ADB:Gwalther, Rudolf
Bullinger’s (s. d.) gewann, der als Lehrer daselbst, dann als Antistes in Zürich, wo er G. in sein Haus aufnahm, in jeder Hinsicht väterlich für ihn sorgte. In Zürich, in einem Aufenthalte in England, wohin er 1537 einen vornehmen Britten begleitete, in Lausanne, Basel, Tübingen und Marburg erwarb sich G. eine gründliche philologische und theologische Bildung, wurde vom Landgraf Philipp von Hessen unter die Zahl hessischer Theologen aufgenommen, die 1541 an den Verhandlungen am Reichstage in Regensburg theilnahmen, und trat so schon frühe in werthvolle persönliche Beziehungen mit Männern von Einfluß und Bedeutung. Heimgekehrt, widmete er sich, nach seiner Bestimmung, dem Dienste der zürcherischen Kirche. Nachdem er kurze Zeit eine untergeordnete Pfarrstelle zugleich mit einem Schulamte bekleidet hatte, ward er 1542 Nachfolger von Leo Judä im Pfarramte der großen Gemeinde zu St. Peter in Zürich. Zeitgenosse, Freund und Mitarbeiter von Zwingli, hatte Leo Judä nach dem Tode des Reformators demselben das innigste Andenken bewahrt. Auch G. machte ein besonderes Band persönlicher Beziehung Zwingli’s Andenken besonders theuer; Zwingli’s Tochter Regula, einst, gleich ihm, in Bullinger’s Haus und Familie aufgenommen und erzogen, ward seine Gattin. Als vorzüglicher Prediger und auch als Schriftsteller sich auszeichnend, vermöge seines Amtes an der Leitung der kirchlichen Angelegenheiten unter Bullinger nahe betheiligt, in innigem Einverständniß mit letzterem, war er, als Bullinger 1575 starb, der natürlich bezeichnete Nachfolger desselben, wie es Bullinger selbst in seinem Testamente an die Obrigkeit aussprach. So trat G. durch einmüthige Berufung des Rathes an die Spitze der zürcherischen Kirche, als dritter Antistes derselben. In einer schwierigen Zeit, in welcher der Einfluß der grausen französischen Religionskriege auch in der mit Frankreich so vielfach verbundenen Schweiz den Gegensatz der Confessionen aufs äußerste mehrte und schärfte, in der protestantischen Geistlichkeit und in den einflußreichen Ständen überhaupt manche sittliche Schäden herrschten und daneben ein Geist aufkam, der mehr in äußeren Formeln, als in innerlicher Frömmigkeit Heil suchte, führte G. mit rühmlicher Einsicht, Festigkeit und Klugheit das ihm anvertraute Steuer ein Jahrzehnt hindurch. [240] Aber 1585 nöthigte ihn plötzlicher Verlust der Geisteskräfte zum Rücktritt; ein Jahr später starb er, gänzlich kindisch geworden. – Ungemein fruchtbar war Gwalther’s schriftstellerische Thätigkeit. Man besitzt von ihm philologische und poetische Arbeiten, meist aus der früheren Zeit seiner Laufbahn, Uebersetzungen einzelner Theile der hl. Schrift und theologischer Werke Verschiedener, vorzüglich aber Predigten und Homilien. Eine nahezu vollständige Aufzählung seiner Schriften siehe bei: Hottinger, Joh. Heinrich, Schola Tigurinorum carolina, Tiguri, 1664 (App. p. 115); Ergänzungen im Catalog der Stadtbibliothek in Zürich; Zürich 1864 (II. 492). Unter den philologischen Schriften erlebte eine Metrik: „De syllabarum et carminum ratione“ drei Auflagen, Tiguri 1545, 1554 und 1575. Unter den Uebersetzungen sind eine deutsche des Neuen Testamentes und eine solche des Pentateuchs, insbesondere aber Uebersetzungen von den deutschen Schriften Zwingli’s für die lateinische Ausgabe von Zwingli’s gesammelten Werken durch die Zürchertheologen (Tiguri 1544 und 1545) zu nennen. Eine Apologie Zwingli’s und dieser Sammlung seiner Werke ist von G. verfaßt und steht der letzteren voran, erschien aber auch in besonderem Drucke. Predigten und Homilien von G., deutsch und lateinisch, fast alle Theile der hl. Schrift berührend, erschienen von 1546 an bis 1585 beinahe alljährlich. Nach Gwalther’s Tode publicirten Simler und Wolf auch eine Sammlung von Auszügen derselben („Archetypi homiliarum“). Das größte Aufsehen erregten und die ausgedehnteste Verbreitung fanden fünf Predigten über den „Endtchrist“ (Antichrist), in welchen 1546 das Papstthum nachdrücklich bekämpfte. Sie erschienen nicht nur aus seiner eigenen Feder in Deutsch und Lateinisch, sondern fanden Uebersetzung ins Französische, Italienische, Spanische, ins Englische und Polnische. Sie zogen G. heftige Vorwürfe von Seite der Regierungen der katholischen Schweizercantone zu, die bei Zürich Klage führten, und persönliche Nachstellungen, dem allem er übrigens muthig und unerschrocken begegnete. Eine historische Arbeit Gwalther’s aus früher Zeit, 1538, betitelt: „De Helvetiae origine, successu, incremento etc.“, blieb Manuscript.
Gwalther: Rudolf G., Antistes in Zürich; † am 25. Decbr. 1586. – Geboren am 9. November 1519, postumus, aus einer unbemittelten zürcherischen Familie, zeichnete sich G. schon als Knabe so aus, daß er 1528 Aufnahme in die obrigkeitliche Schule für künftige Studirende in Capell fand und die warme Zuneigung- S. Hottinger’s angeführtes Werk. – Zürcher Neujahrsblatt von der Chorherrenstube für das J. 1829. – Zimmermann, G. R., Die Zürcher Kirche, nach der Reihenfolge der Z. Antistes geschildert, 1. Heft, Zürich 1877.