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ADB:Hartmann, Philipp Karl

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Artikel „Hartmann, Philipp Karl“ von August Hirsch in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 699–701, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hartmann,_Philipp_Karl&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:40 Uhr UTC)
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Hartmann: Philipp Karl H., Arzt, ist am 20. Januar 1773 in Heiligenstadt im Eichsfelde geboren. Er hatte zuerst in Göttingen, später in Wien unter Peter Frank Medicin studirt und hier hat er 1799 die medicinische Doctorwürde erlangt. Seine praktische Laufbahn begann er als Assistent des Polizei-Bezirksarztes Barth, den er namentlich in seiner umfänglichen Armenpraxis unterstützte, worauf ihm im J. 1803 die Physikatsstelle an der Versorgungsanstalt zu Mauerbach bei Wien übertragen wurde. Durch seine geistreichen kritischen Arbeiten über den Brownianismus und die neuere naturphilosophische Schule hatte er sich in der Gelehrtenwelt schnell einen ehrenvollen Namen gemacht und so wurde er schon im J. 1806 nach Olmütz berufen, wo ihm die Professur der theoretischen und praktischen Medicin an dem dortigen Lyceum und die Stelle des Primararztes an dem Kranken- und Findelhause, im J. 1810 das Rectorat des Lyceums übertragen wurde. – Seine wissenschaftlichen und praktischen Leistungen hatten inzwischen die Aufmerksamkeit der höchsten Unterrichtsbehörden Oesterreichs auf ihn gelenkt und so erhielt er im Jahre [700] 1811 einen Ruf als Prof. ord. der allgemeinen Pathologie und Arzneimittellehre an die Universität zu Wien. – Sein ganzes Streben war hier darauf hingerichtet, die Stelle einzunehmen, welche vor ihm van Haën und Peter Frank als Professoren der medicinischen Klinik am allgemeinen Krankenhause bekleidet hatten; dieser Wunsch wurde ihm, nachdem er ehrenvolle Berufungen 1814 nach Rußland, 1819 als Prof. ord. der medicinischen Klinik nach Bonn und 1823 als Prof. ord. der Medicin und Director des Charitékrankenhauses nach Berlin abgelehnt hatte, im J. 1829 erfüllt. Er wurde mit der angestrebten Professur provisorisch betraut, allein die Anstrengungen, welchen er sich in seiner wissenschaftlichen, praktischen und amtlichen Thätigkeit fortgesetzt und unermüdet hingegeben hatte, hatten seine Kräfte erschöpft und so erlag er am 5. März 1830 plötzlich in Folge eines Schlaganfalles. – In seinem Charakter war H. durch Einfachheit, Bescheidenheit und Leutseligkeit, aber auch durch Gründlichkeit, Freimüthigkeit und Consequenz, in seiner Geistesthätigkeit durch Schärfe und Tiefe der Auffassung, gewissenhafte Wahrheit, lichtvolle Darstellung und unermüdlichen Fleiß ausgezeichnet, und diese Eigenschaften, mit welchen er Alle, die mit ihm in Berührung kamen, fesselte, spiegeln sich in seinen zahlreichen, zum Theil bedeutenden litterarischen Arbeiten (ein vollständiges Verzeichniß derselben findet sich in Callisen, Med. Schriftsteller-Lexikon, Bd. XXVIII S. 396) deutlich ab. – Es hat wol wenige Männer der Wissenschaft gegeben, welche in einer litterarisch lebhaft bewegten Zeit so entschieden für eine Ansicht aufgetreten sind, so energisch die ihnen entgegenstehenden Ansichten bekämpft haben und dennoch so wenig angefeindet worden sind, sich einer so allseitigen Anerkennung selbst von Seiten ihrer Gegner erfreut haben, als dies bei H. der Fall gewesen ist. – Die ersten Arbeiten Hartmann’s waren, wie bemerkt, kritischer Art und gegen den Brownianismus und die Erregungstheoretiker, sowie gegen die Schelling’sche Schule gerichtet. In einer „Analyse der neueren Heilkunde“, 2 Theile, 1802, deckt er mit Schärfe die krasse Einseitigkeit und die fundamentalen Irrthümer der Erregungstheorie auf; der Hauptgedanke, der sich durch die Arbeit Hartmann’s zieht, läßt sich etwa dahin zusammenfassen: Brown und Röschlaub haben über den Erscheinungen am Organismus diesen selbst, die Materie, übersehen, sie haben vergessen, daß die Function von den Organen ausgeht und daß eine Veränderung der Function nothwendig eine Veränderung der Materie voraussetzt. – In seiner Abhandlung über den „Einfluß der Philosophie in die Theorie der Heilkunde“ (in Salzb. med.-chir. Zeitung, 1805, Nr. 28. 29, II. S. 19–58) tritt er als Gegner der Naturphilosophie auf; er zeigt, daß jede idealistische und aprioristische Forschung die Naturwissenschaften und die Heilkunde auf Abwege geführt hat, und daß nur in dem Kant’schen Criticismus diejenigen philosophischen Grundsätze gefunden werden, welche für eine Bearbeitung der Theorie in der Medicin heilbringend sind. Diesen Gedanken führt H. in seinen „Beiträgen zur Theorie der Heilkunde“ (in Oesterr. med. Jahrbb., 1813, II. Heft 1 S. 79, Heft 2 S. 99) weiter aus; der Arzt, sagt er, der in der Heilkunde mit Glück theoretisiren will, muß ein naturforschender Philosoph sein. – Unter seinen späteren, der Wissenschaftslehre zugewendeten, größeren Arbeiten nimmt die „Theoria morbi seu pathologia generalis“, 1814, 2. Aufl. 1828, deutsch 1823, die erste Stelle ein. Seit der Veröffentlichung der allgemeinen Pathologie von Gaub war auf diesem Gebiete nichts nennenswerthes erschienen, die Gaub’sche Schrift aber war vollkommen veraltet und konnte den Bedürfnissen in keiner Weise genügen; H. unterwarf, vom Standpunkte des Eklektikers, diesen überaus schwierigen Gegenstand einer zeitgemäßen Bearbeitung und er hat diese Aufgabe so glücklich gelöst, daß sein Lehrbuch für lange Zeit das geschätzteste Compendium in dieser Materie geblieben [701] ist. – Dieselbe Anerkennung muß man seiner genialen Bearbeitung der Psychologie („Der Geist des Menschen in seinen Verhältnissen zum physischen Leben oder Grundzüge zu einer Physiologie des Denkens“, 1820, 2. Aufl. 1831) zollen, in welcher er den Gegenstand wesentlich als Erfahrungswissenschaft behandelt hat. – Demnächst hat H. mehrere kleinere Arbeiten, theils praktischen, theils theoretischen Inhaltes, ferner nach seinen in Olmütz gemachten Erfahrungen zwei Schriften über den ansteckenden Typhus („Sicherungsanstalten und Verwahrungsmittel gegen ansteckende Nerven- und Faulfieber“, 1810, und „Theorie des ansteckenden Typhus und seine Behandlung“, 1812), und ein Lehrbuch der Arzneimittellehre („Pharmacologia dynamica“, 2 Bde., 1816, 2. Aufl. 1829) veröffentlicht, sich an der Bearbeitung der österreichischen Pharmacopöe (in der Ausgabe von den J. 1812 und 1820) betheiligt und die Redaction der von dem Wiener Professoren-Collegium herausgegebenen und in 6 Bänden erschienenen „Beobachtungen und Abhandlungen aus dem Gebiete der praktischen Heilkunde“, 1819–28, und der ersten 9 Bände der „Medicinischen Jahrbücher des österreichischen Staates“ geführt. – Seine Vorlesungen über allgemeine Therapie sind erst nach seinem Tode (zuerst 1835 als „Therapia generalis“ von einem Anonymus, später erweitert und mit Anmerkungen versehen von Knolz unter dem Titel „Institutiones medicae therapiae generalis“ 1836) veröffentlicht worden. – Hartmann’s Wirken ist ein nach allen Seiten hin segensreiches gewesen und es ist gewiß nicht eines seiner kleinsten Verdienste, daß er vortreffliche Schüler gebildet hat, von welchen einzelne eine hervorragende Stellung in der Wissenschaft einnehmen.

Ueber Hartmann’s Leben vgl.: Wiener Zeitung, 1830, Nr. 88 (daraus in Salzb. med.-chir. Zeitung, 1830, II. S. 317). Wawruch, Oratio funebris in sacris parentalibus P. C. Hartmanni, Vien. 1830. Holger, Hartmann aus seinem Werken geschildert, Wien 1831.