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ADB:Dawison, Bogumil

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Artikel „Dawison, Bogumil“ von Joseph Kürschner in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 4 (1876), S. 787–789, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Dawison,_Bogumil&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:22 Uhr UTC)
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Dawison: Bogumil D., berühmter Schauspieler, geb. 15. Mai 1818 in Warschau, † 1. Febr. 1872 zu Dresden. Die Theatergeschichte verzeichnet nur wenige Künstler von so eigenthümlicher Entwicklung wie sie in D. erst befremdend, dann aber Bewunderung fordernd seinen Zeitgenossen entgegentrat. Das unerhörte Ansehen ist bekannt, das Jerrmann’s, des deutschen Schauspielers Auftreten an der ersten Bühne Frankreichs hervorrief, und doch, wie ungleich mehr Muth [788] und Ausdauer gehörte dazu, als Pole zu einem der gefeiertsten Angehörigen der deutschen Schauspielkunst sich emporzuarbeiten. D. hat diese Schwierigkeiten überwunden, ohne wesentliche Hülfe, fast einzig und allein durch eisernen Fleiß, durch rastlosen Drang nach höheren Zielen. Der Sohn armer jüdischer Eltern, konnte er nur kurze Zeit den Unterricht einer Gymnasialschule genießen; schon im zwölften Jahr mußte er darauf ausgehen, seinen Lebensunterhalt selbst zu erwerben. Erst Schreiber bei einem Gütersequestrator, nebenbei als Firmen- und Schilderschreiber thätig, erhielt er später eine Stellung als Copist auf dem Redactionsbureau der „Gazetta warszawska“, deren Chefredacteur, ein Dr. Krugski, den jungen strebsamen Mann in seinem Wissensdrang soweit unterstützte, daß dieser bald die französische und deutsche Sprache in ziemlich fertiger Weise sich zu eigen machte. Aber die Schriftstellerei, zu der er nunmehr seine Zuflucht genommen hatte, fesselte ihn nicht stark genug, um das Verlangen, die Bühne zu betreten, in ihm zu ersticken. 1836 trat er in die Warschauer Theaterschule ein, in der er zwar wenig Gutes lernte, deren Director Kudlicz ihm aber bereits am 30. Nov. 1837 die Möglichkeit eröffnete, als Gustav in den „Zwei Galeerensträflingen“ zum ersten Mal das polnische Theater seiner Vaterstadt zu betreten. Bis 1839 in Folge dieses Debüts in Warschau engagirt, ging er 1839 nach Wilna, 1840 nach Lemberg, wo er in seinem Contract mit Director Kaminsky zur Hauptbedingung machte, auch auf dem deutschen Theater auftreten zu dürfen. Das immer mächtiger werdende Verlangen, ein deutscher Schauspieler zu werden, erhielt neue Nahrung, als er in Wien einigen Vorstellungen im Burgtheater beigewohnt hatte, kaum zwei Monate später spielte er denn auch wirklich am 9. Aug. 1841 seine erste Rolle auf dem Lemberger deutschen Theater; es war der Baron Sternhelm (Das letzte Abenteuer), dem bald Richard Wanderer, Ferdinand (Kabale und Liebe), Sonnstedt (Letztes Mittel) und Masham (Glas Wasser) folgten. 1846 verließ er Lemberg. Nach vorübergehendem Aufenthalt in Breslau, Brieg und Stettin, durch Louis Schneider in Berlin dem Director Maurice empfohlen, debütirte er unter dessen Leitung in Hamburg am 13. Febr. 1847 als Hans Jürge. Nach seiner Verheirathung (1848) mit Wanda v. Ostoja-Starzewska wandte sich D. 1849 nach Wien, wohin ihn Holbein berufen hatte. Das am 17. October begonnene Gastspiel führte am 6. Nov. 1849, nicht ohne Laube’s kräftige Unterstützung, zu einem sechsjährigen Engagement am Burgtheater. Uebrigens fand Dawison’s ferneres Auftreten nicht den Erfolg wie seine Gastspielvorstellungen, ein Mißstand, der erst dadurch gehoben wurde, daß Laube’s geschickte Hand den Künstler gänzlich auf das Gebiet hinüber leitete, für das er geschaffen: auf das Gebiet der Charakterrollen. Seine Triumphe erreichten jetzt eine niegeahnte Höhe, ohne daß damit seine Bedeutung als Künstler in gleicher Weise gestiegen wäre. Der Ruhm stieg ihm zu Kopf, die Sucht zu gefallen betäubte das ehrliche Streben, dem dichterischen Werk gerecht zu werden. Laube erzählt, daß er gegen das Ende seines Wiener Engagements selbst seine besten Rollen übertrieb. Nach einem erfolgreichen Gastspiel in Breslau sah ihn die Dresdener Hofbühne am 1. Juli 1852 als Hamlet zum ersten Mal als Gast auf ihren Brettern. Das Burgtheater mit seinen strengen, oft überstrengen Traditionen, noch dazu geleitet von einem so energisch-derben Mann wie Laube, konnte D. nach der glänzenden Aufnahme, die er überall fand, nicht mehr befriedigen, versagte es ihm doch den Raum, seiner Ehrsucht in dem Maße zu genügen, als es ihm zum Bedürfniß geworden war. Er drang daher auf Entlassung, und als ihm diese verweigert wurde, erzwang er sie durch einen häßlichen Auftritt, nach dem ihm das fernere Auftreten auf dem kaiserl. königl. Theater untersagt wurde. Das war 1853, das gleiche Jahr, in dem er einen lebenslänglichen Contract mit dem Dresdener Hoftheater abschloß. Dresden war nicht ganz [789] geeignet, den Künstler seine Ruhe wiederfinden zu lassen, denn Reibungen mit Emil Devrient, dem vergötterten Liebling der Dresdener, waren unvermeidlich; besonders da bei derartigen Gelegenheiten die Parteien im Publicum immer mit vollen Segeln den Extremen zusteuern. Wurzbach hat in seiner, nicht ohne Reserve aufzunehmenden Biographie Dawison’s eine Probe solcher Streitigkeiten gegeben, auf die hiermit hingewiesen sei. Trotz derartiger Vorgänge gewann D. seltene Gunst und der bekannte Dresdner Kritiker Lud. Hartmann sagt sehr bezeichnend: D. hatte die Jugend, die Intelligenz der Männerwelt, Devrient die Frauen für sich. Von Dresden aus unternahm D. zahlreiche Gastspiele (u. a. in München 1853, Berlin 1855 und 56 etc.), bei denen die Städte wetteiferten, ihm ihre Anerkennung zu bezeugen, und als er zur Feier von Schiller’s hundertjährigem Geburtstag 1859 in Paris den dritten Act des Don Carlos vorgetragen hatte, fiel ihm Alfred de Vigny unter dem Jubel der Versammlung um den Hals, mit den Worten: „Ah que votre patrie est heureuse d’avoir un si grand tragédien.“ Kurze Zeit vor seiner Anwesenheit in Paris war dem Künstler am 23. October 1859 seine treue Gattin gestorben, doch fand er einen würdigen Ersatz in der Schülerin Schumann’s und Mendelssohn’s, Frl. Jacobi, die nicht ohne Einfluß auf ihn blieb und die er selbst sein zweites künstlerisches Ich nannte. In das J. 1861 fällt die ihrer Zeit vielbesprochene Angelegenheit mit Dr. Heller in Hamburg, der D. in den Hamburger Nachrichten getadelt und, von diesem hierauf beleidigt, gefordert hatte. Der Künstler, zu dessen Tugenden persönlicher Muth nicht gehörte, zog sich auf wenig ehrenvolle Weise aus dieser Affaire (s. hierüber gleichfalls Wurzbach). 1864 löste D. auch wieder das Dresdener Engagement, um gänzlich frei nur noch dem verhängnißvollen Gastspiel zu leben. Ruhm und Geld einheimsend zog er durch Deutschland, von wo er 1866 nach Amerika ging und in 76 Abenden sich einen Reingewinn von etwa 50000 Dollars erzielte. Den ruhigen Genuß seiner Errungenschaften fand er aber nicht; die übermenschlichen Anstrengungen hatten ihn aufgerieben, sein Gedächtniß schwand, sein Geist verwirrte sich, er mußte fortan der Bühnenthätigkeit entsagen. Ein Opfer der unseligen Gastspielleidenschaft, erlöste ihn der Tod am 1. Febr. 1872 aus der Nacht des Wahnsinns, die ihn umfing. – D. gehörte keiner Schule an; so lange ihn edlere Triebe, als Sucht nach Ruhm und äußerem Glanz beherrschten, war sein ganzes Streben darauf gerichtet, der Natur ein wahres Spiegelbild entgegenzuhalten. Gemüth besaß er nicht, dagegen einen glänzenden, mit logischer Schärfe zerlegenden Verstand, und eben in dieser hohen Verstandesthätigkeit lag einerseits der Grund zu seiner künstlerischen Bedeutung, wie sie ihn andrerseits zur Nichtachtung des dichterischen Kunstwerks und zum Heraustreten aus dem Rahmen des Gesammtbildes verleitete. Wahrhaft großartig war er in allen dämonischen und leidenschaftlichen Rollen; sein dem Umfang nach kleines, aber biegsames und scharfes Organ befähigte ihn dazu, ebenso seine leichtbeweglichen, scharfen Gesichtszüge mit dem sarkastischen Zug um den Mund. Eine große Sicherheit in der Auffassung der Charaktere, Zuverlässigkeit des Gedächtnisses und richtige Beobachtungsgabe verliehen seinen Leistungen etwas ungemein Anschauliches. Die meiste Anerkennung unter seinen Darstellungen fanden Marc Anton, Lear, Richard III., Shylock, Riccaut de la Marlinière, Marinelli, Franz Moor, Narciß, Mephistopheles, Bonjour, Karlos (Clavigo); Hans Jürge, Königslieutenant, Harpagon u. a.

Vgl. A. v. Wurzbach, Zeitgenossen XI (Wien 1871). B. D. Biographische Skizze von Lud. Hartmann (Entsch, Deutsch. Bühnen-Almanach, Berlin 1873. S. 128–139). Ferd. Gleich, Aus der Bühnenwelt. Leipzig 1866. II. S. 113–140. P. J. W. Henke, Sophokles’ Oedipus in Kolonos neu dargestellt von D. in Dresden. Leipzig 1865.