Zum Inhalt springen

ADB:Gehe, Franz Ludwig

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Gehe, Franz Ludwig“ von Hermann Arthur Lier in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 49 (1904), S. 263–265, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Gehe,_Franz_Ludwig&oldid=- (Version vom 15. November 2024, 04:37 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Geerz, Franz
Nächster>>>
Geibel, Emanuel von
Band 49 (1904), S. 263–265 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Franz Ludwig Gehe in der Wikipedia
Franz Ludwig Gehe in Wikidata
GND-Nummer 136419178
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|49|263|265|Gehe, Franz Ludwig|Hermann Arthur Lier|ADB:Gehe, Franz Ludwig}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=136419178}}    

Gehe: Franz Ludwig G., Großkaufmann, wurde am 7. Mai 1810 in dem Dorfe Merkwitz bei Oschatz als Sohn des dortigen Pastors Hermann Friedrich August G. geboren. Da sein Vater starb, als er noch kaum vier Jahre alt war, nahm ihn sein Oheim, der Hof- und Justizrath Dr. Gottfried Ludwig Winckler in Dresden, zu sich in sein Haus und ließ ihm eine gute Erziehung in einer auf humanistischer Grundlage ruhenden Privatschule Dresdens zu Theil werden. Da er keine Neigung zum Studiren verrieth, sondern erklärte, Kaufmann werden zu wollen, so wurde er im Alter von vierzehn Jahren als Lehrling in die Droguenhandlung von Brückner, Lampe & Co. in Leipzig gebracht, in der er ziemlich zehn Jahre, zuletzt als Handlungsdiener, thätig war. Hierauf machte er sich, ohne eigene Mittel zu besitzen, aber, gestützt auf ein Darlehen seines Oheims von nur 2000 Thalern, in Dresden selbständig und rief dort ein Droguen-Grossogeschäft ins Leben, das er zu einem Weltruf bringen sollte. Zu diesem Zweck vereinigte er sich mit dem Pharmaceuten Schwabe zu einem Compagniegeschäft, das er im J. 1834 unter der Firma Gehe & Schwabe eröffnete. Indessen konnten sich die beiden Associés nicht recht vertragen. Die Firma wurde aufgehoben, und am 1. Mai 1835 begann G. unter der Firma Gehe & Co. ein neues Geschäft, das sich zunächst auf rein kaufmännische Aufgaben beschränken mußte. Mangel an Betriebscapital nöthigte G. in den ersten Zeiten zu angestrengter persönlicher Thätigkeit. Um Arbeitskräfte zu sparen, mußte er die fertigen Waaren anfänglich selbst packen, etikettiren, ordnen, überschreiben und absendungsfähig machen. Von [264] vornherein hatte er den Grundsatz, den Apothekern keine Concurrenz zu machen, sondern sie nur mit allen zur Bereitung von Arzneimitteln erforderlichen Droguen und chemischen Producten in bester Qualität zu versorgen. Als sich durch seine Unermüdlichkeit sein Geschäft mit den Jahren vergrößert hatte, verlegte er es von der Moritzstraße in Dresden-Altstadt im J. 1846 nach dem Grundstück auf der Königsstraße in Dresden-Neustadt, in dem es sich noch heute befindet. Der Eintritt eines wissenschaftlich gebildeten Verwandten, des Dr. Rudolf August Luboldt, setzte G. im J. 1859 in den Stand, die Zubereitung der Droguen und die Herstellung feinerer chemisch-pharmaceutischer Präparate selbst zu übernehmen. Er begründete deshalb eine eigene Fabrik auf der Leipziger Straße, die am 7. Mai 1866 unter der Bezeichnung: „Droguen-Appretur-Anstalt“ dem Betrieb übergeben werden konnte. Die Ausdehnung seines Geschäftsbetriebes brachte jedoch nicht bloß G. größere pecuniäre Vortheile; sie kam auch der medicinischen und pharmaceutischen Wissenschaft zu Gute, da eine Menge neuer Arzneimittel in seiner Fabrik untersucht wurden. Die Preisverzeichnisse von Gehe & Co., die in einer Menge von Cultursprachen erscheinen, wurden auf wissenschaftlicher Grundlage ausgearbeitet und erfreuten sich, neben den halbjährig ausgegebenen Handelsberichten der Firma, großen Ansehens in den betheiligten Kreisen.

Indessen ging G. keineswegs bloß auf die Hebung seines Geschäftes aus; was ihn persönlich vielleicht noch im höheren Grade reizte, war der Wunsch, Einfluß auf das öffentliche Leben in seinem Vaterlande zu gewinnen. Er wurde zuerst in Dresden Stadtverordneter und ließ sich dann in den Landtag wählen. Er trat besonders für eine Reform des Innungswesens ein und betrieb die Schaffung von Handelskammern, die jedoch zunächst nur in Preußen eingeführt wurden. Nicht minder eifrig war er im Verein mit dem älteren Jordan, dem Mitinhaber der Chokoladenfabrik Jordan & Timaeus, für die Hebung der Elbschifffahrt thätig. Die Revolution des Jahres 1848 machte seinem öffentlichen Wirken ein jähes Ende. Er galt den Radicalen für zu zahm, gerieth aber trotzdem in den Verdacht, selbst ein solcher zu sein. Verbittert zog er sich ein volles Jahrzehnt lang von jeder Betheiligung am öffentlichen Leben zurück. Erst im J. 1860 riefen ihn die Verhandlungen über das Frachtgeschäft der Eisenbahnen wieder auf den Plan. Er bekämpfte die Autonomie der Eisenbahnverwaltungen inbetreff der Haftpflicht und lieferte das hauptsächlichste sachliche Material für die über diese Frage von dem früheren Leipziger Bürgermeister Klinger bearbeitete Denkschrift. Im gleichen Jahre wurde er durch das Vertrauen des Handelsstandes in die Zweite sächsische Kammer berufen, in der er sich namentlich die Reform der Gewerbekammern angelegen sein ließ. Da sich jedoch seine Ideale bezüglich der Einführung von Handels- und Gewerbekammern in Sachsen nicht verwirklichen ließen und er sich bei den Verhandlungen über die Umgestaltung der Dresdener Handelsinnung zu einer Art Ortshandelskammer mit der Mehrzahl seiner Standesgenossen überwarf, so trat er im Alter von 55 Jahren vom öffentlichen Leben für immer zurück. Schon damals dachte er daran, da er kinderlos war, eine gemeinnützige Stiftung zu machen, die das Verständniß ökonomischer Tagesfragen auch außerhalb der rein kaufmännischen Kreise fördern sollte. Vor allem bestärkten ihn die Erfahrungen, die er beim Abschluß des preußisch-französischen Handelsvertrags gemacht hatte, in diesem Entschluß. Er hielt diesen Vertrag für ein reines Diplomatenwerk und beurtheilte ihn in der Denkschrift: „Der projektirte Handelsvertrag mit Frankreich“ (Chemnitz 1863) durchaus abfällig. Das damals von ihm geplante Institut sollte „Commercial-Akademie“ heißen und für junge Leute, die sich dem Handels- oder Verkehrsfach [265] widmen wollten, bestimmt sein. Indessen wurde G. durch die Umgestaltung und Ausdehnung seines Geschäftes zunächst von der weiteren Verfolgung dieses seines Planes abgelenkt. Doch kam er immer wieder auf ihn zurück; er beschäftigte sich namentlich auf seinen Reisen, die ihn jährlich zur Erholung nach Gastein und in die Schweiz führten, viel mit ihm, wobei ihm durch seinen Freund, den Statistiker Theodor Petermann, mancherlei werthvolle Anregungen und Fingerzeige geboten wurden. Das schließliche Ergebniß aller dieser Erwägungen führte zu der Errichtung der seinen Namen tragenden „Gehe-Stiftung“, für die er im Einverständniß mit seiner Gattin in seinem Testamente vom 14. Juni 1881 und in dem Nachtrage hierzu vom 8. April 1882 ein Capital von 2 Millionen Mark aussetzte. Nach der Stiftungsurkunde sollte sie einem doppelten Zwecke dienen: 1. „eine geeignete Vorbereitung und Ausbildung von Männern, welche sich dem Dienste der Gemeine oder einer andern öffentlichen Wirksamkeit widmen wollen, zu unterstützen; und 2. Herren, welche ohne die Füglichkeit, für ihr Alter zu sorgen, mit Hintansetzung eigener Interessen ihr Leben in verdienstlicher Weise dem öffentlichen Wohle geweiht haben, beim Versagen ihrer Kräfte durch Aufnahme in ein zu begründendes Herrenstift, sei es eine Art modernes Prytaneum oder nach Umständen durch Verleihung von Geldbenefizien, vor Bedrängniß zu bewahren“. Die Ausführung dieser Bestimmungen stieß zunächst auf mancherlei Schwierigkeiten, doch konnte die feierliche Eröffnung der Stiftung für das Publicum bereits am 10. Januar 1885 erfolgen. G. selbst war schon mehrere Jahre früher gestorben, da ihn der Tod am 22. Juni 1882 aus seinem thatenreichen Leben, dessen Motto die Worte: „Aus eigener Kraft“ hätten sein können, abgerufen hatte.

Vgl. Wilhelm Jahn, Franz Ludwig Gehe und die Gehe-Stiftung in den „Bunten Bildern aus dem Sachsenlande“, II. Bd., 2. Aufl. Leipzig 1895, S. 63–74 und Theodor Petermann, Franz Ludwig Gehe und die Gehe-Stiftung im „Jahrb. d. Gehe-Stiftung in Dresden“, Bd. I. Dresden 1896, S. I–LVII.