ADB:Haner, Georg Jeremias
M. Georg Haner’s Sohn, ist am 17. April 1707 in Keisd geboren, wo der Vater damals Pfarrer war; den Schulunterricht genoß er am Gymnasium in Mediasch, wo Georg H. von 1713–36 als Stadtpfarrer wirkte. Im J. 1720 in die Oberklassen des Gymnasiums eingetreten, hier zuletzt nach der damaligen Schulordnung als „Orator“ mit an der Spitze des Schülercoetus, bezog er mit einem Paß des kaiserlichen Generals Joseph Wenzel, Fürsten zu Lichtenstein (d. d. Mediasch 16. Aug.) 1726 wahrscheinlich die Hochschule Wittenberg und beschloß seine Universitätsstudien (immatriculirt am 8. October 1729) in Jena, wo damals der in Kronstadt geborene Professor Martin Schmeizel eine, namentlich auf seine Landsleute besonders auf dem Felde der Geschichte überaus anregend wirkende und fördernde Lehrerthätigkeit entwickelte. Von der Hochschule zurückgekehrt diente er von 1730 an als Lehrer am Gymnasium in Mediasch, wurde anfangs 1732 Rector der Anstalt, von der ihn jedoch schon am 21. Februar 1735 die Berufung ins Archidiaconat der Mediascher Pfarrkirche trennte; am 11. März erhielt er von seinem Großvater, dem Superintendenten Lukas Graffius, gerührten Herzens, wie er selbst schreibt, die Ordination zum geistlichen Amte. Wenige Wochen später (24. Aug.) berief ihn die evangelisch-sächsische Gemeinde von Klein-Schelken zu ihrem Pfarrer; von hier ging er durch die Wahl der Stadtgemeinde Mediasch im August 1740 als zweiter Nachfolger in die Stelle seines Vaters, um diesem in derselben Weise nach des Superintendenten Jakob Schunn Tod (10. Juli 1759) als Superintendent und Pfarrer in Birthälm zu folgen. Am 7. Aug. 1759 wählte ihn die geistliche Synode dazu, die seinen Werth um so mehr hatte kennen lernen, da er seit 1750 als Syndicus, d. i. Schriftführer, derselben in schwierigsten Angelegenheiten erfolgreich thätig an seines Vorgängers Seite gestanden. Als Superintendent starb H. am 9. März 1777. Die Manneskraft und volle Wirksamkeit Haner’s an der Spitze der evangelischen Kirche Siebenbürgens fällt in jene Jahre, da der moderne Staatsgedanke mit seinem Anspruch auf Allgewalt, gefördert durch die edle Persönlichkeit und die milderen Formen Maria Theresia’s, in der österreichischen Monarchie zuerst bedeutsamere Geltung errang. In diesem Uebergang zu neuen Lebensgestaltungen war aber kaum ein Glied des Staates so vielfachen zerstörungslustigen Angriffen ausgesetzt, als die sächsische Nation und ihre evangelische Kirche. Ihr fehlte im Lande der adeligen Vorrechte der mit diesen begabte einflußreiche Stand, – sie umschloß wesentlich ein rein bürgerliches Volk; dem mit erneuerter Siegeszuversicht gern über die gewöhnliche Gesetzesachtung sich hinübersetzenden Romanismus galt sie als abtrünniger, mit allen Waffen zu bekämpfender Gegner; daß sie endlich nach Sprache, Sitte, Wissenschaft und jeder Lebensordnung ein Zweig vom Baum des deutschen Stammes, entfremdete ihr Herzen selbst in jenen Kreisen, die sonst nach dem Gesetz der Interessengemeinschaft volle Theilnahme für ihr Recht gehabt haben würden. Nur an der Kaiserin hatte dieses den immer starken Schutz, wenn es ihm gelang sich den ungetrübten Durchgang bis zum Thron, bis vor ihr hellblickendes Auge, vor ihre, bei aller Hingebung an die eigene Kirche doch immer wache Gewissenhaftigkeit vor jedem Recht zu erkämpfen. So ist Haner’s Amtswaltung ein ununterbrochenes Streiten für seine Kirche, seines Volkes gutes altes Recht fast nach allen Richtungen. Dazu war er allerdings in vorzüglicher Weise ausgerüstet mit den Waffen der Wissenschaft, hierin ebenbürtig seinem großen Mitkämpfer und Volksgenossen S. v. Brukenthal (s. d. Biogr. III, 395). Doch bewiesen sich diese gegen ein Ziel der damaligen Staatswaltung nahezu machtlos. Diese identificirte sich mit der römisch-katholischen Kirche, setzte Macht und Ehrenstellen als Preis des Uebertrittes in ihre Mitte und verfolgte gegen das unzweifelhafte Landesgesetz nach dem Hofdecret vom 19. August 1751 und [509] 1. August 1768 den „Abfall“ von ihr mit den Strafen des Meineides, Gefängniß, Aemterverlust. Als (8. October 1751) der Befehl vom Hof erging, daß alle Rathsstellen und bedeutendern Aemter in den sächsischen Städten, wiewol sie durch Wahl bestellt wurden, zur Hälfte mit Gliedern der dort erst vor Kurzem mit Hülfe der commandirenden Generale wieder ins Leben gerufenen römisch-katholischen Kirche besetzt werden müßten, mußte H. bekümmert sehen, wie mehr als ein Sohn altevangelischer Häuser – wenn auch im Ganzen doch nur wenige und wenig würdige – der starken Versuchung erlag, ja selbst einzelne „Convertiten“ aus dem geistlichen Amt seiner Kirche auf diesem Wege rasch – allerdings wie die Folge lehrte, für ihre Familien nie auf die Dauer – zu Wohlstand und Machtübung kamen. Dem deutschen Bürgerthum des Landes aber hat dieser Versuch einer Gegenreformation in seiner zersetzenden Wirkung überaus tiefe Wunden geschlagen. Ein Mittel hiegegen erkannte H. mit ernstem Blick in der geistig-sittlichen Belebung und innerlichen Kräftigung der Kirche und ihrer Schule. Darum rief er die Kirchenvisitationen wieder ins Leben, die, wiewol in der „Kirchenordnung allen Deutschen in Siebenbürgen“ so ernst anbefohlen, seit fast einem Jahrhundert durch die Ungunst der Zeit unterblieben waren. Nun wurden sie von 1761 an wieder gehalten; die alten, ursprünglich aus dem J. 1577 stammenden Visitationsartikel arbeitete H. dem Bedürfniß der Zeit entsprechend um. Diesem Streben kam fördernd die Anordnung der Kaiserin entgegen, die unter dem 5. Juni 1762 eine allgemeine, von den betreffenden Kirchen zu vollziehende Visitation aller Schulen im Lande und Berichterstattung darüber verfügte; H. nahm sie selbst im Burzenländer und Bistritzer Kapitel vor. Die Folgen waren jedoch zunächst ungeahnte. Mit Rescript vom 24. Aug. 1764 an das Oberconsistorium der evangelischen (und reformirten) Kirche in Siebenbürgen verbot Maria Theresia den Studirenden dieser für die Zukunft den Besuch ausländischer Hochschulen, da sie aus dem Bericht über den Stand der heimischen Schulen und den Plänen zu ihrer Hebung ersehen habe, daß man sich auch im Vaterland entsprechend bilden könne, und andere Staaten ihren Ländern gegenüber gleichfalls dasselbe verfügt hätten. Gleichzeitig sprach die Kaiserin ihre Neigung aus, für die „akatholische Jugend“ Ungarns und Siebenbürgens eine Universität in Siebenbürgen zu errichten und trug dem königlichen Gubernium auf, daß es „nach seiner Weisheit und Autorität“ „die Helvetischen und Augsburgischen Confessions-Verwandten“ zur Beschaffung der erforderlichen Mittel hiezu bestimme. Doch die mit erschütterndem Ernst sprechende Vorstellung der beiden Kirchen vom 11. October 1764 gegen das Verbot, das ebenso ungesetzlich sei, als es der protestantischen Kirche im Lande die Wurzeln ihres Bestandes unterbinde, bestimmte den Hof (Gub.-Decret vom 14. März 1771), denjenigen auch weiter den Besuch der ausländischen Hochschulen zu gestatten, die sich für kirchliche Aemter vorbereiteten, während nach drei Jahren Niemandem ein Civilamt übertragen werden dürfe, der seine Studien nicht in „den Erbländern“ gemacht. Die Errichtung einer „akatholischen“ Universität in Siebenbürgen aber scheiterte namentlich auch an dem heftigen Widerwillen des römisch-katholischen Bischofs Bajtay, der in seinem (1766) an die Kaiserin erstatteten Gutachten schon „vom Namen allein entsetzet“ darin „den größten und vielleicht gefährlichsten Stoß der wahren Religion“ sah. Zu den schwersten Sorgen Haner’s gehörten die immer wiederkehrenden, nie müden Angriffe des königlichen Fiscus auf den Zehntbezug der evangelischen Pfarrgeistlichkeit in den berüchtigten „Fiscalprocessen“ (A. D. Biogr. II, 389); er ist in erster Reihe für das gute Recht seiner Kirche und seiner Nation mit den Waffen der Wissenschaft eingestanden. Als 1747 das Burzenländer, Bistritzer und Mediascher Capitel in ihrem Zehntbezug zuerst ernst angegriffen wurden, klärte seine Abhandlung: [510] „Fundamenta juris, quo clerus Saxonicus ex fundo Saxonico decimas percipiendas habuit“ die Synode über das große Recht auf, dessen Erhaltung eine Lebensbedingung der Kirche war. Wie darauf 1751 der Fiscaldirector im Brooser Capitel den Zehnten, den die griechisch-orientalischen Walachen den sächsischen Pfarrern nach dem Gesetz zu entrichten hatten, in Anspruch nahm, wandte H., durch seine „Fundamenta juris pastorum in Transsilvania Saxonicorum in decimas incolarum fundi regii Valachicorum“ die dem Eigenthumsrecht der ganzen Kirche in jenem Versuch drohende Gefahr ab. Als 1752 das Urtheil des Productionalforums vom 26. September dem Burzenländer Capitel drei Zehntquarten ab- und dem Fiscus zusprach, schrieb H. seine „Assertiones quaedam de privilegio Saxonum Transsilvanorum nationali deque decimis eorundem“ und fügte dazu, als er die Behauptungen des Fiscus aus den Transmissionalien hatte kennen lernen, seine „Observationes ad defendendam causam capituli Barcensis decimalem necessarias“, woraus Sam. v. Brukenthal, damals in Wien, die Vorstellung schrieb, die die Kaiserin Maria Theresia bestimmte, den Proceß zu neuer Untersuchung herabzusenden. Der Raum gestattet hier nicht, alle weiteren, oft sehr umfangreichen rechtsgeschichtlichen Arbeiten Haner’s – es sind nicht weniger als 18 – aufzuführen, die die immer erneuerten Angriffe des Fiscus zurückweisen sollten; sie zeugen alle von eben so großem Ernst der Studien als unwandelbarer Treue für das Recht; im J. 1772/3 war er wegen des Processes um „den kleinen Zehnten“ persönlich in Wien und vor den Stufen des Thrones; sein umsichtiges Auftreten hatte zur Folge, daß die Allerhöchste Entscheidung vom 16. Juni 1773 dem Fiscus den angesprochenen Bezug nicht zuerkannte, sondern gleichfalls neue Untersuchung verfügte. Auch im Proceß um „den großen Zehnten“ geschah durch die Entscheidung vom 16. December 1777 dasselbe; das Endurtheil fiel erst 12 Jahre später (29. October 1789) im Wesentlichen zu Gunsten der evangelischen Kirche. Auch andere Angriffe auf ihr altes, in Gesetzen und Staatsverträgen verbrieftes Recht blieben dieser in der absolutistisch-jesuitischen Strömung jener Zeit nicht erspart; zu besonders schwerem, doch fruchtlosem Kampf sah sich H. und mit ihm zum Theil auch die Oberbehörde der Kirche gezwungen, als das Hofdecret vom 4. Mai 1764 das Recht der Dispensation zur Eheschließung in verbotenen Graden den „akatholischen Religionen“ absprach und gegen das Gesetz sowie jahrhundertalte Uebung für die Krone in Anspruch nahm. Daß gleichzeitig Herrnhuterische Sectenbildung in einzelnen Gemeinden ihr Haupt erhob, vermehrte des Superintendenten Sorge und Arbeit; in seinen „christlichen Gedanken von den Herrnhutern“ und im „chronologischen Verzeichniß derer für und wider die Zinzendorfianer herausgekommenen Schriften“ hat er die Sache „den Wächtern der reineren Lehre“ ans Herz gelegt. Bei solcher Lage der Dinge litt die evangelische Kirche schwer an dem Mangel einer einheitlichen Oberbehörde; denn die höchste Gewalt in kirchlichen Angelegenheiten lag nach dem damaligen Recht zum Theil in der „weltlichen Universität“, den gewählten politischen Vertretern der sächsischen Nation, zum Theil in der „geistlichen Universität“, der Synode, die in wichtigeren Fällen sich durch Zuschriften oder Botschaften einigten, nicht selten durch kleine Eifersucht der beiden Stände böse getrennt. Nun aber bedurfte man gegen die immer ungescheuter auftretende römische Propaganda der Kraft geeinigten Widerstandes. Seit in den Räthen der Städte und Stühle das kirchliche Renegatenthum vorzugsweise Beförderung erhielt und das politische Amt zugleich als gesetzlichen Titel der Einflußnahme in evangelische Kirchen- und Schulangelegenheiten gebrauchen wollte, mußte man ernst an die Schaffung eines neuen rein kirchlichen Organes denken, das nicht in politischen Rathssitzungen über kirchliche Dinge beschloß. So entwarf H. noch als Syndicus 1752 einen „unmaßgeblichen Vorschlag, wie ein [511] evangelisches Consistorium eingerichtet werden könne“; auf dem Grund, den er gezeichnet, tritt es, die evangelischen Gubernialräthe und Oberbeamten der sächsischen Nation einerseits, andererseits den Superintendenten mit den Dechanten und Vertretern der bedeutenderen Capitel umfassend, am 3. April 1753 in Hermannstadt zuerst zusammen, gibt sich 1754 eine, 1766 revidirte Verfassung und ist seitdem unter Haner’s fortwährender fördernder Mitwirkung in überaus ersprießlicher Thätigkeit. Diese vielseitige Wirksamkeit Haner’s ging Hand in Hand mit unermüdeter wissenschaftlicher Arbeit, wie jene denn wesentlich in dem Boden dieser wurzelte. Mit dem Sammlerfleiß seines Vaters und begünstigt durch seine amtliche Stellung hat er in mehr als 20 schön geschriebenen Quartanten eine erstaunlich große Zahl von werthvollsten Urkunden und Acten – manche derselben sind heute noch schwer zugänglich oder verloren – zusammengetragen und seltene alte Handschriften und Drucke gerettet. Ein besonderes Verdienst liegt in der Sammlung der siebenbürgischen Landtagsbeschlüsse – articuli diaetales von 1540 an – die er, in zwei mächtigen Folianten meist seiner eigenen klaren Handschrift, zum großen Theil aus den Originalien für den Gebrauch der geistlichen Universität besorgte. Von seinen zahlreichen Arbeiten sind gedruckt: „De scriptoribus rerum Hungaricarum & Transsilvanicarum, scriptisque eorundem ordine chronologico digestis adversaria“. Bd. I, Viennae 1774, Bd. II, Cibinii 1798, ein Werk, zu dem die Forschung heute noch zurückgreift; dann: „Das königliche Siebenbürgen“, Erlangen 1763, in einfacher klarer Anordnung die Geschichte dieses Landes von Stephan I. bis 1540 enthaltend, allerdings nach dem Stand der Wissenschaft jener Zeit viel von Krieg, wenig aus der inneren Entwickelung, hierbei aber die sächsische Nation berücksichtigend, mit Anfängen von Verwerthung ihres Urkundenschatzes und im Ganzen nicht ohne Quellenkritik. Die reichen Sammlungen Haner’s bilden gegenwärtig einen Bestandtheil der Bibliothek der evangelischen Landeskirche A. B. in Hermannstadt.
Haner: Georg Jeremias H.,