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„Der letzte Ritter des Frankenlandes“ und seine Tafelrunde

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Textdaten
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Autor: Fr. H.
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Titel: „Der letzte Ritter des Frankenlandes“ und seine Tafelrunde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 292–295
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Christian Truchseß von Wetzhausen und seine Tafelrunde auf der Bettenburg
I.
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[292]
„Der letzte Ritter des Frankenlandes“ und seine Tafelrunde.
I.


Es war ein lachender Septembertag, als vor dem äußersten Thore seiner Burg der alte Freiherr hoher Gäste harrte. Eine rechte Rittergestalt, so stand er da, den herannahenden Wagen entgegenschauend. Viel Volks drängte sich freudig um sie, denn aus ihnen grüßten die bildschöne Kronprinzeß des Königreichs und deren Mutter, die Herzogin eines kleinen Nachbarlandes. Und als die beiden fürstlichen Frauen, von ihrem adeligen Gefolge umringt, ausstiegen und der Freiherr den Arm zum Geleit der Herzogin bot, trat diese bescheiden zurück, auf die Kronprinzessin hinweisend, der sie im Rang nachstehe. Da erhob der alte Freiherr seine tiefe, sonore Stimme und sprach Allen vernehmbar: „Ew. Durchlaucht, wir stehen hier vor einer alten Ritterburg und in einer solchen hat immer die Mutter den Rang vor der Tochter gehabt.“

Wo liegt diese Burg? Und wer war der Freiherr, der auf gute, alte Sitte so ritterlich hielt?

Im gesegneten Frankenland, dem alten Kern des deutschen Reichs, ragt auf einem der Hügel, welche in dem weiten wonnigen Winkel zwischen dem Fichtelgebirgskinde, dem Main und der Thüringer Waldtochter, der Itz, wie letzte, ausschaukelnde Wellen der Berghochfluth der Rhön, des Thüringer-, Franken- und Steigerwaldes sich formenlieblich und laubwaldbedeckt erheben, ein Schloß aus ritterlicher Vorzeit auf, noch heute das alte, umschlossen vom alten Mauergürtel und bewohnt von den Sprossen des alten Herrenstammes: das ist die Bettenburg, das Besitzthum des Freiherrn Christian Truchseß von Wetzhausen. Die sinnigen Inschriften, die wir darin über jeder Thür finden und die werthvollen Bilder, welche alle Wände schmücken, würden allein den Namen des „alten Truchseß“ nicht so weit getragen haben, wie es seiner Zeit geschah, wenn nicht er selbst ein Liebling und seine Burg ein Lieblingssitz der Ritter vom Geiste seiner Zeit gewesen wäre. Der Verkehr mit ausgezeichneten Menschen in der Literatur, in der Kunst und im Leben, einerlei, weß Standes oder Glaubens, war sein höchster Genuß, er lebte mit ihnen in ihren Werken und zugleich durch die emsigste briefliche Unterhaltung, und so viel solcher Ritter an sein Burgthor pochten, sie waren des Freiherrn liebste Gäste. Und ebendeßhalb verdienen sicherlich Beide, der Liebling wie der Lieblingssitz so manches noch heute gefeierten Dichters und Schriftstellers, Staatsmannes und Fürsten, daß auch ihnen die „Gartenlaube“ vor den Augen der Gegenwart ein Denkmal setze.

Wenn wir nun unsere Leser auf die Bettenburg des „alten Truchseß“ führen, so gehen sie mit uns zugleich in eine Zeit zurück, welche, die Jahre von 1788 bis 1826 umfassend, zu den ideen- und thatenfruchtbarsten aller Geschichte gehört. Zwei Riesengeister zogen damals in ihre Reihe ein, der eine die Herzen seiner Nation adelnd und für die Kämpfe der Zukunft stärkend, der andere die Geister befreiend im ganzen Erdtheil: hier der der deutschen classischen Literatur, dort der der französischen Revolution. Beide vollbrachten einen mächtigen „Umschwung der Gesellschaft“ in Deutschland. Bis in höchste Kreise stieg der Athem der Freiheit; Freisinnigkeit und Patriotismus wurden dort wieder Tugenden, und Achtung des Talents galt als ehrende Pflicht. Insbesondere lebte damals in den sächsischen Herzogthümern Thüringens und Frankens, in Weimar, Gotha, Meiningen, Hildburghausen, Coburg, ein Kranz von fürstlichen Personen, die theils auch ohne Fürstenhut zu den Hervorragenden jener Tage gehört hätten und schon darum die Geister anzogen, theils ihre fürstliche Stellung benutzten, um – mit den oft bescheidensten Mitteln, so genügsam war man noch! – eine Tafelrunde Unsterblicher um sich zu versammeln.

Nicht in dieser Weise der Höfe, denen bei aller Freude an der Pflege und am Genuß der Schöpfungen und der Schöpfer des Schönen doch auch der Anspruch auf mäcenatischen Nimbus nahe stand, sondern von Haus aus auf dem einfachen, aber festen Grund einer großartigen Gastfreundschaft bildete sich allmählich die Tafelrunde der Bettenburg.

Nach in kurhessischen Kriegsdiensten verlebten Jugendjahren nahm der Freiherr im Jahr 1788, ein blühender Mann von dreiunddreißig Jahren, auf seiner Burg, die er wohnlich und geschmackvoll einrichtete und mit einem hübschen Park umgab, seinen [293] dauernden Wohnsitz. Bald entwickelte sich nun ein reges Leben auf dem Schlosse; Besuch zog von allen Seiten herbei, zunächst die adelige Nachbarschaft, dann auch die Fürsten der nahen thüringischen Höfe selbst und zwischen diesen vornehmen Gästen manche bescheidenere Lichter, namentlich Professoren von den nächsten Gymnasien, gleichsam Vorläufer der später zu den regelmäßigen Gästen zählenden dichterischen und gelehrten Notabilitäten.

Woher weiß ich denn aber das Alles so genau? Das ist schwer zu errathen. Aus jener ersten Bettenburger Zeit lebt Niemand mehr, die gedruckten Nachrichten über sie liefern nur Spärliches und meist zerstreut in den Schriften der Gäste, und selbst der gegenwärtige Herr der Burg steht im Alter jenen Tagen seines Großonkels zu fern für Beobachtungen dieser Art, und doch verdanke ich sie ihm allein und spreche ihm, dem Freiherrn Ernst von Truchseß auf Bettenburg, hiermit meinen Dank dafür aus, denn zu den vielen beschreibenden und bildlichen Mittheilungen, mit welchen er meine Arbeit unterstützte, legte er auch das Buch,

Die Bettenburg.

welches aus dem eigentlichen Ursprung der Bettenburger Tafelrunde, der großartigen Gastfreundschaft des Freiherrn Christian von selbst hervorgegangen und großentheils von seiner Hand geschrieben ist: die „Bettenburger Trinkgelder-Berechnungen von 1788 bis 1826“.

Ist dieses starke Heft in Quart von dauerhaftem Conceptpapier mit seinem einfachen Inhalt von Datum, Namen und Trinkgeldsumme auf den ersten Einblick nur ein Zeugniß für die väterliche Fürsorge des Freiherrn für Ordnung und Eintracht in seiner Dienerschaft, so werden doch, je weiter wir darin blättern, Namen und Zahlen immer bedeutungsvoller und schließlich spricht aus ihnen ein großes, gestaltenreiches Lebensbild. Dieses Trinkgelderbuch ist nun unser nächster Führer. Sollten namhafte Personen ohne Trinkgeld davongegangen sein, so trifft sie nur die gerechte Strafe für ihr Vergehen an der Bettenburger Dienerschaft, denn ihre Namen verschweigt, wie das Buch, so unser Artikel.

Als der erste fürstliche Gast betrat die Burg am 10. October 1791 der Herzog Georg von Meiningen. Ein Dreißigjähriger kam zum Sechsunddreißigjährigen, Beides rührige Geister vom besten Willen und auf gleicher Bildungsstufe. „Fürstenglück und Volksfreude gehören bei mir immer zusammen!“ äußerte der junge Fürst oft, und trieb es doch der Freiherr ganz so im Kleinen, wie es der Herzog eben auch nicht im Großen treiben konnte. Ebenso einig waren Beide in der Pflege des Schönen, der Kunst und Natur und in der Verachtung gegen Jeden, mochte er noch so hoch und vornehm im Leben dastehen, der die heiligen Forderungen der Humanität unerfüllt ließ, und ebenso einig im Widerwillen gegen thörichten Adelstolz; seine offen ausgesprochene Achtung vor dem bürgerlich ehrbaren Stand hatte dem Freiherrn als Officier sogar einen höchst lebensgefährlichen Zweikampf zugezogen, den einzigen, zu welchem er sich genöthigt gefunden. Kurz, die Freundschaft Beider war geschlossen; Georg kam nun jedes Jahr, bisweilen mehrmals, auf die Bettenburg, und wohl eben so oft Truchseß nach Meiningen und ward später sogar Gevatter seines fürstlichen Freundes.

In Meiningen machte Truchseß die erste persönliche Bekanntschaft mit damals hervorragenderen Dichtern und Schriftstellern; dort schloß er den Freundschaftsbund mit Ernst Wagner und Friedrich Mosengeil, mit dem ausgezeichneten Numismatiker von Donop und mit dem Verfasser des ausführlichsten Werks über das Thüringer Waldgebirge, dem Erzieher des Herzogs Georg, Präsidenten Heim, dessen berühmter Bruder, der „alte Heim in Berlin, ebenfalls im Trinkgeldbuch der Bettenburg als Gast steht. Vor Allem aber setzte der Mann, der jenen Meininger Heim „einen Kopf“ nannte, „aus dem man prächtige Funken herausschlagen kann – einen wahren Vesuv voll glühender Geisteslavaströme“ – Jean Paul nicht blos den Herzog Georg, sondern auch den Freiherrn von Truchseß in Feuer und Flammen. Das gab ein inniges Zusammenleben und herrliches Funkensprühen verwandter Geister voll jugendlicher Kraft. Georg war des großen Dichters Hausfreund. Wie oft setzte er sich bei ihm mit zu Tisch, den Jean Paul’s schöne, junge Gattin Caroline schmückte, und wie oft hörte die untere Marktstraße der kleinen Residenzstadt des Herzogs Ruf: „Jean Paul, kommen Sie doch schnell herunter!“ wenn er ihn zur Spazierfahrt abholte. Auch der „Bettenburger“ war bald von Jean Paul als „der letzte Ritter“ erkannt und er gewann sein ganzes Herz, als er einst bei froher Tafel die Stimmung Aller in den Trinkspruch faßte: „Jung waren wir, jung sind wir, jung bleiben wir, zur ewigen Jugend erwachen wir!“

[294] Nicht weniger, nur ein anderer Kunstgeist herrschte damals am Hofe von Hildburghausen. Die Gemahlin des Herzogs Friedrich, eines talentvollen, nur in der Ausbildung vernachlässigten, aber herzensguten Mannes, war die Herzogin Charlotte, die Schwester der Königin Louise von Preußen. Hat diese viele sie verherrlichende Dichter gefunden, so hatte jene sie weit mehr verdient – nicht blos durch ihre hohe weibliche Schönheit und Bildung: sie nahm im Gebiete der Tonkunst eine noch höhere Stellung ein, denn sie war eine der größten Sängerinnen ihrer Zeit. Ihre silberreine, volltönende und äußerst biegsame Stimme hatte sie unter dem Italiener Giuliani in Hannover kunstgerecht ausgebildet und übte sie mit rastlosem Eifer. Und nicht blos der Kreis ihrer Familie, nicht blos die Begünstigten, welche den Hofconcerten beiwohnen durften, sondern auch der ärmste Bürger ihrer Residenzstadt konnte sich wenigstens jedes Jahr einmal, in der Charwoche, wo sie bei der Aufführung von Graun’s „Tod Jesu“ in der Stadtkirche mitsang, ihrer seltenen Begabung erfreuen. „Ohrenzeugen“ – so wird aus jener Zeit berichtet – „wissen die feierliche Rührung ihres Vortrags der Recitative und der Arien in diesem Werke nicht genug zu preisen“. „Mit jedem Tone schien sie ihr eigenes begeistertes Gefühl auf die Zuhörer zu übertragen und keiner erschien als leerer, bedeutungsloser Klang; alle sprachen sie in ihrer Silberreinheit, gleich einer Sprache höherer Wesen, zum Herzen und erregten bei den empfänglichen Zuhörern dasselbe hohe Gefühl, welches in ihr selbst lebte.“ So urtheilte über sie der bekannte Joh. Friedr. Reichardt in seinem musikalischen Wochenblatt, und Jean Paul feierte sie als seine „wie aus Nachtigallen zusammengesetzte, wie eine Himmelssphäre singende Herzogin.“

Kein Wunder, daß eine solche Erscheinung den Ritter von der Bettenburg mächtig anzog, aber auch der Herzogin war er ein stets willkommener Gast, und er mußte auch ihr Gevatter werden, als ihr jüngster Sohn, Eduard, aus der Taufe gehoben wurde. Im September 1802 besuchte sie ihn zum ersten Mal auf seiner Burg, und da hallten die Räume des Schlosses auch von ihrer Stimme wieder, denn sie erfreute Jeden, den sie ehrte, gern mit ihrem Gesang. Und als Jean Paul 1803 auf seiner Umzugsreise von Meiningen nach Coburg in Hildburghausen verweilte (es hatte sich früher, im Jahr 1800, zwischen ihm und einer Hofdame sogar ein Liebesverhältniß angesponnen und der Herzog ihm, vielleicht nicht ganz ohne Beziehung damit, den Titel eines Legationsraths ertheilt), mußte auch der Bettenburger herbei. Damals war es, wo der bezaubernden Würde der Herzogin gegenüber selbst ein Jean Paul in eine wunderliche Verlegenheit gerieth. Er hatte sein Scheiden von Meiningen, wo Herzog Georg ihn um jeden Preis festhalten wollte, damit begründet, daß er für sein neues Werk neue Anschauungen brauche und diese in neuen Gegenden, unter anderen Menschen suchen müsse. Und als ihn nun an der fürstlichen Tafel die Herzogin nach dem Titel dieses neuen Werkes fragte, wollte dem Dichter das unhofmäßige Wort nicht über die Zunge. Er peinigte sich mit Umschreibungen, bis es endlich doch heraus mußte: „Die Flegeljahre“ Man erzählte sich damals, daß der Herzog nicht umhin gekonnt habe, seine Verwunderung darüber auszusprechen, daß der Herr Legationsrath für „so etwas“ gerade in Coburg neue Anschauungen zu finden glaube.

Hat Meiningen einen geistreichen Fürsten, Hildburghausen eine kunstreiche Fürstin auf die Bettenburg gesandt, so ist Coburg vertreten durch einen gefeierten Feldherrn: Prinz Friedrich Josias, des Kaisers und des Reichs Feldmarschall. Sein Name steht in der Geschichte. Wenn seine Siege über die Türken, seine Eroberung der Walachei schließlich für Oesterreich vergeblich gewesen waren, so theilt er darin das Schicksal so manches andern deutschen Feldherrn, wenn die Federn verdarben, was das Schwert gut gemacht hatte. Ebenso erfolglos blieben seine Siege über die Franzosen und seine Eroberung der Niederlande; aber der Schreckensruf des Pariser Convents über die Gefahr, die durch „Pitt und Coburg!“ Frankreich drohte, beweist, welchen Gegner man in ihm erkannt hatte. Sein flehentlicher „Aufruf an die deutsche Nation“, ihn im Kampf gegen die Uebermacht nicht zu verlassen, bleibt ein ehrendes Zeugniß für das edle patriotische Herz dieses deutschen Mannes; erst als er sein Heer und sich von Deutschland völlig verlassen sah, legte er den Stab nieder und zog sich in seine Vaterstadt zurück, wo er 1815 starb. Daß dieser alte Held ein häufiger Gast des Bettenburgers war, gereicht Beiden zur Ehre.

Stunden tiefer Trauer brachte dem Burgherrn einige Jahre später der Besuch der Wittwe seines fürstlichen Freundes Georg von Meiningen; der noch heute im Andenken seines Volkes durch Hunderte von Geschichtchen und Anekdoten, die alle von der Herzensgüte und Leutseligkeit, dem heiligen Regentenpflichtgefühl und der rücksichtslosen Gerechtigkeitsstrenge, dem freien, regen und vorurtheilslosen Geist und der energischen Thatkraft desselben zeugen, fortlebende „Herzog Jörg“, oder „der Jörg“, wie ihn am liebsten das Volk nannte, war am ersten Weihnachtsfeiertage 1803, erst zweiundvierzig Jahre alt, gestorben. Ein Denkmal in der Todtencapelle im Park der Bettenburg erinnert noch heute an die Seelenverwandtschaft beider deutscher Männer. Und hatte die Wittwe Trost und Stärkung beim treuen Bettenburger gefunden, so gönnte sie einige Jahre später auch ihrem einzigen Sohn Bernhard (Erich Freund, dem jetzt regierenden Herzog) die Freude, ein paar Tage bei ihm zu sein.

Der damals achtjährige Prinz kam in Begleitung seines Erziehers, des in jener Zeit durch seine Erzählungen („Liebenstein und die neuen Arkadier“, „Drei Freunde auf Reisen“, „Sommerabendstunden“ etc.) beliebten Schriftstellers Friedrich Mosengeil[1] und eines der innigsten Freunde des Freiherrn, des Dichters Ernst Wagner. Letzterer, dessen Roman „Willibald’s Ansichten des Lebens“ unsere Romanliteratur nur wenig Gleichgelungenes an die Seite zu stellen hat, war ein begeisterter Schüler und der einzige genießbare Nachahmer Jean Paul’s, der ihn der Herzogin von Meiningen zum Cabinetssecretair empfohlen und ihm dadurch eine sorgenfreie Lebensstellung gewonnen hatte. Der Körper dieses hochbegabten Geistes war leider der bejammernswürdigste; Wagner war ein armer Lahmer, der sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte, sodaß wirklich „der Armstuhl seine Heimath“ war. Mühselig mußte er geführt und getragen, und wenn er einmal die freie Natur genießen wollte, auf ein frommes Pferd gehoben werden. Er selbst schreibt darüber an Truchseß, in Beziehung auf seinen Besuch: „Meinen Schimmel will ich zu Hause lassen. Gewiß leiht mir Ihr Pächter einen kleinen, alten, schwer- oder doch langmüthigen, ziemlich sichern Gaul (ein Mühlesel wäre noch besser, denn der scheut niemals), mit einem Sattel, an dem ein tüchtiger Aufhängeriemen zum Dranhalten befestigt ist – auf dem ich einmal in Ihren ganzen Anlagen herumzückele“ etc. Und so geschah es.

Mosengeil hat Reise und Aufenthalt auf der Bettenburg in seinen „Briefen über den Dichter Ernst Wagner“ geschildert, und da wir darin zugleich die durchweg übliche Tagesordnung des gastlichen Schlosses kennen lernen, so nehmen wir das nun auch schon vierzig Jahre alte Buch zur Hand. – Der ganze Vormittag blieb der freien Verwendung der Gäste anheimgegeben. Jeder that nach seinem Gelüste; der ehrwürdige Ritter Truchseß besorgte seine Geschäfte und bedeutende Correspondenz (denn außer dem Vergnügen, gute, deutsche Schriftsteller zu lesen und zu beherbergen, kannte er kein größeres, als an sie zu schreiben); ein einfaches, aber trefflich mundendes Mahl vereinigte alle Gäste und der übrige Tag trennte sie nicht wieder. Ein Gespräch über Literatur war dem Freiherrn der köstlichste Nachtisch; eine schöne Erinnerung poetischer Genüsse verdrängte die andere, und nicht selten wurde aus der reichhaltigen Bibliothek schnell das eben Besprochene herbeigeholt zu erhöhtem, gemeinsamem Genuß. Gegen Abend hin gab’s gewöhnlich einen Spaziergang durch die anmuthigen Pflanzungen des schönen Gartens.

Und wir gehen auch mit; wir finden keine schönere Gelegenheit, uns den schattigen Wald und den Park mit seinen Monumenten, Capellen und Inschriftsteinen zu beschauen. Die Gesellschaft ist zum Abmarsch bereit. Wagner sitzt auf seinem Rößlein, den Sattelriemen in der Hand und, nach der Ueberwindung der Aufsteigebeschwerden, selig lächelnd. Und da kommt auch der Burgherr, im grauen Jagdrock, den Hakenstock in der Faust und auf dem Haupt die Mütze mit dem großen Schirm, denn eine schon fast fünfzehnjährige Augenschwäche ist das Einzige, was ihm bisweilen das Leben trübt. Die Zugbrücke (jetzt breiter chaussirter Damm) wird nun überschritten, [295] wir wenden uns links hin und – „o du tausendfaches Christfest!“ ruft Wagner aus: ein Kastanienwäldchen leuchtet ihm mit seinen Blüthenkerzen entgegen. Daneben liegt ein größerer Platz mit einzelnen Prachtexemplaren von Bäumen.

Abermals etwas links auf breitem Wege, auf dem wir uns bequem um unsern Reiter gruppiren können, geht’s einer steilen Bergwand entgegen. „Welche prächtige Linde dort!“ ruft Wagner. „„Dafür beschattet sie auch den Charlottenplatz. – Sie ahnen wohl, welcher Charlotte er geweiht ist? Ahnen’s doch selbst die Nachtigallen, denn nirgends singen sie schöner, als da.““ – „Und wie lieblich der Wiesengrund da unten lacht!“

Aber weiter – immer rechts am Berg hin in den Wald hinein, über Schluchten hin auf sicheren Stegen, die auch Wagner’s Rößlein nicht scheut. Hohe, stattliche Buchen, durchzogen von blätterreichem Buschwerk und saftigen Moosflächen. Doch endlich lichtet sich’s, wir stehen am Waldrand und drüben winkt uns die „Morgenhütte“, geschmückt mit einem Spruch, welcher den Morgen der Natur hier und den der Ewigkeit dort verherrlicht.

„Nicht lange, so suchest du
Mich vergebens im Felde,
Rufst vergebens den Schlummer!“

murmelte der kranke Dichter mit trübem Blick. „„Nicht doch, Wagner““, sagt der Freiherr, „„der Gedanke an die Ewigkeit soll uns nicht traurig stimmen. Ebendeßhalb habe ich ihn mit dem Alles belebenden Morgen und dieser heiteren Stätte in Verbindung gebracht. Mir ist der Tod der Uebergang zu höherem Glück, kein Trauerfall, und darum ist mir nichts mehr zuwider, als Todtenklage und Trauerkleid.““

„Ist gar schön gedacht – aber was kann mein Herz dazu, daß ihm schauert, wenn ich an sein Stillstehen denke, das ihm in meiner armen Brust so nahe bevorsteht?“

„„Mein Herzensfreund,““ – Truchseß erfaßt Wagner’s Hand, das Pferd zum Wald zurücklenkend – „„wen der gute Gott mit einem so reichen Geist beschenkt hat, der darf nicht murren über Armuth des vergänglichen Leibes. Und wer kann denn dem Jenseits entschlossener entgegen gehen, als Ihr schon diesseits Unsterblichen?““

An einer großen Fichte weidet man sich an dem freien weiten Blick, der sich hier in das tiefere Land öffnet. Jetzt reiten und gehen wir einen Hang hinunter, wo die ansehnliche Spiegelfläche eines Teichs uns winkt, von dem ein Arm sich nach uns ausstreckt, dann wenden wir uns rechts aufwärts zur Einsiedelei, die bestimmt ist „für den, der ein unbefangenes Herz in die Einsamkeit mitbringt, denn ihm erhöht sie jede Freude des Lebens.“ Wie sehr auch Wagner sich hier gefesselt fühlt, so drängt der Burgherr weiter, höher bergan, am steinernen Altar der Einsiedelei unter einer mächtigen Eiche vorüber zur Säule des Scheidewegs, der links mit den Worten:

„Prüfend wandle den Weg, der hier zum Genusse dich locket“ zum Minnesängerplatze, und rechts mit dem Troste:

„Ruhig betrittst du dann den, welcher zum Ziele dich führt“ in sinnigster Weise an dem Spruch: „Der Mensch werde am Morgen des Lebens abgerissen oder er falle im Alter gleich einer reifen Aehre, so fällt er immer zur rechten Zeit nach dem Plan der Natur, wenn er der Vernunft gelebt hat und als ein Mensch gestorben ist“ –– und abermals über eine Schlucht hin am Ring der Ewigkeit (auf einer Pyramide eine Schlange, die, den Schwanz im Rachen, einen Ring bildet, innerhalb dessen ein Eichenblatt mit Puppe und Schmetterling und die aufgehende Sonne dargestellt sind) vorüber zur Todtencapelle führt.

Schon das Herannahen zu diesem einsamen Tempelchen, dessen Eingang der Genius mit der umgekehrten Fackel bewachte, gab eine feierliche Stimmung, so daß wir Alle schweigend nahten – erzählt Mosengeil. Wagner wurde vom Pferde gehoben und in die Capelle geführt. Im Halbdunkel des Waldschattens und des einfach geschmückten Raums erkannten die Gäste rings an den Wänden auf marmornen Gedenktafeln die Namen der hingeschiedenen Lieben und Freunde des Freiherrn – ein Stück Geschichte seines Herzenslebens. Kein Wort, kein Lispeln wurde laut. Aber aus Wagner’s Augen rollten Thränen, als er auf eine noch leere Tafel hinwies, Truchseß einen bittenden Blick zuwarf und auf sich deutete. Erschüttert schloß ihn der starke Ritter in seine Arme. Da drang ein heftiges kindliches Schluchzen an ihr Ohr. Prinz Bernhard lehnte den Kopf an eine Gedenktafel und weinte bitterlich; sie trug den Namen seines Vaters.

Die Marmorplatte, welche der Blick des kranken Dichters für sich gewählt hatte, trägt jetzt die Inschrift: „Ernst Wagner, geboren am 2. Februar 1769, gestorben am 28. Februar 1812.“

„„Kommt, laßt uns den letzten Strahlen der Sonne nachschauen, wir leben ja noch!““ Damit führte der Freiherr seine Freunde wieder ins Freie; Wagner wurde aufs Pferd gehoben und bald stand der kleine Zug abermals vor einer Brücke, die über eine Schlucht führte. Eine Säule ragte vor ihnen auf mit vielen kleinen Medaillons, von denen mehrere mit Namen beschrieben waren. „„Das ist mein Denkmal der Geschwisterliebe im Truchseß’schen Hause. Ich habe bestimmt, daß die Namen der Geschwister erst dann hier eine Stelle finden, wenn sie das dreißigste Jahr zurückgelegt und bis dahin in Friede und Einigkeit gelebt haben.““

„Dann ist gewiß kein Ausstreichen von dieser Ehrensäule mehr nöthig,“ bemerkte Wagner, der, wie Mosengeil, eine solche Stiftung in jede Familie wünschte.

Hundert Schritte weiter kam man an der schönen gothischen Margarethen-Capelle mit trefflichen Glasmalereien vorüber und bog nun zum Scheidewege zurück, um den dort zur Linken abbiegenden Weg des Genusses zu betreten. Es geht wieder bergauf. Oben streckt eine uralte Eiche ihre knorrigen Aeste über das Denkmal für Götz von Berlichingen und Franz von Sickingen aus und an ihm und einer künstlichen „alten Burg“ vorüber gelangen wir zum Minnesängerplatz.

„Welch’ reizender Raum für eine Dichter- und Heldentafelrunde!“ rief Wagner aus. „Ein Tempel der Natur, in welchem Eichenstämme die mächtigen Säulen und Eichenkronen das Dach bilden. Hier die Stein-Estrade mit der steinbildgeschmückten Rückenwand und den staffelförmigen Seitenwänden, ganz geschaffen zum Ehrensitz für die holden Edelfrauen und hohen fürstlichen und ritterlichen Preisrichter des Minnegesangs – –“

„„Hoho,“„ lachte der Freiherr, „„die dicken Schulzen und Bauernweiber der Umgegend nehmen ihn jetzt häufiger ein, als so hohe preisrichterliche Welt. Die Land- und Stadtleute benutzen diesen Platz oft zu allerlei Familien- oder Gesellschaftsfestlichkeiten, und ich habe das gern, weil man keinen Unfug dabei duldet und meine Anlagen und Pflanzungen schont.““

Der Weg führt nun leicht aufwärts in den Wald hinein, zuerst zu einem Denkstein für Ulrich von Hutten, der von schlanken Föhren überragt ist, und dann nach etwa zehn Minuten zum Dichterhaus, wo die Bettenburg so vor uns steht, wie unsere Abbildung sie giebt. Der Freiherr hatte aber noch eine Ueberraschung für seine Freunde bereit und spornte zur Eile an, um noch höher hinauf abermals zu einem Waldrand zu gelangen, wo sein Jagdhaus stand. Hier machte Alt und Jung mit einem Ah! dem freudigen Herzen Luft: da streckte sich weithin das Land mit seinen Dörfern, Wiesen, Feldern und Wäldern aus, schon von langen dunklen Schatten der Dämmerung durchzogen und die Gipfel der Haßberge von der scheidenden Sonne vergoldet. Erst als ihr letzter Strahl verglommen war, setzte der Zug zum Heimgang sich wieder in Bewegung. Der Weg führte ihn zum Charlottenplatz zurück, der Nordwand der Burg entlang, durch ein Musterwäldchen, in welchem Truchseß alle in Deutschlands Forsten vorkommenden Bäume pflegte, und am äußersten Ende desselben zum Freundschaftsplatz, den „hessischen Freunden“ des Freiherrn geweiht und mit Schiller’s Worten: „Wem der große Wurf gelungen etc.“ auf einer Steintafel geziert.

„„Dank ihm, daß er dies sang,
Heil ihm, daß er es lobte!““

fügte Truchseß, hinzu. Die Seele voll des Gesehenen folgten die Gäste ihrem edeln Führer in das Schloß zurück.

Fr. H.




  1. Mosengeil war auch einer der ersten Deutschen, die sich mit der jetzt so allgemein verbreiteten, zum publicistischen Tagesbedürfniß gewordenen Stenographie beschäftigten; sein Schriftchen darüber erlebte 1819 in Jena die dritte Auflage. Mosengeil starb 1839.