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Über die Wüste

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Textdaten
Autor: Professor Dr. Oskar Fraas
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Titel: Ueber die Wüste.
Untertitel: Volksblatt. Eine Wochenzeitschrift mit Bildern. Jahrgang 1878, Nr. 5, S. 34–39
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Herausgeber: Dr. Christlieb Gotthold Hottinger
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Dr. Hottinger’s Volksblatt
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Erscheinungsort: Straßburg
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Quelle: Scan auf Commons
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Ueber die Wüste.

Seit einigen Wochen erfüllt der Name des kühnen amerikanischen Zeitungs-Berichterstatters Henry Stanley die gebildete Welt. Was Hunderte von Abendländern vor ihm versucht, aber nicht ausgeführt hatten, ist ihm gelungen: er ist in das centrale Afrika eingedrungen und hat damit ein neues Land erschlossen, etwa 10mal größer als das Deutsche Reich. Er hat nicht bloß der Wissenschaft, sondern dem Handel und Verkehr ein Ländergebiet eröffnet, von der größten Fruchtbarkeit, dicht bevölkert mit Städten, reich an Metallen, an Baumwolle, Palmöl, Kopal, Kautschuk und vor Allem an Elfenbein, das so gemein dort ist, daß man mit den Zähnen einfriedigt, Tempel aus Elfenbein baut und die gewöhnlichsten Geräthschaften daraus gefertigt werden. Stanley erreichte sein erstaunenswerthes Ziel, auf das er schon seit 1869 losstrebt, an der Spitze einer eigenen kriegerischen Expedition (Unternehmung), mit welcher er am 9. November 1876 Nyangwe verließ, um nach 9 Monaten unter blutigen Kämpfen mit verrätherischen und kriegerischen Stämmen, unter Anknüpfung von Handelsverbindungen mit friedlichen, weder von Muhamedanern noch von Portugiesen berührten Völkern am 8. August 1877 in Congo einzutreffen. Es kann nicht fehlen, daß diese geglückte That des ebenso kühnen als hochherzigen Amerikaners rückwirkt auf die Versuche der Europäer, vom Norden Afrikas her durch die Wüste ins Innere Afrikas einzudringen. Seit 50 Jahren verschlingt die Wüste die edelsten Kräfte, die theils aufgerieben werden in dem Wüstengürtel, theils erlahmen, bis er überwunden ist. In richtiger Würdigung dieser Schwierigkeiten, von Egypten oder von Tunis aus in das Innere des unbekannten Welttheils vorzudringen, hat die deutsche afrikanische Gesellschaft, noch ehe Stanleys beispiellose Erfolge kund wurden, im Congolande eine Station errichtet, um etwa auf Livingstones Wegen von Westen her zu erreichen, was der Amerikaner von Osten her so glücklich errungen hat.

Werden nun aber auch in Zukunft die europäischen Afrika-Reisenden ihre Richtung verändern und nicht [35] mehr wie seit den Zeiten der römischen Kaiser das Nilland als Ausgangspunkt ihrer Unternehmungen wählen, so bleiben doch die großen Verdienste ungeschmälert, die sich namentlich in den letzten Jahrzehnten opfermuthige, thatkräftige Männer durch ihre Reisen in der Wüste erworben haben. Haben sie uns doch den Blick eröffnet in ein räthselhaftes Land, das sich in einer durchschnittlichen Breite von 1000 Kilometer quer durch Afrika und Asien hinzieht und durch die Großartigkeit seiner Erscheinung stets den tiefsten Eindruck auf den menschlichen Geist gemacht hat.

An Großartigkeit kommt der Wüste nur das Meer gleich, mit dem es auch darin Aehnlichkeit hat, daß man von wenigen, seit Jahrhunderten feststehenden Küstenpunkten aus eine Wüstenreise anzutreten hat. Nur an solchen Punkten, wie Tunis, Cairo, Sues, Siut etc., liegen die Schiffe, die man nöthig hat, d. h. sind die Kameele und ihre Führer zu treffen, ohne welche bekanntlich die Wüste nicht betreten werden kann. Wer schon in Cairo war, dem fiel sicher gleich in den ersten Tagen nach seiner Ankunft ein Schlag hochgewachsener brauner Männer auf, an deren stolzer Haltung sich das Auge weidet. Aus ihren scharfen, bärtigen Zügen spricht natürliche Würde und selbstbewußte Mannheit: es sind bedawi, Bewohner der Wüste. Auf den ersten Blick schon sieht man den hageren Gestalten an, daß sie mit den Bewohnern des Nilthals Nichts gemein haben. In ihrem ganzen Wesen, ihren Gewohnheiten und Lebensanschauungen sind sie noch dieselben, wie sie schon der griechische Geschichtschreiber Herodot schildert, waren sie doch bereits damals der Ueberrest jener alten Bevölkerung, aus Zeiten stammend, da die Wüste noch keine Wüste war, welche beim allmählichen Zurückgehen des Kulturlandes es vorzog, bei Hunger und Kummer in der freien Wüste zu bleiben, als wie Andere ihrer Brüder in fruchtbare Zonen auszuwandern. Nach und nach gewöhnten sich diese Menschen zugleich mit dem immer magerer werdenden Boden an das nüchterne, anspruchslose Wesen, an eine Bedürfnißlosigkeit sonder Gleichen, welche den Abendländer in gerechte Verwunderung setzt.

Um wahr zu sein, dürfen aber auch die Schattenseiten des Beduinen nicht verschwiegen bleiben. Sie hängen mit dem glücklichen Temperament der Sorglosigkeit zusammen, werden aber in Wahrheit zur Energielosigkeit und Trägheit, die den Mann zu einer ernsthaften Arbeit untauglich macht, so wenig er sich zur Verfolgung eines bestimmten, ihm noch unbekannten Zieles hergibt. So scheiterte die Rohlfs’sche Expedition von 1874 in der libyschen Wüste namentlich an der Unfähigkeit der egyptischen Beduinen, die sich ganz einfach weigerten, von den ihnen noch bekannten Oasen aus in den ihnen unbekannten Westen vorzudringen.

Lenksamer in dieser Beziehung als ihre Herren sind die Thiere, ob sie gleich oft störrisch genug sind, die Kameele. Ruhig, fast lautlos streicht dies Fahrzeug durch die Wüste; denn das Thier tritt wie mit Filzsohlen auf oder in großen Schlappschuhen; kein Straucheln unterbricht den regelmäßigen Gang, kein Schwanken nach rechts oder links bringt den Reiter aus dem Gleichgewicht. In langsamem, aber sicherem Paß schreitet das Thier einher, 2 Meter mit jedem Schritte vorwärts greifend, 42–45 Schritte in der Minute machend, also daß man in der Stunde 4 Kilometer zurücklegt und von Morgen bis zum Abend 36–40 Kilometer vorwärts kommt. Dies ist die gewöhnliche Leistung des Kameels und war auch die Leistung bei der deutschen Expedition in die libysche Wüste. Unermüdet im größten Sonnenbrand, ohne den Tag über anzuhalten, zieht das Thier fort, bis die Schatten länger werden und der Horizont sich röthet. Da erst fängt das Thier an, um sich zu schauen, gleichsam fragend, ob man noch nicht bald genug habe und beschleunigt wohl auch den Schritt, um den wohlbekannten Lagerplatz zu erreichen, der im Schutze eines Felsens oder in einer Bodensenkung gewählt ist.

Bis abgepackt und das Zelt aufgeschlagen ist, bis Feuer angemacht und abgekocht wird, ist indessen ein Stern um den andern sichtbar geworden und bis abgegessen ist, steht der volle Sternenhimmel in ungetrübter Pracht über uns, bis nach kurzer Zeit neben dem verglimmenden Feuer Menschen und Thiere in den wohlverdienten tiefen Schlaf verfallen. Nichts stört die Ruhe der Nacht, höchstens schnuppert nächtlicher Weile ein Schakal oder ein Hund der nächsten Oase um’s Zelt, ob er einen abgenagten Knochen erhasche oder eine Vorrathsbüchse auslecke. Am wohlthuendsten wirkt die Abwesenheit der kleinen, blutdürstigen Räuber aus der Insectenwelt, welche die Nächte in den Städten am Mittelmeer so qualvoll machen. Kein Schlaf ist dem Schlaf in der Wüste zu vergleichen, von dem der Reisende beim Aufgang des Morgensterns erquickt und gestärkt erwacht; denn dünn, rein und klar ist die Luft, wie man sie in Europa nur im Hochgebirge kennt, also daß europäische Aerzte bereits Luftkurorte in der Nähe der großen Städte in der Wüste errichtet haben, wo Lungenkranke und an Schlaflosigkeit Leidende Heilung suchen. Die Temperatur der Nacht ist kühl, häufig sogar kalt, so daß man sich gerne in Mäntel und Decken hüllt. Eis bei Sonnenaufgang ist gar nicht selten, aber trotzdem steigt Mittags die Wärme auf 30° C. im Schatten. Diese gewaltigen Verschiedenheiten der Lufttemperatur üben auf die Gesteine sowohl als auf die Erscheinungen in der Luft einen Einfluß, der für die Wüste karakteristisch wird. Die Steine des Bodens fangen an zu zerspringen, sobald die kalte Nachtluft die während des Tages erhitzten Steine berührt, desgleichen wenn die Sonne die nächtlicher Weile erkälteten Felsen erwärmt. Je nachdem haben Reisende stundenlanges Geknatter vernommen, das sich bis zu Pistolenschuß ähnlichem Knallen steigert. Namentlich sind es die Feuersteine des Kreidegebirges, welche beim raschen Wechsel der Temperatur mit scharfem Ton zerspringen und die Fläche mit Splittern übersäen. Auf demselben Grund, der die Steine zersprengt, beruht die bekannte Erscheinung der Luftspiegelung, auch [38] fata morgana benannt. Eine Gebirgswand vor uns liegt so nahe, daß wir sie im Laufe einer halben Stunde erreichen zu können glauben – in Wahrheit ist sie noch eine Tagereise fern. Siehe da ganz nahe vor uns ein See, dort wieder einer, er ist sogar deutlich von Palmen beschattet und dahinter sind Mauern, Häuser, Minarets! Erstaunt fragen wir nach dem Namen der Stadt und des Wassers, aber verächtlich antwortet der Sohn der Wüste: bahr es sheitan, – Satans Wasser, Teufels Trug. Halten wir aber einen der trügerischen Punkte mit den Augen fest, bis wir ihn über kurz oder lang erreichen, so war es ein Stein nur wenig größer als die andern, der sich in der zitternden Luft verzerrte.

[37] Pflanzenwuchs in der Oase Farafreh (in der libyschen Wüste in Afrika; nach einer Photographie).


Daher sind auch die Wegweiser in der Wüste leicht anzubringen: Einige zusammengetragene Steine, die Blattrippe eines Palmzweigs oder ein gebleichter Kameelsknochen sind weithin sichtbare Orientirungspunkte in der Ebene. Dabei ist es eine zwar allgemein verbreitete, aber nicht desto minder irrthümliche Vorstellung, sich die Wüste als eine weite mit Sand erfüllte Ebene zu denken. Allerdings findet sich in der libyschen Wüste vorherrschend Sand, den die Stürme über die Ebenen fegen, sonst aber bietet die Wüste denselben Wechsel von Höhe und Niederung, von Kalk und Schiefer, von Sedimentgestein und crystallinischem Gebirge, wie das auch in unsern Kulturländern getroffen wird. Ja es findet der Europäer allenthalben bekannte Bergformen aus der Heimath, die in der Wüste wiederkehren. Eines nur bleibt bei allem Wechsel der Landschaft und aller Verschiedenheit des Untergrunds, der hier Salz und Gyps, dort Kalk und Mergel, hier weißer Sand und dort Schiefer führt, Eines bleibt nahezu unverändert: es ist das Wetter. Man sagt wohl von den Schwaben, wenn sie sich begegnen, sei das erste Gespräch über das Wetter; davon spricht man in der Wüste nie. Unverändert, wolkenlos ist der Himmel und ein Regen, der selbstredend die Oasen und die Quellen speisen muß, ist stets ein Ereigniß. In Niederegypten zwar und an der nordafrikanischen Küste verschlagen sich zum öftern während der Wintermonate Seeregen ins Land, es ist aber mehr ein Regenstaub, der den Staub des Bodens legt, dagegen steht es in Oberegypten in der That oft Jahre an, bis der Regen fällt. Wenn aber in den Monaten April und Mai die Zeit der Sommerregen in den Tropen beginnt, da trifft wohl von Zeit zu Zeit ein Ausläufer der Tropenregen die dürre Wüste. Dann stürzen aber auch gleich Wassermassen herab, von denen man in Europa kaum einen Begriff hat. Unter den heftigsten Donnerschlägen mit Hagel vermischt, brausen Platzregen nieder, welche die Wüste wirklich mit Wasser überschütten; die Niederungen wandeln sich in Seen, jede Schlucht zum Gießbach, die großen Trockenthäler in Stromläufe, die glücklicher Weise keine Städte zerstören, keine Felder verwüsten. Der Beduine aber flüchtet sich mit seinen Heerden auf einen Felsen und wartet ruhig das Ende des Ereignisses ab, dankbar für den Segen, den ihm Allah geschickt hat.

Dagegen ist ein Naturereigniß andrer Art der Schrecken selbst der Beduinen, der Wüstensturm. Während der vier Monate Februar bis Mai wird die Luft regelmäßig von Süden und Südosten aus bewegt. In den Nachmittagstunden steigert sich beständig diese Strömung, zuweilen aber wächst sie zum Sturmwind an, ja zum fürchterlichsten Orkan, dem Samûm, oder wenn er mit unerträglicher Hitze rein aus Süden bläst, zum Chamsîn. Der letztere ist entschieden die entsetzlichste und gefürchtetste Erscheinung der Wüste, welcher nicht bloß Menschen und Thiere zum Opfer fallen, sondern oft der Segen eines ganzen Jahrs, wenn er über die blühenden Palmen fährt und mit seinem glühenden Hauch versengt. Die Luft erfüllet sich dann mit Staub, gelbe Wolken steigen auf; ein Staubnebel bildet sich so dicht, daß man seine nächste Umgebung nicht mehr erkennt. Von Minute zu Minute steigert sich die Gewalt des Sturms; Augen, Ohren und Mund füllen sich mit Staub, der bis in’s Uhrengehäuse dringt. Nach Kurzem rast der Sturm, daß er Sandkörner und Steinsplitter mit sich reißt, Gesicht und Hände peitscht, daß man sich schleunigst in Decken und Mäntel hüllt und windabwärts kauert hinter Kisten und Koffer. Die Luft hat sich zur Ofengluth erhitzt, die Zunge klebt am Gaumen; keuchend recken die Kameele ihre Hälse nach der Richtung des Windes, der heulend und pfeiffend über die Wüste fegt und den Felsen glatt scheuert, wie in den Hochalpen das Gletschereis. Nach 1½–2 Stunden ist glücklicher Weise die Tollwuth des Sturmes gebrochen, und strahlt die Sonne wieder in ungetrübtem Glanz; Staub und Sand fallen ruhig zur Erde nieder, die Oberfläche mit wunderlichen Gebilden von Wellen und Hügeln bedeckend, genau wie in unseren Breiten eine Winterlandschaft nach einem Schneesturm sich gestaltet.

So unendlich kahl der Anblick der Wüste, so fehlt die Pflanzenwelt nicht ganz. Die ob auch seltenen Regen dringen eben doch, wo es überhaupt möglich ist einzudringen, in den Untergrund, um Quellen- und Grundwasser zu erzeugen, geradeso wie das auch sonst auf der Welt der Fall ist. Wo nur Grundwasser sind, ohne zum Auslauf zu kommen, erzeugt sich die Wüstenflora, fremdartig freilich anzuschauen für einen Abendländer; fahl, gelb und braun sehen die meisten Pflanzen aus, stachlig, fleischig, klebrig. Ist doch ähnlich gefärbt auch die ganze seltene Thierwelt, die aschgelbe Lerche, das Wüstenhuhn, die Gazelle, der Springhase, der Schakal, die Hyäne. Während der Wintermonate sind alle die Niederungen mit Vegetation von den Heerden der Beduinen besetzt, und nagen Kameele und Schafe an ihr herum. Sobald aber der Sommer kommt, hört das Frischfutter auf; die Zeit des Hungers fängt für sie an und die Fütterung der Thiere mit Bohnen und Körnerfrüchten, die in den Oasen und im Nilthal reiften.

„Oasis“ ist der alt griechische Name für den berühmten Sitz des Jupiter Amon, heute Siuha genannt. Später wurde der Name verallgemeinert und bedeutet jetzt Oase überhaupt jeden Ort, an welchem eine lebendige Quelle [39] sprudelt, die ihre Umgebung alsbald in das fruchtbarste Culturland verwandelt. Das Wahrzeichen aller Oasen ist die Dattelpalme, die Königin des Morgenlandes, die Hauptnahrung des Beduinen, der Zankapfel der Familien, der Steuergegenstand der Regierung, soweit ihr Arm in die Wüste reicht. Die Perle aller Oasen, die berühmteste seit den Zeiten Alexanders des Großen, bleibt das alte Amonium, jetzt Siuha, 1874 letztmals von der deutschen Wüstenexpedition besucht. Noch stehen die Trümmer des alten Heiligthums im Palmenhain und gleich mächtig sprudeln noch die heißen Quellen aus dem Felsen, welche das Kulturland und die Palmenwälder befeuchten. Das frische Grün der Bäume, die azurblauen Seen, der ewig wolkenlose Himmel, die rinnenden Bäche, das rege Leben von Hunderten von Kameelen und Beduinen, welche die Dattel-Ernten nach Egypten schaffen, alles vereinigt sich, um ein Bild von zauberhafter Wirkung aus Siuha zu machen. Kein Wunder, daß die Alten das irdische Paradies, den Sitz der obersten Gottheit hierher verlegten.

Von selbst drängt sich dem denkenden Geist die Frage nach der Bildung der Wüste auf; denn es steht fest, daß sie nicht von Anfang der Dinge an existirte; reich von Menschen bevölkert erscheinen, je länger man sie durchforscht, die Stätten, die jetzt öd und leer liegen. Man stößt auf Ruinen von Tempeln und Palästen und neuerdings, seit man anfing darauf zu achten, auf Tausende jener bekannten Feuersteinmesser (silex taillé), die in den europäischen Höhlen und Torfmooren oder uralten Grabstätten gefunden werden, so daß in vorgeschichtlicher Zeit die Wüste von denselben Jägervölkern durchstreift erscheint, welche auch Deutschland und Frankreich durchzogen. Die gewöhnlichste Erklärung der Wüste ist heutzutage die von dem großen Naturforscher Humboldt aufgestellte, wonach ein oceanischer Einbruch in Folge von Senkungen und späteren Hebungen die Wüste veranlaßt haben soll. Dieser Ansicht gegenüber hat ein anderer Gelehrter (Peschel) es für ausreichend erachtet, allein nur aus dem Nordost-Passat (einem Winde) die Kahlheit des Wüstengürtels zu erklären, die von den Capverd’schen Inseln an quer durch Afrika, Arabien, die Kaspigegenden und die hohe Mongolei sich hinzieht. So sicher Peschel Recht hat, den Passatströmungen die Hauptursache der Wüstenbildung zuzuweisen, so wirken aber doch auch noch andere Ursachen mit, die uns die Forschungen des russischen Reisenden Prschewalsky in der Wüste Gobi kennen gelernt haben, desgleichen die Forschungen in der libyschen Wüste, wo die ausgedehnten Sandsteinbildungen, ihre leichte Zerstörbarkeit bei den großen Verschiedenheiten der Witterung, ihre Untauglichkeit zur Ernährung der Pflanze und zur Festhaltung des Grundwassers mit in Rechnung zu ziehen sind. Denn auch jetzt ist nur da, wo der Sand zurücktritt und Thon und Mergel den Untergrund bilden, eine Vegetation zu treffen. In Folge der stets sich erneuernden Sandbildung aber, verbunden mit der durch das Verhalten des Quarzsandes erhöhten Ausstrahlung schreitet die Wüste immer vorwärts und erobert alljährlich Gebiet, wie dies in geschichtlicher Zeit mit all den einst blühenden reichen Culturländern der Meder, Assyrer, Syrer und Araber der Fall war.

Die nächste Folge der fortschreitenden Wüstenbildung aber kann nur die Verdrängung der Bevölkerung sein, welche zunächst auf die Nachbarbevölkerung der Wüste drückte und weiterhin Völkerwanderungen veranlaßte. Die jüngste Wüstenbildung ist die der Gobi, die in die ersten Jahrhunderte dieses Jahrtausends fällt. Mit ihr hängt der letzte große Völkerschub zusammen, der von der Mongolei aus Westasien überfluthete und bis zur unteren Donau sich ergoß. Tausend Jahre früher drängte die Wüstenbildung in Arabien und den kleinasiatischen Ländern auf die Anwohner des Pontus und schob schließlich die Hunnen und Panonier donauaufwärts. Dieser Völkerweg aber und zugleich der über Kleinasien, Thracien, Illyrien ist noch viel älter; denn an diesen Straßen liegen die reichsten Denkmale aus der vorgeschichtlichen Zeit. Angesichts neuerer Funde, angesichts der Verbreitung der Hügelgräber über ganz Nordafrika, Kleinasien, Thracien, Bulgarien, Ungarn, Oestreich bis zu den Quellen der Donau und andererseits über Spanien, Italien und Südfrankreich, hieße es absichtlich seine Augen verschließen, wollte man den Zusammenhang der afrikanischen Bevölkerung mit der europäischen läugnen. Wir greifen damit zurück in die sogenannte Steinzeit, welche mit der letzten Gletscherperiode zusammenfällt, in der Europa anfing, nach dem Abschmelzen der Gletscher bewohnbar zu werden. So wurde Europa zum neuen Wohnsitz der Menschen, welche durch die Wüste aus ihren alten angestammten Wohnplätzen vertrieben wurden. In dem räthselhaften Volk der Beduinen aber sehen wir die letzten Reste der alten verschwundenen nordafrikanischen Bevölkerung, die in ihrer Anhänglichkeit an ihren altgewohnten Boden den ganzen Prozeß der Wüstenbildung mit durchmachten und im Laufe der Jahrhunderte sich dermaßen an die äußerste Ertragung von Hunger und Durst gewöhnten, daß sie heute noch ein Leben voll Entbehrung auf dem Boden der Heimath der Auswanderung in fruchtbare Länder vorziehen. Ebendamit sprechen wir auch getrost die Stammesverwandschaft unserer Vorfahren der vorgeschichtlichen Zeit mit den Beduinen aus. Jene hatten sich im Laufe der Zeit bald mit neuen Zuwanderern gekreuzt und damit die Stammeseigenthümlichkeit verloren, welche sich diese in ihrer Abgeschiedenheit in der Wüste treulich bewahrt haben.

     Stuttgart. Professor Dr. Oskar Fraas.