ADB:Caramuel y Lobkowitz, Juan
Karls V. nach Madrid übergesiedelt. Seine Eltern waren Lorenz C. und Katharina von Frisse-Lobkowitz, Tochter eines der böhmischen L., dessen Mutter der dänischen, dem dortigen Königshause verwandten Adelsfamilie Frisse entsprossen war. Von der Mutter nahm Johann den Beinamen Lobkowitz an. Sein Vater, welcher sich mit Erfolg der Astronomie widmete, unterrichtete ihn in dieser, der Maronit Johann von Esron, Erzbischof vom Libanon, im Griechischen, Hebräischen, Chaldäischen und Syrischen. Schon im Alter von 5 Jahren vertheidigte C. öffentlich astronomische Thesen und gab Proben seiner Kenntniß der erwähnten Sprachen. Dann besuchte er 3 Jahre lang die Schule der Jesuiten in Madrid, bekämpfte wiederholt die grammatikalischen Spielereien seiner Lehrer, verfaßte bereits zahllose, überaus künstliche Verse und machte sich mit den spanischen Dichtern vertraut. Mit 9 Jahren bezog er die Universität Alcala, hörte Logik bei Benedict Sanchez, Physik bei Martinez, Metaphysik bei Zarraga, studirte weltliches und geistliches Recht und wurde mit 12 Jahren Baccalaureus, bald danach Doctor der Philosophie. 14–15 Jahr alt trat er im Kloster Espina bei Valladolid in den Cistercienser-Orden, machte dann wahrscheinlich in einem galicischen Kloster weitere philosophische Studien und ging später nach Salamanca, wo er mit solchem Erfolge Theologie unter Angelo Manriquez studirte, [779] daß ihn die Facultät als ihren Kämpen zu einem Scholaren-Wettstreit nach Alcala abordnete. 20 Jahre alt wurde er von der Hochschule zu Valladolid als Lector der Philosophie erbeten, kehrte dann aber als Lector der Theologie und Studienpräfect nach Salamanca zurück. 1634 ernannte die Generalcongregation des Ordens, in der Hoffnung unter Karls I. milderer Regierung die unter dessen Vorgängern vernichteten Klöster herstellen zu können, C. zum Abt des schottischen Klosters Melrose und zum Generalvicar für England, Schottland und Irland. Sein Biograph behauptet, er sei über den Canal gegangen. Die übrigen Quellen leugnen es und wie wegen der Verhältnisse im englischen Reiche so dürften sie deshalb größeren Glauben finden, weil C. mit den erwähnten Würden die eines Großpriors des Calatrava-Ordens erhielt und verschiedene Klöster in Spanien, Frankreich und Flandern visitirte. 1635 kämpfte er zu Löwen gegen den es belagernden Oranien. Dann ging er, von Don Emmanuel, einem unehelichen Urenkel Emmanuels d. Gr. von Portugal, eingeladen, nach Brüssel, verfocht in zwei Schriften das Recht Spaniens auf den portugiesischen Thron und trat zu dem Bruder Philipps IV., Cardinal Ferdinand, dem Statthalter der Niederlande, in Beziehungen, predigte auch in dessen Hofcapelle. Später ging er in das Cistercienserkloster des Dunes zu Brügge und erwarb, von dessen Abt Gerhard Campmans mit Geld versehen, am 22. September 1638 zu Löwen den theologischen Doctorhut vor einer unerhört zahlreichen, durch seinen Ruf angezogenen Corona. Im selben Jahre verlieh ihm der König von Spanien die Abtei Disibodenberg a. d. Nahe. Rasch bekehrte er dort die Mehrzahl der Prediger und Unterthanen zum Katholicismus, wurde aber schon 1639 durch die in die Rheinpfalz eindringenden Schweden verjagt und kehrte nach Brügge ins Kloster des Dunes zurück. Aus diesem vertrieb ihn wol der Nuntius zu Brüssel, welcher seit Anfang 1640 mit Hülfe der belgischen Regierung gegen das Kloster vorging, „um den Abt Campmans in die Schranken des Rechts zurückzuführen,“ und C., damit er nicht weiter in den Niederlanden „vagabondire,“ nach Spanien zurückschicken wollte, wie er denn auch 1641 dessen Wahl zum Nachfolger Campmans’ verhinderte. Der Anlaß dieser Feindseligkeit ist unbekannt. Gewiß bot ihn nicht das – auch erst später beginnende – Auftreten Caramuel’s gegen den Augustinus des Jansenius, welches den Anschauungen der Curie durchaus entsprach. C. ging noch 1640 nach Löwen, wo er bis 1643 im Alne-Colleg lebte und auch Theologie lehrte. Gleich nach seiner Ankunft erhob er gegen Jansenius die Anklage der Ketzerei, bekämpfte dessen Vertheidiger mit Heftigkeit und rief 1643 Roms Hülfe gegen sie auf. Ende 1643 und Anfang 1644 reiste C. nach Mainz, wohin ihn der Kurfürst Anselm Casimir Wambold von Umstatt rief, um sich seines juristischen Rathes zu bedienen. Von der zweiten Reise zurückgekehrt, war er in Antwerpen, ging aber bald nach Speier. Von dort floh er vor dem französischen Heere nach Frankenthal und half als Ingenieur und Kämpfer bei dessen Vertheidigung. Im Frühjahr 1645 ging er wieder in Diensten des Kurfürsten Anselm Casimir nach Mainz und Frankfurt; empfing hier vom Papste die durch den Kurfürsten schon früher nachgesuchte Ernennung zu dessen Weihbischof mit dem Titel eines Bischofs von Mysien und machte sich auf den Weg nach Rom, um dort die Weihe zu nehmen. Da er jedoch schon am ersten Tage ausgeplündert wurde, kehrte er nach Frankfurt zurück, und wurde dort, ehe ihn noch der Kurfürst mit neuen Mitteln versehen konnte, veranlaßt im Sommer 1645 nach Wien zu gehen, sei es, daß ihn Philipp IV. als seinen Agenten dorthin schickte, sei es, daß ihn der Kaiser Ferdinand III. zu sich berief, da er sich gern mit Mathematik und Festungsbau beschäftigte. Die Unterhaltung über diese Fächer erwarb C. die Gunst des Kaisers. Er wurde zur Inspection der Festungen nach Ungarn geschickt, dann zum Bischof des freilich in türkischen Händen befindlichen [780] Rosenau, zum Hofprediger und Hofrath und endlich 1646 zum Abt des reichen Benedictinerklosters Emaus in Prag ernannt. Als solcher führte er in den österreichischen Klöstern den gregorianischen Kirchengesang ein. 1648 war er bei der Belagerung Prags durch die Schweden der Anführer der bewaffneten Geistlichkeit. Bald darauf wurde er vom Cardinalbischof von Prag Ernst Adalbert von Harrach zum Generalvicar und vom Kaiser zum Präsidenten des „Reformationsrathes“ ernannt, in welchen Stellungen er nach des Cardinals Zeugniß an 25000 Ketzer „bekehrte“. Endlich wurde ihm das neu zu errichtende Bisthum Königgrätz verliehen, von welchem er jedoch nie mehr als den Titel erlangte. 1655 rief ihn Papst Alexander VII., der ihn 1638 als Nuntius in Köln kennen gelernt hatte, nach Rom und machte ihn zum Consultor bei den Congregationen der Inquisition und der Riten. Sogar den Cardinalshut soll Alexander ihm zugedacht haben, von den Cardinälen aber dagegen Einsprache erhoben worden sein, weil dann die ganze Kirche sich nach Caramuel’s Ansichten richten müsse, da niemand im Stande sei, den Kampf gegen seine Beweisführungen durchzuhalten. Die Wahrheit ist wol, daß er in Rom mißliebig wurde, denn 1657 wurde ihm das arme Bisthum von Campagna-Satriano im Neapolitanischen verliehen. 1658 wohnte er noch der Kaiserkrönung Leopolds I. auf dessen Einladung bei, dann widmete er sich seinem Bisthum, wo er sogar selbst die Kinder im Lateinischen unterrichtete, und seinen wissenschaftlichen Arbeiten, zu deren Veröffentlichung er auf eigne Kosten eine Druckerei in S. Angelo unterhalten mußte. Wol deshalb dankte er 1673 ab und empfing vom König von Spanien das oberitalische Bisthum Vigevano. Schon seit 1670 führte er den Titel eines Erzbischofs von Tarent; als aber diese von Spanien zu verleihende Würde 1674 erledigt wurde, lehnte er ab, sie wirklich zu übernehmen, behielt aber den Titel. Als Bischof von Vigevano starb er 1682, nachdem er 1680 an einem, 1681 am andern Auge erblindet war. C. schrieb fast 10 Dutzend zum Theil mehrbändige Bücher, wovon ein Drittel ungedruckt blieb, über Mathematik, Astronomie, Naturwissenschaften, Theologie, Philosophie, Grammatik, Metrik, Poesie, Beredsamkeit, Musik, Mechanik, Festungsbau, Fechtkunst, Staatsrecht, canonisches Recht, Geschichte, sowie mystische und erbauliche Gegenstände. Er soll 24 Sprachen verstanden haben, erfand eine neue Art Orgel, eine Weltschrift für alle Sprachen, eine Zeichensprache, eine moderne Terminologie für Philosophie und Theologie, u. s. w., construirte Automaten u. dgl. Das Wunderkind verläugnete er eben durch sein ganzes Leben nicht. Alles trieb er und überall suchte er Ungewöhnliches, Ueberraschendes und Seltsames zu bieten, wie er sich denn vielfach mit marktschreierischer Eitelkeit schon in den Titeln seiner Bücher selbst unerhörter Entdeckungen rühmt. Die Alten las er nicht, weil die Neueren ihren Inhalt verbessert darböten, und selbst in der Theologie glaubte er sich mehr auf die Dialektik und sein Urtheil als auf die Autorität der Kirchenväter stützen zu dürfen. Sein Wissen war bei allem Umfange oberflächlich und trotz allem Scharfsinn entbehrte seine Forschung meist der Gediegenheit. Man sagte von ihm, er nehme dem Geiste nach die achte, der Beredsamkeit nach die fünfte, dem Urtheile nach die zweite Stufe ein. In der Arithmetik gab er zuerst das dyadische Zahlensystem und die Systeme mit den Grundzahlen von 3 bis 10 sowie das zwölf- und das 60theilige an. (G. S. Klügel, Mathemat. Wörterbuch I. 963.) Er meinte aber auch, mit der Mathematik alle Fragen der Theologie lösen zu können. (Vgl. Montucla, Hist. des mathématiques I, 35 und Ad. Quételet: Histoire des sciences mathematiques et physiques chez les Belges. 1864. p. 225.) In der Theologie ist C. von bleibender Bedeutung geworden durch die Vorliebe, mit der er sich dem Probabilismus und zwar in der weitestgehenden Ausdehnung zuwandte. Dadurch vorzüglich kam er in geistige Verbindung mit den Jesuiten, [781] für deren System und Zwecke der Probabilismus ganz unentbehrlich war. Sie benützten gerne seine Autorität zur Rechtfertigung ihrer Casuisten. Auch ist er bemerkenswerth durch seine moralischen Paradoxa, z. B. lehrte er, Gott könne dem Menschen die Verletzung aller Gebote der zweiten Tafel des Dekalogs gebieten.
Caramuel y Lobkowitz: Joh. C., geb. in Madrid 23. Mai 1606, † 8. Sept. 1682. Sein Großvater Eugen C., ein luxemburgischer Adlicher, war in Diensten- Memorie della vita di Monsignore Giovanni Caramuel di Lobkowitz, vescovo di Vigevano, descritte da Jacopo Antonio Tadisi dottore in s. theol. Venezia 1760. (Paquot) Mémoires pour servir à l’histoire litt. des XVII provinces des Pays-Bas. Louvain 1768. II, 175 ss. Beide geben Verzeichnisse von Caramuel’s Schriften, der erste blos die Titel aufzählend, der letztere diese sorgfältig anführend und Inhaltsangaben beifügend; jeder nennt einzelne Werke, welche der andere nicht kannte. Zu erwähnen ist sonst noch etwa die Biographie universelle ancienne et moderne. Paris 1843, VI, 652 s., welche jedoch auch hauptsächlich auf Paquot beruht.