Zum Inhalt springen

ADB:Herzl, Sigmund

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Herzl, Sigmund A.“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 50 (1905), S. 266–268, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Herzl,_Sigmund&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 22:57 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Herz, Henri
Band 50 (1905), S. 266–268 (Quelle).
Sigmund Herzl bei Wikisource
Nach Wikipedia-Artikel suchen
Sigmund Herzl in Wikidata
GND-Nummer 116761628
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|50|266|268|Herzl, Sigmund A.|Ludwig Julius Fränkel|ADB:Herzl, Sigmund}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116761628}}    

Herzl: Sigmund A. H., lyrischer Dichter unter den Pseudonymen Idnum, Franz Emil von Rudolf und besonders Alfred (nicht Adolf) Teniers, [267] wurde am 26. Mai 1830 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Adam H. in Wien geboren, den er noch vor dem Schulantritte verlor. Er besuchte die deutschen Volksschul- und Realclassen, übersiedelte jedoch am 25. October 1845 nach Ungarn. Für den Kaufmannsstand bestimmt, widmete er sich diesem mit Ernst und Eifer, hing dabei aber, wenn auch in größern Zwischenräumen litterarischen Neigungen nach. Nach mannichfachen Reisen und gründlichen Sprachstudien, vor allem im Französischen und Italienischen, brachte er es zu unabhängiger geschäftlicher Stellung im Bankfache. Zeitweise war er als einheimischer Beamter der Wiener französischen Botschaft unter dem Herzog von Gramont zugetheilt. Seit dem Jahre 1873 zog sich H. infolge nicht näher feststellbarer trauriger Ereignisse – hängen die 1874 veröffentlichten „Lieder eines Gefangenen“ intimer damit zusammen? – in die Einsamkeit zurück und beschäftigte sich, um sich herauszureißen, fast ausschließlich mit kaufmännischen Arbeiten. Im März 1886 erkrankte er schwer, suchte in Baden bei Wien und anderwärts Genesung und lebte nun, wo die alte Lust zur Poesie neu und bisweilen stark erwacht war, als Privatmann, vielfach kränkelnd, zu Wien, das überhaupt auch den größten Theil des Mannesalters sein Heimathsort gewesen. Hier endete das innerlich zerrissene, äußerlich ganz normale Dasein „des im Leben todunglücklichen Dichters“ (wie Kohut sagt) am 9. Februar 1889.

Außer Feuilletonbeiträgen verschiedenartigen Inhalts zu vielen österreichischen und süddeutschen Zeitungen, Reiseschilderungen und Kritiken hat H. vorzügliche Uebersetzungen aus dem Magyarischen und Französischen ins Deutsche geliefert; so eine neueste, wohlgelungene der Gedichte von Alexander Petöfi (1887, in Hendel’s „Gesamtliteratur“), über welchen magyarischen Nationalpoeten er schon 1866 eine kleinere biographische Schrift verfaßt hatte. Als wesentlich lyrischer Dichter tritt H. meistens unter der Maske „Alfred Teniers“ hervor in den Büchern: „Liederbuch eines Dorfpoeten“ (1853), „Lieder eines Gefangenen“ (1874; anonym), „Prager Elegieen“ (1880; „von Alfred Teniers“), letzteres nur als Manuscript gedruckt, während die für 1887 angegebene Anthologie „Für Lebemänner“ überhaupt zurückgehalten worden zu sein scheint. Zwei Jahre nach seinem Tode wurden „Alfred Teniers’ gesammelte Dichtungen herausgegeben von Gustav Andreas Ressel“, einem jungen (geboren 1861) Wiener Beamten und Litteraten, und diese Zusammenfassung der poetischen Erzeugnisse eines Dichters, der sich in den Vierzigern seines unbefriedigenden Lebens des Umgangs mit bekannten Meistern der Muse, wie Anastasius Grün, Graf Schack, Dranmor (F. v. Schmidt) hatte erfreuen dürfen, ist sogar 1895 in 2. Auflage nochmals herausgekommen.

Das „Liederbuch eines Dorfpoeten“, die Sammlung der lyrischen Ausbeute seiner Jugend, enthält noch mancherlei Unreifes, läßt aber die entschiedene lyrische Ader des Dichters deutlich zur Geltung gelangen. Als Stimmung herrschte schon in diesem ganzen Bändchen Sentimentalität, während seine reiche spätere Lyrik in der Hauptsache sogar der Melancholie untersteht. Im „Liederbuch“ sind die Lieder „An Emma“, die nach kurzer Freude den Verlust, und die „verwehten Blätter“, die den Tod der Geliebten betrauern, das Charakteristische. Was unter „Balladen und Romanzen“ darin vereinigt steht, beweist, daß dem Dichter für die Epik und epische Lyrik höhere Anlage fehlt. Die Sammlung „Lieder eines Gefangenen“ führt mit stark subjectiver Farbe Bilder härtester Noth und des Elends, durch die nur selten als Sonnenstrahl Hoffnung oder Erinnerung brechen, vor, aus der Seele des Gefangenen heraus gesungen, weltschmerzlich verzweifelnd, andererseits oft in drastischer Parallele zwischen dem Aufschwunge des idealistischen Dichterdrangs und dem äußern [268] Druck des Kerkers zu schreiender Dissonanz ausklingend. Das im Buchhandel nicht zugängliche Bändchen „Prager Elegieen“ führt seinen Namen von dem Umstande, daß sein ganzer Inhalt während des halben Novembers 1879 in Prag entstanden ist: ein Zeichen für des Verfassers Vermögen, den in ihm thätigen seelischen Schwingungen in kürzester Frist eine entsprechende künstlerische Fassung zu verleihen. Es gehören allerdings keineswegs alle Nummern darin unter die Gattung Elegie. Beim neuen Liederfrühling, der in den letzten Jahren über Herzl-Teniers gekommen war, steigert sich der derbe und herbe Naturalismus jener „Lieder eines Gefangenen“, häufig in der Weise Heinrich Heine’s mit kaustischem Witze die Wirkungen der Poesie zerstörend, theilweise noch. Alles in Allem ist Herzl-Teniers eine durchaus beachtenswerthe litterarische Gestalt, die in ihrer Eigenthümlichkeit nicht bloß den rauhen Gegensatz eines von Haus aus weichen Poetengemüths mit einer innerlich völlig enttäuschenden, durch Leiden und trübste Erfahrungen noch mehr verbitterten äußern Lage ausdrückt, sondern auch den harten socialen, nationalen, religiösen Zwiespalt, an dem das moderne Oesterreich-Ungarn krankt. Wie hier die Gesammtheit, so findet auch der Dichter Teniers im Menschen Herzl nicht die Brücke zur Harmonie.

Lebensskizze bei Brümmer, Lex. d. dtsch. Dichter u. Pros. d. 19. Jhrhs.5, II, 148 f., ausführlichere mit litterarischen Notizen und Proben bei Leimbach, Die dtsch. Dichter der Neuzeit u. Gegenwart III, 366–9, beide nach theilweise denselben authentischen Mittheilungen des Dichters, die daher auch hier zu Grunde liegen. – G. A. Ressel’s verdienstliche Sammelausgabe ist jünger als diese Biographie. – Ad. Kohut, Berühmte israelitische Männer und Frauen (1900) II, 107; der daselbst für eine Beilage angekündigte bezeichnende Brief (Facsimile) des Pessimisten H. an den Schriftsteller Leo Herzberg-Fränkel (geboren 1827) fehlt. Brümmer und Kohut geben unrichtig „Adolf Teniers“ an. – Kürschner’s Literaturkalender X (1888), 159b. – Blätter f. lit. Unterh. etc.