ADB:Koetschet, Joseph
Skoda und Rokitansky außerordentlich an. Nach einem Pariser Studienjahre promovirte er 1853 zu Bern zum Dr. med. Der damals üblichen Schwärmerei folgend, wie ziemlich viele europäische Mediciner, ging er schon kurz darauf nach der Türkei, stellte sich – der Krimkrieg brach gerade aus – in Constantinopel vor und erhielt sofort die Leitung des Garnisonhospitals zu Skutari in Albanien. Nach rascher Frist ließ er sich jedoch auf den Kriegsschaup1atz im Kaukasus versetzen, als Chefarzt der tunesischen Hülfstruppen. Nicht viel später trat er als Corps-Chefarzt der türkischen Donauarmee zu dem eben auf dem Gipfel des Ruhmes und der Volksthümlichkeit stehenden Omer Pascha, dem slavischen Renegaten, zuerst in nähere Beziehungen und blieb in dessen Diensten als Leibarzt und Secretär nach dem Fe1dzuge. Dies wurde für Koetschet’s Schicksal entscheidend. Der verbannte Omer Pascha erhielt, 1861 in alle Ehren eingesetzt, den Oberbefehl in der Herzegowina, wo er 1862 den Aufstand niederschlug, und führte da erfolgreich den Guerillakrieg mit Montenegro, wurde 1864 Muschir oder Feldmarschall und als solcher bis 1867 an der Spitze des 3. Armeecorps zu Monastir stationirt. Auf diese Weise kam sein Günstling und Freund K. in jene nordwestlichen Landschaften des Türkischen Reiches und hat jedenfalls damals den jungen Schlesier Dr. Eduard Schnitzer kennen gelernt, welcher Hafen- und Districtsarzt in Antivari geworden war und später sich als „Emin Pascha“ († 1892) einen politisch-historischen Namen gemacht hat. Im J. 1864 kam K. definitiv nach der bosnischen Provinzialhauptstadt Serajevo und ist daselbst bis zum Tode, am 22. Juli 1898, verblieben, und zwar in der Stellung eines Stadt- und Polizeiarztes, vor 1877 wiederholt aber zugleich in der ungleich bedeutsameren des Vilajetsecretärs. Auch wenn er letzteren Posten [353] nicht bekleidete, wirkte er als vertrauter Rathgeber der türkischen Generalgouverneure des Vilajets Bosnien mit Verständniß, Eifer und Uneigennützigkeit. Der Fürst Nikolaus von Montenegro suchte ihn wiederholt für seine Dienste zu gewinnen, und 1879 stellte die bulgarische Regierung ein glänzendes Anerbieten an ihn. K. wies aber alle lockenden Anträge ab, so auch den Posten eines türkischen Generalconsuls in Ragusa sowie 1876 den als türkischer Consul zu Agram. Er wollte das interessante Völkercentrum Sarajevo, wo er sich eingebürgert hatte, nimmer verlassen.
Koetschet: Joseph K., Amtsarzt und Publicist, geboren 1830 zu Grellingen oder zu Delémont (Delsberg) im nördlichen Kanton Bern, entstammte einer aus den Niederlanden nach der Schweiz eingewanderten Patricierfamilie, die aber nicht richtig deutsch geworden zu sein scheint. Nach dem Besuche des Jesuitengymnasiums zu La Chapelle im Elsaß überraschte ihn die 48er Revolution in Straßburg auf einer Ferienreise. Etwas leichtsinnig als Nichtfranzose nahm er theil an der Volksbewegung daselbst, studirte dann aber seit Herbst 1848 zu Bern Medicin. Hier lag bald die Führerschaft der freisinnigen Studenten in seiner Hand, und dies ließ den feurigen Jüngling mit der conservativen Kantonalregierung zusammenstoßen, schließlich nach Heidelberg übersiedeln. Während zweier Wiener Semester zogen ihn besondersDieser nach Europas Halbasien verschlagene und in halboffizielle Beamtenfunction gelangte Arzt Dr. K. hat überaus fesselnde Memoiren über die Geschicke Bosniens und des Anhängsels Herzegowina „vom Jahre 1863 bis zur Occupation“ niedergeschrieben, und deren zweiter, natürlich viel interessanterer Theil ist – aus äußeren Gründen vor der ersten Hälfte – 1905 gedruckt worden: „Aus Bosniens letzter Türkenzeit. Hinterlassene Aufzeichnungen von Dr. med. Joseph Koetschet. Veröffentlicht von Dr. iur. Georg Graßl“, als 2. Heft der Hartleben’schen Sammlung „Zur Kunde der Balkanhalbinsel. Reisen und Beobachtungen. Herausgegeben von Dr. Karl Patsch, Kustos am bosnisch-herzegowinischen Landesmuseum in Sarajevo.“ Schon unter dem unmittelbaren Eindrucke hat K. Erlebnisse und Wahrnehmungen französisch zu Papier gebracht, dies alles aber 1875 ein Brand, der fast seine ganze Habe vernichtete, zerstört. Nach der Occupation unternahm er, auf Tagebuchblättern und losen Notizen fußend, eine deutsche Niederschrift: das Manuscript von 292 Folioseiten, datirt vom 5. November 1890, eben „vom Jahre 1863 bis zur Occupation“, befindet sich im Besitze der Wittwe Frau Ergelie K. in Sarajevo. Der Herausgeber gibt an, „stilistische Unebenheiten, die der mangelhaften deutschen Sprachkenntniß [?!] des Verfassers zu gute gehalten werden müssen“, ausgeglichen zu haben und hofft „hauptsächlich bei Schonung der Eigenart durch übersichtliche Anordnung des Stoffes ein möglichst anschauliches Bild von den angeführten Perioden zu geben“; auch habe er „einzelne Versehen … durch Umfrage richtig gestellt“. K. berichtet darin über das letzte Stadium des ehemaligen staatlichen Daseins jener beiden Glieder der ottomanischen Monarchie, nämlich über den Aufstand in der Herzegowina, welcher 1875–76 als Mitveranlasser dem russisch-türkischen Kriege vorherging, sowie über den Zusammenbruch und die Auflösung der Sultansherrschaft in jenem District und Bosnien 1877–78. In anschaulichem Stile stellt er die Wechselfälle in den dortigen Verhältnissen dar: die Thätigkeit der türkischen Behörden, die Wühlerei russischer Agenten, das Verfahren der österreichischen Statthalter und Generale (Rodič, Jovanovič, Philippovič, Herzog Wilhelm von Württemberg) in und von Dalmatien aus, die Stellungnahme der einzelnen Serbengruppen zu den rasch sich entwickelnden Ereignissen, nämlich der Serben im Hauptlande, der Dalmatiner, Montenegriner, der Bosniaken selbst, endlich der Bulgaren, übrigens auch die Haltung der direct unbetheiligten Großmächte. Er schildert „alles, wie es vor den Augen des bei den verschiedenen Parteien hochangesehenen Verfassers sich abspielte. Dr. Koetschet, der als Turkophile nach dem europäischen Orient kam, zeigt sich in seinen Aufzeichnungen als ein billiger Beurtheiker der einheimischen Bevölkerung, während die Palastregierung und die Effendis in Constantinopel weniger gut davon kommen. Hat K. doch schon bei seinen Lebzeiten den ottomanischen Behörden gegenüber mit seinem Urtheile nicht hinter dem Berge gehalten. Wir erfahren Näheres aus der Vorgeschichte der Occupation und wie diese sich vollzogen hat … Jedenfalls bildet die ungeschminkte Erzählung des Dr. K. eine willkommene Ergänzung zu den officiellen Publicationen.“ Diese auch jetzt noch überaus actuelle Schrift, deren [354] hoffentlich nicht im Manuscript eingesargte ungedruckte Vorderhälfte natürlich an authentischen Enthüllungen zur Evolution der heutigen Zustände auf der Balkanhalbinsel reich ist, sowie seine „Erinnerungen“ an den mit französisch-englischer Hintergrundshülfe operirenden Omer Pascha sind nicht allein sachlich höchst werthvolle Beiträge zur Erkenntniß der Wirrsale der unseligen „Orientalischen Frage“, sondern auch schriftstellerisch ausgezeichnet und überaus anziehend durch Lebendigkeit und eindrucksvolle Heraushebung der wichtigen Momente, wie sie nur ein Mann, dem ungewöhnliche Einblicke vergönnt waren, zu erfassen vermochte. Mögen nun auch Koetschet’s fesselnde „Erinnerungen aus dem Leben des Serdar Ekrem [d. i. Generalissimus; seit 1867] Omer Pascha (Michael Lattas). Sarajevo 1885“ (1871 war der Feldherr gestorben) die geziemende Beachtung genießen, und zwar nicht bloß für des Generals Lebensgeschichte, wobei sie übrigens nie citirt wird.
- Vgl. die betr. Notizen G. Graßl’s in der Einleitung zum angeführten Druck von 1905, auch dessen Anzeige durch J. J(irecek?) in Nr. 181 der Beil. z. Allg. Ztg. (München) v. 8. Aug. 1905, S. 263, woraus die citirten Sätze in obigem Texte, außerdem Illustrirte Ztg., Bd. 111a, Nr. 2876 (11. August 1898), Sp. 195 u. danach G. Wolff’s Registrirung im Dtsch. Nekrolog. u. Biogr. Jahrb. V (1900), S. 36. Der Geburtsort schwankt; die Bekanntschaft mit dem erst 1840 geborenen Emin Pascha kann nicht, wie Graßl angibt, 1854 stattgefunden haben.