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ADB:Hallmann, Johann Christian

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Artikel „Hallmann, Johann Christian“ von Erich Schmidt in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 10 (1879), S. 444–447, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Hallmann,_Johann_Christian&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 06:52 Uhr UTC)
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Hallmann: Johann Christian H. aus Breslau, Dramatiker. Geboren etwa 1640–45, besuchte er das Magdalenengymnasium seiner Vaterstadt, studirte von 1663–66 in Jena und disputirte daselbst de privilegiis militium. Zu seinen Vorfahren zählen fürstlich Liegnitz-Brieg’sche Räthe; war Wohlstand und Ansehen in Folge des Krieges geschwunden? Denn von den späteren Breslauer Jahren des amtlosen Dichters wird berichtet: „weil ihm das Glück nicht fügen wollte, suchte er sich und seine Familie mit Comödienspielen zu erhalten.“ Die Hoffnung durch den Uebertritt zum Katholicismus sein Glück zu machen betrog ihn, „denn er verlohr seine Patrone und Gönner, und starb endlich in höchster Armuth zu Breslau an. 1704.“ Vgl. Gottlieb Stolle, Anleitung zur Historie der Gelahrtheit, Jena 1736 S. 201. Er war der classischen Sprachen, sowie des Französischen und Italienischen kundig, auch ein gewandter Redner, nur gemäß dem Modestil „allzu poetisch und affectiret“. Neumeister nennt ihn grandiloquus usque ad vitium. Der nüchterne Chr. Gryphius ärgerte sich z. B. über Hallmann’s falsche Bezeichnung der Donau als „Europens Palisade“. Die gelehrte Kritik fand dann bei ihm mehr schöne Worte als Realia, und kein judicium in seiner Sprache. „Die Erfindung und die Einrichtung seiner Schauspiele sind nicht uneben, aber er ist zu verschwenderisch mit dem Golde, Alabaster [445] und Edelgesteinen. Er bauet sogar diamantene Zimmer, und indem er gar zu hoch steigen will, fällt er offt allzutief wieder herunter.“ Der schlesische Chronist F. Lucae rühmt ihn.

Seine Dichtungen erschienen in Breslau einzeln seit 1667; die undatirte Gesammtausgabe der „Trauer-, Freuden- und Schäffer-Spiele nebst einer Beschreibung aller obristen Hertzoge über das gantze Land Schlesien“ (Breslau, J. Fellgibel) setzt Stolle in das J. 1672. Die Titel der einzelnen Stücke gibt Goedeke, Grdr. S. 488 f. genauer an. Theilweise für Feste geschaffen, sind sie voll bettelhafter Schmeichelei und die nicht dramatischen „Schlesischen Adlersflügel“ feiern alle schlesischen Herrscher bis zu Kaiser Leopold überschwänglich in Versen und Prosa. Als Schüler der hochmüthigen zweiten Schlesier scheidet er die „ehrliebenden und gelehrten“ Dramatiker von den „plebejischen und herumschweiffenden personen“, also den verachteten poetae laureati und Gelegenheitsdichtern der Zeit, und stellt wie Gryphius und Lohenstein seine Dramen als aus ernsten historischen Studien erwachsen hin. Er geht von den genannten Landsleuten, von Seneca und den Italienern aus, deren „sinnreiche Erfindungen“ er in Uebereinstimmung mit Hoffmannswaldau rühmt. Die Lieblingsgattungen der Höfe, Ballet, Schäferei, Oper wirken auf ihn noch viel übermächtiger, als auf die vorausgehenden oder gleichzeitigen Kunstdramatiker ein. Das gibt ihm seine litterarhistorische Stellung.

„Adelheid“ und „Heraclius“ sind nur Uebersetzungen aus dem Italienischen, ersteres ein tragikomischer Liebeshandel hoher Personen im echten Stilo concettoso, das andere (in Prosa!) eine der vielen Tyrannentragödien mit dem üblichen Apparat: Gefängniß, Feuer, Mord, Geister. Im „Antiochus“ benutzt er wenigstens die „wolgesetzte Liebesbeschreibung“ Assarinis.

Zwei „pastoralische Erfindungen“, „Adonis und Rosibella“ (1750 in Augsburg wiederholt!) und „Urania“ mischen Guarini’sche Elemente mit rein opernhaften und Gryph’schen: das Motiv des verliebten Gespenstes und des Scheintodes; oder darf man wegen unverkennbarer Aehnlichkeit im Einzelnen an das Vorbild eines „Romio und Julieta“ denken? H. bringt, um zu wirken, möglichst viel und vielerlei: Musik und Tanz, sogar ein Stück im Stück, ein Singspiel (Dido) im Pastorale und „höchst lamentirliche“ Ballets, schäferliche Liebeswerbungen, Jagdscenen, Anakreontisches, lange akademische Reden, Allegorien, Rasescenen und derbe Bauernintermezzi im schlesischen Dialect (vgl. Gryphius, Die geliebte Dornrose). Er hat auch die lustige Person, den Scaramutz. Also ein kleines Compromiß mit der volksmäßigen Dramatik, aber nur für diese Schäfereien. Derlei steht im stärksten Gegensatze zu den übrigen verzuckerten, in Tropen und mythologischen, auch historischen Parallelen ausgehenden Reden, deren übermäßige Sinnlichkeit den Hoffmannswaldau überbietet. Der Dialog ist Lohensteinisch, nur viel üppiger.

Seine Tragödien und Tragicomödien zeigen mehr Berührung mit den älteren Kunstdramen aus dem Zeitalter des großen Krieges. „Sophia“ (1671) ist ein Martyrium schlimmster Art. Eine standhaft duldende christliche Glaubensheldin, von Hadrian mit Liebesanträgen verfolgt. Man denke an Gryph’s Katharina und Chach Abas und Aehnliches; nur daß H. nichts von Gryph’s stoischer Ethik weiß. Die Allegorie fehlt nicht (die Töchter Fides, Spes, Charitas). H. führt die duldende englische Königin Katharina vor. So ist „Mariamne“ (1670) die leidende Schönheit in dem gleichnamigen lärmvollen Intriguenstück, das mit all seinen Verschwörungen, Verleumdungen und seiner Tyrannencaricatur nur ein unverkennbares Geschick äußerlicher Mache verräth. Die Tyrannentragödie „Die göttliche Rache oder der verführte Theodoricus Veronensis“, sein schwächstes Werk, läßt die geschlossene Composition noch empfindlicher vermissen, da es nur leeres [446] Gerede und Marterscenen enthält. In einem Mischstück („Trauer-Freuden-Spiel“) „Antiochus und Stratonica“ behandelt H. die bekannte Liebe des Königssohnes zu seiner Stiefmutter, indem er die tragischen Consequenzen spielend verwischt, die unerläßlichen Hinrichtungen nebenher abthut und den Vater Seleucus entsagen läßt. Der historische Stoff ist völlig undramatisch, Hallmann’s Ausführung bei manchen löblichen Scenen sehr uneinheitlich und weitschweifig. Im dritten und vierten Act ist von den Hauptpersonen kaum je die Rede. Man spürt deutlich, daß er im Anschluß an eine erzählende Dichtung gearbeitet hat; und die Haupteffecte der poetischen, jedoch zu matten Liebesgeschichte, wie daß der Arzt an dem beim Eintritt der Stiefmutter wechselnden Pulsschlag des kranken Antiochus die Ursache seiner Krankheit erkennt, sind keine scenischen.

Die Anlage aller Stücke ist schematisch. Stets eine warnende Frauengestalt, ein vordeutender Traum. Die von Lohenstein schon arg übertriebenen Mittel Gryph’s werden von H. übernommen und noch gesteigert. Beim Todtenmahl in der „Sophia“ sieht man drei Gläser voll Blut und die blutigen Häupter der Töchter. Oder Theodoricus erblickt statt eines Fisches das blutige Haupt des Symmachus auf der Schüssel. Hinrichtungen, Kerkerscenen, Geistererscheinungen, Foltergreuel in Menge. „Streut Saltz aufs rohe Fleisch und kützelt sie mit Bürsten“ u. dgl. erinnert an die „Epicharis“. Im „Theodoricus“ erscheinen acht Geister, vier Bischöfe verhungern unter symmetrischen Klagen mit Refrains (2,2) und fluchen natürlich im fünften Acte dem schlafenden Tyrannen, was damals stereotyp ist. Aber H. fügt noch ein „knallendes Feuerwerck“ hinzu.

Solche Wirkungen auf die Sinne hat er der Oper abgelernt. Verkleidungen sind häufig. Hadrian naht sich der Sophia als Schäfer. Die Töchter werden durch Amoretten versucht (heil. Antonius). Ueber dem Haupte der betenden Märtyrerin halten zwei Engel eine diamantene Krone. Geister schweben in der Luft. Zwei Todte tanzen ein „höchst trauriges“ pas de deux. Jeder Sterbende singt eine „höchst lamentirliche“ Aria, wie denn jede Gelegenheit zum Gesang gierig ergriffen wird. Die Christen in den Katakomben klagen chorisch. Die Chöre sind noch mehr als bei Lohenstein zu förmlichen Zwischenspielen ausgewachsen, in deren einem etwa Fleisch, Welt, Tod und Teufel auftreten. Wie in Jesuitendramen singt der Berg Kidron oder die christliche Kirche. Innerhalb des Actes sind die Choreuten thätiger und die Klagescenen, die tutti ausgebildeter. Die „Reyen“ erfordern bei ihm viel größeren Prunk.

Nicht nur darin und in den eingelegten Arien, auch in der ganzen Dialogführung verräth sich das maßlose Uebergewicht der Oper. Gryphius hatte von Seneca etc. Stichomythie und Responsion anzubringen gelernt. H. zählt oft nicht nur die Verse, sondern die einzelnen Worte ab. Manchmal haben neun Alexandriner nach einander dieselbe erste Halbzeile. Oder die zweite bildet die erste des nächsten Verses. Wiederholungen in großer Zahl. Die Schlüsse verlaufen in Vaudevilles, in genau vertheilten correspondirenden Stichomythien, die drei- bis viermal herumgehen und mit tutti enden. Die Alexandriner werden gelegentlich dem von der Oper und dem ganzen sirenenhaften marinescare verweichlichten Ohr zu Liebe durch andere Maße abgelöst.

H. ist ein weitschweifiger und geschmackloser Rhetor, der sich seine effectvollsten Tiraden verdirbt, und gleich Lohenstein, vor dem er einige ursprüngliche Begabung voraus hat, uncharakteristisch überall dieselbe überladene Sprache zeigt. Er benutzt natürlich den angesammelten Tropenvorrath der Zeit. Es ist interessant, für einzelne Ausdrücke, oft auch für ein ausgeführtes Bild die directe Nachahmung italienischer Muster zu verfolgen. Liebesritornelle, wie im „Antiochus“, sind unsinnig schwülstig. Seine Tropen wetteifern mit den Lohenstein’schen, z. B. „Die Sprütze der Vernunft lescht der Begierden Flammen“, „Der [447] Ehre Leib-Standart kehrt sich in einen Molch“, der Schwur: „daß Mariamne nie den Demant-festen Thamm des Eh-Betts überfahre mit geilen Liebes-Wagen“, oder die Umschreibung für „wenn sie nicht etwa schläft“: „wo nur ihr Sinnenschiff auff Morpheus Fluth nicht fähret.“ Alles damals Gewöhnliche auch bei ihm: die Farben, Blumen, Wohlgerüche, Rubin, „der Lefftzen Scharlachkleid“, Marmelschoß; Marcipan, Marmelade, Zucker und zahllose Composita, die stereotypen bitteren Coloquinten (auch Aloe), der kühlende Julep, die Bilder von Donnerknall und Blitz. Das Böse als „Gift“; dies Gift hat immer einen grünen Schaum. Zur Bezeichnung des Lebensendes braucht er stets Verbindungen mit „Lebensgarn“ und „Lebensdraht“, besonders auch den „Sterbekittel“; Lebende tragen den „Unschuldsrock“, den „Ehrenrock.“ Das „Uhrwerck“ spielt eine große Rolle. Manches davon ist ihm eigenthümlicher und bei anderen seltener zu belegen.