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ADB:Kayser, Karl Ludwig

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Artikel „Kayser, Karl Ludwig“ von Gottfried Kinkel (Philologe) in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 15 (1882), S. 513–518, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Kayser,_Karl_Ludwig&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:37 Uhr UTC)
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Band 15 (1882), S. 513–518 (Quelle).
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Kayser: Karl Ludwig K., Philolog, geb. am 3. Febr. 1808 zu Heidelberg, † am 5. Mai 1872 ebendaselbst. Die Familie Kayser stammt aus der hessischen Rheinpfalz. Der Vater, Karl Philipp K., ein tüchtiger Pädagog, war seit 1820 Director des Gymnasiums zu Heidelberg; außerdem wirkte er als Docent, später als außerordentlicher Professor an der Universität. Im Jahre 1805 vermählte er sich mit Gertrud Keibel, Tochter des reformirten Pfarrers Georg Daniel Keibel in Mannheim. Diese Frau gehörte zu jenen seltenen Naturen, welche eiserne Willensstärke mit lebhaftem Sinn für alles Große und Schöne zu verbinden wissen. Ihrer glücklichen Ehe entsproßten zwei Söhne und fünf Töchter, welche die sorgfältigste Erziehung genossen. Besonderen Glanz verliehen dem Kayser’schen Hause die häufigen musikalischen Abende, welche auf Betreiben der Mutter veranstaltet wurden. Der älteste Sohn, Karl Ludwig, wuchs bis zum J. 1822 im elterlichen Hause auf; der Vater leitete seine philologisch-historischen Studien und erzog ihn zu jener Strenge gegen sich selbst, welche der hervorstechendste Charakterzug Kayser’s war; der Mutter verdankte er die Liebe zur Musik, welcher er während seines ganzen Lebens treu geblieben ist. Im August 1822 bezog K. das Gymnasium in Frankfurt, woselbst er unter der unmittelbaren Leitung Vollweyler’s auch Theorie der Musik studirte und im Clavierspiel sich weiter ausbildete. Hier legte K. den Grund zu jener tiefen Kenntniß des Wesens der Musik, welche ihn auszeichnete; nicht als Dilettant, sondern als hochgebildeter Fachmann hat er die schwierigsten Fragen der Tonkunst beurtheilt und besprochen. Im April 1824 kehrte er nach Heidelberg zurück, besuchte noch die obersten Klassen des Gymnasiums und bezog im Herbste 1825 die Universität. Er hörte vorzugsweise bei Creuzer, Bähr und Daub. Creuzer befand sich damals auf der Höhe seines Ruhmes und Schaffens; die Wärme seiner Empfindung und der Schwung seiner Rede verlieh seinen Vorlesungen, insbesondere der Behandlung der realen Seiten des Alterthums, einen Zauber, welchem seine Schüler sich willenlos hingaben. Im Sommer 1826 [514] reiste K. mit Creuzer nach Paris doch war der Aufenthalt in der französischen Hauptstadt nur ein kurzer, da Creuzer aus Ueberdruß an dem „Drecknest“ (Lutetia); wie er sich ausdrückte, zur Abreise drängte und seinen Schützling mitriß. Nach Heidelberg zurückgekehrt, beschäftigte sich K. mit der Bearbeitung der von der philosophischen Fakultät gestellten Preisfrage: „Elogium Jani Gruteri, und reichte eine gediegene Abhandlung ein, welche im J. 1827 von der Universität gekrönt wurde. – Es war Kayser’s Absicht gewesen, noch eine andere Hochschule zu besuchen; da traf die Familie der Tod des Vaters, welcher am 18. Nov. 1827 im rüstigsten Mannesalter hinweggerafft wurde. Die energische Natur der Mutter war der an sie herantretenden schweren Aufgabe gewachsen; sie schritt alsbald zur Erweiterung des Pensionats, welches, wenn auch in beschränkterem Umfange, schon früher im Hause bestanden hatte, und verband dasselbe mit einer Schule, an welcher K. von nun an Unterricht ertheilte. Im Verein mit seinen Schwestern und anderen tüchtigen Lehrkräften arbeitete er unablässig an der Hebung des Instituts, das sich bald eines weitverbreiteten Rufes erfreute und besonders stark von Engländern besucht wurde. Es hielt sich bis zum J. 1846, und K. hat 14 Jahre lang – bis 1841 – einen bedeutenden Theil seiner Zeit in dessen Interesse verwendet. Er behielt jedoch stets die akademische Laufbahn im Auge: nachdem er im Sommer 1830 in Karlsruhe das theologische und philologische Examen bestanden und am 20. Dec. dess. Js. promovirt hatte, ging er an die Ausarbeitung seiner Erstlingschrift: „Notae criticae in Philostrati vitas sophisticarum“ (Heidelberg 1831). Mit dem Tage, wo dieses specimen im Manuscript abgeschlossen vorlag (22. Juni 1831), beginnt ein äußerst interessantes wissenschaftliches Tagebuch, welches K. während 41 Jahren mit unverbrüchlicher Treue geführt hat. Es beginnt mit folgenden Bemerkungen: „An diesem Tage vollendete ich das kritische specimen über Philostratus Büchlein βίοι σοϕιστῶν, und übergab es dem Drucke. Bei dieser Arbeit, die ungefähr den 1. August 1830 begonnen wurde, hatte ich Gelegenheit genommen, Philostrat’s übrige Werke, einen großen Theil der Dionischen Reden, Xenophon’s Memorabilien, endlich fast alle Platonischen Dialoge kennen zu lernen“. Man staunt über die Arbeitskraft des 22jährigen Mannes, der bei einer ausgedehnten Lehrthätigkeit solche Massen Lectüre zu bewältigen vermochte. Die Wahl des Philostratus ist, wie Lefmann bemerkt hat, dem Einflusse Creuzer’s und der romantischen Schule zuzuschreiben. Die Verbesserungsvorschläge, welche K. hier mittheilte, waren meistentheils evident; die befolgte Methode bewies, wie gründlich er sich mit dem Sprachgebrauch seines Autors bekannt gemacht hatte. Im Lauf der Jahre gewinnt er Philostratus immer lieber; es ist, als ob er sich von diesem reichen Geist nicht trennen könnte. Er untersucht die weitschichtigen Werke dieses berühmten Sophisten des dritten Jahrhunderts nach allen Seiten hin und rastet nicht, bis er dem wissenschaftlichen Publikum eine gereinigte Ausgabe seines Lieblingsschriftstellers vorgelegt hat. – Im Wintersemester 1832–33 habilitirte sich K. an der Universität Heidelberg; seit Ostern 1834 nahm er als Volontär an der Leitung des philologischen Seminars Theil. Besonderes Gewicht legte er in dieser Stellung auf genaue Kenntniß der griechischen und lateinischen Grammatik, sowie auf methodische Interpretation; viel Mühe gab er sich auch, die Accentlehre, welche in den badischen Schulen bis in die sechziger Jahre gänzlich vernachlässigt war, einzuprägen. Ueberhaupt war K. ein Muster von Pflichttreue; er versäumte eine Stunde nur im äußersten Falle und legte überall, wo es sein mußte, selbst Hand an. Leider wurde sein geräuschloses, aber eben deswegen um so intensiveres Wirken von seinen damaligen Vorgesetzten und Specialcollegen nicht nach Gebühr anerkannt. Erst im J. 1841 verlieh man ihm den Titel eines außerordentlichen [515] Professors, während die Stellung zum Seminar im August 1845 – nach dem Rücktritt Creuzer’s – neu geregelt und bestätigt wurde. Obwol Kayser’s Vermögensverhältnisse durchaus nicht die glänzendsten waren, so harrte er doch unverdrossen auf seinem Posten aus. Im J. 1851 erhielt er die erste Remuneration, 1855 das erste feste Gehalt im Betrage von 600 Gulden. Seine Besoldung steigerte sich nur langsam und wurde auch, als er im Winter 1863–64, nach der Berufung Köchly’s, ein Ordinariat übernahm, in kaum entsprechendem Maße erhöht; erst kurz vor seinem Tode wurden ihm 1800 Gulden ausgesetzt. – Wenden wir uns nun zu der akademischen Thätigkeit Kayser’s im Einzelnen. Mit Vorliebe hat er griechische und lateinische Schriftsteller interpretirt. Die griechische Prosa studirte er mit staunenswerther Gründlichkeit; doch war er auch, wennschon in geringerem Grade, mit den Meisterwerken der hellenischen Poesie bestens vertraut. Von griechischen Autoren hat er in Vorlesungen Aeschines, Aeschylus (besonders die Orestie), Antiphon, Apollonius, Aristophanes, Aristoteles (Politik und Rhetorik), Demosthenes, Euripides, Hesiod, Homer, Isäus, Isokrates, Lysias, Pausanias (Buch I), Pindar, Sophokles, Theokrit und Thucydides, von lateinischen Catullus, Cicero, Horaz, Juvenal, Ovid, Persius, Plautus, Properz, Quintilian, Tacitus (Agricola), Terenz und Tibullus behandelt. Bei der Interpretation eines Litteraturwerkes ging K. stets methodisch und schrittweise vor. Er deckte überall die vorhandenen Schwierigkeiten auf und wies den Weg zu ihrer Lösung. Wer ihm aufmerksam folgte und es an der allerdings durchaus nothwendigen häuslichen Vorbereitung nicht fehlen ließ, lernte viel und mußte einem Lehrer dankbar sein, der in der anspruchslosesten Weise sich zu seinen Schülern herabließ und mit ihnen wie mit seinesgleichen verkehrte. Gegen Ende des Semesters pflegte K. an einem Samstagnachmittage mit den besten seiner Schüler ein ganzes Stück des Sophokles, Aristophanes oder Plautus cursorisch zu lesen. Er lud seine jungen Freunde in seine geräumige Wohnung ein und war hier der aufgeräumteste Mensch und liebenswürdigste Wirth. K. war so sehr der Untersuchung des Einzelnen zugewendet, daß er zur Ausarbeitung zusammenfassender und systematischer Collegien nicht gekommen ist. Allerdings sind zahlreiche Vorlesungen unter Titeln angekündigt worden, die den Schein erwecken, als ob er doch solche gehalten hätte: wir erinnern nur an „Geschichte der Philologie“, „Metrik“, „Epigraphik“, „Römische“ und „Griechische Antiquitäten“ (näheres darüber bei Stark in der unten angeführten Abhandlung S. 14 f.); diese Vorlesungen gaben aber „weniger ein zusammenhängendes Bild der historischen Entwickelung, als eine Reihe einzelner, knapp gefaßter Kapitel mit besonnener Auswahl der entscheidenden Stellen, welche nebenbei auch mit den Zuhörern gelesen wurden“. – In der äußeren Stellung Kayser’s zur Universität, speciell zum Seminar, ging 1865 eine wichtige Veränderung vor. Im Sommer 1863 war Hermann Köchly von Zürich nach Heidelberg berufen worden und machte als künftiger Director des philologischen Seminars seinen Einfluß in einer Weise geltend, daß es zwischen ihm und anderen ebenso selbstbewußten Naturen, wie Bähr und Stark, zu Reibungen kommen mußte. Die letzteren erklärten sich gegen die von Köchly im März 1865 gemachten Vorschläge, welche eine vollständige Reorganisation des Seminars bezweckten, und wurden im Juli ihrer Stellungen als Leiter einzelner Uebungen enthoben; K. war nachgiebiger und übernahm eine Mitwirkung an den Arbeiten des Seminars unter der einheitlichen Leitung und alleinigen Verantwortlichkeit des Directors Köchly. K. hat diesen Schritt, durch den er sich von ihm nahe stehenden Persönlichkeiten trennte, bitter bereut. Die Verschiedenheit zwischen seinen Prinzipien und Gewohnheiten und denjenigen Köchly’s war zu groß, als daß ein ersprießliches Zusammenwirken beider möglich gewesen [516] wäre, es fehlte nicht an Differenzen und ernstlichen Conflicten, welche K. viel Kummer bereiteten und sogar auf seine bei vorrückendem Alter sich immer mehr verschlechternde Gesundheit ungünstig einwirkten. Doch hatte er große Macht über sich; in ἐγϰϱάτεια und σωϕϱοσύνη that es ihm Keiner zuvor; er war in Bezug auf Charakterfestigkeit und Selbstbeherrschung ein echter Jünger der altgriechischen Meister. „Er selbst war mild und versöhnlich, und selten, auch gegen seine vertrauten Freunde, und nur wenn die Gelegenheit dazu drängte, kam ein Wort der eigenen herben Erfahrung über seine Lippen. Ein Kraftspruch aus seinen Alten, Scherz und Laune vertrieb die Wolke alsbald von seiner Stirn“ (Lefmann). – Viel Genuß gewährte ihm der Verkehr mit Jugendfreunden (Thymus) und gleichgesinnten Collegen (Spengel, Stark, Rothe, Lefmann); die Freundschaft sah er als die Blüthe des Lebens an; er führte einen ausgedehnten Briefwechsel und war in geschäftlichen Dingen ein Muster von Pünktlichkeit und Accuratesse. Mit sichtlichem Behagen suchte er kleinere Kreise auf; er bewegte sich am ungezwungensten in gewählter Gesellschaft und vermied größere Vereinigungen, in denen sein zurückhaltendes, mitunter mädchenhaft scheues Wesen nicht zu voller Geltung kommen konnte. Von den geselligen, politischen und religiösen Vereinen Heidelbergs hielt er sich fern; eine Ausnahme machte er nur zu Gunsten des seit Februar 1863 bestehenden historisch-philosophischen Vereins, welcher sich von Ende October bis Ende Juli jeden Montag Abend im Museum zu versammeln pflegte; auch ist er hier einmal, und zwar mit einem Vortrag über Pindar, als Redner aufgetreten (6. Juni 1864). – Fremde Gelehrte, welche nach Heidelberg kamen und ihn besuchten (von Franzosen nennen wir nur Emile Miller), wurden mit der größten Herzlichkeit bewillkommnet. Seltener sah man ihn außerhalb Heidelbergs bei wissenschaftlichen Congressen der Wanderversammlungen. An den Zusammenkünften deutscher Philologen hat er sechs Mal theilgenommen, so in Mannheim (1839), wo er als Secretär thätig war, in Gotha (1840), Bonn (1841), Darmstadt (1845), Frankfurt a/M. (1861), Heidelberg (1865); zuweilen erschien er auch in den am Pfingstdienstag stattfindenden Versammlungen der mittelrheinischen Gymnasiallehrer. – K. hatte von jeher großen Werth auf eine edle gemüthvolle Häuslichkeit gelegt und fand diese bis zu seinem dreißigsten Lebensjahre in dem vertrauten Verkehr mit seiner Mutter und seinen Schwestern. Selbst als er – am 27. März 1837 – sich mit der Tochter seines früheren Lehrers Vollweyler vermählte, löste er sich nicht vom mütterlichen Hausstande ab. Die Ehe war keine glückliche und wurde im J. 1852 wieder getrennt. Zehn Jahre später, im Sommer 1862, verlobte er sich mit der Tochter seiner Cousine und Freundin, Frl. Sophie Hilgers aus Langenkandel. Die Hochzeit fand am 30. Sept. 1862 statt. Unser K. hatte endlich eine Gattin gefunden, welche seinen speciellen Studien, insbesondere auf dem Gebiet der Litteratur und Musik, ein warmes Herz und inniges Verständniß entgegenbrachte. Das große Haus, in dem er 36 Jahre „gehaust“, wurde endlich 1868 verkauft und eine kleine Wohnung am Neckar gemiethet, in der er bis zu seinem Tod gelebt hat. – Es ist nicht Aufgabe dieser Zeilen, das schriftstellerische Wirken Kayser’s erschöpfend zu charakterisiren. Wir können hier nur seine vorzüglichsten Leistungen anführen. Schon 1831 kündigt der junge Gelehrte eine kritische Ausgabe der Philostratischen Lebensbeschreibungen der Sophisten an; der Plan erweiterte sich, wie wir sahen, zum Entwurf einer Gesammtedition der Werke der Philostrate, denen er den fälschlich dem Lucian zugeschriebenen, von ihm dem mittleren (Flavius) Philostratus vindicirten „Nero“, die „Statuen“ des Callistratus, die Briefe des Apollonius von Tyana und die Schrift des Eusebius gegen Hierokles beifügte. Die stattliche Ausgabe in Quart, welche Kaysers Namen auf eine ferne Nachwelt bringen wird, erschien 1844–46 in [517] Zürich. Hier strahlen alle Vorzüge Kayser’s im hellsten Licht; die umfassendste Kenntniß und erschöpfendste Verwerthung der Handschriften, der rasche Blick für Verderbnisse, Lücken und Zusätze, die Vertrautheit mit dem Stil des behandelten Autors, die Herrschaft über das ganze durch die griechische Prosa gebotene Material – Alles vereinigt sich, um ein achtunggebietendes philologisches Denkmal aufzurichten. In späteren Jahren unterzog sich K. einer nochmaligen Revision des Textes, welche 1870–71 in zwei Bänden von der Teubner’schen Officin veröffentlicht wurde. K. hatte hier Gelegenheit, manches nachzutragen, was er und Andere in einem Vierteljahrhundert bei wiederholter Durcharbeitung des Textes gefunden hatten. Eine besondere Zierde dieser Ausgabe ist die Recension der vielbesprochenen Schrift „Gymnasticos“ von der man bis zum J. 1840 nur die von K. zuerst herausgegebenen Fragmente hatte („Philostratei libri de gymnastica quae supersunt nunc primum edidit et interpretatus est C. L. K.“, Heidelb. 1840) und die jetzt in einem gründlich gereinigten Text vorliegt. – Das zweite große wissenschaftliche Hauptwerk Kayser’s ist die Ausgabe „Cornifici Rhetoricorum ad C. Herennium libri IIII. Recensuit et interpretatus est C. L. K.“ (Leipz. 1854). Schon früher hatte er sich eingehend mit diesem eigenartigen Erzeugniß der römischen Litteratur beschäftigt und speciell nach dem Namen des unbekannten Verfassers geforscht. Doch hören wir K. selbst. „Nachdem man durch Raphael Regius (1492) zu der negativen Ueberzeugung gelangt war, daß Cicero unmöglich das Buch geschrieben haben könne, wurde nach allen Seiten hin gerathen, wer wohl der Autor sein möchte; auch das Abenteuerlichste ward nicht verschmäht; man verfiel bald auf Gallio, bald auf Tiro oder Gnipho und Stilo. Den gewichtigsten Zeugen hörte man entweder gar nicht oder nur mit halbem Ohr an: Dies ist Quintilianus, welcher eine große Anzahl von Stellen unter dem Namen Cornificius citirt, die eben in unserer Herennianischen Rhetorik vorkommen. Man muß demnach, will man nicht ganz gezwungene und widersinnige Voraussetzungen sich erlauben, bei dem Resultat sich beruhigen, daß Quintilian kein anderes Buch benutzte als das vorliegende, welches also erst später die Pseudepigraphe erhielt, wodurch es dem Cicero angeeignet wurde“. Der Name Cornificius tritt im Zeitalter Cicero’s häufiger auf; K. hält einen Quintus Cornificius, welcher in den Verrinen als severissimus und integerrimus iudex bezeichnet wird, für den Verfasser. – Die Herausgabe der Rhetorica ad Herennium führte K. zu einer Gesammtausgabe des Cicero, welche von ihm im Verein mit Baiter in Zürich bearbeitet, bei B. Tauchnitz in Leipzig in 11 Bänden erschienen ist. K. selbst besorgte die rhetorischen Schriften, Reden und Fragmente von Reden, mit einer reichlichen Zahl von treffenden Emendationen, welche sich zum Theil auf früher in Fachzeitschriften veröffentlichte Recensionen der Leistungen Anderer für Cicero stützen. Der Großherzog von Baden ehrte Kayser’s hervorragende wissenschaftliche Leistungen durch Verleihung des Zähringer Löwenordens. Schon früher (1850) war er von der königl. baierischen Akademie der Wissenschaften zum auswärtigen Mitgliede der philosophisch-philologischen Classe ernannt worden. – Indem wir Diejenigen, welche sich für die kleineren Arbeiten Kayser’s auf philologischem und antiquarischem Gebiet interessiren, auf die verdienstliche Uebersicht bei Usener (s. unten) verweisen, bemerken wir noch, daß der unermüdliche Forscher auch als Musikschriftsteller aufgetreten ist. Er versammelte in seinen späteren Jahren gerne einen Kreis von jungen Männern und Damen um sich und führte mit ihnen Stücke von Gluck, Händel und Mozart auf. Er hatte sich so tief in das Wesen der großen Meister versenkt, daß es ihm ein Leichtes war, in der Musik der Gegenwart das wirklich Große und Bleibende von dem Gemachten und Ephemeren zu unterscheiden. Gegen die mit pomphaften Redensarten verkündete „Musik der Zukunft“ verhielt [518] er sich ablehnend. Seine Beiträge zur Geschichte der Musik, welche sich vorzugsweise auf Gluck, Bach, Händel und Mozart beziehen, haben Stark und Usener (s. unten) verzeichnet. – K. erfreute sich bis zu seinem sechzigsten Jahr einer guten Gesundheit. Um so schmerzlicher mußte ihn – es war beim Musikfeste in Darmstadt im Herbst 1868 – das plötzliche Hereinbrechen jener Krankheit berühren, welche ihm verhängnißvoll werden solle. Es war ein Herz- und Nierenleiden, dessen Wirkungen zwar abgeschwächt, aber nicht beseitigt werden konnten. Durch strenge Regelung seiner Diät und praktische Tageseintheilung wurde der Fortschritt des Uebels eine Zeit lang aufgehalten. Doch blieben ihm ernste und angsterfüllte Stunden nicht erspart, wie die kurze Notiz im Tagebuch zum 1. September 1870 – mors socius – beweist. Im März 1872 mußte er früher als gewöhnlich seine Vorlesungen einstellen. In der vierten Aprilwoche kam ein tieferer Conflict mit dem in Berlin weilenden Seminardirector zum Ausbruch; K. litt unsäglich; nachdem er am Morgen des 5. Mai sein letztes Wort in der fraglichen Angelegenheit niedergeschrieben und auf die Post gegeben hatte, aß er mit den Seinen, wurde aber um 1¼ Uhr, unmittelbar nachdem er sein Studirzimmer wieder betreten, von einem Krampfanfall heimgesucht, dem er binnen einer Viertelstunde erlag.

Stark, Zur Erinnerung an Prof. Dr. K. L. Kayser, Heidelberg 1872 (bes. Abdruck aus den Heidelberger Jahrbb. der Litt., LXV. Nr. 26, 27), 22 S. 8°. und in Weech’s Badischen Biographien, I. S. 449–452. Lefmann in der Allgem. Zeitung, 1872, Nr. 154. H. Usener in der Vorrede zu Kayser’s Homerischen Abhandlungen, Leipz. 1881.