ADB:Essenwein, August Ottmar Ritter von
Essenwein: August Ottmar E., geboren am 2. November 1831 zu Karlsruhe, ein hervorragender Architekt, besuchte nach Absolvirung des Gymnasiums seiner Vaterstadt die dortige polytechnische Schule bis 1851 und widmete sich dem Studium der mittelalterlichen Baukunst, zu deren gründlichstem Kenner er sich in der Folge emporschwingen sollte. Er verbrachte zunächst mehrere Jahre auf Reisen in Norddeutschland, Holland, Belgien und Nordfrankreich und hielt sich längere Zeit in Berlin, Paris und Wien auf, um sich weiter auszubilden. Die erste Frucht dieser Studienreisen war sein Werk „Norddeutschlands Backsteinbau im Mittelalter“. Nachdem er im Winter 1855/56 einen Concurrenzentwurf für eine Kathedrale in Lille ausgearbeitet hatte, zog er nach Wien, wo er 1857 bei der österreichischen Staatsbahngesellschaft eintrat, für die er bis zum Jahre 1864 als Architekt für Hochbau und Bureauchef wirkte. Die Stellung in Wien benützte E. zum eingehenden Studium der mittelalterlichen Bauten beinahe aller Kronländer des Kaiserstaates; dabei hielt er sich im Banat längere Zeit auf, wo er in Orawiza, Reschitza, Anina, Dognaczka Kirchen, Amtsgebäude, Coloniehäuser baute. Der Ort Franzdorf wurde von ihm vollständig gebaut. Zahlreiche Abhandlungen in den Mittheilungen der k. k. Central-Commission für Erforschung und Erhaltung der Baudenkmale beweisen seine umfassende Thätigkeit.
Mit Eitelberger war E. für das wiedererwachende Kunstgewerbe bemüht. Hunderte von Entwürfen in dieser Beziehung rühren von seiner Hand her und wol noch größer ist die Zahl der Skizzen, die er auf seinen Reisen fertigte. Nach seinen Entwürfen wurde die gesammte Ausstattung der romanischen Kirche zu Leiden bei St. Nikolaus in Ungarn, Glasgemälde der Kirche zu Berchtoldsdorf, in St. Antonio zu Padua, im Dome zu Trient, sowie die Altäre und dergleichen der Kirche zu Pfaffenhofen bei Innsbruck, der Deckel für das Kaiseralbum der Mechitaristen-Buchdruckerei zur Vermählung des Kaisers Franz Joseph u. a. ausgeführt. Im J. 1864 erschien von ihm „Die innere Ausstattung der Kirche Groß St. Martinus Köln“. 1864 war er einem Rufe als Stadtbaurath nach Graz gefolgt, welche Stelle er im Jahre darauf mit einer Professur für Hochbau an der technischen Hochschule daselbst vertauschte. Er gründete den Steiermärk. Verein für Kunstindustrie und verfaßte [433] das Werk „Die mittelalterlichen Kunstdenkmäler der Stadt Krakau“. Im Anfang des Jahres 1866 erhielt er den Ruf als 1. Vorstand des germanischen Museums, welche Stelle er am 1. April d. J. antrat. Er erwies sich sofort als der richtige Mann für diese Stelle, die im Anfange keine angenehme war und die auch noch durch die politischen Wirren im J. 1866 für ihn, der in Oesterreich eine zweite Heimath gefunden hatte, unangenehm geworden war, was von ihm schmerzlich empfunden wurde. Er reducirte zunächst den Beamtenstand, indem er theilweise die Arbeiten der ausscheidenden Beamten übernahm. Dann setzte er die Statutenänderung des Museums gegen den Willen des Begründers, des Freiherrn v. Aufseß, durch, indem er das Schwergewicht der Anstalt in die Sammlungen verlegte und das Generalrepertorium, das die Hauptaufgabe des Aufseß’schen germanischen Museums bildete, preisgab. Nun ging E. an die Ausführung seines Planes für die Sammlungen und Hand in Hand damit ging der Ausbau der Karthause. Die Sammlungen, die dem Publicum zugänglich waren, umfaßten 12 Räume, noch lag der östliche Kreuzgangflügel in Ruinen. Mit Hülfe von Mitteln, die E. von König Ludwig I. von Baiern zu erhalten wußte, wurde zunächst dieser wieder aufgebaut. Dann wurden die an den Kreuzgang anstoßenden Zellen benützbar gemacht und einzelne kleinere Bauten angefügt, auch Höfe durch Ueberdachung geschützt und entwässert. Eine That war bei dem Ausbau der Karthause die Wiederaufstellung der architektonisch interessanten Theile des Augustinerklosters, das abgebrochen wurde. E. verstand es, alle Kreise dafür zu interessiren, sodaß das stattliche Gebäude in den Besitz des Museums überging ohne demselben einen Pfennig zu kosten. Später wurde ein Stockwerk auf dem großen Kreuzgange aufgesetzt und zur Aufstellung der Gemäldegalerie verwendet. Mit Hülfe des neuerstandenen Reiches wurde der Ostbau und dann nach diesem der Südbau des Museums ausgeführt. Alle diese Bauten wurden nach Essenwein’s Plänen in gothischem Stile ausgeführt. Vielfach wurden dieselben mit Glasgemälden geschmückt, für deren Stiftung E. Corporationen und Private, meist Angehörige historischer Familien, gewann. Heute werden von manchen Fachleuten diese Glasgemälde als die Ausstellungslocale verdunkelnd, als zweckwidrig angesehen. Wie für die Bauten, wußte E. auch für die Ausführung einzelner Architekturtheile Stifter zu gewinnen. Dieselbe Fürsorge, welche E. dem Ausbau angedeihen ließ, wendete er der Ausbildung der Sammlungen zu. Er fand in Nürnberg ein dankbares Feld für diese Thätigkeit. Diese dort noch vorhandenen Schätze soviel als möglich im Museum zu vereinigen, war sein eifrigstes Bestreben. Neben umfassenden Ankäufen und Geschenken, wußte er Corporationen und Private zu veranlassen, ihm werthvolle Sammlungen und kostbare Einzelstücke unter Eigenthumsvorbehalt zu überlassen. So erhielt er die Denkmäler der aufgelösten Innungen, die früher in der Moritzcapelle aufgestellte Staatsgemäldegalerie, die städtischen Kunstsammlungen, kostbare Goldschmiedearbeiten von Privaten und Corporationen. Er ergänzte systematisch die Sammlungen und verstand das Interesse der betr. Kreise für diese oder jene Abtheilung zu erwecken, die dann deren Ausgestaltung sich zur Aufgabe machte. So den deutschen Handelsstand für die handelsgeschichtliche Abtheilung; die deutschen Apotheker für das historisch-pharmaceutische Centralmuseum; die deutschen Uhrmacher für die Uhrensammlung; die deutschen Standesherren für die Waffensammlung; Private, Gemeinwesen, Corporationen für die Abgußsammlung etc. Das Museum erhielt durch seine Thätigkeit u. a. Riesenbronzegeschütze des 15. und 16. Jahrhunderts vom Sultan, durch Ankauf die fürstlich v. Sulkowski’sche Sammlung mit [434] werthvollen Rüstungen. Die dem Publicum geöffneten Sammlungsräume zählten bei Essenweins Tode über 80.
E. widmete den kleinsten Punkten der Verwaltung des Museums seine Aufmerksamkeit, besonders den finanziellen Verhältnissen des Museums. Sie lagen bei seinem Amtsantritt sehr im argen; es war eine Schuldenlast von 234 743 Mk. vorhanden. Dank auch seiner Selbstlosigkeit nahm das Schuldenwesen des Museums sofort eine absteigende Richtung an, und als er starb waren nur die Schulden für die Sulkowski’sche Sammlung, sonst keine mehr, dagegen ein Reservefonds für die Sammlungen vorhanden und ein Pensionsfonds für die Beamten begründet. Damit war Essenwein’s Thätigkeit für das Museum nicht erschöpft. Er war in umfassender Weise auch litterarisch für dasselbe thätig, indem er in dem Organ des Museums „Anzeiger für Kunde der Deutschen Vorzeit“, später „Anzeiger des germanischen Museums“, zahlreiche Abhandlungen über einzelne Theile oder ganze Sammlungen des Museums schrieb, Kataloge verfaßte und ganze Werke veröffentlichte, welche er theilweise auch selbst illustrirte. Es rühren von ihm her die Kataloge über die kirchlichen Einrichtungsgegenstände und Geräthe, die Baumaterialien und Bautheile, die Gewebe und Stickereien, die Glasgemälde, die Spielkarten, Bucheinbände u. s. w., das Werk „Quellen zur Geschichte der Feuerwaffen“ (Leipzig 1872–77), „Die Holzschnitte des 14. und 15. Jhrhdts. im germanischen Museum“ (Nürnberg 1874), „Die kunst- und kulturgeschichtlichen Denkmale des germanischen Nationalmuseums“ (Leipzig 1877), die 2. Auflage des sogen. Mittelalterlichen Hausbuches (Frankf. 1887), „Hans Tirol’s Belehnung König Ferdinand’s mit den österr. Erblanden“ (Frankf. 1887). War seine Thätigkeit für das Museum eine reich gesegnete, so daß er sich als den Begründer der Sammlung bezeichnen konnte, so entfaltete er doch noch eine reiche Thätigkeit als Architekt, nicht allein, indem er das Museum ausbaute, sondern namentlich indem er die Restauration kirchlicher Baudenkmale ausführte oder Gutachten über diese abgab. Es gab wol keine Restauration von Bedeutung, bei der er nicht gehört wurde. Nach seinen Plänen und unter seiner Aufsicht erfolgte der Anbau des Rathhauses in Nürnberg, die Restauration der Frauenkirche daselbst, des Doms in Braunschweig, der Kirche des hl. Gereon in Köln. Seine letzte künstlerische Arbeit war der Entwurf des Fußbodens im Kölner Dome, welcher im Sinne des M. A. in beinahe allen Techniken desselben ausgeführt wurde. Von seiner Thätigkeit in dieser Richtung melden die Werke „Die Restauration und Ausstattung des Innern des Münsters zu Constanz“ (Freiburg 1879), „Der Bildschmuck der Liebfrauenkirche zu Nürnberg“ (1881), „Die Wandgemälde im Dome zu Braunschweig“ (Nürnberg 1881), „Die farbige Ausstattung des zehneckigen Schiffes der Pfarrkirche zum hl. Gereon in Köln durch Wand- und Glasmalereien“ (Frankf. 1891). Außerdem fand er noch Muße zur Verfassung der Werke: „Bilderatlas II. Mittelalter“ (Leipzig 1883), „Die mittelalterliche Kriegsbaukunst“, „Der mittelalterliche Wohnbau“ im Handbuch der Architektur.
In den letzten Jahren kränkeite E. und zog sich von den Geschäften nach Neustadt a. d. Haardt zurück. Als er nach Nürnberg gekommen war, um mit Vertretern des Reiches, des Staates Baiern und der Stadt Nürnberg über die Sicherstellung des Museums zu berathen, traf ihn an seinem Arbeitstische ein Schlaganfall, dem er einige Tage darauf, am 13. October 1892 erlag.