ADB:Kobelt, Karl Ulrich
Kobelt: Karl Ulrich K., Director der Neinstedter Anstalten, ist geboren am 5. November 1847 in Pinne (Provinz Posen). Sein Vater war dort Lehrer und Küster, ein Mann, der schon in seiner Jugend um seines festen Bekenntnisses zum HErrn willen Verfolgung zu leiden hatte. Seine Mutter war eine fromme Proselytin. Sie hatte in dem Hause des Herrn v. Rappard in Pinne, das ein Sammelpunkt der Gläubigen in der Mitte des vorigen Jahrhunderts war, das Evangelium kennen gelernt, ihren Heiland gefunden und dem jungen Lehrer und Küster Kobelt die Hand zum Bunde für das Leben gereicht. Schon früh pflanzte sie das Wort Gottes in das Herz ihrer Kinder. Sie und Frau v. Rappard haben einen bestimmenden Einfluß auf Karl K. gehabt, der schon als Knabe seinen Vater verlor, ebenso der Pastor Ulrich Böttcher in Pinne. Beide, Pastor Böttcher und Frau v. Rappard, waren Karl’s Pathen. Er ist ihnen sein ganzes Leben hindurch in inniger Dankbarkeit verbunden geblieben. In dem Berichte über die Einweihung der Anstaltskirche in Neinstedt, „die ihm“, wie er zu sagen pflegte, „Gott gebaut hatte“, und deren Weihe wol den Höhepunkt seines Lebens bildete, hat er diesen beiden Pathen folgendes Denkmal gesetzt: „Aus der Jugendzeit stiegen da vor meiner Seele so manche ehrwürdige Gestalten und besonders das Bild meiner Taufpathe, der in weiten Kreisen des Reiches Gottes bekannten Frau Adelheid von Rappard geb. von Massenbach, auf. Ihre große Wohlthätigkeit gegen Arme, ihre die Verlorenen suchende Liebe, ihre christliche Charakterfestigkeit haben einen großen Eindruck auf viele gemacht, die sie gekannt haben. Mich hat sie geistig und geistlich in hervorragender Weise beeinflußt, und wie hätte ich an diesem Freudentage ihrer nicht dankbar gedenken sollen“. Dann erinnert er daran, daß vor 38 Jahren auch der Weihetag seiner Heimathskirche gewesen ist, „in welcher ich“, so schreibt er weiter, „von Kind auf das Wort Gottes gehört habe, und der Pastor dieser Kirche, der auch bei meiner Taufe fürbittend als Pathe für mich bei Gott eingetreten war, Ulrich Böttcher, einer der besten Geistlichen unserer Landeskirche, mein väterlicher Freund, stand mit allem Schmuck der Wahrheit und Liebe, den ihm Gott verliehen hat, lebendig vor meiner dankbaren und den HErren lobenden Seele“.
Da K. unter dem Einfluß solcher Persönlichkeiten aufwuchs, können wir es verstehen, wie schon in den Jahren seiner frühen Jugend sich eine Festigkeit in seinem Charakter bildete, die ihn in Züllichau, wo er als Elfjähriger im J. 1858 auf das Pädagogium kam, in entschiedenen inneren Gegensatz gegen den unter den Lehrern herrschenden Rationalismus treten ließ. Er reifte zu einer ausgeprägten Persönlichkeit heran und ist auch auf der Universität in Berlin und Halle (1866–1869) nicht von den Grundanschauungen gewichen, die ihm das fromme Elternhaus und die beiden Taufpathen in das Herz gepflanzt [277] hatten. Die theologische Wissenschaft hat ihn in seinem Kinderglauben nie ernstlich beirrt. Mit Liebe hing er an den lutherischen Bekenntnißschriften und den alten Dogmatikern. Valerius Herberger war einer seiner Lieblingsprediger. Besonders studirte er Luther’s Schriften. Mit allen diesen Quellen lutherischen Glaubens war er vertraut, und sie waren ihm wirkliche Lebensquellen, die Theologie, die er studirte, war ihm Herzenssache.
Alle ausgeprägten Persönlichkeiten zogen ihn an. Er verkehrte in Berlin bei Hengstenberg, in Halle bei Tholuck und dem reformirten Domprediger Zahn. Hier lernte er auch den geistvollen und bedeutenden Pastor der separirten reformirten Gemeinde in Elberfeld, den alten Kohlbrügge, kennen und wurde so mächtig von ihm angezogen, daß er, obwol schon als Student scharf ausgeprägter Lutheraner, doch im J. 1869 dem Rufe des scharf ausgeprägten Calvinisten folgte und an der niederländisch-reformirten Gemeinde zu Elberfeld die Stelle eines Organisten, Leiters des Kirchengesanges und Gemeindehelfers annahm. Freilich dauerte dieses Zusammenarbeiten mit Kohlbrügge nicht lange. K. kehrte in seine Heimath zurück, machte seine Examina und wurde 1872 Rector in Birnbaum. Da er sich erbot, unentgeltlich die Filialgottesdienste in Radusch abzuhalten, wurde er im December desselben Jahres ordinirt, nachdem er sich schon im Juli mit Frl. Marie Krüger aus Pinne verheirathet hatte.
Alsbald wurde man auch in Birnbaum gewahr, daß man es in K. mit einem festen Charakter zu thun habe. Seine entschlossene Vertretung des christlichen Geistes in der Schule machten ihn Vielen mißliebig, und sein rückhaltloses Strafen öffentlicher Sünden trug ihm einen nächtlichen Angriff ein, bei dem Gottes Hand ihn vor der Kugel des Mörders bewahrte. Im November 1874 wurde er nach Kosten gesandt, wo ihn aber schon nach wenigen Monaten, im Februar 1875, der Ruf nach Neinstedt traf. Hier sollte er seine Lebensarbeit finden, zunächst ganz wider seinen Willen und ohne die geringste Neigung für die Arbeit der Inneren Mission. Er spricht sich später selbst einmal über seine Berufung nach Neinstedt aus. Er schreibt: „Die Innere Mission hatte damals für mich das Ansehen des schwarzen Erdtheiles; ich kannte sie nicht; ich wußte kaum mehr als den Namen des Rauhen Hauses. Als Student hörte ich den alten Wichern reden, es war in Halle im J. 1868, doch hat das damals keinen nachhaltigen Eindruck auf mich gemacht. Als daher an mich der Ruf erging, die Leitung der Neinstedter Anstalten als Leiter und Seelsorger zu übernehmen, da war ich so gänzlich unvorbereitet und nach meiner Ueberzeugung so gänzlich unfähig für diesen Beruf, daß ich denselben ohne weiteres ablehnte. Pastor von Nathusius (damals Vorsteher der Knabenrettungs- und Brüderanstalt) wußte aber in der mit mir angefangenen Correspondenz den abgerissenen Faden immer wieder aufzunehmen, und schließlich willigte ich ein, die Anstalten in Neinstedt wenigstens zu besehen. Ich sah damals (Januar 1875) zum ersten mal in meinem Leben ein Rettungshaus, Brüder der Inneren Mission, Blöde und Epileptische, und war bald dreißig Jahre, und bereits fünf Jahre Pastor. Der alte Missions-Superintendent Hardeland (damals Inspector der Knabenrettungs- und Brüderanstalt), ein wetterharter Knecht Gottes, redete mir sehr zu, die hiesige Arbeit zu übernehmen … Die hiesige Arbeit entwickelte sich nun auf allen Gebieten je länger desto mehr als eine Erntearbeit. Die unleugbare Thatsache, daß die Neinstedter Anstalten in den letzten zehn Jahren sich in jeder Beziehung vergrößert haben, kommt nicht auf meine Rechnung. Sie erklärt sich vielmehr ganz natürlich daraus, daß mit dem Jahr meines Eintritts eine Periode der Ernte auf all diesen Reichsgottesgebieten [278] angebrochen war. Diese Ernte aber ist die Frucht der treuen Aussaat derer, die vor mir gearbeitet haben“.
So schrieb K. zehn Jahre nachdem er die Arbeit in Neinstedt übernommen hatte. Er hat sie fast 25 Jahre, mit großer Treue, mit voller Hingebung, unter dem sichtlichen Segen Gottes gethan, bis er unter ihrer Last buchstäblich zusammenbrach. Ein Gehirnleiden bereitete sich in seinen letzten Lebensjahren vor, in immer zunehmender Reizbarkeit sich offenbarend, es entwickelte sich zur Gehirnerweichung. Ein Aufenthalt in Schierke im Harz brachte die erhoffte Heilung nicht; nach halbjährigem schweren Leiden erlag er einem Gehirnschlag am 6. April 1899.
Um die Bedeutung Kobelt’s recht zu verstehen, die er für die Neinstedter Anstalten gehabt hat, muß unsere Darstellung etwas zurückgreifen. Am 15. October 1850 war in Neinstedt ein Rettungs- und Brüderhaus entstanden. Philipp und Marie Nathusius, beide durch ihre litterarische Thätigkeit bekannt und von nicht unbedeutendem Einfluß auf ihre Zeit, hatten es gegründet. Sie wollten nicht nur die Zahl der Rettungshäuser um eins vermehren, sondern es lag ihnen besonders daran, in der mit dem Rettungshause verbundenen Brüderanstalt junge Leute für allerlei Dienst der Inneren Mission zu erziehen. Philipp Nathusius verwaltete die Anstalt selbst, die Leitung des inneren Betriebes legte er in die Hand eines bewährten Theologen. Trebitz, Vogel, Flaischlen und Hardeland sind zu seinen Lebzeiten als Inspectoren der Knaben- und Brüderanstalt thätig gewesen. Als K. sein Amt antrat, war Philipp v. Nathusius – er war inzwischen geadelt worden – schon heimgegangen († 1872). Sein Sohn, der Pastor v. Nathusius (später Professor in Greifswald) hatte das Vorsteheramt von seinem Vater überkommen, aus seiner Hand empfing K. die Stelle eines Inspectors und Seelsorgers am „Lindenhof“ – diesen Namen hatte die Rettungs- und Brüderanstalt angenommen.
Neben dem Lindenhof war im J. 1861 das Elisabethstift als eine besondere Anstalt entstanden. Die Schwester Philipp v. Nathusius’, Fräulein Johanne Nathusius, hatte sie für blöde Kinder gegründet. Als K. sein Amt antrat, lag die äußere Verwaltung dieser Anstalt noch in den Händen der Stifterin. K. wurde zunächst Seelsorger für die Pfleglinge und das Pflegepersonal. Im Rettungshause mochten sich etwa 70 Kinder, in der Brüderanstalt des Lindenhofes etwa 50 Brüder, in der Blödenanstalt mit der Zweiganstalt auf Schloß Detzel bei Neuhaldensleben (gegr. 1865) etwa 200 Blöde befinden. Kirchlich waren die in Neinstedt gelegenen Anstalten in der Kirchgemeinde Neinstedt eingepfarrt. Als später noch eine Anstalt für weibliche Blöde und Epileptische (1877) und eine für männliche Epileptische (1884) in Thale entstanden, wurden diese beiden Häuser in die Kirchgemeinde Thale eingepfarrt. Die Anstaltsinsassen besuchten den Gottesdienst in diesen Dorfkirchen, erhielten auch den Confirmandenunterricht in den ersten Jahren von dem Dorfgeistlichen. Mit der zunehmenden Pfleglingszahl wurde der Raum in der Dorfkirche zu klein; auch brachte die Zunahme der Epileptiker manche Störung für die Gemeindeglieder, sodaß in den 60er Jahren der Betsaal des Lindenhofs für die Zöglinge und Pfleglinge der gottesdienstliche Raum wurde, aber das Pflegepersonal und ein Theil der Brüder besuchten die Dorfkirche wie zuvor. Dies wurde von Pastor K. sofort als ein Riß im gottesdienstlichen Leben der Anstalten empfunden. Allerlei in der bisherigen Entwicklung drängte darauf hin, die Anstaltsinsassen zu einer eigenen Parochie zusammen zu schließen. Kobelt’s energische Persönlichkeit mit den klaren und festen kirchlichen Gesichtspunkten gehörte dazu, dieses Werk zu vollbringen. Es ist [279] eine mühselige, dornenvolle Arbeit gewesen, die er damit geleistet hat. Es galt viele Bedenken innerhalb der Verwaltungsräthe des Lindenhofs und des Elisabethstifts zu beseitigen, es galt die großen Schwierigkeiten zu überwinden, welche die beiden Kirchgemeinden Neinstedt und Thale bereiteten – sie wollten die Anstalten nicht aus ihrem kirchlichen Verbande entlassen –, allerlei persönliche Mißverständnisse und Differenzen erschwerten die Durchführung des Plans, aber endlich gelang er doch, und als es K. vergönnt war, das Werk durch den Bau der schönen Anstaltskirche zu krönen, die ganz aus Liebesgaben errichtet ist, da war die schönste Stunde seines Lebens gekommen, er konnte sich nun erst so recht heimisch in seiner Arbeit fühlen, denn er hatte nun eine eigne Kirchgemeinde und war ihr Pfarrer. Es ist herzerquickend, den Bericht von seiner Hand über die Kirchweihe zu lesen, man hört den Jubel und Dank seines Herzens daraus ertönen: „dem HErrn die Ehre und uns die Freude!“ – das ist das Thema seiner Ausführungen.
K. war nun ganz der Mann dazu, das neue Kirchenwesen der Anstaltsgemeinde einzurichten. Seine hervorragende musikalische Begabung, sein feines Verständniß für die liturgischen Schätze der lutherischen Kirche, sein ästhetisch gebildeter Geist, sein ganzes von kirchlichen Gedanken getragenes Handeln hat der Anstaltsgemeinde ein gottesdienstliches Leben geschaffen, so schön und erquicklich, wie sichs vielleicht nicht oft noch in einer Gemeinde finden mag. Er verstand es besonders, die Anstaltsfeste zu Höhepunkten des Anstaltslebens zu gestalten. Wer einmal in der Lindenhofskirche Weihnachten mit erlebt hat, vor allem den Vespergottesdienst am heiligen Abend, der hat etwas erlebt, was er nie wieder vergessen kann. Mit meisterhafter Architektonik baut sich die Feier auf, die Pastor K. selbst entworfen hat, und er hat nicht davor zurückgeschreckt, die höchsten Anforderungen an den Chor der Lindenhofskirche zu stellen: Händel’s „Ehre sei Gott in der Höhe“ und „Uns ist zum Heil ein Kind geboren“ gehören zum eisernen Bestand der Weihnachtsfeier und erschallen Jahr um Jahr aus den Kehlen der Rettungshauszöglinge und der Brüder.
Und was bot K. der Anstaltsgemeinde in seinen Predigten! Er war ein gewaltiger Zeuge der Wahrheit. Mit heiligem Ernst strafte er und predigte er Buße, dann konnte er aber auch wieder mit großer Zartheit und Innigkeit von dem Lamm Gottes reden, das der Welt Sünde getragen hat. Seine Rede hatte einen hohen Schwung, wenn er von den Geheimnissen der Erlösung sprach, meist war sie praktisch gerichtet, auf die Bedürfnisse der Anstalt Bezug nehmend, oft originell. Eine Osterpredigt begann er mit den Worten: „Heute wollen wir dem Teufel seine Freude verderben, daß er beschämt in der Ecke stehen und die Ohren hängen lassen soll“. Kein Wunder, daß K. als Festprediger sehr begehrt war, weit über die engen Grenzen der Provinzialkirche hinaus. Er wurde zur Kirchenvisitation in der Provinz Posen als Mitglied der Visitationscommission vom Oberkirchenrathe bestellt, und seine packende Predigtweise, sowie die anregende Art seiner Persönlichkeit bewirkten es, daß er fast jährlich auf vier Wochen zum Curprediger in Marienbad berufen wurde; manche Curgäste richteten sich in der Wahl der Curzeit danach, wenn K. den Dienst in der Curgemeinde hatte. So konnte es nicht fehlen, daß K. bald in weiteren Kreisen bekannt wurde, zu den einflußreichsten Persönlichkeiten Beziehungen gewann und daß er zu Vorträgen bei bedeutsamen Gelegenheiten herangezogen wurde (Gnadauer Conferenz, August-Conferenz, Missions-Conferenz in Halle, Landeskirchliche Versammlung 1895, Jubelfest der Inneren Mission in Wittenberg u. s. f.). Dies alles kam der Entwicklung der Neinstedter Anstalten in hohem Maße zu gute. Durch ihn wurden sie [280] weithin bekannt, und die Aufnahme in ihnen wurde von Vielen begehrt. Damit hing denn auch ihre stete Erweiterung zusammen. Was ist unter Kobelt’s Leitung alles gebaut worden! Die Anstalt Kreuzhilfe (1877), die Capelle daselbst (1882), Gnadenthal (1884), die Anstaltskirche (1886), die Anstaltsschule (1886), das Pfarrhaus (1890), das Brüderhaus (1899). Wer selbst einmal ein Anstaltsgebäude gebaut hat und sich das Geld dazu sammeln mußte, der kann ermessen, welche Summe von Arbeit und Lebenskraft in den obigen kurzen Daten steckt.
Das Brüderhaus hat er nicht mehr einweihen können. Es wurde nach seinem Tode geweiht. Aber er hat auch durch diesen Bau dafür sorgen wollen, daß das Brüderhaus nicht mehr übersehen werden möchte. „Das übersehene Brüderhaus, so hatte er einmal einen Artikel überschrieben, in dem er seinem Schmerz darüber Ausdruck gibt, daß die Brüderhäuser so unbekannt, die Brüdersache ein Aschenbrödel unter den Arbeitsgebieten der Inneren Mission sei; und gerade dieser Brüdersache hat er seine beste Kraft gewidmet. Daß heute Brüderarbeit für den Dienst der Inneren Mission mehr gesucht wird als je, ist wesentlich auf sein Wirken für diese Sache zurückzuführen. Wir, die wir nach ihm diese Arbeit zu vertreten haben, wissen, daß wir ernten, was er als Saat in unermüdlichem Schaffen ausgestreut hat. Unter ihm ist die Neinstedter Brüderschaft aufgeblüht. Als er kam, waren 50 Brüder zur Neinstedter Brüderschaft gehörig, als er starb 170. Als er kam, hatte der Lindenhof 37 Außenstationen, als er starb ca. 100, und zwar in fast allen Provinzen des deutschen Vaterlandes. In ähnlicher Weise ist die Pfleglingszahl im Elisabethstifte gewachsen. Bei seinem Amtsantritte waren etwa 200 Blöde in unseren Anstalten untergebracht, als er starb wurden 500 Blöde und Epileptische verpflegt. Die Zahl der Zöglinge des Rettungshauses hatte sich von ca. 70 auf über 100 vermehrt.
Wahrlich, die Innere Mission war dem Pastor K. kein schwarzer Erdtheil geblieben, sondern ein Arbeitsfeld mit reicher Ernte geworden. Ja, von der Geschichte der Inneren Mission im 19. Jahrhundert wird Kobelt’s Name unzertrennlich sein. Jahrzehntelang war er Mitherausgeber und Mitarbeiter der Schäfer’schen „Monatsschrift für Innere Mission“. In ihr, sowie in den „Lindenhofblättern“, hat er werthvolle Artikel veröffentlicht. Die wichtigsten seien hier genannt: In der Monatsschrift sind erschienen „Die Arbeit an den Verwahrlosten und Blöden“ (1876), „Briefe über die Innere Mission“ (1879), „Der Lindenhof und das Elisabethstift in Neinstedt“ (1881), „Das übersehene Brüderhaus“ (1890), „Ueber die bleibenden Grundlagen der christlichen Liebesthätigkeit im Wechsel des Culturlebens“ (1894), „Der Rettungshausverband und seine Organisation“ (1895). In den Lindenhofblättern hat er geschrieben über „Die evangelischen Brüderschaften der Gegenwart und ihre Bedeutung für die Zukunft“ (1883), „Geld und Geist im Reiche Gottes“ (1883), „Ueber das Collectieren“ – „Zum Capitel der Jahresberichte“ – „Von der geistlichen Gesundheit“ (1885). Ein Vortrag über „Die Kirche und die Universitäten“ ist gesondert gedruckt, ebenso sein letzter Vortrag über „Die Kirche und ihre innere Mission“ (1898).
Ein charakteristischer Zug an Kobelt’s Arbeit war der kirchliche. Innere Mission und Kirche gehörten ihm zusammen. Darum war ihm auch die diakonische Seite der inneren Mission mehr zusagend als die missionarische. Von den „redenden Brüdern“ wollte er nicht viel wissen. Er sah in ihrem Wirken eine Beeinträchtigung des kirchlichen Amtes. Aber ein Bruder, der einen armen Blöden täglich wol 10mal reinigte und in der Geduld Christi pflegte, das war ihm ein Bruder „zum Küssen“.
[281] Kobelt’s Persönlichkeit war sehr scharf ausgeprägt, sie hatte auch ihre Ecken und Kanten. Er konnte leicht verletzen, und seine Schroffheit war verschrieen. Er war im Einzelgespräch und auf Versammlungen als schlagfertiger Gegner gefürchtet. Er konnte einem tüchtig etwas auf den Mund geben. Aber immer sagte er Bedeutendes. Auch alltäglichen Dingen wußte er eine wichtige Seite abzugewinnen, in seiner Gegenwart hielt sich die Unterhaltung stets auf einer gewissen Höhe; er war meist der Gebende und bildete schnell den Mittelpunkt des Kreises, in den er eintrat. Hatte er einmal zu viel Salz bei sich und dadurch wehe gethan, so konnte er, wenn er es inne wurde, in rührender Weise Abbitte thun. Er ließ sich sagen, trug nichts nach und konnte sehr schwer eine Bitte abschlagen. So war er denn auch von seinen Freunden geliebt und geehrt. Die Brüder, die er für den Dienst der Inneren Mission ausgebildet hatte, ehrten ihn als einen Vater, und viele, die in der Anstaltsgemeinde sonntäglich unter seiner Kanzel sitzen durften, danken ihm über das Grab hinaus für den Segen, den sie von ihm empfangen haben. Von denen, die ihn nicht näher kannten, wurde er leicht verkannt, die ihn kannten, schätzten sein goldenes Herz, das von der rauhen Außenseite umschlossen wurde. Der Anstaltsgemeinde war er wie ein zweiter Stifter, in der Kirche gehörte er zu den tüchtigsten Geistlichen, und war er ein muthiger Bekenner des alten Glaubens, für die Innere Mission einer ihrer eifrigsten Vertreter, ja auf dem Gebiete der Brüdersache ein Bahnbrecher. Sein früher Heimgang bedeutete einen schweren Verlust für die Kirche und ihre Innere Mission. Er selbst war zufrieden mit Gottes Weg und hielt sich für entbehrlich. „Ich kann abkommen“, so sagte er wiederholt seiner Schwester, als sie ihn das letzte Mal vor seinem Tode sah. Er war auch innerlich bereit. Schon zwölf Jahre vor seinem Tode hatte er seinen letzten Willen aufgesetzt und sich seine Grabschrift gedichtet, welche jetzt auf einer Marmortafel über dem Pfarrsitze in seiner geliebten Lindenhofskirche angebracht ist. Sie soll den Beschluß dieses kurzen Lebensabrisses bilden. Sie lautet:
Dein Diener war ich hier,
Herr Jesu, Dank sei Dir.
Dein Dienst ist Seligkeit
Dem, der sich ganz Dir weiht.
Du hast mich theuer einst erkauft,
Dein bin ich durch Dein Blut,
Das ist mein höchstes Gut.
Ich bin in Deinen Tod getauft.
Nun ist das Dienen aus,
Ich geh’ ins Vaterhaus.
Erweck mich aus dem Grab
Mit Deinem Hirtenstab
Und lass’ mich Deines Namens Ruhm,
Was hier mein Bestes war,
Dort mit der obern Schar
Ewig erhöhn im Heiligthum.