ADB:Hartlieb, Hans
Ludwig der Bärtige, ihn studiren zu lassen, Allem nach auf der Wiener Universität: hier wird H. am 11. Juni 1433 das Baccalaureatsexamen gemacht, sodann den Grad eines Magisters „in natürlichen Künsten“, und fernerhin den Grad eines Doctors der Arznei erlangt haben, ohne es ebendaselbst zum Magister regens der Artistenfacultät oder zum medicinischen Professor zu bringen. Schon während seiner Studienzeit machte er schriftstellerische Versuche. So vollendete er am 14. Juni 1433 ein am 14. November des Vorjahres zu Neuburg begonnenes Büchlein [671] von der Gedächtnißkunst für seinen Wohlthäter, den alternden Herzog Ludwig; es ist die deutsche Bearbeitung eines Compendiums der Mnemonik nach der alten Methode mit Plätzen und Bildern. Ein astrologisches Werk unter dem Titel: „Dise 58 Wonunge sind uß der drien hailgen Künig Buch zu tutsch transferirt worden“, hat H. im J. 1434 in Wien verfertigt; damals vielleicht auch die astrologisch-prognostische Abhandlung „Ueber die Erhaltung des Sieges“, worin alle männlichen Namen in unser Frauen Brüder und Sanct Jorgen Brüder eingetheilt und Jedem glückliche oder unglückliche Tage bestimmt werden. Gleichzeitig fand er Zutritt an dem von romantischem Treiben belebten Hofe Herzog Albrechts VI. von Oesterreich. Für diesen neuen fürstlichen Gönner fertigte H. eine Anleitung zur Minnekunst. Er bezeichnete dieselbe zwar als Uebersetzung eines lateinischen Buches, das Meister Albertanus einem Britan Gualtherus gemacht, in Wirklichkeit aber bildeten die drei ersten Theile des „Tractatus amoris et de amoris remedio Andree capellani pape Innocencii quarti ad Gualterum“ seine Vorlage, und der Name Albertanus ist nur von Hartlieb’s Verhältnis zu Albrecht hergenommen. Als ihm dann ein minnegerichtlicher Spruch auch die Verfassung einer Gegenschrift, einer Warnung vor der Minne, auferlegte, übertrug H. lediglich den vierten, „de fuga amoris“ handelnden Theil jenes „Tractatus“ ins Deutsche unter dem Titel: „Das Buch Albertanus von der Laidigung Liebe und Mynne, auch von Unsytten der Frawen, dardurch er meint die Liebe vertilgen und laiden.“ In der Folge verband er beide Uebersetzungswerke durch den gleichfalls fingirten Gesammttitel: „Das Buch Ovidy von der Liebe zu erwerben auch die Liebe zu verschmehen“ und eine Schlußbemerkung, wonach Ovid außerdem ein Buch vom Lobe der reinen Frauen geschrieben hätte, das ebenfalls für Herzog Albrecht von Oesterreich zu übersetzen, H. sich nicht abgeneigt zeigt. Mit Ovids Namen ist hier vollends nur Reklame getrieben, dennoch glaubten Manche, die das Buch nicht näher betrachteten, H. sei Uebersetzer der Ars amandi gewesen, und trotz der Bemerkung Jahn’s (Ovidii opera omnia I, 1828, p. 354) hat sich dieser Irrthum sogar in Gervinus’ Geschichte der deutschen Dichtkunst (II. Band) erhalten. Eine Schrift Hartliebs „Ueber die Kriegskunst“ (in der Wiener Hofbibliothek) fällt wol in die gleiche Lebensperiode des vielseitigen Compilators. Seit dem J. 1440 sehen wir H. als Herzog Albrechts III. von Baiern-München „Rath und Diener“ und zwar nicht blos als dessen Leibarzt sondern auch mit mannigfachen Kanzleigeschäften, namentlich in geistlicher Angelegenheit betraut. Ohne Zweifel hat er sich da für die Vertreibung der Juden ausgesprochen, denn ihm schenkten Herzog und Herzogin am 14. Septbr. 1442 das Haus an der Judengasse zu München, „darin vor Zeiten die Judenschuel gewesen“. Oblag es hienach allerdings ihm, das Sühnebedürfniß, das man in solchen Fällen gewöhnlich vorgab, zu befriedigen und auf den Unterbauten der Synagoge eine Marienkirche (die jetzt abgebrochene „Gruftkirche“) erstehen zu lassen, so brauchte er doch eigentlich nur den Grund abzutreten, zur Bestreitung des Baues hingegen durfte im ganzen Lande gesammelt werden. Die Gunst des herzoglichen Paares suchte sich H. auch durch seine Schriftsteller-, besser gesagt Uebersetzerthätigkeit zu erhalten. So brachte er, wohl im J. 1444, vornehmlich der Herzogin zu Gefallen, die Geschichte Alexanders des Großen aus dem Lateinischen ins Deutsche: d. h. den Alexanderroman nach jener Redaction, die bald einem Eusebius, bald einem Pseudokallisthenes zugeschrieben wird. Das Buch macht den Eindruck einer nur allzu treuen Uebersetzung; daß aus Eusebius „sant Eusebius“ wird, darf man den Zeit- und Ortsverhältnissen zuschreiben. Wenn aber Aventin (Chronica, herausgegeben von Cisner, 1580, Bl. 86) meint, es sei hier Alexanders Leben nicht wohl verdeutscht, der Doctor habe des Lateins zu wenig gekonnt, habe viel dareingesetzt [672] und um Kurzweil willen dazu gethan, was nur „getichte Rockenmerlein“ seien, so hat er schwerlich die lateinische Vorlage Hartlieb’s verglichen, sein schiefes Urtheil beruht vielmehr auf Unvertrautheit mit der Natur solcher Sagenstoffe und ihrem Verhältnisse zu den ächten Geschichtsquellen. Vielleicht ein noch angenehmeres Geschenk war das „Buch von der Hannd“, ein aus Figuren und Text bestehender Grundriß der Chiromantie, den H. unterm 13. December 1448 der Herzogin Anna widmete. Für dieselbe hat er dann noch (spätestens im J. 1457) die Brandanslegende verdeutscht und höchst wahrscheinlich das Buch „Von allerhand verbotenen Künsten, Unglauben und Zauberey“ verfaßt, das durch sie in die Wolfenbüttler Bibliothek gekommen sein wird. Auch zu diplomatischen Sendungen eignete sich der vielgewandte Vertraute. So wurde er 1446 nach Ferrara geschickt, als Markgraf Lionell ein Mitglied seines Hauses mit einer Tochter Albrechts vermählt sehen wollte, so 1456 zu Markgraf Johann von Brandenburg-Culmbach, der vermutlich bei seinem Schwiegersohne, dem Markgrafen Ludwig von Mantua, interzediren sollte behufs der (1463 erfolgten) Verheiratung von Albrechts Tochter Margaretha mit Ludwigs Sohne Friedrich. Nach dem Tode Herzog Albrechts III. wurde H. von dessen Sohne Sigmund zum Leibarzte ernannt (1465). Angeblich auf den Wunsch dieses jugendlichen Fürsten kompilirte er ein gynäkologisches Werk, indem er die „Secreta mulierum“, die dem Albertus Magnus untergeschoben wurden, deutsch übertrug und durch gleichfalls übersetzte Glossen von Fachschriftstellern, wie Trottula, Macrobius, Gilbertinus, Mustio erläuterte. Nebenbei besaß H. eine Apotheke sowie zwei Häuser auf dem Rindermarkt, betrieb mit Herzogin Anna und drei weiteren Genossen ein Bergwerk (1467) und soll selbst das Amt des Großzollners zu München, allerdings mehr eine einträgliche Sinekure, bekleidet haben. 1471 ist er noch am Leben, doch ein Stiftbrief für die Frauenkirche vom 18. Mai 1474 bezeichnet ihn bereits als Verstorbenen. Zweifelhaft scheint es sohin, ob H. die Verbreitung von einem seiner Werke durch die zeitgenössische Erfindung des Buchdruckes erlebt oder ob erst sein Sohn Gotthard H., der 1496–1521 herzoglicher Beamter zu Tölz war, mit der Presse angebunden hat. 1472 erschien bei Bämler in Augsburg die „Histori von dem grossen Alexander“ (mit Holzschnitten), wonach bis 1514 ebenda und in Straßburg noch 11 Auflagen folgten; das „Buch von der Hannd“ kam als Holzdruck von Jörg Scapf in Augsburg keinesfalls vor 1472 heraus; das „Buch Ovidy von der Liebe“ aber ward erst 1482 gleichfalls in Augsburg durch Anton Sorg[WS 1] gedruckt.
Hartlieb: Johann H. (auch Harttliepp schrieb er sich), entstammte wahrscheinlich der Dienerschaft im herzoglichen Schlosse zu Neuburg an der Donau, wo noch im J. 1440 ein Heinrich H. zum „Kellner“ bestellt ward. Vor Friedberg, wol im J. 1431, entschloß sich sein Gebieter,- Grienwaldt im Neufortgesetzten Parnassus Boicus I, 1736, S. 42–50; B. Röse bei Ersch und Gruber II. Section, 3. Theil 1828, S. 22; Gräße, Literärgeschichte II. Band, 2. Abth., 2. Hälfte, 1842, S. 622 und 3. Abth. 1. Hälfte, 1842, S. 454–455; ganz vereinzelte Angaben in Büchern, Handschriften von Hartlieb’s Werken aus der k. Hof- und Staatsbibliothek und Schriftstücke im k. Reichsarchive zu München.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Hans Sorg