ADB:Hylacomylus, Martin
[1] Martin H. (Waltzemüller), berühmter Kosmograph zu Anfang des 16. Jahrhunderts. Das Leben und Wirken dieses Gelehrten hat umsomehr ein begründetes Anrecht auf das allgemeine Interesse, als er die erste Veranlassung zur Benennung des vierten Erdtheils als „Amerika“ gegeben hat. Geboren um das J. 1470 zu Freiburg im Breisgau, an dessen Universität er seine Ausbildung erhielt, erscheint er zum ersten Mal in deren Matrikel unter dem 7. December 1490 als „Waltzemüller“, welchen Namen er jedoch bald, der Sitte der Gelehrten jener Zeit folgend, in den gräcisirten „Hylocomylus“ umwandelte, doch ist es wahrscheinlich, daß sein Familienname „Waldseemüller“ hieß und daß er ein Sohn des in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts als „Amtherr“ (Säckelmeister) in den Freiburger Rechnungen vorkommenden Konrad Waldseemüller gewesen sei. Sein griechischer Namen erscheint übrigens auch sowol in gleichzeitigen als späteren Schriften als „Hylacomylus“ und „Ilacomilus“. Was H. nach absolvirten Studien zu Freiburg bald darauf bewog, diese Stadt zu verlassen und nach Sant-Dié (Deodatum), einem Städtchen in den lothringischen Vogesen, überzusiedeln, ist unbekannt, doch geschah es aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine Einladung seines Freiburger Freundes Ringmann (vgl. d. Art.), der damals am Gymnasium dieser Stadt als Lehrer der lateinischen Sprache thätig war, sowie wegen des guten Rufes, in welchem zu jener Zeit der Herzog René II. von Lothringen als Beschützer und Gönner der Gelehrten stand, der vor Allem geographische Forschungen begünstigte; an dessen Hofe lebte auch der Dichter Pierre de Blarru (Strobel, Gesch. d. Elsass., III. 456), der seiner Zeit als lothringischer Homer gefeiert wurde, weil er die von René am 5. Januar 1477 dem Herzog von Burgund, Karl dem Kühnen siegreich gelieferte Schlacht in einer „Nancéide“ besungen hatte. In Saint-Dié wurde H. Lehrer an dem durch den Secretär des Herzogs Gaultier Lud gegründeten Gymnasium und beschäftigte sich, seine geographischen Studien, die er bereits zu Freiburg mit Vorliebe betrieben hatte, fortsetzend, mit einer kritischen Ausgabe des Ptolemäus nach griechischen Handschriften, die aber erst am 12. März 1513 und nicht zu Saint-Dié, sondern zu Straßburg erschien, sowie mit der Entwerfung der erforderlichen das Werk erläuternden Karten (Originalausgaben: Straßburg den 12. März 1513, dann 1520, 1522; durch W. Pirkheimer 1525, durch M. Servet 1535 und Vienne de Dauphiné 1541). Uebrigens erlebte diese Kosmographie sehr merkwürdige Schicksale. Die ächte Ed. pr. des Buches nämlich mit dem Namen des H. ist bis jetzt nur in einem einzigen Exemplare bekannt, welches der französische geographische Schriftsteller J. Br. Eyriès bei einem Pariser Antiquar um einen einzigen Franc erwarb und nach seinem Tode am 30. Novbr. 1846 für einen Herrn Nic. Yéméniz aus Lyon um 146 Francs ersteigert wurde. Am 20. Mai 1877 erschien das Buch von Neuem in einer Auction und wurde um 2000 Francs einem Herrn Almon W. Griswold in Neu-York zugeschlagen. Die erste Ausgabe der Kosmographie des Ptolemaeus wurde durch den deutschen Drucker Levilapis (Lichtenstein) zu Vicentia 1475, Idib. Sept. in Folio gedruckt; Panzer, Ann. typogr., III. 506. In Saint-Dié geschah es auch auf Betreiben des H., daß in diesem Städtchen eine Buchdruckerei nebst Buchhandlung (libraria officina) errichtet wurde, die, wie es scheint, wenige Jahre später einer sehr freisinnigen Verwaltung sich erfreute, da in ihr u. A. auch (um 1520) des M. Gnidius defensio Christianorum de Cruce id est Lutheranorum, versehen mit dem Druckerzeichen des Klosters, gedruckt wurde (vgl. Weigel, Thesaurus libellorum, p. 83). In dieser Druckerei erschien dann auch am 26. April 1507 seine Einleitung in die Kosmographie („Cosmographiae introductio“) und als Anhang die vier epochemachenden Reisen des Florentiners Amerigo Vespucci („insuper quattuor Americi navigationes“). Gleichzeitig hatte H. einen Globus oder, wie man damals sagte, [489] einen „Erdapfel“ verfertigt, sowie eine Weltkarte, auf welcher er die alten Bilder des Ptolemaeus mit den neuen Seekarten der Spanier und Portugiesen zu vereinigen hoffte. Obgleich sich der Verfasser in dieser Ausgabe noch nicht nannte, so findet sich doch am Ende schon sein Monogramm und darunter die Zeitangabe „Finitum IV. Kal. Septembr. Anno supra sesquimillesimum VII.“); auch der Druckort (urbs Deodati … Vogesi montis) ist durch zwei lateinische Distichen bezeichnet. Was die Reisen des Vespucci selbst betrifft, so hatte H. dieselben von dem Herzoge selbst erhalten, der mit Vespucci in Briefwechsel stand und dem der letztere auch die Berichte über seine vier Seereisen gewidmet hatte. Diese ihm übermittelten Seereisen des Florentiners nun gaben H. die Veranlassung für das noch namenlose Land den Vornamen des Vespucci zu benutzen und dasselbe als Land des Amerigo zu bezeichnen und es verdienen wol seine Worte hierüber selbst gehört zu werden (Cosmograph. Introductio 1507, Bl. 16b): „Alia quarta pars (terrae) per Americum Vespucium (ut in sequentibus audietur) inventa est, quem non video cur quis jure vetet ab Americo inventore, sagacis ingenii viro, Amerigen, quasi Americi terram sive ‚Americam‘ dicendam, cum et Europa et Asia a mulieribus sua sortita sint nomina“. [Ein vierter Erdtheil ist durch Americus Vespucius (wie sich aus dem Späteren ergeben wird) entdeckt worden, und ich sehe nicht ein, was uns hindern sollte, ihn Ameriga, gleichsam das Land des Americus oder America zu nennen, zumal Europa und Asia auch nach Frauen benannt worden sind.] Wahrscheinlich trug auch schon damals H. (nach Humboldt’s Vermuthung 370) den Namen „America“ auf eine Karte dieses Erdtheils, welche von seiner Hand gezeichnet wurde, bis jetzt aber nicht wieder gefunden ist, ein, die aber erst in der Ausgabe des Ptolemaeus vom J. 1522 mit diesem Namen erschien. Im Straßburger Ptolemäus 1513 findet er sich jedoch nicht, aber das ist gewiß, „daß für das brasilische Südamerika die Bezeichnung America Provincia zuerst auf dieser in Holz geschnittenen Weltkarte des älteren Apianus (Bienwitz) im J. 1522 angewendet worden ist. Vielleicht hätte sich der Name wieder ausrotten lassen, aber seit ihn die Landkartenzeichner Ortelius 1570 und Mercator 1598 in Tausenden von Abdrücken verbreitet hatten, mußte er als unvertilgbar gelten (Peschel)“. Von welchem Einflusse aber diese Kosmographie des H. auf die weitere Verbreitung sowol der Kunde von den vier Reisen des Vespucci als des Namens America gewesen war, beweist, daß sie rasch sechs ächte Ausgaben, vier zu Saint-Dié selbst, eine zu Straßburg 1509 und eine zu Lyon 1518 erlebte; die Ausgaben Ingolstadt 1529–33, Venedig 1535–41, Paris 1551 und Venedig 1554 sind unächt. Als weitere litterarische Arbeiten lieferte H. für die Ausgabe der Encyklopädie seines Lehrers Gregor Reisch zu Freiburg, die „Margarita philosophica“ vom J. 1509, zwei Abhandlungen über die Grundsätze der Baukunst und der Perspektive, welche er in Freiburg selbst verfaßt hatte. Ebenso erschien (April 1511) von H. und seinem Freunde Matth. Ringmann gemeinschaftlich: „Introductio, manuductionem praestans in Cartam itiner. M. Hyl.“. (Argent. J. Grüninger). H. starb im J. 1521 oder 1522, ob in Saint-Dié oder in seiner Vaterstadt Freiburg, ist ungewiß.
Hylocomylus:- Alex. v. Humboldt, Examen critique de l’histoire de la géogr. du nouv. Contin. Deutsch von Ideler II, 358 ff. – Schreiber, Gesch. d. Univers. Freiburg im Br. I, 236–39. Mart. Hyl. Waltzemüller. Ses ouvrages et ses collaborateurs. Par un Geographe Bibliophile (Avezac). Par. 1867. – Murr, Memorab. II, 223. – Freytag, Anal. lit. 449–51. Serapeum 1861, 1–4. – Weller, Repertor., S. 36. – Oscar Peschel, Abhandl. zur Erd- und Völkerkunde, S. 228–36.
[Zusätze und Berichtigungen]
- ↑ S. 488. Z. 1 v. o. l.: Hylacomylus (st. Hylocom.). [Bd. 15, S. 796]