ADB:Gries, Johann
Johann Dietrich G. Ein mit Verstand, Geist und Witz, mit manchen Talenten, auch mit dem für neuere Sprachen, reich begabter, genialer Mann, dessen staatsmännisches Leben gewiß noch segensreicher gewirkt haben würde, wenn er es auch verstanden hätte, seiner Gedankenfülle die ausdauernde Thatkraft folgen zu lassen. Wohl ausgerüstet mit vielseitiger Vorbildung studirte er die Rechtswissenschaft zu Göttingen, erlangte daselbst im J. 1795 die Doctorwürde, und [657] kehrte nach längeren Reisen in die Vaterstadt zurück. Hier wurde ihm bald darauf ein richterliches Ehrenamt übertragen, in dessen Ausübung er Erfahrungen sammelte, welche ihn veranlaßten, in einer kleinen Druckschrift für die Nothwendigkeit der Errichtung eigener Handelsgerichte öffentlich aufzutreten. Eine Reise nach Paris im Jahre 1799 benutzte er, um dort Verbindungen mit hochgestellten Männern anzuknüpfen, welche später ihm persönlich wie seiner Vaterstadt sehr nützlich wurden. – Schon im J. 1800 wurde er zum Syndicus erwählt und war als solcher ein einflußreiches Mitglied des Senats, indem nach damaliger Verfassung die 4 Syndici Hamburgs mit der Leitung aller wichtigeren Staatsgeschäfte, namentlich der hanseatischen, Reichs- und auswärtigen Angelegenheiten betraut waren, den Verkehr mit den hier accreditirten fremden Gesandten unterhalten und wichtige Missionen selbst übernehmen mußten. Kaum war jemals für diese ehrenvolle aber auch stark in Anspruch nehmende Stellung eine so schwierige, dornenvolle, alle geistigen Kräfte des Staatsmanns in steter Anspannung haltende Periode gekommen, als die um 1800, da G. in die Geschäfte eintrat. Es drohten damals dem alten Hamburg der gefährlichen Conflicte, nicht nur mit Frankreich, sondern mit fast allen europäischen Mächten so viele, sogar gleichzeitige, daß in der That ein besonderes diplomatisches Geschick dazu gehörte, um sich mit kleinen, anmuthend dargebrachten Opfern glücklich hindurch zu winden. Dazu kamen die durch Auflösung des Reichsverbandes völlig veränderten internationalen Verhältnisse der Hansestädte, welche nun plötzlich zur Souveränität gelangt waren. In diesen oft zum Verzweifeln verwickelten und Hamburgs Selbständigkeit erschütternden Zuständen zeigte sich G. trotz seiner Jugend als gewandter Diplomat, der in schriftlichen Noten, wie in mündlicher Rede stets den richtigen Ton traf, und auch die Gabe des Witzes am rechten Orte mit Erfolg zu verwenden wußte. – Während der französischen Annectirung Hamburgs fand G. in seiner neuen Stellung als Generalsecretär der Präfectur, vielfache Gelegenheit, der Vaterstadt und den Mitbürgern zu nützen, hier größeren Schaden abzuwenden, den Druck zu mildern, dort zu vermitteln und Gutes anzubahnen. – Im Frühjahr 1813 von dem freigewordenen Hamburg mit einer Mission an den Kronprinzen von Schweden betraut, mußte er fast 12 Monate im Exil verweilen, da inzwischen die französische Herrschaft in Hamburg wieder eingezogen war, und neben anderen Ehrenmännern auch ihn proscribirt hatte. – Sofort nach der endlichen Befreiung der Stadt im Mai 1814 übernahm G. wieder sein Syndicat, und damit eine Reihe von Gesandtschaften, die ihn bis an sein Lebensende von Hamburg fern gehalten haben. Zuerst in Paris die Hamburgischen Reclamationsangelegenheiten betreibend, wurde er dann zum Congreß nach Wien gesandt, worauf er, bei Eröffnung des deutschen Bundestags zum hamburgischen Gesandten bei demselben ernannt, fortan beständig diesen Posten bekleidete. Hier in Frankfurt führte er, fern von der Heimath, den Geschwistern und Jugendfreunden, ein innerlich vereinsamtes Junggesellendasein, – äußerlich aber im regsten Verkehr mit den Notabilitäten der dortigen Kreise, wie der gelehrten, schöngeistigen, schriftstellernden Welt; geliebt wol nur von den wenigen in der Heimath, – gekannt, geehrt von vielen, die jedes Wort seines geistreichen Witzes beifällig vernahmen und weiter trugen, – vielleicht auch gefürchtet von manchen wegen seiner zunehmend scharfen Satire, welche er aber in unbefangenster Selbstironie auch gegen sich selbst richtete. Kränklichkeit lähmte seine Thätigkeit und ließ ihn bequem erscheinen; seine letzten Lebensjahre verflossen unter den schmerzhaftesten Gichtleiden, gegen welche seine sommerlichen Badereisen keine Hülfe brachten. Er starb den 12. April 1827. Erst nach seinem Tode kamen viele verborgen gebliebene Beispiele der Großmuth und Wohlthätigkeit des weichen Gemüthes dieses für herzlos gehaltenen greisen Diplomaten zur Kunde. Erst [658] damals erkannten auch Fernerstehende, daß ein seinem Charakter eigenthümlicher Hang: das Gute in ihm zu verhüllen und sich selbst in ein ungünstiges Licht zu stellen, – so manche unrichtige Beurtheilung des seltsamen Mannes veranlaßt hatte, und daß, wie so viel Räthselhaftes in seinem Wesen, so auch sein herber Humor, vielleicht schon in früherer Zeit aus den geheimen Leiden einer unerwiederten Jugendliebe entstanden sein mochte. – Johann Ludwig G., der ältere Bruder des obigen, geb. am 23. Jan. 1770, Dr. der Rechte in Göttingen 1792, Advocat in Hamburg, gest. am 29. Octbr. 1828, hat außer einer Dissertation und einigen Gelegenheitsschriften ein „Hamburgisches Staats- und Privatrecht in Beziehung auf Hamburgs Handel“ (nur ein erster Theil, 1795 erschienen) verfaßt. Ihm folgte von drei Brüdern der obengenannte Joh. Michael; diesem Johann Dietrich (s. u.). Der jüngste Johann Karl, geb. am 9. Febr. 1778, Dr. der Rechte in Göttingen 1805, Advocat, dann Richter, zuletzt Präses des Niedergerichtes in Hamburg, gest. am 27. Mai 1824; ein trefflicher Jurist, der u. A. einen sehr brauchbaren Commentar zum Hamburger Stadtrecht von 1603 verfaßte, herausgegeben nach seinem Tode in 2 Bänden von Dr. N. A. Westphalen 1837.
Gries: Johann Michael G., Dr. der Rechte, hamburgischer Syndicus und Diplomat, geb. in Hamburg den 22. Juli 1772, älterer Bruder des Dichters- Neuer Nekrolog der Deutschen, 1827. Thl. I, S. 386–391. Hamb. Schriftsteller-Lexikon II, S. 596–598.