ADB:Bothmer, Johann Kaspar Graf von
Georg Wilhelms, unter seinem neuen Herrn, dem Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover, eine größere und wichtigere politische Thätigkeit entfalten, indem er diesem, zur Zeit des Uebergangs der englischen Krone, durch Thätigkeit, Umsicht und Energie die wichtigsten Dienste leistete. Was er in dieser Beziehung that, ist doppelt interessant zu verfolgen, weil es die Praxis derjenigen politischen Ideen und Maßregeln ist, welche Leibnitz, im stetigen Verkehr mit seiner hohen Gönnerin, der Kurfürstin Sophie, der eigentlichen Erbin der Krone Englands, festgestellt hatte. Als nach der Revolution von 1688 die Regierung Englands auf die beiden Töchter Jakobs II., Maria und deren Gemahl Wilhelm, und Anna überging; als ferner 1700 nach dem Tode des letzten Sohnes der letzteren, des Herzogs von Gloucester, eine protestantische Succession für die englische Krone gesichert werden sollte, setzte König Wilhelm am 22. Juni 1701 im Parlament „An act for the further limitation of the Crown etc.“ durch, in Folge dessen nach dem kinderlosen Tode der Königin Anna die Kurfürstin Sophie von Hannover, Enkelin König Karls I. von England, und deren Nachkommen auf den englischen Thron berufen wurde. Jedoch war damals hiermit allein jene Erbschaft noch wenig gesichert; so gut wie sie durch einen Parlamentsbeschluß festgesetzt war, konnte sie auch wieder durch einen solchen geändert werden. Schon als die Königin Anna, nach dem Tode König Wilhelms III., 19. März 1702, den Thron bestieg, war bei dem unversöhnlichen Hasse, den sie auf ihre Nachfolgerin geworfen, Alles zu fürchten; wie denn auch durch Documente nur zu sehr erwiesen ist, daß sie stets daran gedacht und im Geheimen Pläne geschmiedet hat, ihrem Bruder Jakob III., der sich nach dem Tode seines Vaters, 16. Septbr. 1701, schon König von England nannte, die Succession zu sichern. So lange jedoch das Whig-Ministerium unter Marlborough, Godolphin und Sunderland – eifrige Förderer der hannover’schen Succession – das Ruder in Händen hatte, konnten solche Pläne wenig ins Leben treten. Unter solchen Umständen begann v. B. seine politische Thätigkeit. Bei jenem Haß der Königin Anna gegen die Kurfürstin Sophie sah diese bald ein, daß sie keinen einzigen von ihr direct ausgehenden Schritt bei der Königin oder bei deren Parlament zur weitern Sicherung der ihr verschriebenen Rechte thun dürfe; daß sie ferner ihre eigene Succession nicht als ihre persönliche Angelegenheit, sondern als eine Sache des englischen Volkes zu behandeln habe, welche dieses im eigenen Schooße abmachen müsse. Auch sprach sie stets nur von einer Succession des Hauses Hannover. Dem gemäß ward 1702 v. B. nicht direct nach England, sondern nach dem Haag gesandt, um hier dem englischen Gesandten außer den gewöhnlichen Höflichkeitbezeugungen die Versicherung zu geben, daß Hannover in dem begonnenen spanischen Erbfolgekriege stets mit der Politik Englands und der Königin Anna Hand in Hand gehen werde. Nebenbei aber war er angewiesen, von hier aus mit allen der hannover’schen Succession günstigen, einflußreichen Whigs die nöthigen Verbindungen anzuknüpfen, um durch diese selbst die Succession – [198] Act von 1701 – noch mehr zu sichern. Durch seine Anstrengungen brachte es v. B. auch dahin, daß das Parlament am 11. April 1706 drei von den Whigs vorgeschlagene neue Gesetze proclamirte, von denen die sog. „Act of security“ das wichtigste ist. Sie wiederholt den Inhalt des Gesetzes von 1701, und bestimmt dazu, daß wenn nach dem kinderlosen Tode der Königin Anna der Thronfolger sich noch nicht in den Grenzen Englands befinde, die sieben höchsten Staatsbeamten die einstweilige Regierung führen sollen, und daß zur Hülfe derselben der Thronfolger eine Anzahl Lord-Oberrichter designiren dürfe. Dem gemäß deponirte v. B. eine versiegelte Acte mit der Aufschrift: „Gleich nach dem Tode der Königin zu erbrechen“, welche die Namen von 15 Freunden Sophie’s für jene Aemter enthielt. Bis dahin war Alles günstig gegangen; jedoch 1710, als nach dem Sturz der Whigs ein Tory-Ministerium unter dem Grafen Oxford und Lord Bolingbroke aus Ruder kam, schien die hannover’sche Succession sehr in Frage zu kommen, indem namentlich letzterer, ganz den Neigungen der Königin Anna folgend, ganz offen und direct zu Gunsten des Prätendenten zu operiren begann. Jetzt mußte v. B. direct nach London gehen, um hiergegen die Rechte seiner Herrin zu wahren. Durch Mäßigung und Klugheit gelang es ihm, eine dritte Partei, die der protestantischen Succession zu bilden (spottweise wol Whimsicals oder Hanoveral rats genannt), aus Whigs und besonneneren Tories zusammengesetzt, sodaß die Königin und Bolingbroke für ihre Pläne wenigstens nichts directes durchsetzen konnten. Kleinigkeiten, daß Münzen mit dem Bildniß Jakobs III. cursirten, daß man bei Gastmählern öffentlich seine Gesundheit als König trank etc. ignorirte v. B. klug, und stellte sich der Königin gegenüber stets so, als wenn man in Hannover an ihrer Bereitwilligkeit, jene früheren Gesetze zu schützen, nie zweifele. Durch jene neue Partei war 1712 im Parlamente auch die „Act of precedence“ durchgesetzt, wodurch der Kurfürstin Sophie der Rang unmittelbar nach der Königin Anna zuerkannt war, und wenigstens mittelbar die Succession anerkannt schien. Nachdem v. B. ein neues Verzeichniß von nach dem Tode Anna’s zu ernennenden Lord-Oberrichtern, den neuen politischen Verhältnissen angemessen, deponirt hatte, ging er 1712 nach Holland, um auf dem bereits eröffneten Congreß zu Utrecht, der für das 18. Jahrhundert dieselbe Bedeutung hatte, wie die großen europäischen Congresse für unsere Zeit, die Garantie der Succession in England für das Haus Hannover bei den daselbst tractirenden Mächten in Form eines Artikels des demnächstigen Friedens-Instruments auszuwirken. Frankreich setzte sich mit aller Macht hiegegen zu Gunsten des Prätendenten, und so kam es, daß sich die erste völkerrechtliche Anerkennung desselben nicht in den zu Utrecht abgeschlossenen Verträgen, sondern erst im ersten Artikel des Barrieren-Tractats findet. – Mittlerweile starb 8. Juni 1714 die Kurfürstin Sophie von Hannover. Sofort eilte v. B. mit dieser Nachricht nach London, wo er Alles in höchster Aufregung, und die Königin und Bolingbroke eifrigst beschäftigt fand, diesen Fall zu Gunsten des Prätendenten auszubeuten. Die Gefahr, daß in diesem Fall alles bisher festgestellte umgeworfen werden könne, war so groß, daß sogar ein Parlamentsbeschluß die hannover’sche Succession für in Gefahr erklärte, und der Herzog von Marlborough, welcher sich zur Zeit in Antwerpen aufhielt, v. B. den Vorschlag machen ließ, mit einer Anzahl holländischer und hannover’scher Truppen nach England überzuschiffen, um an der Spitze dieser und der englischen Armee die Königin Anna zu zwingen, den Kurfürsten Georg Ludwig als ihren einzigen gesetzlichen Erben zu proclamiren. Allein v. B., klug und besonnen, ging nicht darauf ein. Er wollte, ganz der bisherigen Politik gemäß, die Succession nicht durch einen gewaltsamen militärischen Act, sondern freundlich, den Gesetzen gemäß durch das Parlament erledigt wissen. Seine Thätigkeit war [199] unermüdlich. Da starb zum Glück am 12. Aug. 1714 die Königin Anna. Jetzt, als mit unumschränkter Vollmacht versehener Minister des neuen Königs, war v. B. die erste Person in London. Alles drängte sich zu ihm, um Ergebenheitsversicherungen zu geben. Er benahm sich dabei mit Klugheit und Mäßigung, forderte Bolingbroke die Staatssiegel ab, ließ dessen Cabinet versiegeln und ihn durch den Grafen Oxford in Anklagestand versetzen, dem sich jener jedoch durch eilige Flucht nach Frankreich entzog und dadurch hinlänglichen Beweis seiner Schuld gab. Die in Folge der Security-Bill zu Regenten ernannten sieben höchsten Staatsbeamten, so wie die von Sophie ernannten Lord Oberrichter thaten unter Aufsicht v. B. ihre Schuldigkeit, und so konnte Kurfürst Georg Ludwig von Hannover in Ruhe und Frieden die englische Krone in Besitz nehmen. Für solche Verdienste ward v. B. 1715 zum Reichsgrafen mit bedeutenden Dotationen befördert, und weiter zum dirigirenden Minister der deutschen Lande ernannt; als solcher starb er 1732 zu London, ohne directe Nachkommenschaft zu hinterlassen.
Bothmer: Johann Caspar v. B., Reichsgraf, geb. 31. März 1656, † 1732, war zuerst Kammerrath zu Celle, dann 1696 Gesandter am kaiserlichen Hofe, darauf braunschweig-lüneburg’scher Bevollmächtigter bei den Friedenstractaten zu Ryswyk; konnte aber erst seit 1705, nach Vereinigung der Herzogthümer Lüneburg und Calenberg nach dem Tode- Nach archival. Quellen.