ADB:Geissel, Johannes von
Liebermann geleitete Seminar und erhielt, nachdem er zum Licentiaten der Theologie promovirt worden, am 22. August 1818 die Priesterweihe. Kaum ein halbes Jahr wirkte er in der praktischen Seelsorge als Kaplan und Pfarrverwalter; schon im Anfang des J. 1819 wurde der strebsame junge Mann, der bald die Aufmerksamkeit der geistlichen und weltlichen Behörden auf sich gelenkt und das philologische Examen bestanden hatte, zum Professor und Religionslehrer am Gymnasium in Speier ernannt. Hier hatte er Gelegenheit seine ausgezeichnete Lehrgabe zu bewähren und weiter zu entwickeln. Er verstand es, sich an dieser gemischten Anstalt die höchste Achtung seiner Collegen und die innigste Liebe seiner Schüler zu sichern. Kaum 26 Jahre alt wurde er am 22. Juni 1822 zum Mitglied des neuerrichteten Domkapitels berufen. Noch in demselben Jahre wurde ihm die Stelle eines Schulrathes für die baierische Pfalz übertragen. Das Amt eines Religionslehrers am Gymnasium behielt er vorläufig bei. Bei seinen vielfachen amtlichen Beschäftigungen wußte der thätige und gewandte junge Domherr Zeit zu den mannigfachsten litterarischen Arbeiten zu gewinnen. Diese Arbeiten waren theologischer, staatsrechtlicher, historischer, poetischer und belletristischer Art. G. war einer der fruchtbarsten und hervorragendsten Mitarbeiter an der in Mainz erscheinenden, die römische Richtung vertretende und die hermesischen Grundsätze bekämpfenden Zeitschrift „Der Katholik“. Seine historischen Arbeiten „Der Kaiserdom zu Speier“ (1826–28), „Der Kirchensprengel des Bisthums Speier“ (1832) und „Die Schlacht am Hasenbühl und das Königskreuz bei Göllheim“ (1835) verdienen den besseren historischen Arbeiten damaliger Zeit an die Seite gesetzt zu werden; sie zeichnen sich aus ebenso durch historische Kritik wie durch einen blühenden, schwungvollen Stil. Von seinen Novellen und Dichtungen sind zu nennen: „Die Stiftung des Klosters Limburg“, „Die Carmagnolen in der Pfalz 1793“, „Der Stadt Speyer Verrath und Rettung im Jahre 1330“, „Das Johannisfest zu Müßbach in der Sonnenwende des Jahres 1310“, „Der Fastnacht Montag in der Abtei Hornbach im Jahre 1447“, „Verwüstung der Abtei Limburg durch den Grafen Emich von Leiningen im Jahre 1504“, „Der Leichenzug des Kurfürsten Friedrich V. zu Frankenthal im Jahre 1632“, „Die Belagerung von Deidesheim im dreißigjährigen [521] Kriege“, „Die Wilderer am Haardtgebirge im Jahre 1782“. Als Stilist war G. höchst bedeutend. Seine Gedichte namentlich waren es, welche die Aufmerksamkeit des baierischen Königs Ludwig auf dieses glänzende Talent hinlenkten. Der Zuneigung seines Königs hatte G. es zu verdanken, daß er 1836 an die Stelle des verstorbenen Franz Donat Werner zum Domdechanten ernannt wurde. Kaum drei Stunden war er in diese Würde installirt, als Bischof Richarz, der von Speier nach Augsburg versetzt worden, in feierlicher Kapitelssitzung ein königliches Dekret vom 20. September vorlesen ließ, wodurch dem neuen Domdechanten das erledigte Bisthum Speier verliehen wurde. Die Diöcese bekundete ihre unverhohlene Freude darüber, daß ein Sohn des Landes, ein Mann, dessen Tüchtigkeit und Thatkraft allgemein bekannt war, der die Sitten und Eigenthümlichkeiten der Diöcese aus langjähriger Erfahrung kannte und als Priester wie Gelehrter eine gleich hohe Achtung genoß, an die Spitze der speierer Kirche gestellt wurde. Im Consistorium vom 20. Mai 1837 wurde G. von Papst Gregor XVI. präconisirt, am 13. August in Augsburg consekrirt und am 30. desselben Monats in Speier eingeführt. G. übernahm die Leitung der Diöcese in einer Zeit, in welcher sich auf kirchlichem Gebiete ein Umschwung im Interesse des streng römischen Systems vorbereitete. Mit der freisinnigen Richtung, welche auf die nationalen Eigenthümlichkeiten, die provinziellen Traditionen und die Gesetze des Staates die gebührende Rücksicht nahm, ohne dem Glauben und dem Princip der kirchlichen Einheit im Geringsten zu nahe zu treten und in confessionell gemischten Gegenden eine liberale, rücksichtsvolle Behandlung der Mischehen verlangte, ohne die Rechte und Gefühle des katholischen Theiles zu verletzen, sollte gänzlich gebrochen werden. Der Einfluß des Staates auf die äußere Verwaltung der Kirche, auf die Besetzung der geistlichen Stellen, auf die Disciplinargewalt der Bischöfe, auf die Erziehung der Geistlichen, auf die kirchlichen Institute, auf die äußere Bethätigung des kirchlichen Lebens sollte völlig beseitigt werden. Im ganzen katholischen Deutschland begann es sich zu regen. Es wurde eine Bewegung vorbereitet, deren Ziel dahin ging, die durch eine Reihe von Concordaten und bischöflichen Verordnungen geregelten kirchen-politischen Verhältnisse im Sinne des strengsten Ultramontanismus umzugestalten und die theologischen und philosophischen Lehrstühle an Universitäten und Seminarien in die Hände von Professoren zu bringen, welche in der Verbreitung des jesuitischen und ligorianischen Lehrsystems die höchste Aufgabe der kirchlichen Lehranstalten erkannten. Die Nuntiaturen und eine nicht unbeträchtliche Menge von Geistlichen, welche ihre Bildung im Collegium Germanicum erhalten hatten, waren es, durch deren rührige Thätigkeit diesem System eine immere größere Verbreitung gegeben wurde. Die Bischöfe und Docenten, welche Bedenken trugen, die Bestrebungen der Jesuiten mit allen Kräften zu unterstützen, wurden unter geheime Controle gestellt und durch Vexationen aller Art eingeschüchtert und in jedem Widerstand gelähmt. Schlagwörter, wie „Rechte der Kirche, Weckung des kirchlichen Lebens, Vertheidigung des Glaubens, Handhabung der Disciplin, Auffrischung des kirchlichen Sinnes“ wurden dazu benutzt, die Mehrzahl des katholischen Volkes für die ultramontanen Bestrebungen zu gewinnen. G. gehörte weder seiner Erziehung noch seiner Neigung nach zu den fanatischen Vorkämpfern ultramontaner Grundsätze; aber als Bischof der katholischen Kirche hatte er dem Papste Gehorsam geschworen und er kannte keinen Grund, warum er nicht dem System, welches in Rom für das allein katholische galt, das Wort reden sollte. Gut römisch zu sein lag in der Strömung der Zeit und wer in der kirchlichen Hierarchie sich nicht hintangesetzt sehen wollte, durfte der Richtung der Zeit sich nicht entgegenstellen wollen. Durch Gründung eines Knabenseminars bewies G., daß es ihm Ernst war, sich strenge nach den alten kirchlichen Vorschriften, [522] namentlich nach denen des Trienter Concils, zu richten. Durch diese Stiftung erreichte er den doppelten Zweck: einmal eine durchaus kirchliche Erziehung des jungen Clerus, sodann die Gründung einer Pflanzstätte für eine zureichende Anzahl junger Geistlichen. König Ludwig ertheilte dem thatkräftigen und segensreichen Wirken des Bischof G. dadurch seine Anerkennung, daß er demselben den persönlichen Adel verlieh und ihn durch andere Ehrenbezeugungen auszeichnete.
Geissel: Johannes von G., Cardinal und Erzbischof von Köln, geb. den 5. Februar 1796 zu Gimmeldingen an der Hardt und gest. den 8. Sept. 1864 zu Köln. Schon in frühester Jugend verrieth er hohe Anlagen und ein benachbarter Pfarrer bestimmte die einfachen, aber nicht unbemittelten Eltern, den geweckten, lernbegierigen Knaben studiren zu lassen. Nachdem der junge G. auf der lateinischen Schule zu Edesheim hinreichend vorbereitet worden, begab er sich 1813 in einem Alter von 17 Jahren nach Mainz, wo er am kaiserlichen Lyceum seine philosophischen Studien beendete. Im Herbst 1815 trat er in das vonNur vier Jahre führte G. den speierer Bischofsstab. So lange die in Deutschland immer mehr sich verbreitenden streng ultramontanen Grundsätze sich lediglich auf theoretischem Gebiet bewegten, nahmen die Staaten keine Veranlassung, ihre dadurch vielfach bedrohten Rechte mit Energie zu schützen. In Köln hatte der Erzbischof Clemens August den ersten entscheidenden Schritt zur Einführung des ultramontanen Systems in das Leben des Volkes gelegt. Seine Entfernung vom erzbischöflichen Stuhl war die Folge gewesen; der preußische Staat hatte geglaubt sich selbst aufzugeben, wenn er die tatsächliche Durchführung der von der Curie vertretenen Grundsätze ohne Widerspruch geschehen lasse. Der neue König Friedrich Wilhelm IV. glaubte seinem Lande, namentlich aber seinen katholischen Unterthanen, es schuldig zu sein, der römischen Curie die Hand der Versöhnung zu reichen. Nach längeren Unterhandlungen wurde trotz des Widerspruches einiger unversöhnlicher Cardinäle im September 1841 eine Convention zwischen der preußischen Regierung und dem römischen Stuhle geschlossen, wodurch die Kölner Irrungen dahin beigelegt wurden, daß der Erzbischof Clemens August einen Coadjutor erhalten sollte. Clemens August hatte sich um des lieben Friedens willen in sein Schicksal ergeben und die Zusicherung ertheilt, daß er alles bereitwillig der Entscheidung des Papstes überlasse. Auf den Vorschlag des Königs Ludwig von Baiern wurde G. mit Zustimmung der preußischen Regierung zum Coadjutor des Erzbischofs von Köln mit dem Rechte der Nachfolge und zum Administrator der Erzdiöcese Köln ernannt. Clemens August, der im December 1841 den Besuch seines Nachfolgers in Münster empfing, überwand bald seine anfängliche Abneigung gegen den Coadjutor und wünschte demselben glücklichen Erfolg in der Durchführung seiner hohen Aufgabe. Von Münster reiste G. nach Berlin, wo er mit hoher Auszeichnung empfangen wurde und am 9. Januar 1842 vor dem versammelten Ministerium den Eid in die Hände des Königs ablegte. Am 4. März trat er, durch ein kurzes Hirtenschreiben des Erzbischofs Clemens August eingeführt, die Verwaltung seines schwierigen Amtes an und wurde am 15. Mai vom Papste zum Erzbischof von Iconium präconisirt. Zum Beweise, daß die preußische Regierung den ernsten Willen habe, für die Folge Friede mit der Kirche zu halten, erließ dieselbe eine Verfügung, wonach sie den Verkehr der Bischöfe mit dem päpstlichen Stuhle frei gab, für dogmatische Erlasse lediglich eine Mittheilung an die Staatsregierung forderte, bei allen anderen aber, falls sie auch nur mittelbar den Staat und die bürgerlichen Verhältnisse berührten, die Verkündigung und Anwendung von der vorgängigen Zustimmung der weltlichen Behörden abhängig machte, dann die Einrichtung einer eigenen katholischen Abtheilung im Cultusministerium, welcher auch die Wahrung der staatlichen Hoheitsrechte übertragen wurde. Das Ministerium glaubte keinen Einspruch erheben zu sollen, als der neue Oberhirt in seinem ersten Hirtenschreiben die kirchlichen Grundsätze des Erzbischofs Clemens August unbedingt auch für die seinigen erklärte. Eine Aenderung in der kirchenpolitischen Haltung der neuen Diöcesanverwaltung stand demnach nicht zu erwarten, nur war der neue Leiter der Diöcese feiner in der Form und nachgiebiger in unwesentlichen Dingen; er wußte geschickt und gewandt die gefährlichsten Klippen zu umgehen und die betreffenden Rathgeber der Krone ganz für seine Gedanken [523] und Anschauungen zu gewinnen. Man sah recht bald ein, daß das Steuer der Kölner Diöcese sich in Händen befand, welche den Frieden mit dem Staate aufrecht zu erhalten wußten, ohne im Geringsten den Anforderungen der Curie entgegenzutreten. Am 19. October 1845 starb der Erzbischof Clemens August und der seitherige Coadjutor bestieg den erzbischöflichen Stuhl. Am 24. Novbr. desselben Jahres erhielt er das Pallium und am 11. Jan. 1846 wurde er im hohen Dom feierlich inthronisirt. Die allgemeine Theilnahme an dieser Feier gab sprechendes Zeugniß von der Liebe und Achtung, welche G. sich bei den Geistlichen wie Laien gesichert hatte. Seiner Klugheit, Gewandtheit, Umsicht und Festigkeit war es gelungen die durch die bekannten Wirren auf’s Tiefste erregten Gemüther zu beruhigen, das kirchliche Leben in jeder Beziehung zu heben und sich die Regierung des ihm persönlich wohlwollenden Königs Friedrich Wilhelm IV. zu befreunden. Während in allen deutschen Staaten die katholischen Behörden, denen die kirchlichen Angelegenheiten anvertraut waren, mit den Bischöfen wegen der übertriebenen Prätensionen derselben in Streit geriethen, wußte die katholische Abtheilung des Cultusministeriums jeden Conflict zu vermeiden und den Frieden zwischen Staat und Kirche aufrecht zu erhalten. Dem Erzbischof lag daran, die hermesischen Streitigkeiten zum Abschluß zu bringen. Den Gegnern des Hermesianismus war es gelungen in Rom ein verdammendes Urtheil gegen dieses System zu erwirken. Auf Grund dieses Urtheils unterwarfen sich viele Anhänger des Systems, mehrere aber erklärten, sie seien erbötig das Verdammungsurtheil quoad fidem anzuerkennen, glaubten aber die quaestio facti geltend machen zu müssen. G. verwarf diese Einrede und er wußte es durchzusetzen, daß Pius IX. am 25. Juli 1847 die von seinem Vorgänger ausgesprochene Verdammung einfach bestätigte. Nun hatte er Grund den Anhängern des Hermesianismus die Wahl zu lassen, ob sie sich einfach dem Spruch des Papstes unterwerfen oder sich jeder weiteren Lehrthätigkeit an der Universität Bonn enthalten wollten. Mit diesem Schritt des Erzbischofs war der hermesische Streit geschlichtet, aber auch die Freiheit der theologischen Wissenschaft gebrochen. G., der von Haus aus nicht als ein Feind freier Forschung angesehen werden konnte, hatte es über sich gebracht im Interesse des herrschenden Systems den Geist der freien Wissenschaft in Fesseln zu schlagen. Daß er mit Festigkeit und Entschiedenheit der deutsch-katholischen Bewegung entgegentrat, ließ sich ohne Schwierigkeit begreifen. Daß er aber den Gegnern Günther’s nachgab und den Güntherianismus für eine Gefahr für den katholischen Glauben erklärte, machte ihm unter den deutschen Gelehrten viele Feinde.
Eben hatte sich die durch die hermesische und güntherische Frage angeregte Bewegung etwas beruhigt, als die politischen Märzstürme über das Land hinbrausten und alle Geister in fieberhafte Aufregung setzten. In dieser wildbewegten Zeit des J. 1848 bewährte sich G. als einen katholischen Bischof, der dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist, zu geben gesonnen[WS 1] war. In mehreren Hirtenschreiben ermahnte er die Gläubigen zu Friede und Eintracht, zur Achtung der bürgerlichen wie kirchlichen Ordnung und Gesetzlichkeit. Die Partei, welche die politischen Versammlungen in Frankfurt und Berlin auch auf das kirchenpolitische Feld geschoben zu sehen wünschte, stellte den Erzbischof Johannes zum Candidaten für die constituirende preußische Nationalversammlung auf und mit großer Majorität wurde er gewählt. In jener tief bewegten Zeit hielt G. fest und entschieden für den König, dessen Haus und Thron, dabei entwickelte er aber auch eine rührige Thätigkeit für die Erweiterung der kirchlichen Rechte im Sinne der katholischen Partei. Ihm und seinen politischen Freunden und Gesinnungsgenossen gelang es das Ministerium zur Darangabe und Beseitigung aller Cautelen, welche bis dahin der Staat zur Verhütung aller Uebergriffe von Seiten [524] der Kirche in die Befugnisse des Staates für nothwendig erachtet hatte, sowie für die Anerkennung einer kirchlichen Selbständigkeit zu bestimmen, welche eine Reihe von Jahren hindurch der katholischen Kirche eine freie, ungehinderte Entfaltung des kirchlichen Lebens und die Entwicklung kirchlicher Institute bis zu dem Punkte gestattete, wo solche Entfaltung und Entwicklung dem Staate bedenklich, ja gefährlich werden zu wollen schien. Das freundschaftliche Verhältniß zwischen dem Erzbischof und dem Ministerium schien sich etwas trüben zu wollen, als die Staatsregierung von allen Geistlichen, welche ein Staatsamt bekleideten, einen unbedingten Eid auf die Verfassung verlangte. G. erklärte, daß er als „berufener Hüter und Vertheidiger der Rechte der katholischen Kirche, übereinstimmend mit den unverjährbaren Grundsätzen derselben“, den Eid auf die Verfassung nur insoweit für verbindend und rechtskräftig erachten könne, als er salvis ecclesiae juribus geleistet werde. Das Ministerium lenkte ein und nahm von der Forderung eines unbedingten Eides Abstand. (Decbr. 1850.) Eine andere Spannung trat später wegen Ausfertigung der Bestallungsurkunde für den Dompropst ein. Beharrlich weigerte sich das Ministerium die von Rom auf den Vorschlag des preußischen Ministeriums genehmigte Ernennung des Herrn Dr. München zu vollziehen. G. weigerte sich in Folge dessen die Hand zu irgend einer anderen Ernennung eines Domherrn zu bieten. Erst 1863 gelang es die Differenzen beizulegen. Die Urkunde für den Dompropst wurde ausgestellt und zugleich erhielten vier wirkliche und zwei Ehrendomherren ihre Bestallung. Noch ehe G. nach Berlin gewählt war, hatte er seine Suffraganbischöfe zu einer Conferenz nach Köln eingeladen. Es war dies die Einleitung zu einer Zusammenkunft sämmtlicher Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands, welche im Herbst in Würzburg stattfand. Am 19. October wurde die Versammlung, welche aus einem Cardinal, 3 Erzbischöfen, 15 Bischöfen und 5 bischöflichen Bevollmächtigten bestand, in der genannten Stadt unter dem Vorsitz Geissel’s eröffnet. Die Sitzungen dauerten bis zum 16. November. Die auf die Erweiterung der kirchlichen Rechte und die blüthenreichere Entfaltung des kirchlichen Lebens hinzielenden Verhandlungen und Beschlüsse dieses synodalen Congresses lehnten sich an eine von ihm abgefaßte umfangreiche Denkschrift an. Hierin war gesagt, daß die Bischöfe Deutschlands zusammengetreten seien, um vereint sich über die Stellung auszusprechen, welche die Kirche der neuen Ordnung der Dinge gegenüber einzuhalten habe. Die Trennung der Kirche vom Staat liege nicht im Willen der Kirche. Diese nehme aber für ihre Mission volle Freiheit und Selbständigkeit in Anspruch, insbesondere aber für ihr oberstes, göttliches Recht der Lehre und Erziehung der Menschheit. Ebensowenig könne die Kirche auf ihre Rechte, die leibliche Wohlthäterin der Völker zu sein, und ihren Cultus, die Ausspendung der Sacramente und alles auf den Gottesdienst Bezügliche ungehindert und selbständig zu ordnen, verzichten. Die Bischöfe müßten für die geistlichen Vereine das gleiche Maaß der Associationsfreiheit in Anspruch nehmen, welches die Verfassung des Staates allen Bürgern gewähre. Endlich habe die Kirche das Recht zu beanspruchen, ihr wohlerworbenes Eigenthum frei und selbständig zu verwalten und zu verwenden. Es müsse feierlich Verwahrung gegen das Mißtrauen eingelegt werden, womit der Verkehr der Bischöfe und Gläubigen mit dem Oberhaupt der Kirche überwacht werde. Der niedere Clerus konnte sich nicht überzeugen, daß seinen Interessen auf dieser Versammlung in irgend einer Weise Rechnung getragen sei. Derselbe hatte fürchten zu müssen geglaubt, daß aus den der Kirche in den Schooß gefallenen Freiheiten nur eine größere Abhängigkeit von der bischöflichen Willkür erwachsen werde, wenn das Verhältniß zwischen Bischof und Geistlichkeit nicht auf altkanonischer Grundlage neu geregelt werde. Eine Anzahl von 372 Geistlichen hatte den Muth in einer ehrfurchtsvoll gehaltenen [525] Adresse den Erzbischof um die Zulassung des niederen Clerus zu seinem Rechte, um die durch das canonische Recht vorgesehene definitive Anstellung der Pfarrer, um die Einsetzung geistlicher Gerichte zu bitten. Auch unter den in dieser Petition enthaltenen anderen Punkten befand sich kein einziger, der nicht durch Concilienbeschlüsse oder canonische Vorschriften begründet werden konnte. Doch dieser Schritt der 372 Geistlichen, in welchen das seit der napoleonischen Zeit systematisch unterdrückte Selbst- und Rechtsbewußtsein in seinem Todeskampf zu einer letzten Lebensäußerung aufzuringen sich bemühte, schien dem Erzbischof eine Anmaßung und Selbstüberhebung, gegen welche nicht ernst und strenge genug eingeschritten werden könne. Er hatte Mittel genug in Händen, um die Unterzeichner einzuschüchtern und zur Zurücknahme ihrer Unterschrift zu zwingen. Alle bis auf einige wenige gaben dem Drucke nach und erklärten ihre Unterschrift zurückziehen zu wollen. Keiner wurde befördert, so lange er noch auf der Liste der 372 stand. Es scheint, daß die Adresse doch in einem Punkte das Gewünschte erreicht hat. G. sah sich nämlich veranlaßt schon im December 1848 ein eigenes erzbischöfliches Officialat mit einem Präses, einem Kanzler, einem Promotor, einem defensor matrimonii, zwei Räthen, zwei Assessoren und einem Actuar zu errichten und demselben eine bestimmt begrenzte Gerichtsbarkeit zuzuweisen. Auf Grund der ausgedehnten Rechte, welche der Kirche verfassungsmäßig zugesprochen waren, verstand es G. die günstigen Verhältnisse zu einem raschen, lebhaften Aufschwung des gesammten kirchlichen Lebens zu benutzen. Neue Pfarreien wurden errichtet, neue Kirchen gebaut, neue Andachten eingeführt, Knabenseminare gegründet, verschiedene Orden in die Diöcese hineingezogen, Missionen und Exercitien gehalten. In rascher Folge entstanden eine Reihe von klösterlichen Anstalten und Genossenschaften in der Stadt und Erzdiöcese Köln. Zuerst ließen sich die Missionspriester vom heiligen Vincenz von Paul, auch Lazaristen genannt, in Köln nieder; ihnen wurde später die Leitung der Knabenseminare in Münstereifel und Neuß, sowie des Demeritenhauses zu Marienthal überlassen. Auf die Lazaristen folgten die Jesuiten, die Väter der Versammlung des allerheiligsten Erlösers und eine Reihe weiblicher Genossenschaften zur Pflege des beschaulichen Lebens, für Unterricht und Erziehung der weiblichen Jugend, für Uebung der christlichen Barmherzigkeit an verlassenen Kindern, Waisen, Kranken, Armen und Verwahrlosten. G. gab wiederholt seiner hohen Befriedigung über diese frischen Lebensäußerungen auf kirchlichem Gebiete und über das neuerwachte kirchliche Bewußtsein freudigen Ausdruck. Ob er aber auch in gleicher Weise durch das Gebahren der sich rasch zu einer hohen Bedeutung aufschwingenden katholischen Vereine, Casino’s und Volksversammlungen erbaut war, ist zweifelhaft. Thatsache ist es, daß er den in solchen Versammlungen und Vereinen sich breit machenden Elementen gegenüber eine gewisse Zurückhaltung beobachtete. Es scheint, daß seinem scharfen Blick die Gefahr nicht entging, welche der alten hierarchischen Organisation drohte, wenn dem Laienelemente in Fragen, welche naturgemäß lediglich zum Ressort der kirchlichen Behörden gehörten, ein zu großer Einfluß und eine Art richterlichen Spruches über die kirchliche Gesinnung von Bischöfen und Geistlichen eingeräumt wurde.
Geissel’s Bedeutung für das kräftige Aufblühen des katholischen Lebens in Deutschland mußte in Rom Anerkennung und Dank finden. Zum Ausdruck dieses Dankes und zur Belohnung seiner großen Verdienste wurde er am 30. September 1850 von Papst Pius IX. zum Cardinalpriester der römischen Kirche ernannt. Seinen Titel erhielt er von der uralten Kirche des heiligen Laurentius auf dem Viminal. Der apostolische Nuntius am k. k. Hofe zu Wien, Msgr. Viale-Prela, überbrachte ihm die Insignien der neuen Würde und überreichte ihm am 12. November 1850 unter großen Feierlichkeiten im hohen Dom das [526] Cardinalsbiret. Die wärmste Theilnahme der Bürger der Stadt Köln und der ganzen Erzdiöcese gestaltete diese Feier zu einem wahren Volksfeste. Es dauerte aber noch fast 6 Jahre, ehe er sich nach Rom begab, um persönlich den Cardinalshut in Empfang zu nehmen. Er hatte diese Reise so lange hinausgeschoben, weil es ihm an dem Gelde fehlte, welches die Einführung in das Cardinals-Collegium und die Besitznahme von seiner Kirche kostete. In Rom wurde er mit der Achtung und Verehrung aufgenommen, welche einem Manne von seiner hohen persönlichen Bedeutung und seinen Verdiensten um die Kirche gebührt. Der überaus glänzende Empfang, der ihm bei seiner Rückkehr in seine Diöcese bereitet war, bewies einerseits die hohe Verehrung, welche er in der ganzen Diöcese genoß, andererseits gab sie Kunde von der großen Freude, mit welcher man allgemein die der Kölner Kirche sowol wie dem Erzbischof persönlich erwiesene Auszeichnung begrüßte. Noch ehe G. vom Papste mit dem Purpur bekleidet wurde, war er vom König Friedrich Wilhelm IV., der dem Kölner Erzbischof seine besondere Zuneigung zugewendet hatte, mit dem höchsten Orden des Landes, dem des schwarzen Adlers geschmückt worden. Von Rom zurückgekehrt nahm er den bereits auf der oben berührten Würzburger Bischofsversammlung angeregten Gedanken, das alte Institut der Synoden wieder ins Leben zu rufen, in ernstliche Erwägung. Bald stand bei ihm der Entschluß fest, die Bischöfe der Kölner Kirchenprovinz zu einer Provinzialsynode zusammenzuberufen und durch diese Versammlung beschließen zu lassen, was in Sachen des Glaubens und der Disciplin den Bedürfnissen der Zeit zu entsprechen schien. Die Sitzungen wurden gehalten vom 29. April bis 17. Mai 1860. In der vorbereitenden Commission, welche sämmtliche Beschlüsse, die gefaßt werden sollten, dem Wesen wie der Form nach feststellte, räumte der Cardinal Zöglingen des Germanikums und Jesuiten, welche in der Diöcese wirkten, einen überwiegenden Einfluß ein. Es kam so ein Werk zu Stande, welches den streng ultramontanen Grundsätzen mehr Concessionen machte, als es manchem Geistlichen gut schien. Das Concil selbst gab einfach sein placet zu den vorher formulirten Beschlüssen. Der römische Stuhl ertheilte gern seine Zustimmung zu den Dekreten, welche unter dem Einfluß seiner eifrigsten Anhänger gefaßt worden und den curialistischen Anschauungen über den Papst und dessen Stellung zu Glauben und Disciplin entsprachen. Anderthalb Jahre nach diesem Concil wurde der Cardinal zur Theilnahme an den Huldigungsfeierlichkeiten des neuen Königs Wilhelm I. nach Königsberg berufen. Großes Aufsehen machte die bei dieser Gelegenheit gehaltene Rede, worin der Cardinal als Vertreter des preußischen Episcopates und der preußischen Katholiken eben so sehr der Treue gegen den König und das königliche Haus wie der Sorge für die Sache der Kirche und ihr bedrängtes Oberhaupt beredten Ausdruck gab. In einem Briefe an den Bischof Nicolaus von Speier über diese Rede sagt G. selbst: „Einige Prinzen äußerten, daß es ihnen besonders gefallen habe, daß ich so freimüthig den Papst hineingebracht hätte; „so wäre es würdig, so wäre es würdig“. Daß aber die Liberalen und Demokraten in ihren Blättern meiner Rede Beifall spendeten, hat mich überrascht. Es geschah, weil ich den Muth hatte den König an die Verfassung zu erinnern“. Bei dem zwei Jahre später erfolgenden 25jährigen Bischofsjubiläum erfuhr der Cardinal abermals, welche Liebe und Verehrung Geistliche und Laien ihm entgegentrugen und welches Ansehens er sich beim Königspaare wie beim Papste erfreute. Der sehnliche Wunsch, welchen der Erzbischof bei dieser Feier äußerte, den Tag nämlich zu erleben, wo die Abschlußmauer zwischen Hochchor und Langschiff des Kölner Doms niedergelegt und der Dom von den Thürmen an frei in seiner ganzen Pracht und Majestät dem erstaunten Blicke sich zeigen werde, wurde ihm erfüllt. Mit großer Theilnahme war er dem Ausbau dieses Wunderwerkes, der fast gleichzeitig mit seiner Berufung [527] an die Spitze der Erzdiöcese mit rühriger Kraft begonnen worden, gefolgt und im J. 1863 stand das Gotteshaus bis auf die Thürme vollständig ausgebaut da. Die Scheidemauer fiel und am 15. October feierten Köln, die Erzdiöcese und der Erzbischof in Gegenwart vieler hohen geistlichen und weltlichen Würdenträger das Fest der Vollendung des Domes. G., ein schöner, stattlicher, imponirender Mann, in dessen ganzem Wesen eine natürliche Würde und Hoheit lag, fühlte sich damals schon von schweren körperlichen Leiden heimgesucht; Krampfanfälle der heftigsten Art machten ihn manchmal zu kirchlichen Funktionen, die zu verrichten er sich vorgenommen hatte, gänzlich unfähig. Trotz seines ernsten Unwohlseins ordnete er für den Juli 1864 eine achttägige Feier zum Andenken an die Uebertragung der Reliquien der heiligen drei Könige in den Kölner Dom an. Ohne Bedenken hatte er seine Zustimmung dazu gegeben, daß die genannten Reliquien bei dieser Gelegenheit von einer eigenen Commission unter Zuziehung einiger sachverständiger Aerzte untersucht würden. Sein zunehmendes Leiden gestattete ihm nicht sich an der Feier zu betheiligen, wie er es gewünscht hatte. Wenige Tage nach der Abreise der zu diesem Feste gekommenen Bischöfe legte er sich auf das Krankenlager, von dem er sich nicht wieder erheben sollte. Nachdem er Stadt und Erzdiöcese wiederholt gesegnet hatte, verschied er am 8. Sept. 1864. Seine verweslichen Reste fanden ihre Ruhestätte im Chor der hohen Domkirche.
- Kölnische Volkszeitung, Sept. 1864. Kölnische Zeitung, Sept. 1864. – Remling, Cardinal von Geissel im Leben und Wirken. – Schriften und Reden von Johannes Cardinal von Geissel, herausgeg. von K. Th. Dumont, 4 Bde.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: gesonen