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ADB:Bleibtreu, Georg

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Artikel „Bleibtreu, Georg“ von Oskar Fischel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 19–22, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bleibtreu,_Georg&oldid=- (Version vom 25. Dezember 2024, 05:22 Uhr UTC)
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Bleibtreu: Georg B., Schlachtenmaler, geboren am 27. März 1828 zu Xanten als Sohn eines Wundarztes, † am 16. October 1892. Ohne in dem schlichten Vaterhaus irgend eine Anregung gefunden zu haben, die ihn auf die Kunst oder auf die später von ihm verherrlichten großen geschichtlichen Thaten hätte führen können, verrieth der stille und in seiner Schüchternheit wenig beachtete Knabe schon früh den Trieb, seinen Träumen im Bild Ausdruck zu geben. Mit seiner Schiefertafel voller Soldaten und Pferde soll er den Eltern nachgelaufen sein und später wurden die biblischen Geschichten von den Kämpfen um Jericho und den Philisterschlachten, die er aus der Schule heimbrachte, auf dem Papier lebendig. In eine alte Kupferstichausgabe von des Josephus Zerstörung Jerusalems soll er sich bis zur Selbstvergessenheit vertieft haben, und noch als Knabe hat er wol die erste für seine Zukunft entscheidende Anregung erfahren, als durch den älteren Bruder eine deutsche Geschichte in seine Hände kam. Fortan fesselten ihn nur noch die Kämpfe seines eigenen Volks und auch der vollendete Künstler ist von seinem Knabenideal nie mehr abgewichen, so gut er sich auch die ganze Weltgeschichte zu eigen gemacht hatte. Mit seines Bruders Hülfe überwand der 15jährige das Staunen und Zweifeln seiner Eltern, da er sich für die Malerei als Lebensberuf entschied. So durfte er 1843 die Akademie im nahen Düsseldorf beziehen. Anfangs wollte der Beginn seiner Laufbahn den jungen Künstler fast verzagen lassen, seine ersten Versuche fielen so unbeholfen aus, daß nur seine Bescheidenheit und sein nie versagender Fleiß die Lehrer abgehalten haben, ihm das Talent abzusprechen. Aber schon in der Antikenclasse erregte sein Verständniß der idealen Form und seine gewissenhafte Zeichnung die Aufmerksamkeit, und sofort verwerthete er das eben gelernte zur Belebung seines Lieblingsgedankens, der Schlachtencompositionen, die er für sich in unendlicher Zahl zeichnete und wieder vernichtete. Aber dieser schon hochentwickelte Zug zu größerer Entfaltung erschien dann wieder verfrüht, wenn nicht gar nutzlos, als ihm in der Malclasse die technischen Schwierigkeiten seines Handwerks dauernd, wie es schien, verschlossen blieben. Ihm, der das später so bewährte Compositionstalent in sich fühlte, mochten die Studienköpfe, die man hier unerbittlich von ihm verlangte, inhaltlos und unwürdig erscheinen; nach fünf Jahren verließ er die Akademie, entfremdet und voll selbstquälerischer Zweifel. Doch erkannte er bald die Nothwendigkeit, für das was in ihm zum Ausdruck drängte, auch der technischen Mittel Herr zu werden; so fand er sich nach einem Jahr nochmals auf der Akademie ein. In der Classe Theodor Hildebrandt’s ward ihm neben verständnißvoller Anleitung auch die nöthige Freiheit für sein vorwärtsdrängendes Talent. In den drei glücklichen Jahren [20] (1850–53) bei diesem trefflichen Lehrer hat er seine ersten Bilder gemalt, Scenen aus den Freiheitskämpfen der Schleswig-Holsteiner, die auf den gänzlich Unbekannten plötzlich die Aufmerksamkeit lenkten. Schon 1849 hatte eine farbige Zeichnung des Gefechts bei Bau seinen Lehrer und später das Publicum von seinem Talent unwiderleglich überzeugt; in den folgenden Jahren trat er dann mit zwei „Vorpostengefechten“, der „Erstürmung von Kolding“, vor allem aber der „Vernichtung der Kieler Turner“ hervor, Bildern, deren Pathos gerade – in jenen Jahren tief empfundener nationaler Ohnmacht mächtig ergreifend wirkte, die diesen Erfolg doch aber mehr noch als ihrem patriotischen Gehalt der Wärme und Wahrheit ihrer künstlerischen Empfindung verdankten. Besonders die Kieler Turner in ihrer höchst lebensvollen Anordnung und dabei schlichten, kernigen Charakteristik haben seinen Ruhm gegründet. Alle diese Bilder hat der Düsseldorfer Kunstverein erworben und verloosen lassen.

Trotz dieser Erfolge blieb er im Verbande der Akademie und arbeitete in der Meisterclasse Wilhelm Schadow’s weiter. Seine nächsten Bilder führten aus der politisch traurigen Gegenwart in die Zeit des Aufschwungs, zu den Befreiungskriegen. Die Thaten der Landwehr waren es besonders, die ihn anzogen und dann auch, ihm als „Verkörperung des rächenden Volksgeistes“ aufgegangen, die Gestalt Blücher’s. – Sein ihm treu zugethaner Meister Schadow hätte freilich diese vielversprechende Kraft lieber auf die Schlacht bei den Thermopylen als an die Kämpfe von Gevatter Schneider und Schuster verwandt gesehen, wie sich der classisch gebildete ausdrückte; aber bis zum Scheiden aus seinem Amt 1859 hat B. seiner wohlwollenden Führung manche Vervollkommnung zu danken gehabt, und alle Werke dieser Jahre haben vor ihren großen Erfolgen draußen ihre Feuertaufe im stillen Düsseldorfer Atelier vor dem unbestechlichen Urtheil jenes alten Lehrers durchmachen müssen.

Studien für das erste Bild dieser Periode, die „Schlacht bei Großbeeren“, führten ihn nach Berlin, zum Besuch der Schlachtfelder von Großbeeren und Dennewitz; hatte er aus der Poesie der Befreiungskriege sich mit der Begeisterung jener Tage bereits vertraut gemacht, so lernte er jetzt dort einen Mann kennen, in dessen achtunggebietender und allverehrter Persönlichkeit ihm ein gut Stück jener Zeit lebendig wurde, Dr. Friccius, den Generalauditeur der Armee und Geschichtschreiber der Befreiungskriege[WS 1]. Trotz ihrer Altersverschiedenheit verband beide Männer seit jener ersten Bekanntschaft eine unverbrüchliche Freundschaft, deren Denkmal der „Sturm der ostpreußischen Landwehr unter Führung des Majors Friccius auf das Grimmaische Thor“ ist. Auch werthvolle künstlerische Anregungen hatte er damals in Düsseldorf dem eigenthümlich pädagogischen Talent eines Freundes, des als Rethel’s Nachfolger bei den Aachener Wandbildern so wenig glücklichen Joseph Kehren, zu danken. Seine Bilder aus dieser Zeit finden, wo sie erscheinen, alle Anerkennung: „Die Schlacht bei Crefeld 1758“, „Die Verwundung des Prinzen von Oranien [späteren Wilhelm III.] bei Waterloo“, „Bellealliance mit dem Untergang der kaiserlichen Garden“ und zwei große Skizzen der „Schlacht an der Katzbach“. Der Klarheit seiner Compositionen verdankte er wol das oft wiederholte Lob, vor ihm sei niemandem die Schilderung des Schlachtgewühls selbst gelungen.

Im J. 1858, kurz nach seiner Verheirathung, siedelte B. nach Berlin über. Hier nahm ihn, neben der Ausführung jener Katzbachskizzen, im Auftrag der „Verbindung für historische Kunst“ und einer neuen Fassung der Schlacht bei Großbeeren vor allem die Thätigkeit für reproducirende Techniken in Anspruch. Da ihm die Lithographien Anderer nach seinen Zeichnungen nicht genügten, so zeichnete er selbst auf den Stein zwei seiner bekanntesten Compositionen: Blücher und Napoleon bei Waterloo. An den Illustrationen für eine nie vollendete [21] Ausgabe von Beitzke’s Geschichte der Befreiungskriege arbeitete er mit Ludwig Pietsch[WS 2] gemeinsam, für das „Preußische Landwehrbuch“ und vier Lieferungen „Deutschlands Kampf- und Freiheitslieder“ lieferte er Holzschnittzeichnungen. Ein 1862 ohne Auftrag entstandenes Gemälde „Der Sturz der Irmensäule“ blieb ohne Erfolg.

Die stärksten Anregungen kamen seinem Talent dann aus dem schleswig-holsteinischen Kriege. Er besuchte die Schauplätze der preußischen und auch österreichischen Waffenthaten und malte für Wien den „Kampf um den Königshügel“ und das „Treffen von Oeversee“; das preußische Heer verherrlichte er in Episoden des Sturms auf Düppel. Auf eine Concurrenz hin erhielt er von der Regierung den Auftrag, den Uebergang nach Alsen zu malen, aber noch vor Vollendung dieses durch Landschaft und Beleuchtung auch malerisch interessanten Vorwurfs schloß sich der Künstler beim Ausbruch des österreichischen Krieges als Zuschauer der Armee des Prinzen Friedrich Karl an. Zwei Episoden aus der Entscheidungsschlacht waren das Resultat: „Der König bei Königgrätz“ und „Die 12. Husaren zwei österreichische Karrées niederreitend“; in beiden gelang vor allem die malerische Darstellung des Kampfgewühls. Noch war er mit diesen beiden Werken beschäftigt, als der Ausbruch des französischen Krieges ihm ein neues Feld für seine Studien versprach. Im Hauptquartier des Kronprinzen machte er den Feldzug mit; mehr als einmal hat sein Eifer ihn bis in die Feuerlinie gelockt. Mit dem Kronprinzen bei Wörth und in Fröschweiler, im Hauptquartier vor Sedan und in Donchery, mit dem bairischen General v. Hartmann vor Paris und schließlich in Versailles, sah er, gleich beglückt als Künstler wie als Patriot, in heller Begeisterung alle deutschen Stämme an ihrer blutigen Arbeit. Das zu malen füllte dann die zwei folgenden Jahrzehnte vollkommen aus. Auch er mußte der officiellen Anerkennung oft seine Ueberzeugung opfern. So entstanden die zahlreichen repräsentativen Feldherrenbilder in Schlachtenumgebung für die Galerien der bundesstaatlichen Residenzen. Weit über ihnen stehen Werke wie „Der Kronprinz im brennenden Fröschweiler“ mit großen Vorzügen in der coloristischen Composition, „Die Attacke der hessischen Husaren bei Wörth“ von stürmischer Lebendigkeit der Bewegung, „Das kronprinzliche Hauptquartier vor Sedan“, eine wohlabgewogene und bei aller Ruhe höchst spannende Gruppe von Porträts, und, mit herzlicher Freude erlebt, geschaut und gemalt „Die Ankunft des Generals v. Hartmann mit seinen Bayern vor Paris“.

B. hatte immer, im Gegensatz zu andern Schlachtenmalern, über die bloße Schilderung hinaus seinen Gegenstand im höchsten Moment zu fassen, durch ein gesteigertes Leben zu idealisiren versucht. Sein langgehegter Wunsch nach monumentaler Gestaltung sollte ihm in der Ruhmeshalle des Berliner Zeughauses verwirklicht werden: der „Aufruf an mein Volk“, „Blücher bei Waterloo“ und der „Sturm auf St. Privat“ sind in diesem Raum neben den Bildern des Düsseldorfers Jansen die lebendigsten und sicher am tiefsten empfunden. Auch in der Vorhalle zum Magistratssitzungssaal im Berliner Rathhaus ist sein Bild „Die Berliner auf dem Schlachtfeld von Großbeeren“ das einzige, das in schlichten Figuren und malerischer Haltung dem monumentalen Zweck entspricht. Bei der Bewerbung um die Ausschmückung des großen Goslarer Kaisersaals wurde dann noch seine wahrhaft monumentale Kaiserproclamation gegenüber anderen trockenen Schilderungen rühmend erwähnt, ohne zur Ausführung zu gelangen. Soweit ihm die Aufträge auf Bilder des jüngsten Krieges Raum ließen, griff er auf die ältere Geschichte zurück, die Zeit des Großen Kurfürsten, vor allem aber wieder die Befreiungskriege: der tragische Ritt Napoleon’s vom Schlachtfeld bei Waterloo und die Siegesnacht von Belle-Alliance.

Noch kurz vor seinem Tode beschäftigten ihn Arbeiten und Entwürfe: [22] Scenen der vaterländischen Geschichte. Was an dem Menschen gerühmt wird, schlichte Wahrheit und treue Pflichterfüllung, davon zeugen auch die Werke des Künstlers. Die öffentliche Anerkennung der letzten Jahrzehnte hat ihn nicht verwirrt; er selbst empfand die Grenzen seines Talents: nicht immer hielt mit seiner Begeisterung der künstlerische Ausdruck gleichen Schritt und seine Composition verleugnet trotz allen Ringens nach Freiheit nie ganz die Düsseldorfer Herkunft. Aber in seinen unzähligen Skizzen liegt der Beweis, mit welcher Treue er sich über jede seiner Gestalten Rechenschaft gab. Und das Ziel, um das er sich mühte, war doch etwas, was seine Zeit aufs tiefste bewegte. Der vaterländische Inhalt seiner Werke würde allein ihren künstlerischen Werth nicht begründen; aber er war doch unter den Frühesten, die den Gedanken der eigenen Zeit und des eigenen Volks zum Ausdruck halfen.

Pietschker, Georg Bleibtreu, der Maler des neuen deutschen Kaiserreichs. Cöthen 1876. – Boetticher, Malerwerke des neunzehnten Jahrhunderts. Dresden 1891, Bd. II, 1, S. 105 ff. – Orelli, Charakteristiken z. Culturgeschichte d. Gegenwart. Heft I: Die vaterländische Richtung in d. Kunst … mit Bezug auf Scherenberg und Bleibtreu. – Herm. Riegel, Deutsche Kunststudien. Hannover 1868. S. 385 ff. – Pecht, Aus dem Münchener Glaspalast … Stuttgart 1876. – Rosenberg, D. Berliner Malerschule. Berlin 1879, S. 157 ff.; – ders., Geschichte d. modernen Kunst. Leipzig 1894, Bd. III, S. 144 f. und Nekrolog, Kunst-Chronik 1892/93, S. 49. – L. Pietsch, Nekrolog, Vossische Zeitung, 19. Oct. 1892 und Kunst-Salon, Jahrg. II, 2, 1893, S. 34 ff. – Carl Bleibtreu, Aus Georg Bleibtreu’s Leben und Wirken. Moderne Kunst, IX. Jahrg., S. 365 ff.; – ders., Die moderne Schlachtmalerei, Kunst unserer Zeit VII, 23 ff. – Jordan, Stammbuch d. k. National-Gallerie zu Berlin. 1880, S. 73. – Katalog d. k. National-Gallerie zu Berlin, II. Theil: Biographisches Verzeichniß d. Künstler. – Gurlitt, Die deutsche Kunst des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin 1899, S. 344 ff. – Münchener Allgem. Zeitung, 19. Oct. 1892, Nekrolog. – Jaro Springer, Kunst f. Alle 1893/94, S. 76, Ausstellung seiner Werke.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Karl Friedrich Friccius (1779-1856), Jurist, Offizier in den Freiheitskriegen, seit 1837 Generalauditeur; siehe den Artikel in der Wikipedia.
  2. Ludwig Pietsch (1824-1911), Maler, Kunstschriftsteller und Feuilletonist in Berlin; siehe den Artikel in der Wikipedia.