ADB:Keferstein, Christian
[523] ungehindert der schon lange Zeit vorher von ihm eifrigst betriebenen mineralogisch-geognostischen Wissenschaft sich ganz zu widmen. Schon in seiner Kindheit hatte diese Neigung Wurzel bei K. geschlagen, als ihm zufällig unter dem Hausrath seiner Eltern ein Kästchen mit glänzenden Mineralien in die Hände kam, welche die Wißbegierde des begabten Knaben in der Art erregten, daß er, ohne jedoch seine humanistischen Studien zu vernachlässigen, jede Gelegenheit benutzte, auf Ausflügen in die Umgegend seiner Vaterstadt, Mineralien aufzusuchen und zu sammeln. So legte K. schon frühzeitig den Grund zu seiner späteren höchst umfangreichen Mineraliensammlung. K. war Autodidact und ursprünglich nur Dilettant, suchte jedoch später seiner Lieblingsneigung eine gründlichere Basis durch den regen Umgang mit dem von Kopenhagen nach Halle übergesiedelten Steffens, dessen Vorträge er besuchte, ferner mit Steffens’ Nachfolger, Karl v. Raumer, und seinem Schwager, Prof. Germar, zu geben. Trotzdem macht sich eine fühlbare Lücke in seinen Kenntnissen, namentlich in der Chemie bemerkbar, welche neben einem mystischen Hauch besonders in seinen späteren, mehr speculativen Schriften auffallend hervortritt. Auch war K. ein eifriger Freimaurer. Besonders fand K. in der naturforschenden Gesellschaft, welcher er seit 1808 als Mitglied, später als deren Secretär angehörte, reichliche Anregung und Förderung. Zahlreiche Vorträge, welche zum Theil in den Jahresberichten dieser Gesellschaft abgedruckt sich finden, legen von seiner regen Betheiligung an deren Zwecken Zeugniß ab. Schon 1808 trat K. mit einer ersten Arbeit über den Hallenser Aluminit, die in Leonhard’s Taschenbuch für Mineralogie, 1816, Aufnahme fand, und über ein Erdharz, Retinasphalt (Buchholz, Journ. f. Chemie, I. 3. S. 290) hervor. Inzwischen fuhr er fort, die Sommermonate zu geognostisch-mineralogischen Reisen, zum Einsammeln von Mineralien und zum Studium der verschiedenen Sammlungen zu verwenden, während er den Winter den Ausarbeitungen widmete. Später, als er sich von jedem anderen Dienste freigemacht hatte, gab er sich ausschließlich dieser Beschäftigung hin, durchwanderte Deutschland nach allen Richtungen, besuchte die Alpen, Paris u. s. w. und suchte mit vielen damals berühmten Fachgelehrten bekannt zu werden. Ueberall fleißig, umsichtig und gut vorbereitet, brachte K. auf diese Weise ein großartiges Material zusammen. Außerdem vermehrte er 1815 seine Sammlung durch den Ankauf der Geißler’schen Mineralienniederlage in Leipzig und der Sammlung des Prof. Nolde, unterhielt einige Zeit ein Mineralienverkaufsbüreau und brachte durch Tausch oder Kauf seine Sammlung zu einer großen Vollständigkeit. 1850 schenkte er dieselbe der Franke’schen Waisenhausstiftung zugleich mit einem großen Theil seiner Bibliothek und Manuscripten. Einigen kleineren Arbeiten über die Braunkohlengrube von Dölau und Bemerkungen über die Kupfer- und Silbergewinnung im Saalkreise und Mansfeldischen (Kastners t. Gewerbsfreund, 1815 und 1816), über den weißen Serpentin (Schweigger’s J. 1817) folgte 1819 und 20 die erste selbständige Publikation über den Basalt („Beiträge zur Geschichte und Kenntniß des Basaltes“, 1819 und „Bemerkungen über die basaltischen Gebilde des westl. Deutschlands“, 1820) als Frucht theils eingehender geschichtlicher Studien, theils zahlreicher, in verschiedene Basaltgegenden unternommener Reisen. Bemerkenswerth ist, daß er in diesen Schriften der damals noch ganz allgemein geltenden Ansicht Werner’s von dem neptunischen Ursprung des Basaltes entgegentrat und mehr der von Voigt behaupteten Vulkanität desselben sich zuneigend, eine zwischen beiden Ansichten in Mitte liegende Theorie, die sogen. plutonische aufstellte, nach welcher der Basalt und die übrigen ungeschichteten Gesteine aus einer Art Gährung in der Tiefe entstanden und durch Aufblähung ihrer Masse zur Oberfläche emporgestiegen seien, nicht aber aus einem inneren feuerflüssigen Erdkern gefahren, den er nicht [524] anerkannte. Was diese Art Gährung sei, wußte K. allerdings nicht anzugeben. Das J. 1820 brachte weiter eine mit Prof. Meinecke herausgegebene, kleine Mineralogie unter dem Titel: „Mineralogisches Taschenbuch für Teutschland“, welches sich durch die sorgfältige Aufzählung der Fundorte nützlich machte. Ein großartiger und umfassender Plan, eine geognostische Specialkarte von Deutschland in 220 Blättern herauszugeben, wurde 1821 durch die Veröffentlichung einer geognostischen Uebersichtskarte von Deutschland, die erste zusammenfassende Darstellung, welche trotz vieler Mängel als eine verdienstvolle Arbeit gelten muß, in Angriff genommen. Ihr folgten alsdann erst generelle Karten der einzelnen deutschen Länder mit erläuterndem und beschreibendem Texte in sieben Bänden 1821–31: „Teutschland geognostisch-geologisch dargestellt mit Charten und Durchschnitten, welche einen geognostischen Atlas bilden“. Dieses für die Kraft eines Einzelnen übergroße Unternehmen war trotz des umfassenden darin verwertheten Materials ein verfrühtes und unbefriedigendes, enthält aber gleichwol viele werthvolle Beiträge. Zur Ergänzung in litterarischer Hinsicht sollte eine „Zeitung für Geognosie, Geologie und innere Naturgeschichte“, von welcher seit 1826–31 11 Hefte erschienen sind, dienen. Eine Zusammenfassung der einzelnen zerstreuten Arbeiten finden wir in der 1834 publicirten: „Naturgeschichte des Erdkörpers in ihren ersten Grundzügen dargestellt“, welche wegen der vielen unhaltbaren und unklaren Theorien, wie z. B. über die Entstehung der Salzquellen, das Leben und Athmen der Erde, das ursprüngliche Abstammen der festen Erdrinde aus dem organischen Reiche, die Entstehung der Eruptivgesteine als Produkte einer chemisch nicht zu erklärenden Umbildung oder Gährung nur wenig Anklang unter den Fachgenossen fand. Dagegen verdient eine daran sich anreihende Arbeit Keferstein’s, mit welcher er seine geognostische publicistische Thätigkeit der Hauptsache nach abschloß: „Geschichte und Litteratur der Geognosie“, 1840, alle Anerkennung. Wir finden hier K. auf einem Gebiete, welches er, wie kaum ein Anderer seiner Zeitgenossen, durch umfassende und gründliche historische Studien vollständig beherrschte, sodaß diese Zusammenstellung neben F. Hoffmann’s Geschichte der Geognosie auch jetzt noch als unübertroffen gelten darf. Aus dieser ersten Periode der schriftstellerischen Thätigkeit Keferstein’s sind von kleineren Arbeiten noch nachzutragen: „Beschreibung der Braunkohlenformation“ (v. Leonhard’s Taschenbuch für Mineralien, 1822); „Ueber das Weißkupfer“ (Schweigger’s Jahrb., 1823); „Tabellen für die vergleichende Geognosie“, 1825; „Ueber die Ursachen der Barometerschwankungen“ (Isis 1831); „Ueber fossile Menschenreste“ (v. Leonh. Jahrb. 1831); „Beiträge zur geogn. Kenntniß d. Prov. Sachsen“ (Prov.-Bl. f. d. Pr. Sachsen 1838); „Beiträge zur Erörterung der Frage: wie Verhalten sich die Resultate der wissenschaftlichen Geologie zur Schöpfungsgeschichte der Bibel“ (Tholuck’s litt. Anzeiger f. christl. Theol., 1838) u. a. Vom J. 1840 an zog sich K., der geognostischen Wanderungen müde und wol auch unbefriedigt durch den geringen Anklang, den seine geognostischen Arbeiten zu finden schienen, vom geognostischen Forschungsgebiete auf jenes der linguistisch-ethnographischen Untersuchungen zurück und beschäftigte sich hierbei hauptsächlich mit den germanischen vorchristlichen Alterthümern, mit den Spuren des Keltenthums, als europäische Urnationalität und deren Einfluß auf die später eingewanderten Völker. Gleichsam als Nachtrag zu seinen geognostischen Arbeiten veröffentlichte K. die „Mineralogia polyglotta“, 1849, eine überaus fleißige Zusammenstellung der Mineralnamen in nahezu 100 verschiedenen Sprachen. Die Forschung nach dem Ursprung der in der Bergmannssprache gebräuchlichen eigenthümlichen Ausdrücke führte ihn zu der Schrift: „Ueber die Halloren, als eine wahrscheinlich keltische Colonie, den Ursprung des Halle’schen Salzwerkes und dessen technische Sprache“, 1843. Mit dem Werke: „Ansichten [525] über die keltischen Alterthümer, die Kelten, besonders in Deutschland, sowie den keltischen Ursprung der Stadt Halle“ begann K. eine Reihe von Publikationen (3 Bde. 1846–51), in welchen er den Einfluß des Keltenthums auf alle Völker Europa’s nachzuweisen und insbesondere darzulegen sucht, daß die alten Germanen der keltischen Nationalität angehören, und daß erst durch Zutritt der gothischen Völker aus dieser Urbevölkerung sich das deutsche Volksthum später entwickelt habe. Viele sonderbare und nicht zureichend begründete Urtheile und Behauptungen verringern auch auf diesem Felde der Forschung den Werth seiner ungemein fleißigen und umfassenden Arbeiten. Mit diesen Schriften und einigen kleinen Abhandlungen „Erinnerung aus Ilmenau“, 1855, und „Die plutonische Gesteinsbildungstheorie“, die er am Ehrenberg erläutern wollte, 1856, beendete K. seine schriftstellerische Thätigkeit. Inzwischen zog er sich nach und nach immer mehr von dem Verkehr mit der Außenwelt zurück und starb fast unbeachtet in hohem Alter, nachdem er noch 1855 eine Selbstbiographie: „Erinnerungen aus dem Leben eines alten Geognosten und Ethnographen“ hinterlassen hatte, am 26. August 1866 in seiner Geburtsstadt. Trotz seiner sehr ausgedehnten und umfassenden geognostischen Arbeiten, welche unbestreitbar zu jener Zeit einen großen fördernden Einfluß auf die Entwickelung der geognostischen Wissenschaft in Deutschland ausgeübt haben, hatte sich K. geringer Anerkennung und nur weniger ehrender Auszeichnungen zu erfreuen, nachdem er schon in jungen Jahren, fast bei dem Beginn seiner Thätigkeit, den preußischen Hofrathtitel (1823) erhalten hatte.
Keferstein: Christian K., ein verdienstvoller Forscher und fruchtbarer Schriftsteller auf dem Felde der Mineralogie und insbesondere der Geognosie, welche ihm in dem Gebiete ihrer Entwickelungsgeschichte und der beschreibenden Darstellung durch Karten und Schilderungen eine wesentliche Förderung verdankt. Geboren zu Halle a. d. S. am 20. Januar 1784, erhielt K. seine Schulbildung in den Anstalten seiner Vaterstadt, wo er auch 1803 die Universität besuchte, um sich juridischen Studien zu widmen. Nach dreijährigem Universitätsbesuche bestand er das Examen in der Jurisprudenz mit gutem Erfolge und trat sofort als Auscultator in den praktischen Justizdienst, in welchem er zur Zeit der französisch-westfälischen Herrschaft mit vielfach mißliebig aufgenommener Bereitwilligkeit die Stelle eines Advocaten (Procureur du Tribunal) übernahm, in kurzer Zeit eine sehr bedeutende Praxis gewann und sich ein beträchtliches Vermögen erwarb, das ihm die Möglichkeit verschaffte, in späterer Zeit ohne öffentliche Stellung ganz seiner Neigung nach zu leben. Zwar nahm er nach der Wiederkehr der preußischen Herrschaft 1815 eine Stelle als Justizcommissär an, unterzog sich jedoch nur mit Mißbehagen seinen neuen dienstlichen Verpflichtungen und trat deshalb 1835 sogar förmlich aus dem Staatsdienste aus, um völlig- Poggendorff, Biogr., I. 1234. Keferstein, Erinnerungen, 1855. Handschriftl. Nachrichten.