Zum Inhalt springen

ADB:Bernstorff, Christian Graf von

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Bernstorff, Christian Günther Graf von“ von Jakob Caro in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 2 (1875), S. 494–499, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Bernstorff,_Christian_Graf_von&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 04:13 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
Band 2 (1875), S. 494–499 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Christian Günther von Bernstorff in der Wikipedia
Christian Günther von Bernstorff in Wikidata
GND-Nummer 116147695
Datensatz, Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|2|494|499|Bernstorff, Christian Günther Graf von|Jakob Caro|ADB:Bernstorff, Christian Graf von}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=116147695}}    

Bernstorff: Christian Günther Graf von B., Staatsmann, geb. 3. April 1769 zu Kopenhagen, † 28. März 1835, Sohn des 1797 verstorbenen Grafen Andreas Petrus (s. d.). Er erhielt eine Erziehung und Vorbildung, die darauf berechnet war, ihn zur Uebernahme des väterlichen Amtes und zwar mit der eigenthümlichen Verbindung dänischen und deutschen Wesens geeignet zu machen. Er genoß nur den Unterricht von Privatlehrern bald auf dem Erbgute der Bernstorffs, auf dem mecklenburgischen Schlosse Dreilützow, bald in Kopenhagen selbst. Die große Anmuth der Sitten und des Gebahrens, die den Grafen später auszeichnete, ein wichtiges Element in seiner spätern staatsmännischen Thätigkeit, wodurch sich ihm mancher ungewöhnliche Weg erschloß, würde auf die andauernde mütterliche Einwirkung schließen lassen. Dem war jedoch nicht so, denn er verlor seine allerdings hierin hervorragende Mutter in seinem dreizehnten Lebensjahre. Sein Vater aber glaubte ihn nicht früh genug in den für ihn erwählten Beruf praktisch einführen zu können, zog ihn, als er erst das achtzehnte Lebensjahr erreicht hatte, bereits zu diplomatischen Arbeiten heran, und ließ ihn bei der Eröffnung des Reichstags in Schweden (1787) neben dem [495] Vertreter Dänemarks als Diplomat in Stockholm fungiren. Zwei Jahre darauf, 1789, wurde er als Legationssecretär nach Berlin geschickt, wo sein Oheim mütterlicher Seits, Graf Leopold Friedrich zu Stolberg, als Gesandter Dänemarks sich aufhielt. Stolberg, der in den Kreisen der Berliner Gesellschaft sich einer größeren Bedeutung erfreute, als ihm seine diplomatische Stellung gewährte, war besonders dazu angethan, B. Relief zu geben, und da sein trotz der ungewöhnlichen Jugend würdevolles, offenes, ehrliches, anziehendes Auftreten ihm die freundschaftlichsten Gesinnungen in der preußischen Hauptstadt erwarb, wurde er bald zum Geschäftsträger und 1791 sogar schon – also im dreiundzwanzigsten Lebensjahre – zum bevollmächtigten Minister ernannt. Bis in den Sommer 1794 bekleidete er diesen Posten. Einen damals erhaltenen Urlaub benutzte er zu einer Reise in die Schweiz in Begleitung seines Bruders Joachim, aber noch während der Reise traf ihn der Ruf seines Vaters zur Uebernahme des für Dänemark besonders wichtigen Gesandtschaftspostens in Stockholm, dem er drei Jahre lang vorstand, und den er nur einmal behufs Ausführung besonderer Aufträge am Kaiserhofe zu St. Petersburg auf einige Zeit verließ. Im Mai 1797 aber erkrankte sein Vater, und er wurde nach Kopenhagen berufen, um einstweilen für ihn die Geschäfte zu führen, und als jener am 21. Juni 1797 starb, kehrte er nicht mehr nach Stockholm zurück, sondern trat als Staatssekretär der auswärtigen Angelegenheiten und Mitglied des geheimen Conseil in das Ministerium ein, in welchem er im Sommer 1800, als er eben nur das dreißigste Lebensjahr überschritten hatte, die erste Stelle als Staatsminister und Minister der auswärtigen Angelegenheiten erhielt. Sein Bruder Joachim leistete ihm als Director des auswärtigen Departements die treuste Hülfe. Die ganze Epoche des Bernstorff’schen Ministeriums war für Dänemark keine glückliche, und gleich sein Amtsantritt wurde durch den von England abgedrungenen Vertrag vom 29. August 1800 inaugurirt, in welchem Dänemark versprechen mußte, seine Kauffahrer nicht mehr mit Kriegsschiffen escortiren zu lassen. Gegen die gewaltsamen Zumuthungen Englands suchte B. bei Rußland Schutz zu finden, und, da Rußland wie Preußen die Anmaßung des englischen Durchsuchungsrechts bekämpften, so kam der dänische Minister damals bereits in die Richtung, deren letzte Entwicklung die Coalition war, in welcher Rußland das erste Wort führte. Kaiser Paul zwang Dänemark peremtorisch zur nordischen Neutralität, B. fügte sich (Jan. 1801) und führte mit England Krieg. In den demüthigenden Verwicklungen, welche Dänemark mit nicht geringen Verlusten büßte, hatte B. sich mehr als einen ehrlichen denn als politischen Kopf bewährt, und daß sich das dänische Gouvernement in „seiner tödtlichen Sicherheit“ nicht ahnen ließ, daß der englische Raubzug von 1807 gegen seine Seemacht gerichtet sei, trifft vielleicht die Vertrauensseligkeit seines ersten Ministers mit nicht geringem Vorwurf. Die Verhandlungen über Rückgabe der geraubten Flotte oder Entschädigung dafür blieben erfolglos, und so warf sich Dänemark, nachdem England ihm von neuem den Krieg erklärt hatte, der continentalen Politik in die Arme. Auch hier wurde Bernstorff’s Ehrlichkeit wiederholt das Opfer der Staatsklugheit. Die günstige Gelegenheit, bei dem Sturze Gustavs IV. von Schweden über alle skandinavischen Reiche die Hoheit zu erlangen, ging ungenützt vorüber, und bald kam der Augenblick, da Kaiser Alexander hinter dem Rücken Dänemarks, um die Schweden den Besitz Finlands vergessen zu machen und Bernadotte an sich zu fesseln, über Norwegen verfügte und Dänemark mit der bloßen Aussicht auf Entschädigungen mit deutschem Küstengebiet übervortheilte. Dadurch war aber das Festhalten Dänemarks an Napoleon für dasselbe geradezu eine Ehrensache. Erst kurz vor der Schlacht bei Leipzig waren B. nach London und Moltke nach Kalisch geeilt, um die Allianz mit Napoleon zu lösen, aber B. erlangte in London nicht die gewünschte Garantirung Norwegens, [496] und so knüpfte Dänemark wiederum sein Geschick an Napoleon, bis es erst durch das Andringen des schwedischen Kronprinzen genöthigt im Kieler Frieden (14. Jan. 1814) zu den Alliirten übertrat. Diese letzten Wendungen der dänischen Politik wurden jedoch nicht mehr von B. als dirigirendem Minister bestimmt, denn er hatte bereits im Mai 1810 aus Gründen, die mit der Politik nicht im Zusammenhang standen, seinen Abschied genommen, ohne daß dadurch sein gutes Verhältniß zum Könige und dem Kronprinzen von Dänemark eine Einbuße erlitten. Beide erkannten seine muthige Haltung am Tage der Schlacht bei Kopenhagen (2. April 1801) und die würdige Sprache, die er in den darauf folgenden Verhandlungen mit England führte, vollauf an, und der Kronprinz insbesondere, welcher ihn lange Zeit in Kiel gelegentlich der Truppenaufstellungen bei sich hatte, würdigte seine Treue und Gewissenhaftigkeit. Die merkwürdige Unterredung, welche er am 9. August 1807 mit dem englischen Gesandten Jackson hatte, trug ihm weithin den Ruf eines bedeutenden und ehrlichen Diplomaten ein. Bei einem durch mehrere Monate währenden Aufenthalt in London hatte er zwar für Dänemark keine beträchtlichen Zugeständnisse zu erlangen vermocht, doch aber von seiner Person gefällige Eindrücke hinterlassen. Noch bedeutender war die Meinung von seiner Persönlichkeit und seinen Talenten, welche er den Hofkreisen gelegentlich seiner Anwesenheit in Berlin im Jahre 1806 beizubringen wußte, und obwol Dänemark in der Zeit seiner ministeriellen Führung die schwersten Heimsuchungen zu erfahren hatte, war man im allgemeinen nicht geneigt, dieselben dem Mangel an schärferer Durchdringung der europäischen Lage von Seiten des Ministers zuzuschreiben. Seine offene Ehrlichkeit ließ die Gebrechen seiner politischen Einicht unerkannt. Nachdem er aus dem dänischen Ministerium geschieden, blieb er eine kurze Zeit ganz ohne Amt. Erst im darauffolgenden Jahre 1811 trat er den Gesandtschaftsposten zu Wien an, und bemühte sich, wie schon angeführt, in dem Stadium, als die Sache Napoleons zu verfallen begann, den Zutritt Dänemarks zur Coalition herbeizuführen. Da dies mißlang, gerieth B. persönlich in die mißliche Lage, weil ihm die kriegerischen Vorgänge in Mitteldeutschland den Heimweg nach Dänemark abschnitten, an einem der Form nach befeindeten Hofe verbleiben zu müssen. Aber schon hatte die Macht seiner anmuthigen Persönlichkeit sich auch an Kaiser Franz bewährt, der ihn einlud, in Wien die Wendung der Dinge abzuwarten. Als diese mit dem Anschluß Dänemarks an die Sache der Verbündeten (Januar 1814) eingetreten war, nahm B. den Dienst als Gesandter am österreichischen Hofe wieder auf und folgte dem Kaiser nach Paris, wo er, dem Abschluß des 1. Pariser Friedens beiwohnend, für sein Land wenig mehr zu leisten im Stande war, als das eigennützige Arbitrium Kaiser Alexanders von Rußland hinzunehmen. Mit seinem Bruder Joachim trat B. nunmehr als Vertreter Dänemarks in den Wiener Congreß ein, und da von einer Wiedererlangung Norwegens nicht mehr die Rede sein konnte und Dänemark immer mehr in die deutschen Angelegenheiten hineingezogen wurde, so war es nicht unnatürlich, daß B. auch in die Commission zur Ordnung der deutschen Frage aufgenommen wurde, wo er dann freilich die unglückliche Vermischung dänischer und deutscher Interessen, die sich später bitter rächte, nur fördern half. Auch auf dem zweiten Zuge nach Frankreich begleitete B. die Potentaten der Coalition, und kehrte erst im Jahre 1815 durch die Schweiz und Westfalen, um hier seinen Oheim, den Grafen Leopold zu Stolberg, zu besuchen, nach Kopenhagen zurück. Den beiden Brüdern B. wurden nun von dem Dänenkönige die Gesandtschaftsposten von Wien und Berlin zur freien Auswahl gestellt, und Christian Günther wählte Berlin, während Graf Joachim nach Oesterreich ging. Im Jahre 1817 begab sich der erstere nach Berlin, und schon im April 1818 machte ihm Hardenberg den Antrag in [497] preußische Dienste überzutreten. Als der Dänenkönig dem Uebertritt seine Genehmigung ertheilte, nahm B. die Anerbietungen an, und nachdem er bei dem Congreß zu Aachen bereits als preußischer Diplomat neben Hardenberg erschienen war, wurde er nach seiner Rückkehr als geheimer Staats- und Cabinets-Minister und Chef des Departements der auswärtigen Angelegenheiten in den preußischen Staatsdienst eingeführt. So sehr die Hofkreise und die Vertreter einer retrograden Politik dem Manne, der durch die Anmuth und Liebenswürdigkeit seiner Erscheinung sich ihre Gunst erworben hatte, mit Vertrauen entgegenkamen, so sehr war die liberale öffentliche Meinung von seiner Berufung betroffen. In keiner anderen Epoche seiner Laufbahn, sagte man sich, hätte der Staatskanzler für den wichtigsten Platz in seiner gesammten Geschäftsthätigkeit sich einen derartigen Gehülfen heranziehen können, als in derjenigen, in welcher er sich entschlossen hatte, alle liberaleren und selbständigen Elemente aus den maßgebenden Stellen zu verdrängen. Für B. war es auch nicht eben ein glänzendes Zeugniß, daß der Staatskanzler seinen Entschluß offen damit begründete, daß der neue Minister der auswärtigen Angelegenheiten den Vorzug „geringeren Talents“, der für den Verkehr mit den auf der Höhe gewöhnlichen Verstandes nur stehenden Gesandten besonders schätzbar wäre, namentlich vor Wilhelm von Humboldt, dem die Stelle zugesagt war, besitze. Auch Stein schien es zweifelhaft, ob B. der Mann dazu sei „den Stall des Augias auszumisten“, und er schien auch diese Maßregel als Beweis zu betrachten, daß von Hardenberg „der Geist des Herrn gewichen sei, und dem alten Sünder der Segen des Himmels fehle“. Aber auch abgesehen von Talent und Parteistellung hatte B. den Unwillen darüber, daß man einem „Fremden“ die Leitung der preußischen Angelegenheiten anvertraue, zu bekämpfen, und selbst die von solchem Vorurtheil Freien hatten doch die Meinung, daß kein Staat weniger als Preußen lediglich dem Talent der Routine ausgesetzt werden könne, und ein höheres schrieben dem neuen Minister nur die von seinen geselligen Künsten Bezauberten zu. Und die ganze Epoche der Bernstorff’schen politischen Führung Preußens rechtfertigte nur zu sehr die aufgeworfenen Bedenken; denn sie ist im Wesentlichen doch nur als ein ohne merklichen Widerstand zugelassenes Herabsinken von der hohen Bedeutung Preußens bei der Restauration der europäischen Staaten zu charakterisiren. Mag sein, daß die grundsätzlich oppositionelle Geschichtsschreibung zuviel die Ursachen hierfür in den leitenden Personen findet und zu wenig die Gewalt der Umstände berücksichtigt, gleichwol aber haben doch Männer wie Wilhelm v. Humboldt selbst die entschiedene Meinung gehabt, daß B. dafür, daß er gestattet habe, preußische Unterthanen unter Umständen fremden Gerichten zu unterwerfen, in Anklagestand versetzt, und die ganze Maßregel kassirt werde. Es ist bekannt, daß dieser Conflict schließlich Humboldt, Beyme, Boyen und Grolmann aus dem Ministerium drängte, und daß B. den Sieg behielt. Aber geschichtlich gemessen war dieser Sieg eine Niederlage, die an dem Ansehen Preußens ihre einreißenden Spuren zurückließ. Rasch aufeinander folgten die Congresse von Wien – „zur Befestigung und Erweiterung der deutschen Bundesverhältnisse“, wie man sich mit einem büreaukratischen Euphemismus darüber ausdrückte, – von Troppau, Laibach und Verona; in allen führte B. die preußische Stimme, und die über ihre anwachsende Ohnmacht und bewußte Resignation höchst befriedigten Staatslenker von Oesterreich und Rußland gaben ihr das Zeugniß einer großen „Folgerichtigkeit“, ein ungemein zweifelhaftes Verdienst gegenüber der Thatsache, daß B. die Prämisse nicht richtig zu stellen wußte. Wie sehr auch B. in Fragen zweiter und dritter Ordnung [498] durch eine dreiste Sprache seine Abhängigkeit von den Eingebungen und Anregungen des Fürsten Metternich – vielleicht sogar vor sich selbst – verhüllte, so war doch seine Unterwürfigkeit gegen denselben in allen wesentlichen Punkten zu offenkundig, als daß die Anwandlungen von Selbständigkeit hätten ernst genommen werden können. Was in der Zeit des Bernstorff’schen Regiments im Sinne einer unabhängigen Großmacht ans Licht trat, ergab sich unzweifelhaft mehr aus den zwingenden Eigenthümlichkeiten des preußischen Staats, als aus dem lebhaften Staatsgefühl seines leitenden Ministers. Selbst seichte Publicisten wie de Pradt u. a. wußten, daß Preußen der Stein des Anstoßes für die ganze Continentalpolitik werden könne; aber der Leiter der preußischen Politik verkannte die bedeutende Macht und das Recht auf besondere Rücksichten, die in einer solchen Beschaffenheit liegen. Daß diese selbst entsagende und zurückgezogene Politik eine Ausgeburt überlegener Weisheit und das Jahrhundert überblickender Voraussicht gewesen wäre, hat erst eine tendenziöse Geschichtschreibung der jüngsten Zeiten entdeckt; B. selbst hat in der Aufrichtigkeit seines Herzns sich solche Beschönigung noch nicht träumen lassen. Noch unhaltbarer ist die gewundene Deutung der deutschen Politik Bernstorff’s durch jene Unterlegung, daß er die kleinen Staaten durch die Verschärfung des österreichischen Uebergewichts zur Verzweiflung und endlich in die Arme Preußens habe treiben wollen (Denkschrift im Portfolio Nr. XV S. 356). Er meinte vielmehr, in Wahrheit dem Interesse des Staates zu dienen und in der That die Revolution zu bekämpfen, wenn er sich zum Gehülfen der Bekämpfung einiger Revolutionäre hergab, und seine Auffassung von dem Zusammenhang der Interessen bestimmte ihn auch, die Arbeiten für eine Volksvertretung in Preußen versumpfen zu lassen, weil sie in den Augen des österreichischen Staatskanzlers einen Bruch mit den Grundsätzen der heiligen Allianz einschlossen. Nur in Rücksicht der Bildung des Zollvereins, die sich aus den wichtigsten Existenz-Bedingungen des preußischen Staats als unausweisliche Nothwendigkeit aufdrängte, sehen wir B. eine Thätigkeit außerhalb der engen Grenzen seiner politischen Dogmatik entfalten, aber auch nur insoweit, als sie der Verwirklichung der unmittelbaren Unterlagen der ganzen Idee gewidmet war. So wenig als diese selbst auf eine Eingebung Bernstorff’s zurückzuführen ist, so wenig liegen die Zeugnisse vor, daß er, wie es von mehreren seiner Mitarbeiter an diesem Werke nachzuweisen ist, von der weithein wirkenden politischen bedeutung und der nothwendigen Entwicklung, die sich daraus ergeben mußte, durchdrungen war. Vielleicht ist nicht einmal zu viel gesagt, wenn man annimmt, daß das Gefühl von dem Widerspruch zwischen der Zollvereinspolitk und den angenommenen Grundsätzen seiner allgemeinen Politik hemmend auf die Entfaltung seiner rührigen Arbeitskraft einwirkte. Uebersieht man die Thätigkeit des preußischen Cabinets in dieser seiner glorreichsten Unternehmung aus jener Epoche, so haben unzweifelhaft Andere mehr und in schwungvollerem Geiste dafür gearbeitet, als das Haupt desselben. Wenn B. in den specifisch deutschen Angelegenheiten dem österrechischen Staatslenker einen allzugefälligen Vortritt ließ, so lehnte er sich beim Eintritt der großen Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung bis zur Gefahr an Rußland; denn mit seiner Bezeichnung der Zumuthungen Rußlands an die Pforte (1828) als „gerechte Anforderungen“, wobei er freilich nur an die von der öffentlichen Meinung ersehnte Befreiung Griechenlands gedacht haben mochte, hätte er leicht einen Krieg wider Preußen hevorrufen können, in welchem die Westmächte sich mit Oesterreich zu seiner Vernichtung zusammen gefunden haben würden. Auf der anderen Seite gebührt aber B. das Verdienst, die junkerlichen Projecte eines Polignac zur Umgestaltung der europäischen Staaten, die auf dem Zusammenhang der preußischen und russischen Politik begründet waren, mit Entschiedenheit [499] von vorn herein abgelehnt zu haben. Auch die Julirevolution und die daran sich anschließende Losreißung Belgiens brachten ihn weniger außer Fassung, als die säbelrasselnde Militärpartei im eigenen Lande und die Unheil witternde Regierung von St. Petersburg, auf welche mildernd und beruhigend gegenüber diesen Kreisen eingewirkt zu haben, das unbestrittene Verdienst der preußischen Politik ist, und selbst die nicht in allen Punkten klare und ausgeprägte Haltung während des polnischen Aufstandes entsprach mehr einer angemessenen und besonnenen Erwägung der preußischen Vortheile als dem Ungestüm der streitenden Parteimeinungen. Sicher ist es nur Verleumdung der Gegner Bernstorff’s, wenn ihm nachgesagt wird, daß er das Schwergewicht dieser Umwälzungen übersehen hätte vor den Spielereien, die ihm das Leben des Salons zumuthete, daß er während des tobenden Weltsturms anmuthigen Verskünsteleien nachgegangen sei. Wahr ist nur, daß B. seine Meinungen auch in poetischen Ergüssen aussprach, die vielfach lebhafter als seine Staatsschriften seinen Widerwillen gegen die liberalen Ideen und Bewegungen ausdrückten; aber es läßt sich durchaus nicht sagen, daß er darüber seinen amtlichen Pflichten nicht gerecht geworden wäre. Das lag weder in seinem Charakter noch in seinen Gewohnheiten; viel eher gefiel er sich in einer Ueberbürdung und allzugroßen Vervielfältigung seiner Arbeiten. Wenn in der That in den letzten Lebensjahren des Ministers eine Abnahme seiner rührigen Geschäftigkeit wahrzunehmen ist, so muß das allein auf Rechnung seines körperlichen Befindens gesetzt werden; denn die persönliche Geschichte Bernstorff’s vom Jahre 1824 an ist eine fortlaufende Krankengeschichte. Schon in dem genannten Jahre glaubte er wegen der häufigen Gichtanfälle, eines Erbübels, die Geschäfte nicht ferner führen zu können. Von Zeit zu Zeit half ihm der Besuch der Bäder, wie ihn auch die Nachricht vom Ausbruch der Julirevolution im Bade von Nenndorf traf. Die angreifende Thätigkeit erzeugte ihm ein andauerndes Kopfleiden und wiederholte Fieberanfälle, so daß für ihn im Frühjahr 1831 durch die Ernennung eines Staatssecretärs der auswärtigen Angelegenheiten, wozu Ancillon (s. meinen Artikel über denselben) berufen wurde, eine erleichternde Geschäftsanordnung eingerichtet wurde. Im folgenden Frühjahr wurde B., nachdem Ancillon zu seinem Amtsnachfolger ernannt war, von den Departementsgeschäften entbunden, und der König behielt sich nur vor, in geeigneten Fällen seinen Rath einzuholen. Ein Schlaganfall aber (10. März 1833) machte B. auch für diese Verwendung unfähig, und mit Mühe nur wurde seine Gesundheit so weit hergestellt, daß er, wonach er sich sehnte, 1834 noch einmal mit den Seinigen eine Reise nach Kopenhagen unternehmen konnte. Kaum war er aber von dort im Anfang des J. 1835 nach Berlin zurückgekehrt, wurde er am 18. März 1835 von einem neuen Schlaganfall heimgesucht, und endete sein reiches und bewegtes Leben am 28. März nach zehntägigen schweren Leiden. Seine Gattin, Gräfin Elisabeth, geborene v. Dernath, eine Nichte der Grafen Bernstorff, welche er im J. 1806 geheirathet und mit welcher er eine glückliche Ehe neun und zwanzig Jahre hindurch geführt hatte, überlebte ihn einige Zeit. Drei aus dieser Ehe entsprungene Söhne und eine verheirathet gewesene Tochter waren schon vor ihrem Vater dahingeschieden. Nur zwei hinterlassene Töchter folgten dem am 1. April mit allem Glanz und herkömmlichen Ehren beigesetzten Sarge.

Die einzige Biographie, die zu existiren scheint, im Neuen Nekrolog der Deutschen, Jahrg. 13, ist ein dürftiger Auszug aus dem Nekrolog der Preußischen Staatszeitung vom 20. April 1835, mit mehreren Irrthümern, z. B. in Betreff des Todestages. Positivere Nachrichten in den allgemeinen dänischen und deutschen Geschichtswerken.