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ADB:Hensler, Philipp Gabriel

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Artikel „Hensler, Philipp Gabriel“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 12 (1880), S. 8–11, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hensler,_Philipp_Gabriel&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 05:01 Uhr UTC)
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Hensler: Philipp Gabriel H., Arzt, den 11. Decbr. 1733 in Oldensworth (im Eiderstädtischen) geboren, wurde schon im 10. Lebensjahre seines Vaters beraubt, der zuerst in Oldensworth, später in Preetz in Holstein, die Klosterpredigerstelle bekleidet hatte. Die Mutter des Knaben blieb in ziemlich dürftigen Verhältnissen zurück, Unterstützungen von Seiten der Verwandten und Freunde aber ermöglichten es ihr, dem Sohne eine gute wissenschaftliche Ausbildung auf den Gymnasien, zuerst in Husum, später in Schleswig zu Theil werden zu lassen; der Unterricht des Rectors Kraft in Husum hat, wie H. in einem, demselben gewidmeten Festgedichte erklärt, seine Vorliebe für die alten classischen Sprachen, in welchen er es zu hoher Vollendung gebracht hat, erweckt und gefördert. – Im Jahre 1753 bezog H. die Universität zu Göttingen, um sich dem Studium der Theologie zu widmen; nach Beendigung desselben fungirte er einige Zeit als Hauslehrer, trat auch mehrmals auf der Kanzel auf, fühlte sich aber von diesem von ihm gewählten Berufe so wenig befriedigt, daß er denselben aufgab, nach Göttingen zurückkehrte und sich der Medizin zuwendete. Seine Lehrer waren Sam. Vogel, Aug. Gottl. Richter und Röderer; besonders fühlte er sich zu dem Letzten hingezogen, der sich seiner auch in der liebevollsten Weise annahm und ihn in den praktischen Uebungen nach Kräften förderte. Mit welchem Fleiße und mit welchem Erfolge H. studirte, geht nicht bloß daraus hervor, daß er bereits nach zweijährigem Aufenthalte in Göttingen (1762) nach Vertheidigung seiner geschätzten Dissertation „Tentaminum et observationum de morbo varioloso satura“ die Doktorwürde erlangte, sondern auch aus der Anerkennung, welche ihm Seitens des Prof. Michaelis zu Theil wurde. Dieser hat bekanntlich wesentlichen Einfluß auf die vom König Friedrich V. ins Werk gesetzte, von [9] Niebuhr geleitete wissenschaftliche Reise nach dem Oriente gehabt, nicht aber auf die Wahl des Arztes, der die Gesellschaft dahin begleitet hat; in der Mittheilung, welche Michaelis in seiner Lebensbeschreibung (Leipzig 1793 S. 71) von dieser Expedition giebt, bemerkt er bezüglich des traurigen Schicksals, das viele der Theilnehmer an derselben erfuhren: „einen Medicus hätte ich vielleicht verschaffen können; ich darf nur den Namen dessen nennen, auf den mein Gedanke den ersten Augenblick gefallen sein würde, H., der damals in Göttingen studirte. Wäre der mitgereist, so wären vielleicht auch einige der gestorbenen Reisenden am Leben geblieben und was hätte man von solchem Genie für Entdeckungen zu erwarten gehabt.“ – Nach erfolgter Promotion ließ sich H. in Preetz nieder, siedelte aber schon im nächsten Jahre nach Segeberg über, wo er 6 Jahre verweilte und eine sehr umfangreiche, aber wenig einträgliche Praxis fand; er hatte vielfach mit Nahrungssorgen zu kämpfen, dennoch aber bewahrte er sich die Freude an der Wissenschaft und benützte die ihm sparsam zugemessene Muße nicht nur zu eifrigen Studien, besonders der alten classischen Litteratur, sondern auch zu schriftstellerischen Leistungen. – Im Jahre 1769 trat ein Wendepunkt in seinem Schicksale ein; für die große Reise, welche der König Christian VII. im Jahre 1768 antrat, waren ihm H. und Struensee, der spätere Minister, damals Physicus in Altona, zu ärztlichen Reisebegleitern vorgeschlagen worden, die Wahl fiel auf Struensee und nun rückte H. in das erledigte Physicat von Altona, Pinneberg und Rantzau ein. Damit eröffnete sich ihm ein in jeder Beziehung lohnender Wirkungskreis, in welchem er sich alsbald durch wahre Humanität und liebenswürdige Bescheidenheit, durch seine ärztliche Thätigkeit und durch das lebhafte Interesse, welches er allen gemeinnützigen Institutionen zuwendete, die allgemeinste Anerkennung und einen Ruf erwarb, der ihn nicht nur als ärztlichen Consulenten mit hochgestellten Familien in Kopenhagen (mit den Grafen Bernstorff und Reventlow) in nahe Verbindung brachte und eine Berufung als Prof. der Medicin nach Göttingen zur Folge hatte, die er jedoch dankend ablehnte, sondern ihm auch das Vertrauen der höchsten Verwaltungsbehörden gewann, so daß er (1775) mit dem Titel eines Archiater beehrt und später zum Theilnehmer an der Bearbeitung der (1786 erschienenen) dänischen Pharmakopöe ernannt wurde. Trotz dieser gehäuften Beschäftigung blieb ihm dabei auch hier noch immer Muße, wissenschaftlichen Studien obzuliegen und sich einer schriftstellerischen Beschäftigung hinzugeben, aus welcher seine bedeutendsten litterarischen Arbeiten hervorgegangen sind. – Im Jahre 1789 erhielt der bereits hochbejahrte Mann einen Ruf als Prof. der Medicin nach Kiel, dem er in Berücksichtigung des Umstandes, daß seine körperlichen Kräfte den von der ärztlichen Praxis an ihn gestellten Ansprüchen nicht mehr zu genügen drohten, folgte. – Auch auf diesem ihm neuen Gebiete entwickelte H. eine umfangreiche und gedeihliche Thätigkeit, welche er trotz schwerer körperlicher Leiden, besonders gichtischer Anfälle, welche die letzten Jahre seines Lebens trübten, nicht unterbrach, während er die ärztliche Praxis lediglich auf Cousultationen beschränkte. Er las über Physiologie, Pathologie und Therapie, Diätetik, Staatsarzneikunde und Geschichte der Medicin und fesselte die Studirenden ebenso durch seine Vorlesungen, wie durch das humane und freundliche Entgegenkommen. Es gibt kaum einen Menschen, sagt Steffens mit Begeisterung von dem ich mehr verdanke, als ihm, und ähnlich lauten die Urtheile anderer seiner Schüler, die zu ihm in nähere Beziehung getreten waren. Im Jahre 1804 wurde H. noch die Ehre zu Theil, als Mitglied des für die Herzogthümer neu errichteten Sanitäts-Collegii ernannt zu werden; lange konnte er sich dieser Auszeichnung nicht erfreuen, seine Kräfte waren durch anhaltende körperliche Leiden erschöpft und ein schwerer Gichtanfall machte am 31. Decbr. 1805 seinem thatenreichen Leben ein plötzliches Ende. – Von den litterarischen [10] Arbeiten Henslers nehmen die Beiträge zur Geschichte der Krankheiten die erste Stelle ein; zu denselben gehören die „Geschichte der Lustseuche, die zu Ende des XV. Jahrhunderts in Europa ausbrach“, von welcher der erste Band 1783, das 2. Stück des zweiten Bandes 1789 erschienen, die also unvollendet geblieben und als deren Ergänzung das später (1801) veröffentlichte Programm „De herpete seu formica veterum“ anzusehen ist, und seine Schrift: „Vom abendländischen Aussatze im Mittelalter“. 1790. 2. Aufl. 1794. – Beide Arbeiten zeichnen sich durch gründliche Sammlung des Materials und vorurtheilsfreie Sichtung und Beurtheilung desselben aus; die Schlüsse, welche er aus diesen Untersuchungen über die Natur beider Krankheiten, der Syphilis und des Aussatzes und des Verhältnisses beider zu einander zieht, erscheinen nur soweit berechtigt, als er den Nachweis von dem nichtamerikanischen Ursprung der Syphilis geführt und gezeigt hat, daß eine, wie er glaubt, der Syphilis verwandte, wenn auch nicht identische Krankheitsform sich in ihrem Vorkommen bis in die frühesten Zeiten des Alterthums verfolgen läßt. Nicht der positive Gewinn nach dieser Seite hin ist es, der den Schriften ihren Werth verleiht, sondern die Methode, welche er in der Bearbeitung derselben eingeschlagen hat und der ideale Gesichtspunkt, welcher seine Forschungen beherrscht. „Aus dem, was die (Syphilis und die) anderen vielfachen Uebel des kranken Menschen aller Zeiten uns lehren“, sagt H. (Geschichte der Lustseuche. II. Bd. 2. Stck. S. 4), „bildete ich mir in Gedanken eine Pathologie des Menschengeschlechtes im Großen, eine historische Pathologie, die mit Klima und Lebensart, mit Nahrungsart, Sitten und Beschäftigungen in Zusammenhang kommen und eine lehrreiche Uebersicht dem Menschenforscher von jedem Berufe gewähren könnte“. – In dieser Auffassung der Thatsachen liegen die Grundzüge der historischen und geographischen Pathologie und damit war der Weg gezeichnet, welchen andere Forscher nach ihm eingeschlagen haben. Uebrigens muß zu Henslers Rechtfertigung der Umstand geltend gemacht werden, daß exacte Forschungen über die Natur des „Aussatzes“ erst der neuesten Zeit angehören, alles, was ihm für die Forschung geboten war, ein richtiges Verständniß des von ihm behandelten Objectes daher gar nicht zuließ und daß über die Natur einer anderen Krankheitsform, welche er in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen und die er in ihrem Verhältnisse zur Syphilis beurtheilt hatte, die Pians oder Yaws, selbst heute noch kein vollständiges Verständniß gewonnen ist. – Eine interessante Arbeit Henslers ist ferner sein „Beitrag zur Geschichte des Lebens und der Fortpflanzung der Menschen auf dem Lande“, 1767, in welcher er die biostatischen Verhältnisse der Gemeinde Segeberg innerhalb eines etwa 40jährigen Zeitraumes erörtert; die Arbeit ist ein Muster an Umsicht, Gründlichkeit und Sorgfalt und nächst Süßmilchs bekannter Schrift der erste Versuch einer derartigen statistischen Leistung in Deutschland. Von den übrigen Schriften Henslers verdienen noch die (anonym erschienenen) „Briefe über das Blatterbelzen“, 1765. 1766, welche im Interesse der Einführung der Blattern-Inoculation an das Parlament von Paris adressirt und ebenso gegen diese Körperschaft, wie namentlich gegen die Philippika von v. Haën gerichtet waren, genannt zu werden; auch an der Bearbeitung des von den Holstein’schen Physicis veröffentlichten „Bericht und Bedenken die Kriebelkrankheit betreffend u. s. w.“ 1772, hat sich H. betheiligt. – Uebrigens hat er sich mit seiner litterarischen Thätigkeit nicht ausschließlich auf medicinische Gegenstände beschränkt, sondern sich mit derselben auch über andere Gebiete des praktischen Lebens verbreitet, so hat er u. A. in den Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichten einige Artikel über das Münz- und Bankwesen, namentlich gegen die von der Regierung beabsichtigte Begründung einer Zettelbank veröffentlicht und sich an den, seine Heimath betreffenden öffentlichen Angelegenheiten, [11] die innerhalb der Sphäre seiner Thätigkeit lagen, nach Kräften betheiligt. Wie in der Wissenschaft, so hat sich H. aber auch in dem dankbaren Herzen seiner Mitbürger ein unvergängliches Denkmal durch das Wohlwollen gesetzt, das er denselben noch über das Grab hinaus geschenkt hat. Sein Testament enthielt eine Bestimmung, wonach unter näher bezeichneten Umständen die Zinsen eines Theiles seiner Hinterlassenschaft als Prämie für junge Mediciner, die durch ihren Fleiß und ihre Talente sich auszeichnen und welche in den Herzogthümern angesessen oder sich daselbst niederzulassen willens sind, ausgezahlt werden sollen. Dieses Legat, unter dem Namen Hensler’sche Stiftung bekannt, hat dann auch, nachdem die letzten Ansprüche an dasselbe Seitens der Hinterbliebenen des Testators, seiner Enkelin Grethe, der zweiten Frau Niebuhrs und deren Kinder erloschen waren, von dem Jahre 1863 an, wie es scheint, seine gesetzliche Bestimmung gefunden.

Ueber Henslers Leben und seine Schriften vgl. Heinrich, Memoria Hensleri, Kiliae 1806, und Ratjen in Zeitschrift für die Geschichte der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg. 1870. I, S. 260–282.