„Gedichte eines Optimisten“
[320] „Gedichte eines Optimisten.“ In unseren Gedichtsammlungen herrscht in der Regel ein nach berühmten Mustern arrangirter Pessimismus und die Welt liegt im tiefsten Schatten. Um so erfreulicher ist es, daß ein Poet einmal auf dem Titelblatte verkündet, er gehöre nicht zur Gemeinde der unheimlichen Schwarzseher, sondern sehe in der Welt noch Sonnenschein und frohe Menschen. Der Redakteur der „Deutschen Jugend“, Julius Lohmeyer, hat eine Sammlung mit solchem Titel herausgegeben (Leipzig, Liebeskind), und man erfreut sich an anmuthenden Liedern und stimmungsvollen Bildern aus dem Naturleben und sinnigen Sprüchen; denn gedankenreich kann auch eine Muse sein, welche nicht immer über den Abgründen des Daseins brütet. Ein paar kleine Liederblüthen aus dem Strauß der Lohmeyer’schen Dichtung wollen wir unsern Lesern nicht vorenthalten:
Nichts weiter als ein Tröpflein Thau
Auf weiter sonnbeglänzter Au;
Und doch, ein Blümchen hat’s erquickt,
Ein Wand’rerauge hat’s entzückt;
Durchleuchtet einen Augenblick
Ward’s von der Sonne Glanz und Glück.
Ein Tropfen Thau! Doch kannst du mehr
Auf Gottes Weltflur sein als er?
Kein Hüttchen ist so arm und klein,
Ein freundlich Gärtchen nennt es sein,
Und ist’s kein Gärtchen schmuckumhegt,
Von sorglich treuer Hand gepflegt,
So ist es doch ein Nelkenbeet,
Von Farbenglanz und Duft umweht,
Und ist’s kein Beet, so blüht ihm doch
Ein Rosenstock am Fenster noch,
Und wenn ihm selbst kein Röslein blüht,
Um das sich seine Hand bemüht,
Auch ohne Mühen,
Ohne Lohn,
Am Zaun noch blühen
Wind’ und Mohn. †