner Forschungsmethoden und die Schärfe der Kritik, die er an die Ergebnisse seiner Untersuchungen legte. Was L. einmal als neue Beobachtungsthatsache hingestellt hatte, war in den allermeisten Fällen unantastbar. Auf abgerundete, stilistisch vollendete Darstellungsweise seiner Forschungsresultate legte er weniger Werth. Ausgezeichnet durch große Arbeitskraft, hat er die Wissenschaft durch eine erstaunliche Fülle werthvoller Details bereichert. Seine sämmtlichen Publicationen, auch die nicht streng wissenschaftlichen, sowie wichtige Arbeiten seiner Schüler, die durch ihn veranlaßt wurden, sind in dem unten angeführten Nachrufe von Heinricher[WS 1] aufgeführt. Zuerst beschäftigte L. das Studium der Phanerogamen, wie die bereits erwähnten Arbeiten über Wurzelbildung beweisen; später wandte er sich den Kryptogamen, namentlich Moosen, Lebermoosen und Farnen zu. Sein bedeutendstes Werk waren die „Untersuchungen über die Lebermoose“, das von 1874–1881 in 6 Heften mit 51 lithographischen Tafeln in Großquart erschienen ist. Er gab hierin für eine kleine, aber gut umschriebene Pflanzengruppe auf Grund der Entwicklungsgeschichte ein, soweit dies überhaupt möglich ist, erschöpfendes Bild des phylogenetischen Zusammenhanges [629] der in Betracht kommenden Pflanzenformen. Noch vor Beendigung dieser großen Arbeit wandte sich L. der Lösung einiger wichtigen physiologischen Probleme zu. So veröffentlichte er 1878 in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie, Bd. LXXVII, eine Abhandlung: „Zur Embryologie der Farne“ und an derselben Stelle ein Jahr darauf: „Studien über Entwicklung der Farne“, worin er die Frage zu beantworten suchte, ob der Ort der Organanlage am Embryo durch äußere Kräfte bestimmt werde. In einer selbständig erschienenen Arbeit: „Bau und Entwicklung der Sporenhäute und ihr Verhalten bei der Keimung“ (Graz 1844) präcisirte er genau seine Stellung der strittigen Frage gegenüber, ob das Dickenwachsthum der Zellwand durch Apposition oder Intussusception erfolge. Vom Jahre 1866 an gab er die „Mittheilungen des botanischen Instituts zu Graz“ heraus, in deren erstem Hefte er über „Krystalloide in Zellkernen“ berichtete und „Beiträge zur Physiologie des Spaltöffnungsapparates“ lieferte. Das zweite, erst nach seinem Tode, 1888 in Druck gekommene Heft brachte noch zwei Arbeiten aus seiner Feder: „Der Gehalt der Dahlia-Knollen an Asparagin und Tyrosin“ und „Ueber Sphärite“. Neben seiner wissenschaftlichen litterarischen Thätigkeit fand L. auch noch Muße zur Ausarbeitung von Reden und Vorträgen und zur Publication von Artikeln über verschiedene Tagesfragen. Seine 1884 beim Rectoratsantritt in Graz gehaltene, durch den Druck veröffentlichte Rede, die von der Reizbarkeit und Empfindung im Pflanzenreich handelte, zeichnet sich durch ihren tief durchdachten, geistvollen Inhalt aus. Auch politisch war L. thätig und hat sich in seiner Eigenschaft als Mitglied des Kärntner Landtages während der Jahre 1869–72 namentlich um die Schulgesetzgebung seines engeren Heimathlandes verdient gemacht. Als Lehrer zeichnete sich L. durch eine, zwar nicht blendende, aber logisch scharf gegliederte Vortragsweise aus, die seine immer wohl vorbereiteten Demonstrationen begleitete. In den wissenschaftlichen Anforderungen streng gegen sich selbst, verlangte er auch von seinen Schülern ein hohes Maß von Selbstkritik. Sein edler und offener Charakter, sein Wohlthätigkeitssinn und sein tiefes Gemüth ließen es um so schmerzlicher bedauern, daß der vollen Entfaltung dieser trefflichen menschlichen Eigenschaften ein herbes Geschick ein zu frühes Ziel gesetzt hat.
- G. Haberlandt[WS 2], Nachruf in: Berichte d. Deutschen Botan. Gesellschaft, Band VI, 1888. – E. Heinricher, Nachruf in: Mittheilgn. des naturwiss. Vereins für Steiermark 1888. – Oesterr. botan. Zeitschrift 1888.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Emil Johann Lambert Heinricher (1856–1934), österreichischer Botaniker.
- ↑ Gottlieb Johann Friedrich Haberlandt (1854–1945), österreichischer Botaniker.