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ADB:Bürmann, Heinrich

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Artikel „Bürmann, Heinrich“ von Moritz Cantor in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 47 (1903), S. 392–394, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%BCrmann,_Heinrich&oldid=- (Version vom 5. November 2024, 08:41 Uhr UTC)
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Bürmann: Hans Heinrich B., † am 21. Juni 1817 in Mannheim, Mathematiker. Wann und wo B. geboren ist, weiß man nicht. Die älteste über ihn bekannte Thatsache ist die, daß er 1795 in Mannheim die Erlaubniß erhielt, öffentliche Vorlesungen über die Handelswissenschaften zu halten. Schon 1779 hatte ein gewisser Borowski eine Handelsschule in Mannheim eröffnet, aber sie konnte nicht bestehen. Günstiger gestaltete sich anfangs Bürmann’s Unternehmen, so günstig, daß der Leiter eines Instituts für Knaben Einsprache erhob, weil ihm seine Zöglinge abspenstig wurden. Der Streit wurde unter dem 16. Juli 1796 dahin geschlichtet, daß für Bürmann’s Vorlesungen eine Altersgrenze von 15 Jahren bestimmt wurde, unterhalb deren er keine Schüler annehmen durfte. Vielleicht war es diese Bestimmung, welche die Aussicht auf verhältnißmäßig reifere Schüler eröffnete, vielleicht war es der sich steigernde Zulauf, welcher B. auf den Gedanken brachte, nunmehr eine vollständig gegliederte Anstalt zu eröffnen, eine Handelsakademie, wie er sie nannte, in welcher Rechenkunst, Buchhaltung, handelsmännische Correspondenz, Wechselrecht, Waarenkunde, deutsche, französische, italienische und englische Sprache gelehrt werden sollten. Seine Bemühungen um Erlangung der entsprechenden regierungsseitigen Erlaubniß waren zunächst vergebens, und erst am 20. Juni 1803 wurde ihm dieselbe zu Theil. Aber die Zwischenzeit war für die Mannheimer Verhältnisse eine inhaltsreiche gewesen, voll schwerer Sorgen. War doch Mannheim bis zum Sommer 1799 eine wichtige Festung und machte als solche alle Drangsale durch, welche einer bald in diesen, bald in jenen Händen befindlichen Festung in Kriegszeiten drohen. Die Stadt mußte unerschwingliche Opfer bringen. Die Bürger verarmten. Ein solcher Augenblick ist der denkbar ungünstigste zur Eröffnung einer Unterrichtsanstalt etwas höherer, mithin auch kostspieligerer Natur. Dazu kam noch, daß ein gewisser Herz Löw Sinzheimer und später auch ein Simon Löw Neugaß mit B. in Wettbewerb traten und gleichfalls Vorlesungen über die Handelswissenschaften ankündigten. B. suchte Schutz bei der Regierung, der ihm auch eine Zeit lang gewährt wurde, aber bald ließ man seinen Mitbewerbern gleich ihm freies Spiel, und nun gab der Brotneid Anlaß zu gehässigen Ausstreuungen, von denen nicht mehr zu ermitteln ist, wie weit sie begründet sein mochten, in denen aber B. den Kürzeren gezogen zu haben scheint. Jedenfalls bewarb er sich 1807 um eine Professur an dem in der Organisation begriffenen Lyceum in Mannheim. Er klagte „daß die Regierung den Juden [welche in ihrem jetzigen Zustandes wohl keine Christen bilden [393] sollten] die öffentliche Handelslehre erlaubte“; er berief sich auf Dienste, zu welchen der Staat ihn schon lange unentgeltlich gebraucht habe als welche er das Amt eines Censors erwähnte; er hob hervor, daß er sich in Mannheim durch Ankauf eines Hauses eingebürgert habe, daß er die schweren Kriegszeiten, in denen er mehrmals ganze Monate ohne Zöglinge gewesen sei, ausgehalten und eine Berufung nach Köln abgelehnt habe. Welches Bewandtniß es mit letzterer Ablehnung hatte, wissen wir nicht. Thatsache ist, daß in einem Briefe des Straßburger Astronomen Kramp von 1799 die Worte vorkommen „Unser Freund Bürmann ist seit einem Monate Professor der Mathematik in Cölln an meiner Stelle“. Jedenfalls waren also die Verhandlungen in ein sehr weites Stadium gerückt, als sie abgebrochen wurden. Alle diese Bewerbungsgründe, denen B. auch noch hinzufügte, daß er zwei Mal bereits bei der Pariser Akademie der Wissenschaften als Candidat zur Wahl eines correspondirenden Mitgliedes aufgestellt gewesen sei, was seine Tüchtigkeit als Gelehrter außer Zweifel setze, waren fruchtlos. B. wurde nicht zum Lycealprofessor ernannt, und ebensowenig wurde auf einen anderen von ihm gemachten Vorschlag eingegangen, seine Handelsakademie mit dem Lyceum zu verschmelzen. Nur eine Besoldung von 1000 Gulden wurde ihm im September 1808 verliehen, und von da an unterzeichnete B. als Großherzoglicher Director der Badischen Handlungsakademie, Professor der Mathematik und Censor. Von Fortschritten, welche die Anstalt Bürmann’s gemacht hätte, ist nichts bekannt. Im J. 1811 versuchte man Abänderungen des Lehrplans. Der Lehrgang dauerte zwei Jahre und der Preis betrug 3 Laubthaler im Vierteljahr oder 33 Gulden im Jahre. In den Unterricht waren als neue Gegenstände aufgenommen: Rechtschreibung und Rechtsprechung, Schnellschrift, Geheimschrift, Fernschrift, Allschrift, Poesie! Trotzdem sank die Schülerzahl 1812 auf 17. Infolge einer Visitation der Anstalt erklärte das Ministerium, dieselbe entspreche den gehegten Erwartungen nicht, sie müsse gemeinnütziger werden. Umsonst, der Besuch wurde schwächer und schwächer; bei Bürmann’s Tode (vielleicht schon einige Monate früher) ging die Anstalt ganz ein. Daß Bürmann’s Name sich trotz der im ganzen mangelnden Lehrerfolge erhalten hat, verdankt er seinen schriftstellerischen Leistungen und insbesondere der ersten derselben, einer der Pariser Akademie vorgelegten Reihenentwicklung, über welche Legendre 1796 in günstiger Weise berichtete. (Vgl. Mémoires de l’Institut II, 13–17. Ferner: Legendre, Exercises du calcul intégral 1817, II, 230 und Lacroix, Traité du calcul différentiel et intégral 1819, III, 623.) In den Lehrbüchern führt diese Reihe den Namen der Bürmann’schen. Anderes hat B. in dem von Hindenburg herausgegebenen Archiv der reinen und angewandten Mathematik, Heft 8, und in Hindenburg’s zweiter Sammlung combinatorisch analytischer Abhandlungen veröffentlicht, wobei schon der Ort des Abdruckes verbürgt, daß B. mit Begeisterung der damaligen combinatorischen Schule anhing, deren reichhaltige und ziemlich ungenießbare Sprache er noch um neue Zeichen vermehrte. Ein in dieser Form abgefaßtes Werk „Essai de calcul fonctionnaire“ wurde 1797 der Pariser Akademie eingereicht, aber der Bericht blieb aus, weil der Berichterstatter (Legendre?) sich in den vielen neuen Ausdrücken nicht zurechtfinden konnte. B. beabsichtigte in der Benutzung neuer Zeichen noch weiter zu gehen. „Ich gedenke einst [so heißt es in Hindenburg’s Archiv] Anfangsgründe der Mathematik zu ideographiren. Um der allgemeinen Verständlichkeit willen werde ich gar keine Buchstaben [im eigentlichen Sinne] gebrauchen.“ Das ist der gleiche Gedanke, den Leibniz in seiner Universalsprache zu verwirklichen gedachte, und an dessen Ausführung italienische Gelehrte etwa seit 1890 emsig beschäftigt sind.

[394] Vgl. M. Cantor i. d. Zeitschr. Math. Phys. 1872, XVII, 428–430; F. Caspari ebd. 1873, XVIII, 120–122. – Hnr. v. Feder, Geschichte d. Stadt Mannheim. Mannheim u. Straßburg 1875–1876. I, 387; II, 60–65.