ADB:Görtz, Johann Eustach Graf von
Grafen Bünau, der ihn in sein Haus aufnahm und ihm die Führung seiner Correspondenz überließ, zu erfreuen hatte, so ging er doch schon im folgenden Jahre nach Gotha, wo er in dem Kreise ausgezeichneter Männer und Frauen, welche die Herzogin Louise Dorothee um sich versammelt hatte, seine weltmännische Bildung vollendete. 1759 nach Weimar zurückgerufen, wurde er 1762 mit der Erziehung des Erbprinzen Karl August und später auch mit der seines jüngeren Bruders (Ernst Constantin) beauftragt. Dieses Amt, dem er mit dem edlen Pflichtgefühl und dem hingebenden Eifer oblag, die er sein Leben lang in allen Stellungen bewährte, brachte ihn zuerst in Berührung mit Friedrich dem Großen, der für den Erzieher eines so hoffnungsvollen Prinzen, wie Karl August, die vortheilhafteste Meinung faßte. 1775, nach dem Regierungsantritt Karl Augusts, wurde G. in der ehrenvollsten Weise seiner Stellung enthoben und bald darauf zum Oberhofmeister der jungen Herzogin ernannt, eine Würde, die er jedoch schon im nächsten Jahre niederlegte. Seinen schwankenden Entschlüssen über die Wahl eines neuen Berufes, wobei sich seine Blicke auch auf Preußen richteten, machte endlich ein Ruf Friedrichs des Großen ein Ende. Auf die Nachricht von dem Tode des Kurfürsten von Baiern, im Januar 1778, beauftragte er ihn mit einer geheimen Sendung an die Höfe von Mannheim und Zweibrücken, hauptsächlich um Klarheit darüber zu gewinnen, ob zwischen Oesterreich und dem neuen Kurfürsten Karl Theodor bereits ein Abkommen über die Theilung Baierns getroffen sei und ob sich von dem Herzoge Karl von Zweibrücken Widerspruch dagegen erwarten lasse. G. hat immer das sichtbare Walten der Vorsehung darin wahrzunehmen geglaubt, daß sie ihn in den Staat führte, dem er 30 Jahre hindurch [394] mit der glühendsten und reinsten Hingebung dienen konnte; an Hertzberg schreibt er bald darauf: er, ein Deutscher und frei geboren, würde niemals dem Rufe des Königs gefolgt sein, wenn er nicht überzeugt gewesen wäre, daß er, indem er dem König Friedrich diene, Deutschland und der deutschen Freiheit diene. Seiner diplomatischen Aufgabe wußte er sich übrigens in der geschicktesten Weise zu entledigen. Nachdem er sich schnell genug versichert, daß Karl Theodor von der Verbindung mit Oesterreich nicht mehr loszureißen sei, richtete er alle seine Bemühungen auf den Herzog Karl, und es gelang ihm, denselben zum öffentlichen Einspruch gegen die Theilung Baierns zu bestimmen und damit dem König Friedrich die Grundlage für sein Auftreten gegen Oesterreich zu verschaffen. Wie sehr Friedrich II. die Gewandtheit des jungen Diplomaten würdigte, der seinen Aufträgen meist zuvorgekommen war, bewies er, indem er ihn zum grand-maître de la garderobe und Staatsminister ernannte und ihm im J. 1779 seine Vertretung in St. Petersburg anvertraute, den wichtigsten und schwierigsten Gesandtschaftsposten, den es für Preußen gab. Sechs Jahre lang hat Graf G. diese Stellung in der würdigsten Weise ausgefüllt. Er zeigte sich, so schildert ihn sein College Segur, ernst und doch voll Feuer; seine hohe litterarische Bildung, sein Freimuth und seine Lebhaftigkeit erwarben ihm allgemeine Achtung und Liebe. Er ist die Rechtschaffenheit selbst, sagt ein anderer Franzose (Caillard). Dagegen entsprach der Erfolg seiner diplomatischen Thätigkeit keineswegs seinem persönlichen Ansehen. Da seine Ankunft in St. Petersburg mit jener Wendung Katharinas von der preußischen zur österreichischen Allianz zusammenfiel, so sah er von vornherein alle seine Bemühungen für die Politik Friedrichs an dem entschiedenen Widerwillen Katharinas gegen Preußen scheitern. Bei seinem leicht erregbaren Gemüthe, das sich bald in den Höhen überschwänglicher Hoffnungsseligkeit, bald in den Tiefen bitterer Verzweiflung bewegte, fand er sich durch die Aussichtslosigkeit aller seiner Anstrengungen gleich anfangs so sehr niedergedrückt, daß er wiederholt den Wunsch nach seiner Abberufung aussprach. Dazu kam, daß er auch von seinem Könige, dem es, wie man weiß, in den letzten Jahren fast niemand recht zu machen wußte, nicht selten Befehle empfing, deren Ton ihn empfindlich verletzen mußte. Dagegen stand er fortdauernd in vertrauter Verbindung mit dem Prinzen von Preußen und dem Baron Hertzberg. Mit dem letzteren namentlich begegnete er sich in dem Widerspruch gegen die Politik der letzten Jahre Friedrichs: auch er hätte statt der Hinneigung zu Frankreich eine Annäherung an England und mit England an Rußland vorgezogen; nur hielt er es für unmöglich schon mit der Kaiserin selbst, wie Hertzberg sich schmeichelte, eine Aussöhnung herbeizuführen; er erklärte sie für eine persönliche Feindin Preußens. Den Fürstenbund begrüßte er mit der lebhaftesten Genugthuung; er lebe wieder auf, schrieb er damals an Hertzberg; er sah darin die Frucht jener deutschpatriotischen Ideen, wie sie besonders in dem Kreise der mitteldeutschen Fürsten, in dem er ja selbst emporgewachsen war, gehegt und gepflegt wurden. Im Herbst 1785 erhielt G. endlich einen längeren Urlaub, den auch die Schwäche seiner durch den Schnee leidenden Augen nothwendig machte; seine wirkliche Abberufung erfolgte erst nach dem Tode Friedrichs des Großen. Friedrich Wilhelm II., der seit seinem Besuche in Petersburg das größte Vertrauen in ihn setzte, übertrug dem Grafen G. unmittelbar nach seinem Regierungsantritt eine außerordentliche Sendung nach dem Haag, um eine Ausgleichung zwischen seinem Schwager, dem Prinzen-Statthalter, und der patriotischen Partei zu versuchen. Aber Graf G. erlebte hier wieder, was ihm in Rußland begegnet war: wie er auf der einen Seite voll Verzweiflung die Unmöglichkeit erkannte, den Gegensatz zwischen dem Prinzen und den Patrioten, der durch den Gegensatz zwischen England und Frankreich [395] Stärke und Nachhaltigkeit empfing, durch diplomatische Bemühungen auszugleichen, so zog er sich auf der anderen Seite die Ungnade seines Königs zu, der ihn einer zu lebhaften Parteinahme für das englisch-oranische Interesse anklagte. Dies war auch der Grund, weshalb ihm König Friedrich Wilhelm nicht, wie die Prinzessin von Oranien und Hertzberg gewünscht hätten, die ständige Gesandtschaft im Haag übertrug, sondern ihn im December 1787 zum brandenburg-preußischen Comitialgesandten in Regensburg ernannte. Auch an diesem Orte, wo er 1778 seine diplomatische Laufbahn begonnen hatte und sie 1806 enden sollte, wußte er durch staatsmännische Eigenschaften und Liebenswürdigkeit des Charakters seine Collegen und die Einwohner gleichmäßig für sich einzunehmen; die Gegner nannten ihn spottend „das Orakel von Regensburg“. Wichtiger als seine diplomatische Thätigkeit in Regensburg selbst, waren die außerordentlichen Missionen, die ihm nach wie vor häufig anvertraut wurden. Im August 1789 ist er wieder bei dem Herzog von Pfalz-Zweibrücken, um ihn bei dem preußischen Systeme festzuhalten und einen Vertrag zwischen ihm und Braunschweig zu vermitteln; im September bei dem Kurfürsten Karl Friedrich in Mainz. Vom Juli bis October 1790 treffen wir ihn in Frankfurt als Mitglied der preußischen Wahlbotschaft; seine Verdienste hiebei ehrte der König, indem er ihm auf Hertzberg’s Antrag den schwarzen Adlerorden verlieh (11. November). Auch 1792 vertrat er Preußen bei der Wahl Franz II. Vom December 1797 bis Ende April 1799 nahm er als erster preußischer Bevollmächtigter an den Verhandlungen des Congresses zu Rastatt Antheil. Im November 1801 wurde er auf seinen Vorschlag nach Berlin berufen, um genaue Weisungen für die Verhandlungen über die Entschädigungsangelegenheiten zu erhalten; was er in Berlin sah und hörte, erfüllte ihn, wie seine Briefe an Hardenberg zeigen, mit trüben Vorahnungen. Im August 1802 nach Regensburg zurückgekehrt, vertrat er das preußische Interesse bei dem Zustandekommen des Reichsdeputations-Hauptschlusses. Nachdem der Ausbruch des Krieges von 1806 seiner diplomatischen Stellung ein Ende gemacht hatte, bat G., mit Verzicht auf eine Pension, am 17. August 1807 um seine Entlassung, die ihm König Friedrich Wilhelm III. unter schmeichelhaften Ausdrücken der Erkenntlichkeit für seine langen und treuen Dienste gewährte. Er lebte fortan still und zurückgezogen in Regensburg, beschäftigt vorzüglich mit litterarischen Arbeiten. Er veröffentlichte 1810 „Mémoires et actes authentiques relatifs aux négociations qui ont précédé le partage de la Pologne. Tirés du portefeuille d’un ancien ministre du XVIIIe siècle“, und 1812 „Mémoire historique de la négociation en 1778 pour la succession de la Bavière, confiée par le Roi de Prusse Frédéric le Grand au comte Eustache de Goertz.“ G. starb in Regensburg am 7. August 1821. Wie er dort gelebt hat, zeigen am besten die Worte des Vorstandes der Regensburger Harmonie-Gesellschaft, der sich mit der Bitte um Beihülfe zu einem Denkmal für G. an König Friedrich Wilhelm III. wandte: „Er war ein wahrer Vater der Armen, der eifrigste Beförderer jedes schönen Beginnens, der thätigste Beschützer jedes edlen Unternehmens. Sein Leben wird ein Muster bleiben für die Nachwelt.“ Aus seinem Nachlaß, dessen reiche Materialien zur Zeitgeschichte für die historische Forschung zugänglich gemacht zu werden verdienten, sind 1827 veröffentlicht die unvollendeten „Historischen und politischen Denkwürdigkeiten des königlich preußischen Staatsministers Johann Eustach Grafen von Görtz“; sie sind sehr unterrichtend und zuverlässig.
Goertz: Johann Eustach, Graf von Schlitz, genannt G., wurde am 5. April 1737 auf der Familienherrschaft Schlitz als der jüngste Sohn seiner Eltern geboren. Im väterlichen Hause und durch einen zweijährigen Aufenthalt im Carolinum in Braunschweig vorgebildet, besuchte er von 1752 an die Universitäten Leyden und Straßburg, wo ihn besonders das Studium des deutschen Staatsrechts beschäftigte. 1755 trat er als Regierungsassessor mit dem Titel eines Regierungsrathes in den weimarischen Staatsdienst. Wiewol er sich der Gunst des Ministers- Acten des Geh. Staats-Archivs zu Berlin.