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ADB:Gerhoch von Reichersberg

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Artikel „Gerhoh von Reichersberg“ von Wilhelm Wattenbach in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 8 (1878), S. 783–784, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gerhoch_von_Reichersberg&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:22 Uhr UTC)
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Gerhoh von Reichersberg, wurde 1093 zu Polling in Oberbaiern geboren, und empfing in dem dortigen Chorherrenstifte seine erste Ausbildung. Schon hier zeichnete er sich vor seinen Mitschülern aus; nachdem er dann mit 16 Jahren eine schwere Krankheit überstanden hatte, wandte er sich gänzlich den höheren Studien zu, zuerst in Freising und Mosburg, dann in Hildesheim, welches damals eine blühende und weitberühmte Schule hatte. Hier blieb G. drei Jahre; nach seiner Heimkehr berief ihn der Bischof Hermann von Augsburg zum Leiter der Domschule und gab ihm ein Canonicat. G. führte damals noch ein sehr weltliches Leben, war auch anfangs noch ein Vorkämpfer des kaiserlich gesinnten Bischofs; bald aber fühlte er sich durch den päpstlichen Bannfluch beängstigt und zog sich in das Kloster Raitenbuch zurück. Das Wormser Concordat stellte den Frieden her, G. kehrte zurück, begleitete seinen Bischof nach Rom und vermittelte dessen Aussöhnung mit Calixt II. Aber das unkirchliche Leben der Domherren, an welchem er früher ohne Bedenken theilgenommen hatte, machte ihm jetzt schwere Sorgen und 1124 faßte er den großen Entschluß, seiner reichen und angesehenen Stellung zu entsagen und sich in Raitenbuch als regulirter Chorherr einkleiden zu lassen. Unablässig ist er von nun an bemüht gewesen, die Weltgeistlichen und namentlich die Domherren zu canonischer Lebensform nach der Regel des heiligen Augustin zu bewegen; er versuchte sogar, Honorius II. zum Bannfluch gegen die weltlich lebenden Domherren zu bewegen, aber dieser lehnte es wegen der zu großen Menge ab. Eifrige Förderung fanden diese Bestrebungen bei dem Bischof Chuno von Regensburg, welcher G. zur Durchführung derselben zu sich berief, und bei dem Erzbischof Konrad von Salzburg, der G. 1132 zum Propst des Chorherrenstifts Reichersberg erhob. Hier ist er bis zu seinem Tod am 27. Juni 1169 unablässig thätig gewesen; [784] sein Stift erhob er zu blühendem und musterhaftem Zustande, mußte aber noch erleben, daß es von der ausbrechenden Verfolgung betroffen wurde und großen Schaden litt. Er stand in der Kirchenspaltung auf Seiten Alexanders III., doch nicht ohne schwere Bedenken; ihm mißfiel, daß Alexander sich nicht vor einem Concil rechtfertigen wollte, er tadelte die weltlichen Mittel des Kampfes und die dadurch bedingte finanzielle Ausbeutung der Kirche. Das Bündniß mit dem König von Sicilien und den Lombarden war ihm sehr anstößig und ebenso die Uebergriffe in das Gebiet des Staates. Mit Feuereifer verfocht er als Schriftsteller seinen reformatorischen Standpunkt, und richtete auch an Päpste und Cardinäle seine Ermahnungen, natürlich ohne Erfolg, obgleich er persönlich große Achtung und Anerkennung fand. Indem er für Reinheit und Freiheit der Kirche kämpfte, ließ er außer Acht, daß diese unauflöslich in den weltlichen Staat verflochten war. Er beklagte diese Verbindung, doch ohne bis zu der Forderung des Verzichts auf die weltlichen Rechte vorzugehen. An der Gewalt der wirklichen Thatsachen scheiterten alle seine Bestrebungen, aber sein furchtloser Freimuth ist in hohem Grade anzuerkennen. Auch auf dem Gebiete des Dogma ist er eifrig thätig gewesen, und hat zu verschiedenen Verhandlungen in Synoden und an der Curie Anlaß gegeben. Nach der Auffassung von Dilloo (De G. praepos. Reich. Diss. Gryphisw. 1867) war er der erste deutsche Theologe, welcher als Anhänger der an Augustin anknüpfenden mystischen Theologie der eben damals erstarkenden scholastischen Lehre Widerstand leistete.

Seine zahlreichen Schriften sind nach den älteren Ausgaben sehr mangelhaft gedruckt bei Migne 193. 194. Einige der geschichtlich wichtigsten sind aber erst in neuester Zeit ans Licht gezogen von J. Stülz, J. Bach, Fr. Scheibelberger, E. Mühlbacher. Genauerer Nachweis bei Wattenbach, Deutschl. Geschichtsqu. (4. Aufl.) 2. 237–240. Vgl. auch die Abhandlung von J. Stülz über ihn in den Denkschriften der Wiener Akademie I. 113–166.