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ADB:Grautoff, Ferdinand Heinrich

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Artikel „Grautoff, Ferd. Heinr.“ von Wilhelm Mantels in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 9 (1879), S. 610–612, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Grautoff,_Ferdinand_Heinrich&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 07:13 Uhr UTC)
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Grautoff: Ferd. Heinr. G., geb. zu Kirchwärder in den Vierlanden am 27. Mai 1789, gest. zu Israelsdorf bei Lübeck am 14. Juli 1832. G. stammte aus einer holsteinischen nach Lübeck eingewanderten Familie. Sein Großvater war Diaconus an der Marienkirche zu Lübeck, sein Vater Pastor zu Kirchwärder, seit 1793 Diaconus an der Katharinenkirche in Hamburg. Auf dem Johanneum unter Gurlitt seit 1804 vorgebildet, bezog G. nach einjährigem Besuch des akademischen Gymnasiums zu Hamburg 1810 die Universität Leipzig, auf welcher er bis 1815 Theologie studirte. Nur ein Semester verweilte er dazwischen 1814 in Berlin, hauptsächlich um Schleiermacher zu hören. In Leipzig ward er ein beliebter Kanzelredner, welchem man namentlich gründliche Textauslegung nachrühmte. Er betrieb daneben eifrig sprachliche und philosophische Studien und widmete sich schon damals der geschichtlichen Quellenforschung. Als Augenzeuge verfolgte er den Kampf um Leipzig 1813, über welchen ein ausführliches Tagebuch in seinen „Historischen Schriften“ gedruckt ist. G. hatte am Geburtsorte seiner Mutter, zu Baruth in der Mark, die Gräfin Solms-Laubach kennen lernen. Als Instructor ihres Sohnes durfte er den Universitätsbesuch über die ihm sonst verstattete Frist hinaus verlängern. Der nach den Schlachttagen in Leipzig ausbrechende Hospitaltyphus vertrieb ihn und den Grafen nach [611] Baruth. Auch hieher drang das Fieber. Bei der Pflege des Arztes, seines Freundes, erkrankte G. Er genas zwar, aber der Keim zu seinen späteren Körperleiden blieb zurück. Zu Wittenberg promovirt, ließ G. sich 1815 in Lübeck als Candidat der Theologie nieder. Er predigte und unterrichtete, letzteres seit 1816 auch am Catharineum, zu dessen Collaborator er 1817, 1819 zum Professor und Stadtbibliothekar ernannt ward. Als Lehrer erfreute er sich der allgemeinen Hingebung und Hochachtung seiner Schüler, die zunächst von seinem anregenden Unterricht gewonnen wurden. Auf gründliche Kenntnisse sich stützend, fesselte dieser durch Geist und Humor. Eindringlich, aber schlicht und von selbstloser Frömmigkeit durchweht war sein Religionsunterricht, namentlich der nach damaligem Brauche noch den Confirmanden in der Schule ertheilte. Seine Hauptfächer in Prima waren Hebräisch, Deutsch, Mathematik, Geographie und (in Folge von Anciennitätsverhältnissen) erst in späteren Jahren Geschichte, daneben alte Sprachen u. a. auf den nächsten Unterrichtsstufen. Die Stadtbibliothek hatte während der französischen Zeit, mehr noch im überwältigenden Drang der Befreiungsjahre so gut wie brach gelegen. Einreihung großer Bestände, zweckmäßigere Anordnung, Anlage systematischer Cataloge schafften reichliche Arbeit. Dazu machte nach langer Pause erst G. wieder die handschriftlichen u. a. Schätze der Bibliothek Fremden und Einheimischen bekannt und zugänglich. Neben der Besorgung beider Aemter fand G. bei seiner musterhaften Ordnung und gewissenhaften Zeitausnutzung Muße, um in seinen Lieblingsfächern, der Geographie und Geschichte, die Arbeiten zu liefern, welche seinen Namen in weiteren Kreisen bekannt gemacht haben. Seine „Geographischen Tabellen“, 1832, wiederholt aufgelegt, sind noch im Gebrauch, obschon die Methode der Lehrbücher eine andere geworden ist. Seine historischen Studien aber concentrirten sich allmählich auf die Quellenforschung der Geschichte Lübecks. G. ward von der Bewegung ergriffen, welche ihren Ausdruck in der Stiftung der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde, in der Herausgabe der Monumenta Germ. hist. und der ganzen Neubegründung aller historischen Forschung fand. Er stand mit den Leitern dieser Unternehmungen in Verbindung und übertrug die maßgebenden Grundsätze auf Lübecks Geschichte, deren erster kritischer Bearbeiter er geworden ist. Indem er die Resultate seiner Studien in Vorlesungen und Gelegenheitsschriften zunächst dem heimischen Publicum bekannt machte, belebte er den Sinn für die Geschichte der Vaterstadt, manche Abhandlung griff über die Grenze derselben hinaus. Von unschätzbarem Werthe für die Geschichte Norddeutschlands und des Nordens überhaupt ward die Ausgabe der „Lübeckischen Chroniken in niederdeutscher Sprache“, 2 Bde. 1829, welche unvollendet blieb – sie geht nur bis 1485 – aber auch so die Geschichtschreibung der betreffenden Jahrhunderte völlig umgestaltete. Gleichfalls unvollendet blieb Grautoff’s hinterlassenes Werk „Geschichte des Lübeckischen Münzfußes“, denn es erstreckt sich nur bis zum Jahre 1463. Je seltener sich in Einem Manne der Historiker und Sprachforscher mit dem praktischen Rechner verbunden findet, desto schätzenswerther ist auch dies Bruchstück, zumal der Lüb. Münzfuß, wie bekannt im Mittelalter weit über die Stadt Lübeck hinaus, so zu sagen der Normalfuß war. Mit Münzforschungen, auch anderer Länder, hatte sich G. aber schon früh beschäftigt. Diese reiche Thätigkeit ward in den letzten Lebensjahren unter schweren körperlichen Leiden fortgesetzt, nervösen Fiebern und gastrischen Beschwerden. Landluft und Seebad sollten helfen, eine Reise nach England 1830 brachte sichtlich Erholung. Aber seit dem Herbste 1831 entwickelte sich, auch in Folge von Ueberanstrengung bei der erwähnten Münzarbeit, eine Krankheit der Bauchnerven, an welcher der eben 43 Jahre alte Mann verschied, kurz nach der Geburt seines jüngsten Sohnes, welcher noch als Buchhändler in Lübeck lebt. [612] Der älteste starb als Prediger am Dom in Lübeck, der mittlere ist Director des Gymnasiums zu Minden. Grautoff’s Nachlaß ward als „Historische Schriften“ von seinen Freunden (darunter Ernst Deecke) in drei Bänden 1836 herausgegeben, mit biographischen Mittheilungen von L. Heller.