ADB:Koechlin
Koechlin, elsässische Fabrikantenfamilie. Die im 16. Jahrhundert aus der Schweiz nach Mülhausen eingewanderte Familie Koechlin hat im 18. und 19. Jahrhundert eine größere Zahl von Männern hervorgebracht, die sich auf dem Gebiete der Industrie ausgezeichnet haben und auch vielfach als französische Politiker hervorgetreten sind. Hier können nur diejenigen Mitglieder erwähnt werden, welche zum Aufschwunge der elsässischen Industrie in besonderem Maße beigetragen haben.
Nicolaus K. wurde am 1. Juli 1781 zu Mülhausen geboren als Sohn des Fabrikanten Johannes K., dessen Vater, Samuel K., sich im Jahre 1746 an der Errichtung der ersten Zeugdruckerei zu Mülhausen betheiligt hatte und dadurch einer der Begründer der elsässischen Baumwollindustrie geworden war. Seine Kindheit verbrachte er im St. Amarinthal in den Vogesen, dem damaligen Aufenthalte seiner Eltern, welche die Erziehung ihrer sechzehn Kinder mit großer Sorgfalt leiteten; dann wurde er in die kaufmännische Lehre nach Hamburg und später nach Holland geschickt. In seine Vaterstadt zurückgekehrt, zeigte er bald einen ungewöhnlichen Unternehmungsgeist, indem er als Zwanzigjähriger mit geringen Mitteln ein Handelshaus gründete, in das im Laufe der Zeit unter anderen Gesellschaftern auch sein Vater und seine Brüder eintraten. Im J. 1806 errichtete er eine Spinnerei und eine Weberei zu Masmünster im Elsaß, 1809 eine Zeugdruckerei zu Lörrach in Baden, 1820 eine Spinnerei zu Mülhausen. Die Firma Nicolaus Koechlin & Brüder beschäftigte zur Zeit ihrer Blüthe über 5000 Arbeiter; sie hatte Filialen in mehreren französischen Städten und eigene Niederlagen an den Haupthandelsplätzen Europas, Amerikas und des Orients. Als ihre Unternehmungen an Zahl und Mannichfaltigkeit stets zunahmen, löste sie sich im J. 1836 in verschiedene neue Gesellschaften auf.
Die nunmehr frei gewordene Schaffenskraft des rastlosen Geschäftsmannes suchte ein neues Feld der Bethätigung und fand es in der Anlage von Eisenbahnen. Er baute zunächst im J. 1838 auf eigene Rechnung die Linie Mülhausen-Thann, dann ließ er sich von der französischen Regierung die Concession der Strecke von St. Ludwig bei Basel bis Straßburg ertheilen. Das für die damaligen Verhältnisse kühne und schwierige Werk wurde in der kurzen Zeit von 1839 bis 1841 ausgeführt und bildete eine der ältesten Hauptbahnen auf dem europäischen Festlande. K., der alle Seiten des wirthschaftlichen Lebens überschaute, erkannte auch die Nothwendigkeit einer baulichen Umgestaltung Mülhausens, und so gründete er das stattliche neue Viertel neben der winkeligen Altstadt. Alle diese großen Unternehmungen hinderten ihn nicht, sich auf den verschiedenen Gebieten des öffentlichen Lebens hervorzuthun. Er wurde von seinen Mitbürgern in die Deputirtenkammer gewählt, der schon sein Bruder Jakob angehört hatte, und trug 1830 zum Sturze Karl’s X. bei. Er starb im J. 1852.
- Penot, Notice nécrologique sur M. Nicolas Koechlin, in: Bulletin [297] de la Société industrielle de Mulhouse XXIV, 193–217. Mulhouse 1852.
Daniel K., ein Bruder des Vorgenannten, wurde am 6. November 1785 zu Mülhausen geboren. Sein Vater bestimmte ihn für die Industrie und schickte ihn in seinem fünfzehnten Jahre zur technischen Ausbildung nach Paris, woselbst er namentlich chemischen Studien unter der Leitung von Fourcroy oblag. Sein älterer Bruder Nicolaus nahm ihn dann als Chemiker in seine Kattunfabrik auf. Hier zeigte er bald einen scharfen Beobachtungssinn und machte zahlreiche für den Zeugdruck wichtige Entdeckungen, welche den Mülhauser Producten erst ihren Weltruf verschafften. Indem er auf der vom Colmarer Fabrikanten und Chemiker Johann Michael Haußmann zuerst betretenen Bahn weiterschritt, gelang es ihm, das Verfahren für die Herstellung und das Auftragen der Farben, das bisher auf der zufälligen Erfahrung beruht hatte, wissenschaftlich zu begründen. Ihm verdankt die Industrie unter anderem die Verwendung der Chromfarben und die Färbung fertiger Gewebe in das beliebte Türkischroth, vor allem aber die sogenannten Enlevagen, sehr geschickt erdachte Methoden zur Entfärbung derjenigen Stellen auf bunten Stoffen, welche zur Erzielung bestimmter Muster andere Farben aufnehmen sollen. Alle seine Erfindungen veröffentlichte Daniel K. im Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse und überließ sie in seltener Uneigennützigkeit dem allgemeinen Gebrauche. Er starb am 18. April 1871.
- Penot, Notice sur M. Daniel Koechlin, in: Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse XLI, 237–262. Mulhouse 1871.
Andreas K., geboren zu Mülhausen am 3. August 1789, war der Sohn des Arztes Dr. Jakob K. und gleichfalls ein Enkel jenes Samuel K., der den gewerblichen Großbetrieb zu Mülhausen ins Leben gerufen hatte. Er trat im Alter von neunzehn Jahren in die Kattunfabrik von Dollfus-Mieg & Cie ein und heirathete die Tochter des Inhabers. Als sein Schwiegervater im J. 1818 starb, leitete er bis zur Mündigkeit seiner Schwäger das ausgedehnte Geschäft ganz allein mit großem Geschick. Seine Hauptbedeutung für die elsässische Industrie erwarb er sich durch die im J. 1826 erfolgte Gründung einer Maschinenfabrik mit Eisengießerei zu Mülhausen. Diese Werkstatt beschäftigte bald über 2000 Arbeiter und versah nicht nur die heimische Textilindustrie mit allen Maschinen, welche bisher unter großen Schwierigkeiten aus England bezogen werden mußten, sondern eroberte sich durch die Vorzüglichkeit ihrer Erzeugnisse, denen zahlreiche von K. selbst und seinen Ingenieuren gemachte Erfindungen und Verbesserungen zu statten kamen, auch im Ausland ein weites Absatzgebiet. Aus ihr gingen die ersten französischen Locomotiven hervor. Im J. 1872 vereinigte sie sich mit der Fabrik zu Grafenstaden bei Straßburg unter der Firma „Elsässische Maschinenbau-Gesellschaft“.
K. betheiligte sich außerdem noch an mehreren Unternehmungen, und sein kaufmännisches Talent wurde auch außerhalb des Elsasses öfters in Anspruch genommen: so wählte ihn die französisch-belgisch-preußische Gesellschaft der Bergwerke von Westfalen und Stolberg zu ihrem Präsidenten.
Wie die meisten der großen Industriellen von Mülhausen war K. eine kraftvolle und vielseitig begabte Persönlichkeit, die in der ausschließlichen Erwerbsthätigkeit keine volle Befriedigung fand und am öffentlichen Leben mitzuwirken begehrte. Er verwaltete seit dem Jahre 1830 seine Vaterstadt als Bürgermeister und soll durch sein eigenmächtiges Regiment manchen Widerspruch hervorgerufen haben. Der Deputirtenkammer gehörte er zwischen 1832 [298] und 1848 wiederholt an und zeigte sich daselbst als Anhänger der conservativen Politik. Aber nicht nur mit seiner Person diente er dem Gemeinwesen, sondern auch mit seinem Vermögen, indem er große Summen zu nützlichen Zwecken spendete. Er starb zu Paris am 24. April 1875.
- Nouvelle biographie générale XXI. Paris, Firmin Didot, 1861.
Joseph K.-Schlumberger, ein Vetter der drei Vorgenannten, wurde am 6. December 1796 zu Mülhausen geboren, wo sein Vater, Josua K., vierzehn Jahre lang die Würde eines Bürgermeisters bekleidete. Er wurde im Alter von elf Jahren in die Erziehungsanstalt Pestalozzi’s nach Yverdun geschickt und blieb vier Jahre unter der Leitung des berühmten Schulmannes, dem es weniger darauf ankam, seinen Zöglingen umfangreiche Sachkenntnisse einzuprägen als sie zu eigener Beobachtung und zu selbständigem Denken anzuregen. Nach seiner Rückkehr in die Heimath arbeitete er durch Privatstudien an seiner Bildung weiter, indem er sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte, die Werke der deutschen Classiker las und auch die Zeichenkunst und die Musik pflegte. Im praktischen Leben bethätigte er sich zum ersten Male mit Erfolg als Director einer Spinnerei zu Sulzmatt in den Vogesen, welche der Firma Schlumberger, Grosjean & Cie gehörte. Seine hier bewiesene Tüchtigkeit veranlaßte dies Haus, ihn im J. 1822 mit der Errichtung einer großen Spinnerei zu Mülhausen zu beauftragen. Dieses Unternehmen führte er glücklich aus, obgleich es mit großen Schwierigkeiten verbunden war, da die Fabrikeinrichtung aus England bezogen werden mußte, aber wegen des dort bestehenden Verbotes der Ausfuhr fertiger Maschinen nur bruchstückweise beschafft werden konnte. Er heirathete die Tochter eines seiner Principale, deren Namen er dem seinigen anfügte, und wurde bald selbst Geschäftstheilhaber. Es fiel ihm insbesondere die Leitung des Zeugdruckes zu, und auch hier zeigte er alle für den Erfolg in diesem Industriezweige nöthigen Kenntnisse und Eigenschaften, Vertrautheit mit der praktischen Chemie, künstlerischen Geschmack und kaufmännische Gewandtheit. Während die Mülhauser Fabriken bisher hauptsächlich bunte Kattune hervorgebracht hatten, verfertigte er auch geblümte Seidentücher, wollene Shawls und schwere Möbelstoffe.
Nachdem K.-S. ein großes Vermögen erworben, zog er sich im J. 1845 ganz aus dem Erwerbsleben zurück, um sich fortan den öffentlichen Angelegenheiten und der Wissenschaft zu widmen. Vom Jahre 1852 an stand er als Bürgermeister an der Spitze der städtischen Verwaltung und machte sich namentlich um den öffentlichen Unterricht verdient, indem er eine Gewerbeschule für die Bürgerschaft und eine Fortbildungsschule für die Arbeiter gründete.
Die Amtsthätigkeit allein genügte indessen seinem lebhaften Geiste nicht, und so warf er sich als Fünfzigjähriger mit der Begeisterung eines Jünglings auf das Studium der Geologie. Vom bloßen Lernen ging er bald zu selbständiger Forschung über und veröffentlichte in französischer Sprache eine Reihe von Abhandlungen, welche die Leistungen eines Dilettanten weit überragen und ihm den Ruf eines tüchtigen Fachgelehrten verschafften. Das besondere Wissensgebiet, dem seine unermüdliche Arbeit galt, war die Geologie der Vogesen, und als wichtiges Hülfsmittel für seine Untersuchungen legte er eine bedeutende Gesteinsammlung an. Die gelehrte Litteratur des Elsasses verdankt K.-S. zwei Hauptwerke, ein mit Schimper zusammen verfaßtes Buch über das Uebergangsterrain der Vogesen, das 1860 erschien, sowie eine von zwei Bänden Text begleitete geologische Karte des Ober-Elsasses, welche nach dem am 25. October 1863 eingetretenen Tode des Autors von Delbos zu Ende geführt und im J. 1866 herausgegeben wurde.
- [299] Weber, Notice biographique sur M. Joseph Koechlin-Schlumberger, in: Bulletin de la Société industrielle de Mulhouse XXXIII, 535–553. Mulhouse 1863.