ADB:Erdmann, Eduard
Ferdinand Walter. Der Vater war von Geburt Ostpreuße und hatte in Königsberg studirt; der Sohn widmete sich in Dorpat und Berlin der Theologie und Philosophie und wurde an letzterer Universität für die Hegel’sche Lehre gewonnen, der er Zeit seines Lebens treu blieb. Von 1829 an war er in seinem Geburtsort Pfarrer, nachdem sein Vater schon 1824 gestorben war. Doch gab er dies Amt 1832 auf und verließ Livland, [390] da es ihm durch die dortigen Gesetze verboten war, sich mit der jungen Wittwe eines Onkels von ihm zu vermählen. Er wandte sich wieder nach dem ihm bekannten und liebgewordenen Berlin, wo er sich 1834 für Philosophie habilitirte. Ungern verließ er 1836 die Hauptstadt, um einem Ruf nach Halle als außerordentlicher Professor der Philosophie zu folgen. 1839 wurde er zum ordentlichen Professor daselbst ernannt und blieb bis an sein Lebensende, 12. Juni 1892, dieser Universität treu, eines der einflußreichsten Mitglieder der philosophischen Facultät, nur in den letzten Jahren durch Altersschwäche daran gehindert, Vorlesungen zu halten. Seine Gattin, seine treuste Begleiterin im Leben und auf den Reisen, die er zu machen liebte, war ihm schon 14 Jahre vorher in den Tod vorangegangen – er hat dann die Einsamkeit des Lebens, da die Ehe kinderlos geblieben war, empfunden.
Erdmann: Johann Eduard E., Philosoph, war geboren am 5. Juni 1805 zu Wolmar in Livland als Sohn des dortigen Pfarrers und dessen Ehefrau Elisabeth Dorothea, geb. Walter, Schwester des Generalsuperintendenten von LivlandAuf dem Katheder kam Erdmann’s Persönlichkeit schön zur Geltung und Wirkung. Voller Herrschaft über den Stoff übte er auf seine zahlreichen Zuhörer durch die Gewalt und den Glanz seiner Diction, durch die geistreiche, witzige, zum Theil sarkastische, mit Analogien leicht spielende Art des Vortrags einen bedeutenden Einfluß aus. Wer ihn hörte, wurde von ihm gefangen und mußte sich der eigenartigen Behandlung der verschiedensten Gegenstände hingeben, konnte die Zeit, wo er zu Erdmann’s Füßen gesessen, nicht wieder vergessen. Hinter dem Rednerischen trat allerdings das eigentlich Lehrhafte bei ihm zurück; so ist es erklärlich, wie er zwar vielfachst anregte, für die Philosophie im allgemeinen gewann, aber eigentliche Schüler nicht heranbildete, auch sich nicht für geeignet hielt, sogenannte philosophische Uebungen mit Studirenden anzustellen. Am beliebtesten und besuchtesten waren wol seine Vorlesungen über Geschichte der Philosophie. Seine Begabung, eindrucks- und überzeugungsvoll seine Gedanken, die ihn im Innersten bewegten, mitzutheilen, sowie seine tief religiöse Gesinnung, veranlaßten ihn auch in Halle, öfter auf die Kanzel zu steigen und namentlich zu der akademischen Jugend anders zu sprechen als vom Katheder. 62 Predigten von ihm sind einzeln und in Sammlungen gedruckt. – Im Verkehr war E. liebenswürdig anregend, witzig, bisweilen auch scharf, sogar schroff, wenn es galt, seine Ueberzeugung zu wahren – ein zuverlässiger fester Charakter, eine vornehme Natur.
E. bekannte sich als zur rechten Seite der Hegel’schen Schule gehörig und glaubte, nur in untergeordneten Punkten von dem Meister abzuweichen. Geschichtliche und systematische Werke hat er verfaßt, die zum Theil große Verbreitung gefunden haben. Als eins seiner bedeutsamsten muß gelten der „Grundriß der Geschichte der Philosophie“ (2 Bde., Berlin 1865–67), während seines Lebens noch in 2. und 3. Auflage erschienen, nach seinem Tode in 4. Auflage herausgegeben von Benno Erdmann (Berlin 1896). Hervorzuheben ist aus dem Werke als besonders gelungen und durchaus objectiv gehalten der längere Abschnitt über die Auflösung der Hegel’schen Schule. Vorausgegangen war diesem Grundriß das größere Werk „Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuesten Philosophie“ (3 Bde., Leipzig 1834–51); das den verdienten Erfolg nicht in vollem Maaße gehabt hat. In der Entwicklung der Philosophie sieht E. eine doppelte Nothwendigkeit, nämlich einmal die welthistorische, nach der das Auftreten eines Systems durch den Charakter der Zeit und sein Verdrängtwerden durch das Anderswerden der Zeit bedingt ist, sodann die philosophiegeschichtliche, indem das System als Conclusion erwiesen wird, zu der die früheren Systeme die Prämissen sind, und dargethan wird, daß weitergegangen werden mußte, um nicht der Halbheit zu verfallen. Der Psychologie wandte er sich zu in seinen Schriften: [391] „Leib und Seele“ (Halle 1837, 2. Aufl. 1849), „Grundriß der Psychologie“ (Leipzig 1840, 5. Aufl. 1873), „Psychologische Briefe“ (Leipzig 1851, 7. Aufl. 1897), in welchen er nach seiner eigenen Angabe nicht strenge Wissenschaft bieten, sondern nur deren Ergebnisse in unterhaltender Forms mittheilen will. Ferner schrieb er: „Grundriß der Logik und Metaphysik“ (Halle 1841, 5. Aufl. 1875), „Philosophische Vorlesungen über den Staat“ (Halle 1851), „Vorlesungen über akademisches Leben und Studium“ (Leipzig 1858). Auf Verschiedenes gehen „Vermischte Aufsätze“ (Leipzig 1845), worin er auch seine religionsphilosophischen Ansichten niedergelegt hat, „Ernste Spiele“ (Berlin 1871, 4. Aufl. 1890), geistvolle, meist in Berlin und Halle gehaltene Vorträge, die große Verbreitung erfahren haben, „Sehr Verschiedenes, je nach Zeit und Ort“ (Berlin 1874). Um Leibniz hat er sich durch eine vortreffliche Ausgabe von dessen philosophischen Schriften sehr verdient gemacht: „G. G. Leibnitii opera philosophica quae exstant“ (Berolini 1840).