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ADB:Böschenstein, Johannes

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Artikel „Böschenstein, Johannes“ von Ludwig Geiger in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 3 (1876), S. 184–186, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:B%C3%B6schenstein,_Johannes&oldid=- (Version vom 4. November 2024, 21:18 Uhr UTC)
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Böschenstein: Johannes B., geb. zu Eßlingen 1472, † 1540, verdient mit Recht nächst Reuchlin den Namen eines Wiedererweckers der hebräischen Sprache, den ihm die Zeitgenossen ertheilt haben, merkwürdig nicht nur wegen seiner bedeutenden Kenntniß dieser Sprache, sondern auch wegen der Schicksale, die er in Folge derselben erlitt. Man warf ihm nämlich, weil man einem geborenen Christen eine so eingehende, liebevolle Beschäftigung mit der hebräischen Sprache nicht zutraute, vor, daß er ein getaufter Jude sei, und er mußte sich gegen diese damals schwerwiegende Beschuldigung in einer eigenen Schrift („Ain diemitige Versprechung … seinem lieben Bruder Andree Osiander zugesannt“ s. l. e. a.) vertheidigen; ja man belegte ihn einmal mit Gefängnißstrafe, weil er im Reuchlin’schen Streite seine Verachtung der Feinde wissenschaftlichen Strebens zu heftig aussprach. Sein Lebensgang ist ein trüber und unruhiger; sein unstetes Wesen ließ ihm nirgends Ruhe. Nachdem er in seiner Vaterstadt von Moses Möllin aus Weißenburg Hebräisch gelernt und daselbst auch gelehrt hatte, kam er 1505 als Lehrer des Hebräischen nach Ingolstadt, wo er Kaspar Amman, Joh. Eck, Sebastian Sprenz u. A. zu seinen Schülern zählte, 1513 nach Augsburg, wo er sein erstes hebräisches Schriftchen („Elementale introductorium in hebraeas literas“, 1514, 12 Bll. in 4) herausgab, das außer dem hebräischen [185] und jüdisch-deutschen Alphabet einzelne grammatische Regeln und Uebersetzungen einiger christlicher Gebetstücke enthält; 1518 einem ehrenvollen Rufe folgend, nach Wittenberg, wo ihm Melanchthon bereitwillig Platz machte, ihn aber nicht lange zu halten vermochte, weil B. weder die Erwartungen auf seinen Fleiß, noch auf seine Liebenswürdigkeit im Umgange rechtfertigte. Hier entstand sein Werkchen: „Hebraicae grammaticae institutiones“, 1519 (16 Bll. in 4), in dem, da sich in Wittenberg keine hebräischen Typen befanden, die vorkommenden hebräischen Worte und Sätze hinzugeschrieben werden mußten, ein Buch, das in eigenthümlicher Weise praktische und theoretische Lehrmethode verbindet, indem es, nach einer Uebersicht der Laute und Zeichen ein Lesestück, die Genealogie der Jungfrau Maria, mittheilt, und nach genauer Silben- und Buchstabenerklärung der hierin vorkommenden Worte, kurze Bemerkungen über die noch übrigen Theile der Elementargrammatik enthält. Daß ihm bei dieser, wie anderen Arbeiten Reuchlin’s hebräische Werke als Muster vorgeschwebt haben, bekennt B. selbst an vielen Stellen. Außer durch eigene Schriften erwarb er sich Verdienst durch die Herausgabe der „Rudimenta Hebraica“ des Moses Kimchi, die er bei einem zweiten Aufenthalt in Augsburg (1520) veranstaltete. Von da ging er nach Heidelberg (1521), wo man ihn zu fesseln suchte, aber mit den geringen, von den vier Facultäten privatim aufgebrachten Mitteln ein längeres Verweilen nicht zu erlangen vermochte, und in den folgenden Jahren lebte er, schriftstellernd und lehrend, in Antwerpen, Zürich, wo er dem Reformator Zwingli hebräischen Unterricht ertheilte, und Augsburg, bis er 1525 in Nürnberg einen längeren Aufenthalt nahm. Doch obgleich er hier hebräischen Unterricht ertheilte und eine deutsche Schule hielt, trieb ihn der Mangel, dem auch mehrmalige Geldgeschenke des Rathes nicht abhalfen, wieder fort. Er ging nun nach Nördlingen, wo er in großem Elende starb. Außer den genannten Schriften veröffentlichte er deutsche Uebersetzungen: des Gebets Salomon’s aus dem 1. Buch der Könige, der 7 Bußpsalmen, der Klagen Jeremia’s und des Buches Ruth, aber die Sprache dieser Uebersetzungen, die sich dem Wortlaut des hebräischen Textes eng anschließen, ist höchst geschmacklos. Des Gelderwerbs wegen beschäftigte er sich neben seinem Hauptstudium auch mit anderen Dingen: er gab „Ain Newgeordnet Rechenbiechlein“ heraus, das zuerst 1514 und dann noch in mehreren Auflagen erschien; er benutzte seine Kenntniß der Bibel, um Tractätlein herauszugeben, die nichts sind als Zusammenstellungen von Versen des alten und neuen Testaments, wie „Ain getreuwe ermannung zu allem volck geistlichs und weltlichs stands der Crystenlichen Kirchen aufrur und zwytracht zu verhüten“; seinen der Kirche gewidmeten Eifer, der ihn bei der Kirchenspaltung ins reformatorische Lager trieb, ohne daß er doch hier die Stellung einnahm, die seinen Fähigkeiten entsprochen hätte, bewies er außerdem durch einige gedruckte Predigten, obwol es nicht bekannt ist, daß er irgendwo als Prediger gewirkt hat, und durch vier Kirchenlieder, von denen das mit den Worten „Da Jesus an dem kreuze stund“ beginnende das bekannteste ist. Während aber diese Lieder nur einen gläubigen, gottergebenen Sinn bekunden, zeigt die kleine Schrift „Wünschet allen tanzern und tanzerin ein schnell umbkeren am Rayen, ein keuchend herze, müde füsz, trübe auge, schweyßiges angesicht mit vil unseligen gedanken“. Augspurg 1533, wie sehr durch die traurigen Geschicke der letzten Jahre der Geist des Mannes umdüstert wurde. B. nannte sich gern mit dem ihm, wir wissen nicht bei welcher Gelegenheit, verliehenen Titel: „Kaiserlicher Majestät gefreyter hebräischer Zungenmeister.“

Köhler, Beiträge zur deutschen Kunst- und Litteraturgeschichte. Zweiter Theil. Leipz. 1794. S. 1–23; Erhard, Gesch. des Wiederaufblühens wissenschaftl. Bildung in Deutschland. 3. Bd. Magdeb. 1832. S. 332–340; [186] Wiedemann in Oesterr. Vierteljahrsschr. f. kath. Theol. II. Wien 1863. S. 70–88; L. Geiger, Studium der hebräischen Sprache in Deutschland. 1870. S. 48–55. 89 f. 135.