Zum Inhalt springen

ADB:Hirsch, Theodor

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Hirsch, Theodor“ von Eduard Winkelmann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 13 (1881), S. 506–509, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hirsch,_Theodor&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:19 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Heudorf, Bilgeri von
Band 13 (1881), S. 506–509 (Quelle).
Theodor Hirsch bei Wikisource
Theodor Hirsch in der Wikipedia
Theodor Hirsch in Wikidata
GND-Nummer 116905999
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|13|506|509|Hirsch, Theodor|Eduard Winkelmann|ADB:Hirsch, Theodor}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116905999}}    

Hirsch *): Theodor H., Dr. phil., geb. am 17. December 1806 in Altschottland bei Danzig, † am 17. Februar 1881 zu Greifswald als Professor der Geschichte und Oberbibliothekar an der Universität. Auf der Bürgerschule und dem Gymnasium zu Danzig für das Studium vorbereitet, bezog er im Herbste 1827, nachdem er kurz vorher sich zum Christenthume bekannt hatte, die Universität Berlin, an welcher Schleiermacher, Böckh und Wilken besonderen Einfluß auf ihn übten. Die Auffassung des ersten von der Religion ist für [507] seine kirchliche Stellung zeitlebens ebenso maßgebend geblieben, wie andererseits die ihm von Böckh eingeflößte Verehrung des klassischen Alterthums und die in ihm von Wilken, dessen historisches Seminar er zwei Jahre lang besuchte, erweckte Neigung zu selbständiger historischer Forschung. Er promovirte am 21. Januar 1831 in Berlin mit einer Dissertation: „De procuratoribus Bavariae per Carolingicorum regum tempora“ und begann nach abgelegtem Staatsexamen zu Ostern 1831 seine fruchtbringende Thätigkeit als Lehrer der Geschichte, zuerst am Friedrich-Wilhelms Gymnasium in Berlin, dann seit August 1833 am städtischen Gymnasium in Danzig, an welchem er schon 1836 in eine Professur einrückte. Ueber die von ihm befolgte und, solange er an dieser Anstalt wirkte, im Wesentlichen innegehaltene Lehrmethode, welche dann von vielen seiner Schüler auch auf andere Anstalten übertragen worden ist, berichtet das Programm von 1835; aber die Hauptursache seiner bedeutenden Wirksamkeit als Lehrer ist doch wol in der durch gründliches und vielseitiges Wissen imponirenden und ebenso sehr von energischem Wollen als von Heiterkeit des Gemüths erfüllten Persönlichkeit zu suchen. Er wußte auch die mittelmäßigen Kräfte zur Arbeit heranzuziehen und Jedem einen ganz respectablen Grundstock historischen und geographischen Wissens beizubringen, Eifrigere oder Höherbegabte aber noch weiter zu führen und namentlich auch zur Selbstthätigkeit anzuregen. So kam es, daß das Gymnasium in Danzig, als H. an demselben lehrte, ohne daß darum die philologischen Fächer vernachlässigt wurden, der Ausgangspunkt einer großen Anzahl von Historikern geworden ist, welche sich später wieder als Lehrer der Geschichte an höheren Schulen und Universitäten oder durch geschichtliche Arbeiten einen gewissen Namen gemacht haben, wie Böszörmeny, Panten, R. Foß, Breysig, Schirrmacher, Mannhardt, E. Strehlke, Winkelmann und Hirsch’s einziger Sohn Ferdinand. Viel größer ist die Anzahl derjenigen, welche, ohne eigentlich die Geschichte zum Lebensberufe zu machen, unter den von H. empfangenen Anregungen mehr oder minder Verdienstliches auf diesem Gebiete geleistet haben. H. verstand es namentlich, die Strebsameren unter seinen Schülern auch dadurch zu fördern, daß er sie zur Theilnahme an seinen eigenen Arbeiten heranzog. Diese bezogen sich allerdings ausschließlich auf die Geschichte der Provinz Preußen und der Stadt Danzig, aber einerseits sind in ihnen vielfach Gegenstände berührt, welche auch in weiteren Kreisen Interesse zu erwecken geeignet sind, und andererseits wurden hier zum ersten Male die unglaublich reichen Schätze des Stadtarchivs verwerthet, welches seit 1850 seiner Leitung übergeben, von ihm erst neu geordnet, zum großen Theile repertorisirt und der wissenschaftlichen Benutzung zugänglich gemacht wurde. Aus der langen Reihe solcher Schriften (vgl. Hirsch, Gesch. d. Danziger Gymn. seit 1814; Progr. z. Säcularfeier 1858 S. 44) hebe ich hervor: „Die Oberpfarrkirche von St. Marien in Danzig in ihren Denkmälern und in ihren Beziehungen zum kirchlichen Leben Danzigs überhaupt“, Danzig 1843 ff., 2 Bde.; „Weinreich’s Danziger Chronik, herausgegeben und erläutert von Th. H. und F. A. Voßberg“, Berlin 1855, und „Gewerb- und Handelsgeschichte Danzigs unter der Herrschaft des deutschen Ordens“, ein Werk, welches von der Jablonowski’schen Gesellschaft zu Leipzig gekrönt (Preisschr. d. fürstl. Jabl. Ges. VI. 1858) den Namen des Verfassers weit über die Grenzen der heimathlichen Provinz und der Fachgenossen hinaustrug und in mancher Beziehung bahnbrechend gewirkt hat. Unmittelbar darauf begann H. im Vereine mit Töppen und E. Strehlke die Vorbereitungen zu einer bisher schmerzlich entbehrten kritischen Ausgabe der „Scriptores rerum Prussicarum“, einer Arbeit, welche bei ihrem zu Anfange kaum zu übersehenden Umfange und da der Tod Strehlke’s einen großen Theil der ihm zugewiesenen Arbeiten auf H. überwälzte, Zeit und Kräfte desselben viel länger und stärker in Anspruch nahm, als er ursprünglich vorausgesetzt haben mochte. Wenn man [508] bedenkt, daß die überlebenden Herausgeber durch ihren Beruf als Lehrer in Anspruch genommen waren, H. außerdem noch als Stadtarchivar, wird man ihrem Eifer die gebührende Anerkennung nicht versagen können, da sie im Laufe der Jahre 1861–74 von den Scriptores fünf starke Bände fertig stellten, in deren Einleitungen zu den einzelnen Geschichtsquellen, Anmerkungen und Excursen unendlich mehr geleistet worden ist, als sonst von einer Quellenausgabe verlangt zu werden pflegt. Mitten in dieser Thätigkeit, außer welcher aus jenen Jahren nur noch ein Aufsatz über die „Artushöfe“ in der Zeitschrift für preußische Geschichte zu erwähnen ist, traf H. im Sommer 1865 die ihm ganz unerwartete Berufung zu einer ordentlichen Geschichtsprofessur in Greifswald. Für ihn, der in Danzig in den angenehmsten collegialischen und geselligen Beziehungen lebte, der ein fest umgrenztes Arbeitsfeld sich geschaffen hatte, auf dem noch unendlich viel zu thun war und der vor Allem nach schon 34jähriger Wirksamkeit als Gymnasiallehrer nun sich gleichsam vor die Aufgabe gestellt sah, in einem ganz anderen Berufe und auf einem neuen Felde erst wieder von Neuem anzufangen, mag der Entschluß, dem Rufe zu folgen, wol recht schwer gewesen sein und er wurde, soviel ich weiß, hauptsächlich dadurch bestimmt, daß die Regierung als seine Aufgabe ihm gerade die Heranbildung tüchtiger Geschichtslehrer nach seiner Art bezeichnete. Nachdem er im Herbste 1865 nach Greifswald übergesiedelt war, trug er im Laufe der Jahre dort vor: alte Geschichte, jedoch grundsätzlich mit Ausschluß der ältesten Zeit, so daß er die Vorlesungen über griechische Geschichte erst mit den Perserkriegen, die über römische Geschichte mit den punischen Kriegen begann; ferner preußische Geschichte in drei Kursen, aber auch allgemeine Erdkunde und Geographie von Asien und Amerika. Das, was man einen Redner nennt, ist H. eigentlich nie gewesen; aber es war ihm auch gar nicht darum zu thun, Andere in seine Vorlesungen zu ziehen, als welche das sachliche Interesse und wirkliches Bedürfniß nach Belehrung dorthin führte. Dieses aber befriedigte er im höchsten Maße namentlich in seinen Seminarien, in dem historischen, wo er seine Schüler in die Quellen der alten Geschichte und in die wichtigsten kritischen Fragen einführte, und in dem geographischen, in welchem freilich bei den sehr mangelhaften Vorkenntnissen, welche unsere Studenten in diesem Fache mitzubringen pflegen, manchmal etwas elementar zu Werke gegangen werden mußte, aber immerhin den künftigen Lehrern die vergleichende Methode und auch das Kartenzeichnen beigebracht, die alte Geographie Italiens und Griechenlands aber speziell vorgeführt wurde. Wie nun in Danzig neben dem Unterrichte am Gymnasium die Ordnung des Archivs, so übernahm H. in Greifswald neben der Professur auch die Direction der Universitätsbibliothek, deren Zustand viel zu wünschen ließ. Er führte dort sogleich strengere Ordnung ein und unternahm, von tüchtigen Mitarbeitern unterstützt, die Anfertigung sowol eines neuen Zettel- als eines Realcatalogs, der den modernen Anforderungen entspricht. Diese Arbeiten und die auf ihnen beruhende Umstellung der Bücher hinterließ er fast vollendet. Die von solchen Berufsgeschäften ihm übrig bleibende Muße wurde zunächst auf die Vollendung der Scriptores rer. Pruss. verwendet, nach welcher er, wenn wir von einigen Artikeln der Allgemeinen deutschen Biographie absehen, nicht weiter zur Geschichte der Heimathprovinz zurückkehrte. Die Geschichte des Königreichs Preußen wurde vielmehr jetzt der Gegenstand seiner Studien und Veröffentlichungen, unter welchen besonders einige Aufsätze über den siebenjährigen Krieg in der Historischen Zeitschrift und die Biographien der ersten Hohenzollern von Brandenburg in der Allgemeinen deutschen Biographie hervorzuheben sind. Dieselbe wird von ihm auch noch die Leben der Joachim, der Johann und Anderer bringen. So verfloß ein Jahr nach dem andern in strenger gewissenhafter Arbeit und behaglichem sorgenfreiem [509] Familienleben; an dem rüstigen Greise, der von wenigen in Gemeinschaft mit Frau und Tochter am Genfer See, in Oberbaiern oder im Schwarzwald verlebten Sommerwochen stets frisch zum Arbeitstische zurückkehrte, merkte man kaum die Macht des Alters; ja er getraute sich noch ein größeres Werk zu vollenden, indem er für die „Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm“ die politischen Verhandlungen der Jahre 1660–72 in drei Bänden zu bearbeiten unternahm, von welchen der erste schon zu Ostern 1879 vollendet vorlag. Die Vorarbeiten zum zweiten Bande waren beendigt, als es ihm am 21. Januar 1881 vergönnt war sein 50jähriges Doctorjubiläum, beinahe auch das seiner Lehrthätigkeit, zu feiern, aber nicht, wie er gedacht hatte, im stillen Familienkreise. Denn von Nahe und Fern kamen Glückwünsche und Deputationen; die Regierung, Provinzial- und Stadtbehörden der alten und der neuen Heimath, die früheren und jetzigen Collegen und Schüler stellten sich theils persönlich, theils in Zuschriften ein, dankbar dessen zu gedenken, was H. ihnen als Mensch und Freund, als Lehrer und Beamter gewesen war und, wie Alle hofften, noch lange sein würde. Vier Wochen später, am 17. Februar, als er am Morgen eben seinen Lehrstuhl bestiegen, machte ein Schlaganfall plötzlich dem still-bescheidenen, aber fruchtreichen Leben des trefflichen Mannes ein Ende.


[506] *) Zu Bd. XII, S. 470.