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Über den jetzigen Stand der Weltsprache-Frage und die Neutralsprache

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Autor: Waldemar Rosenberger
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Titel: Ueber den jetzigen Stand der Weltsprache-Frage und die Neutralsprache
Untertitel: Vortrag von
W. Rosenberger
aus: Separat-Abdruck aus dem Protocoll № 1–1903,
des St. Petersburger Polytechnischen Vereins
Herausgeber:
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1903
Verlag:
Drucker: A. Benke
Erscheinungsort: St. Petersburg
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Quelle: Commons
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Separat-Abdruck aus dem Protocoll № 1–1903,
des St. Petersburger Polytechnischen Vereins.

Versammlung vom 23. Januar 1903. Anwesend 71 Mitglieder
und 14 Gäste. Vorsitzender Hr. N. v. Loesch.

Ueber
den jetzigen Stand der Weltsprache-Frage
und die Neutralsprache.
Vortrag
von
W. Rosenberger.

Meine Herren! Im Januar 1887 hatte ich die Ehre im P. P. V. einen Vortrag über die Weltsprache Volapük zu halten. – In diesem Vortrag teilte ich mit, dass schon vor 300 Jahren die ersten Versuche gemacht worden sind eine künstliche Sprache zu erfinden, welche dazu dienen sollte den Verkehr zwischen Personen verschiedener Nationalität zu erleichtern; berühmte Philosophen, wie Descartes und Leibnitz, haben sich mit dem Problem beschäftigt, jedoch ohne ein praktisches Resultat zu erreichen. – Endlich im Jahre 1879 gelang es dem katholischen Pfarrer J. M. Schleyer eine praktische Lösung dieses Problems zu finden. Die von ihm erfundene Sprache, die er Volapük nannte, was in der Uebersetzung „Weltsprache“ bedeutet, erregte damals allgemeines Aufsehen, da die Grammatik derselben, im Gegensatz zu den schwierigen Grammatiken der lebenden Sprachen ganz überraschend einfach ist. In den Hauptzügen habe ich damals die grammatikalischen Regeln angegeben und habe gezeigt, was für eine Verbreitung das Volapük erfahren hatte. – Nach Schluss meines Vortrages forderte mich der Präsident des Vereins, Herr Ingenieur Esmarch auf, dem Verein weitere Mitteilungen über die Weltsprachefrage zu machen, was ich auch versprach.

Heute, meine Herren, nach genau 16 Jahren, komme ich mein Wort einzulösen. – Ich habe eine lange Zeit verstreichen lassen ohne Ihnen Bericht über diese Frage zu erstatten, da bis jetzt wenig praktische Resultate erzielt worden waren; seit Kurzem ist aber die Frage in neue Bahnen geleitet, welche Aussicht auf grössere Erfolge geben. Gestatten Sie mir denn Ihnen zu berichten, was in dieser Zeit die Sprachtechnik geleistet hat.

Gehen wir auf das Jahr 1887 zurück! Da finden wir, dass die Verbreitung, die das Volapük gefunden hatte, in weiterem Steigen begriffen war. – Es wurden viele Vorträge über Volapük gehalten und in vielen Lehrkursen wurde Volapük unterrichtet. Bald gab es Hunderte von Volapükvereinen, die Propaganda machten und es erschienen gleichzeitig über 20 Volapükjournale in 10 verschiedenen Ländern. Bücher und Broschüren in Volapük und über Volapük erschienen in grosser Zahl; es wurden auch Adresslisten von Volapükkennern herausgegeben, welche ihrerseits eine grosse Volapük-Correspondenz ins Leben riefen. Die Hauptcentren der Bewegung waren Paris, München und Wien. Den Höhepunkt dieses Aufschwunges hatte das Volapük im Jahre 1889 erreicht, wo in Paris, gelegentlich der damaligen Weltausstellung, ein internationaler Congress von Volapükisten tagte, welcher drei Tage währte und in welchem alle Verhandlungen in Volapük geführt wurden, wodurch der Beweis erbracht ist, dass eine künstliche Sprache, nicht nur für den schriftlichen, sondern auch für den mündlichen Verkehr, sehr wohl geeignet ist. Allein die praktische Anwendung des Volapük im Laufe der ersten Jahre hatte verschiedene Mängel desselben gezeigt: Der Erfinder des Volapük war z. B. nicht vorsichtig genug zu Werke gegangen in der Wahl der Sprachelemente, welche derartig sein müssen, dass sie so vielen Nationen als möglich die geringste Schwierigkeit bieten, sowohl beim Sprechen und Schreiben, als auch beim Hören und Lesen.

Sein Alphabet z. B. enthält, ausser den allgemein bekannten Vokalen a e i o u, noch die Umlaute ä ö ü, welche nicht international genug sind. Die Stammwörter hat Schleyer hauptsächlich dem Englischen entnommen, aber hat sie oft so verändert, dass sogar ein Engländer sie kaum wiedererkennt, z. B. heisst vol die Welt, vom engl. world, pük – die Sprache, vom engl. speak, löf – die Liebe, vom engl. love u. s. w.

Ein weiterer Missgriff war die synthetische Conjugation, die darin besteht, dass der Verbalstamm, das persönliche Fürwort und die Bezeichnung der Zeitform in einem Wort zusammengehäuft werden, was die modernen Sprachen in zwei und mehreren Wörtern ausdrücken. So heisst z. B. elöfob ich habe geliebt, ilöfob ich hatte geliebt; löf ist der Stamm, ob bedeutet ich und e (resp. i) sind Vorsilben zur Bezeichnung des Perfectums (resp. des Plusquamperfectums). Solch eine Conjugation mit Vorsilben ist unnatürlich und daher schwierig. – Sie verlangt auch, dass die Stämme durchaus mit einem Consonanten anfangen und mit einem Consonanten endigen, damit die Vorsilben, die alle mit einem Vokal endigen und die Nachsilben, die alle mit einem Vokal anfangen, mit den Stämmen gut aussprechbare Wörter ergeben. Dieses ist ein grosser Uebelstand, denn es giebt sehr viele geeignte Stämme mit vocalischem Anlaut und vocalischem Auslaut z. B. am(ar), animal, accent, simpati, volu u. s. w., welche alle nicht ins Volapük hineinpassen.

Alle diese und noch viele andere Unzuträglichkeiten gaben Anlass zu Unzufriedenheit unter den Volapükisten. Ein Prof. Kerckhoffs[WS 1] in Paris hatte das französische Lehrbuch und Wörterbuch verfasst, worin einige kleine Aenderungen und zwar Vereinfachungen in dem Volapük eingeführt waren, und machte im französischen Monatsjournal „Le Volapük“ Propaganda für sein vereinfachtes Volapük. Schleyer erkannte aber diese Aenderungen nicht an, und da jeder dieser Herren einen bedeutenden Anhängerkreis hatte, so waren damit die Volapükisten in zwei Lager geteilt. Der Kampf der Parteien wurde immer erbitterter und es wurde für wünschenswert erachtet, eine internationale Gesellschaft ins Leben zu rufen, welche die Spracheinheit wahren und die Grammatik und das Wörterbuch vervollständigen und verbessern sollte.

Im August 1887 tagte in München ein internationaler Volapükisten-Congress und von diesem Congress wurde solch eine Gesellschaft gegründet unter dem Namen „Internationale Weltsprache-Akademie“. Zum Director wurde Prof. Kerckhoffs in Paris ernannt und zu Mitgliedern wurden 17 Personen aus 12 verschiedenen Ländern gewählt.

Die ersten 2 Jahre hat die Akademie recht eifrig gearbeitet; hauptsächlich waren es grammatikalische Fragen, die sie erörterte. Es wurden Vereinfachungen eingeführt, grösstenteils in dem Sinne, wie Prof. Kerckhoffs sie schon früher vorgeschlagen hatte. – Die Verhandlungen konnten natürlich nur schriftlich geführt werden, da die Mitglieder in vier Weltteilen zerstreut waren. Das geschah folgendermassen: Der Director liess in seinem Journal die Fragen drucken, die er den Mitgliedern vorzulegen hatte; die Mitglieder gaben die Abstimmungen brieflich und das Resultat der Abstimmungen bildeten die Beschlüsse der Akademie, welche dann in demselben Blatt veröffentlicht wurden.

Zwei Jahre später, im August 1889, tagte schon erwähnte Congress in Paris und von diesem Congress wurden die inzwischen ausgearbeiteten Statuten dieser Akademie bestätigt, nach welchen die Akademie bis jetzt tätig ist.

Damit war die Akademie zu einer selbständigen Institution geworden und es war alle Aussicht vorhanden, dass die mit Erfolg begonnene Arbeit auch bald zu Ende geführt werden würde. Doch kam es leider anders, denn Schleyer erklärte, dass er sich ein Veto in allen sprachlichen Fragen vorbehalte, was ihm aber, den Statuten nach, nicht zustand. Seitdem hat er sich auch an der Arbeit der Akademie nicht mehr beteiligt.

Inzwischen waren ganz neue Sprachprojekte aufgetaucht, die einen wesentlichen Einfluss auf die Arbeiten der Akademie haben mussten; einige dieser Projekte waren von Mitgliedern der Akademie verfasst worden, andere – von anderen Personen. Das bekannteste von diesen neueren Sprachprojekten ist „la Lingvo internacia“ von Dr. Zamenhof in Warschau, welcher unter dem Pseudonym Dr. Esperanto im Jahre 1887 sein Projekt veröffentlichte, das neuerdings viele Anhänger in Frankreich gefunden hat. Das Volapük hatte bewiesen, dass das Problem einer internationalen Sprache erreichbar sei und da dies Problem unendlich viele Lösungen hat und keine Patente auf Weltsprachen gegeben werden, so war das Erscheinen von Konkurrenten ganz natürlich. – Die Hauptsächlichsten ausser dem Esperanto waren folgende:

„Kosmos“ von Eug. A. Lauda in Berlin, 1888,
„Spelin“ von Prof. J. Bauer in Agram, 1888,
„Myrana“ von J. Stempfl in Oberreute, 1889,
„Lingua internazional“ von J. Lott in Wien, 1890.

Alle Verfasser dieser Sprachen (vielleicht mit Ausnahme von Bauer) waren darin einig, dass die Stämme der Wörter aus den lebenden Sprachen oder aus dem Latein genommen werden müssten und zwar mit so wenig Aenderungen als möglich.

Auf alle diese Projekte schien der Direktor der Akademie nicht eingehen zu wollen; er stellte die Arbeiten ein und die Bitten, er möge radikalere Aenderungsvorschläge der Akademie zur Beratung vorlegen, blieben unberücksichtigt.

Die lange Untätigkeit des Direktors und die Uneinigkeit der Volapükisten hatten zur Folge, dass das Interesse für Volapük ziemlich plötzlich aufhörte und die eifrige Propaganda von dieser Zeit an stetig abnahm. – Schleyer wollte aber, wie gesagt, von radikalen Aenderungen nichts wissen, die Anzahl der Mitglieder der Akademie war sehr gesunken, von den Journalen waren bis auf drei alle eingegangen, die meisten Volapükvereine hatten ihre Tätigkeit eingestellt und die wenigen übriggebliebenen Weltsprachler standen einander feindlich gegenüber. So schlecht standen die weltsprachlichen Angelegenheiten, als auch der Prof. Kerckhoffs im Jahre 1891 erklärte, dass er sein Amt als Direktor der Weltsprache-Akademie niederlege.

Als ich darauf zum Direktor der Akademie gewählt wurde, schwankte ich sehr, ob ich die Wahl annehmen sollte, denn es war klar, dass nur mit grosser Energie neues Leben in die Akademie gebracht werden konnte und es erschien sehr zweifelhaft, ob man die vielen Meinungen unter einen Hut bringen könnte. – Ich nahm die Wahl an in dem festen Glauben an die Erreichbarkeit des Zieles, in der Ueberzeugung, dass keine der bis dahin vorgeschlagenen Kunstsprachen allen berechtigten Anforderungen genüge, und endlich im Vertrauen darauf, dass die Internationale Weltsprache-Akademie mit ihren vom Pariser Kongress bestätigten Statuten befähigt sei das Problem in besserer Weise zu lösen, als es einzelnen Erfindern gelungen war.

Als ich die Arbeiten wieder aufnahm, liess ich zunächst die Grammatik ganz beiseite und ging zu dem wichtigsten Teil über, zur Prüfung der Stammwörter. Zuerst legte ich den Akademikern eine Liste solcher Volapükwörter zur Prüfung vor, welche, nach meiner Meinung, keiner Aenderung bedurften, z. B. delfin, legion, metal u. s. w., welche in den meisten europäischen Sprachen vorkommen, wobei ich bei jedem Wort die Notiz gemacht hatte, in welchen Spachen namentlich das Wort zu finden sei. – Ich berücksichtigte dabei 7 Sprachen: englisch, französisch, deutsch, spanisch, italienisch, russisch und lateinisch. – Darauf schlug ich der Akademie vor, eine Reihe von Volapükwörtern durch andere Wörter zu ersetzen, welche durchaus in das System des Volapük passten, d. h. aufgenommen werden konnten, ohne die grammatikalischen Formen zu alterieren, aber dabei den Vorzug hatten, in ganz Europa ohne weiteres verstanden zu werden, weil sie in den meisten der obengenannten 7 Sprachen vorkommen; solche Wörter waren z. B. fabrik Fabrik anstatt des volapükischen fablüd, salon, Salon anstatt sälun u. s. w. Die meisten dieser Wörter wurden einstimmig angenommen und damit hatte die Akademie einen grossen Schritt vorwärts getan. Die alten Wörterbücher waren damit für ungenügend erklärt und mir war die Bahn gewiesen, auf der weitergeschritten werden sollte.

Zu den schon früher genannten neueren Weltsprache-Projekten kamen noch folgende hinzu:

„Universala“ von Dr. Eug. Heintzeler in Stuttgart, 1893.
„Novilatin“[WS 2] von Dr. E. Beermann in Nordhausen a. H., 1895.
„Blaue Sprache“ von Bollack in Paris, 1899.

Ausserdem erschien damals in Hannover ein monatliches Journal „Linguist“, Unabhängige Zeitschrift für alle Freunde der Weltspracheidee, in welcher sehr tüchtige Mitarbeiter Artikel in verschiedenen Sprachen brachten und die verschiedenen einschlägigen Fragen zu klären suchten, wodurch die Arbeiten der Akademie auch beeinflusst wurden.

Von ganz besonderer Bedeutung in dieser Beziehung war das 1891 erschienene Werk von Dr. A. Liptay „Eine Gemeinsprache der Kulturvölker“, in welchem der Verfasser eine Kritik der bisherigen Weltsprache-Projekte gab und gewisse Prinzipien für den Aufbau des Wörterbuches aufstellte, ohne selbst an die Ausführung zu schreiten. Er wies hauptsächlich darauf hin, dass es schon eine grosse Menge sogenannter Weltwörter gebe, z. B. animal, welches ziemlich allen Nationen und bestimmt allen Kulturvölkern verständlich sei, auch jenen sogar, die es nicht gleich den Engländern, Franzosen, Spanier u. s. w. als Vocabel ihrer Muttersprache gebrauchen; so spricht der Deutsche von Animalismus, Animalien, animalisieren und animalischen Eigenschaften. Weitere Beispiele solcher Weltwörter seien: capital, universal, amor, color, nacion, balcon, aspirant, komandant, natur, literatur, motiv, progressiv, Amerik, magnifik, autoritet, individualitet, distanz, aroganz, kandidat, celibat, evangelist, naturalist, adoptieren, abonnieren, teleskop, tabak, cigar, kafé, té, sport, club, astronom, logaritm u. s. w., im Ganzen über 8000 Wörter.

Alle diese Weltwörter, sagt Liptay, müssten im Wörterbuch Aufnahme finden, wenn man eine Sprache für den internationalen Verkehr baut, ebenso auch die Elemente, aus denen diese Wörter zusammengesetzt sind, – man müsse sie nur auffinden und sammeln, – ja Liptay stellt die Behauptung auf, eine Weltsprache dürfe nicht erfunden, sondern müsse entdeckt werden; die Elemente seien schon im Bereich jedes Menschengehirns und warten blos darauf in etwas Greifbares und Sichtbares kondensirt und in homogene Form gebracht zu werden.

Liptay hatte sein Werk dem berühmten Linguisten Professor Max Müller in Oxford zugeschickt, worauf dieser ihm Folgendes schrieb: „Ihre Idee Radikale zu wählen, die den Gebildeten fast allgemein verständlich sind, ist ausgezeichnet und die grammatikalische Artikulation, welche Sie vorschlagen, sehr gut ausführbar, trotzdem hie und da möglicherweise etwas einfacheres und praktischeres vorgeschlagen werden könnte. Was Sie jetzt zu tun haben, ist, ein vollständiges Wörterbuch auszuarbeiten“.

Es scheint, dass Dr. Liptay dem Rat Max Müllers nicht gefolgt ist, denn bis jetzt ist kein Wörterbuch von ihm erschienen. – Die Weltsprache-Akademie aber folgte gern diesen praktischen Hinweisen. Nachdem ich auf die eben angeführten weltsprachlichen Arbeiten aufmerksam gemacht, wurden bald die hauptsächlichsten orthographischen Prinzipien festgestellt und zum Beschluss erhoben, dass für jeden Stamm die internationale Form gesucht werden müsse, d. h. derjenige Stamm wurde für den geeignetsten erklärt, welcher in den meisten europäischen Hauptsprachen existirt. – Meine Aufgabe bestand denn darin, solche Stämme zu finden; nachdem ich die gefundenen Stämme mit den Stämmen bei den Weltsprachlern Esperanto, Lott, Heintzeler und Beermann[WS 3] verglichen hatte, ob diese nicht noch geeignetere Stämme hätten, stellte ich meine Vorschläge den Akademikern zur Abstimmung vor.

Ich bediente mich dazu nicht, wie Professor Kerckhoffs[WS 1], eines Jounals, sondern ich liess, was ich den Akademikern zu sagen hatte, in Form zwangloser Zirkulare von 1–12 Seiten, natürlich in Volapük, drucken; nicht periodisch, sondern je nach Bedarf. In den 45 Zirkularen, die während meines fünfjährigen Direktorats erschienen sind, ist alles enthalten, was die Akademie in dieser Zeit geleistet hat: alle neuen Vorschläge von Wörtern und grammatikalischen Formen, die Meinungen der Akademiker über diese Formen, die Kämpfe, die zum Austrag gebracht werden mussten, ehe es zur Annahme mancher strittiger Formen kam und endlich die Beschlüsse der Akademie, die in ihrer Gesammtheit eine neue künstliche Sprache bildeten, welche später den Namen Neutralsprache (Idiom Neutral) erhielt. Diese Sprache unterscheidet sich wesentlich von allen übrigen Kunstsprachen dadurch, dass sie nicht das Werk eines Einzelnen ist, sondern das Resultat einer jahrelangen mühevollen Arbeit einer internationalen Gesellschaft. – Der administrative Teil der Zirkulare enthält Nachrichten über das Personal der Akademie, das durch Beitritt sehr tüchtiger Mitglieder wieder gewachsen war.

Im Jahre 1898, nachdem ich von einer Wiederwahl zum Direktor Abstand genommen hatte, wurde das äusserst tätige Mitglied der Akademie M. A. F. Holmes, Geistlicher in Macedon bei Rochester im Staate Newyork zum Direktor gewählt, welcher die Arbeiten der Akademie in demselben Geiste fortsetzte. Seine Zirkulare erscheinen schon alle in der neuen Sprache. Die Sprache wurde weiter ausgebaut, der Wortschatz vergrössert und einige kleine Unebenheiten abgeschliffen. Diese Arbeit wird auch jetzt weiter fortgeführt.

Nun konnte die Neutralsprache praktischen Nutzen bringen, es wurde schon vielfach in dieser Sprache korrespondirt, darum war es an der Zeit die Beschlüsse der Akademie zu gruppiren und in Form von Grammatik und Wörterbuch zu veröffentlichen. Zur Herausgabe des deutschen Wörterbuches hat die Akademie mir die Konzession erteilt, zur Herausgabe des englischen dem Direktor Holmes in Amerika. Das deutsche ist auch schon im vorigen Jahre im Verlag von E. Haberland in Leipzig erschienen und hier in der Buchhandlung von Ricker zu haben. Das englische wird schon gedruckt und muss in allernächster Zeit erscheinen. An einem holländischen Wörterbuch wird auch schon gearbeitet und kürzlich bin ich gebeten worden, die Erlaubniss zur Uebersetzung meines Wörterbuches ins Französische zu erteilen.

Mein Wörterbuch in 2 Teilen: neutral-deutsch und deutsch-neutral enthält ca. 9000 Wörter, auch eine vollständige Grammatik, einige Probetexte, die Geschichte der Weltsprache-Akademie, die Statuten derselben und ein vollständiges Verzeichniss aller 85 Personen, die seit Gründung der Akademie Mitglieder derselben gewesen sind.

Ich will Ihnen nun in kurzen Zügen ein Bild der Neutralsprache selbst zu entwerfen suchen:

Die Neutralsprache hat 5 Vocale: a e i o u und 17 Consonanten: b c d f g h j k l m n p r s t v y, die Ihnen alle bekannt sind; sie werden auch alle so ausgesprochen wie im Deutschen, mit Ausnahme von c = tsch, z. B. cek Check, und j = französisch j z. B. kuraj Mut. Das s wird immer hart (tonlos) ausgesprochen, z. B. sal Salz, solid solide, nasion Nation; sh wird wie sch ausgesprochen.

Kein Buchstabe ist stumm.

Die Betonung ist immer auf dem Vocal vor dem letzten Consonanten des Wortes, wie im Spanischen: fortùn Glück, mánu Hand, fílio Sohn.

Zu Stammwörtern wurden, wie gesagt, nach Möglichkeit internationale Stämme gewählt, die in allen 7 berücksichtigten Sprachen vorkommen. Das war nicht immer möglich. Doch kommen die meisten Stammwörter in 4 der obengenannten Sprachen vor und nur ausnahmsweise musste zu Stämmen gegriffen werden, die weniger als vieren dieser Sprachen gemeinsam sind, z. B. trotoar, f d r Trottoir, urs, f i l Bär, tint, d s Tinte. In solchen Fällen wurden gewöhnlich abgeleitete Wörter den natursprachlichen vorgezogen; so entstanden z. B. Wörter wie nemult wenig, aus mult viel und der negativen Vorsilbe ne-; kanalet Graben, aus kanal Kanal und der Verkleinerungssilbe -et.

Um die Aussprache mit der Schreibung in Einklang zu bringen, d. h. um eine wirklich einfache, leicht erlernbare Orthographie zu erhalten, wurden einige Prinzipien angenommen, von denen die hauptsächlichsten folgende sind:

qu der natursprachlichen Wörter wird ku geschrieben: kuadrat.

c wird je nach der Aussprache durch k oder durch s ersetzt: kart Karte, klas Klasse, kolor Farbe, kub Würfel; aber selebr berühmt, sipres Cypresse.

t in der Endung tion wird durch s ersetzt: nasion.

ph – durch f: fosfor Phosphor.

j in lateinischen Wörtern durch y: obyekt Gegenstand.

Ein Stamm bleibt stets unverändert; man kann ihm blos Silben oder Wörter anhängen, z. B. mobil beweglich, automobil selbstbeweglich, mobilitet Beweglichkeit.

Eine eigentliche Declination hat die Neutralsprache nicht: mit de bildet man den Genitiv, mit a den Dativ.

tabl der Tisch Der Accusativ steht immer nach
dem Verbum.
de tabl des Tisches
a tabl dem Tisch
tabl den Tisch
patr puni filio heisst: Der Vater straft den Sohn.

Das Pluralzeichen ist die Endung -i: tabli die Tische.

Ein grammatisches Geschlecht giebt es nicht. Einen Artikel giebt es auch nicht, wie im Russischen und Lateinischen.

Die Eigenschaftswörter stehen immer nach dem Hauptwort: lingu universal Weltsprache, patr bon der gute Vater, und werden nie verändert, filia bon die gute Tochter, filii bon die guten Kinder.

Die Fürwörter sind:

mi ich       noi wir
vo Du, Sie       voi Ihr, Sie
il er       ili sie (m. und s.)
ila sie       ilai sie (w.)
it es      
on man
se sich
ist dieser       kelk einige
el jener       tal solch
kel welcher       tant so viel.

Die Conjugation aller Zeitwörter ohne Ausnahme geschieht nach folgendem Schema (unregelmässige Zeitwörter giebt es überhaupt nicht):

Activ.       Passiv.
Präsens: mi am       mi es amed
Imperfectum: mi amav       mi esav amed
Perfectum: mi av amed       mi av esed amed
Plusquamperfectum: mi avav amed       mi avav esed amed
Futurum: mi amero       mi esero amed
Fut. exact: mi avero amed.       mi avero esed amed.

Ich werde Sie nicht weiter mit Grammatik ermüden, ich will nur resumiren: Die Hauptprincipien des Volapük sind in der Neutralsprache beibehalten worden; das sind: 1) die nahezu phonetische Schreibung; 2) die Ausnahmlosigkeit der gegebenen Regeln; 3) die Einfachheit aus den gegebenen Stammwörtern abgeleitete Wörter zu bilden, daher kann sie ebensoleicht wie das Volapük und das Esperanto geschrieben werden; gesprochen kann sie noch leichter werden, denn es fehlen ihr die volapükischen Umlaute und mehrere esperantische Consonanten, die durchaus nicht international sind: c (z), ĝ (dsh), ĥ (ch), z (weiches s). – Andererseits wird die Neutralsprache sowohl beim Hören als beim Lesen viel leichter verstanden als Volapük und auch als Esperanto, weil für sämmtliche Wortelemente solche Formen gewählt worden sind, welche der Mehrzahl der gebildeten Europäer bereits bekannt sind. – Daher kann man sie ohne weiteres praktisch anwenden; einen Brief in Volapük oder Esperanto kann man nur Jemandem schreiben, der die betreffende Sprache gelernt hat (dazu werden auch Adresslisten von Volapükisten und Esperantisten geführt); dagegen kann man einen Brief in der Neutralsprache jedem gebildeten Europäer schreiben und es liegt alle Wahrscheinlichkeit vor, dass der Adressat ihn verstehen wird, zumal wenn es sich um Fragen handelt, die ihm geläufig sind, d. h. sein Fach betreffen. Ich könnte dafür schon etliche Beispiele anführen: Engländern, Franzosen, Deutschen, Italienern, Schweden, Holländern und Russen die keine Ahnung von der Existenz der Neutralsprache hatten, habe ich in dieser Sprache geschrieben und sie haben mich verstanden, was aus der ganz korrekten Beantwortung der gestellten Fragen hervorgeht.

Ich empfehle Ihnen daher, meine Herren, für den Fall, dass Sie in brieflichen Verkehr mit einem Fachgenossen treten möchten, dessen Sprache Ihnen nicht geläufig ist, sich der Neutralsprache zu bedienen. Sie werden sehen wie einfach das ist.

Um zu zeigen wie die Neutralsprache klingt, will ich Ihnen den Anfang des I. Buch Mosis in neutralsprachlicher Uebersetzung vorlesen:

In komens Deo kreav siel e ter; e ter esav desert e vaku; e it esav obskur superioru profunditet; e spirit de Deo ekstendav se su akua.

Obgleich mein Wörterbuch erst vor Kurzem erschienen ist, es ist bisher das einzige Werk über die Neutralsprache, so haben doch schon mehrere Zeitungen und Journale in Deutschland, Luxemburg, Russland, Frankreich, Mähren, Belgien und Finnland anerkennende Artikel über diese Sprache gebracht, darunter die St. Petersburger Zeitung (am 2. August 1902). In den alleranerkennendsten Ausdrücken hat sich das Antwerpener Blatt „Le Nouveau Précurseur“ geäussert. In diesem Blatt erscheinen auch seit Neujahr zweimal monatlich neutralsprachliche Briefe aus Russland, die mitten im französischen Text abgedruckt werden.

Welche von den konkurrirenden Kunstsprachen, Volapük, Esperanto, die sogenannte Blaue Sprache und Idiom Neutral die allgemein angenommene internationale Sprache werden wird – lässt sich nicht voraussagen. Ich nenne nur diese vier, da sie mehr oder weniger vollständige Wörterbücher in 2 Teilen, d. h. weltsprachlich-national und umgekehrt, besitzen. Im Kampf um Dasein muss schliesslich die geeignetste Sprache den Sieg davontragen. Man könnte also diese Frage ganz gut sich selbst überlassen. Wenn auch längere Zeit für mehrere künstliche Sprachen gleichzeitig von verschiedenen Seiten Propaganda gemacht werden würde, so hätte das nichts auf sich. Aber es giebt viele Weltsprachler, welche die Wahl einer internationalen Sprache durch ein künstliches Mittel beschleunigen möchten und diese gerade haben in den letzten Jahren verstanden, ganz besonders in Gelehrtenkreisen, für die Idee einer internationalen Sprache Interesse zu erregen.

Im Jahre 1900, bei Gelegenheit der grossen Pariser Ausstellung, tagten viele internationale Kongresse, auf welchen Personen zusammenkamen, die wohl gleiche Interessen hatten, aber verschiedene Sprachen sprachen. Da wurde es wieder einmal empfunden, wie nützlich die Einführung einer internationalen Hilfssprache wäre. Diese Frage wurde dann von mehreren wissenschaftlichen Kongressen und gelehrten Gesellschaften zum Gegenstande der Beratung gemacht, und namentlich von folgenden:

Association française pour l’avancement des Sciences,
Congrés de I’Histoire des Sciences,
Internationaler Kongress für Philosophie,
Internationaler Kongress für Sociologie,
Société Philomatique de Paris.

Die von diesen Versammlungen zum genaueren Studium der Frage ernannten fünf Delegirten bildeten eine Kommission, welche sich „Délégation pour l’adoption d’une langue auxiliaire internationale“ nannten, haben sich zunächst über folgende Grundsätze für die weitere Behandlung der Angelegenheit geeinigt, welche sie in einer schriftlichen „Erklärung“ (Declaration) deponirt haben.

Sie haben konstatirt, dass eine neben den natürlichen Idiomen eingeführte internationale Sprache für Jedermann, – für den Gelehrten, den Kaufmann, den Reisenden, – von unschätzbarem Werte sein würde. – Sie haben die Bedingungen, denen eine internationale Hilfssprache genügen muss, präzisirt, und zwar folgendermassen:

1) Die Sprache muss ebensowohl den Bedürfnissen des täglichen Lebens wie den Zwecken des Handels und Verkehrs, wie endlich den Aufgaben der Wissenschaft zu dienen im Stande sein.

2) Sie muss für alle Personen von elementarer Durchschnittsbildung, insbesondere für die Angehörigen des europäischen Kulturkreises, leicht erlernbar sein.

3) Sie darf keine der lebenden, nationalen Sprachen sein.

Ferner haben sich die Delegirten darüber geeinigt, wem die Wahl der internationalen Sprache zusteht und erklärten für wünschenswert, dass die höchste wissenschaftliche Autorität der Welt diese Wahl vornehmen solle, das ist die im Jahre 1900 gegründete „Internationale Vereinigung der Akademien“. – Diese besteht gegenwärtig aus einer ganzen Reihe von Akademien[WS 4] der Wissenschaften und gelehrten Gesellschaften verschiedener Länder, u. A. auch aus der Kaiserlich Russischen Akademie der Wissenschaften, deren Vertreter, Akademiker C. Salemann, wir heute die Ehre haben zu unseren Gästen zu zählen. Die Vereinigung der Akademien veranstaltet alle drei Jahre Zusammenkünfte ihrer Vertreter; die erste Zusammenkunft war 1901 in Paris, die nächste soll 1904 in London stattfinden. – Die Vereinigung kann laut Statuten Spezialkomissionen gründen zur Durchsicht[WS 5], Prüfung und Verbreitung solcher wissenschaftlicher Unternehmungen und Forschungen, welche internationales Interesse haben; es werden aber nur solche Fragen in das Programm der Arbeiten dieser Vereinigung aufgenommen, welche von einer der beteiligten Akademien in Vorschlag gebracht worden sind. – Nun gilt es also eine der beteiligten Akademien, oder noch besser mehrere derselben, für die Frage der Wahl einer internationalen Sprache zu interessiren, um an diese hohe Kompetenz zu gelangen, und das hat sich die Delegation zur Aufgabe gemacht. Sie hat dazu von einer grossen Zahl namhafter Gelehrter, die in einer besonderen Liste verzeichnet sind, die Erklärung bekommen, dass sie mit den Intentionen der Delegation einverstanden sind; von russischen Gelehrten finden wir in der Liste: Prof. emer. Lamanski und Prof. Baudouin de Courtenay in St. Petersburg und Prof. W. Ivanovski in Moskau.

Für den Fall, dass die Vereinigung der Akademien ablehnen sollte diese Frage auf ihr Programm zu setzen, will die Delegation von sich aus ein Comité für die Wahl einer Sprache ernennen.

Sodann soll eine Gesellschaft gegründet werden, welche für die allgemeine Einführung der gewählten Sprache tätig ist.

Die Delegation beabsichtigt ihre Tätigkeit allmählich[WS 6] über die ganze gebildete Welt auszudehnen und sucht die Unterstützung der Vereine und Gesellschaften von Gelehrten, Kaufleuten und Touristen, indem sie dieselben mit ihren Zielen bekannt zu machen und sie zu interessiren sucht, um sie zur Mitwirkung zu veranlassen. Zum 1. Januar d. J. waren es schon 122 Gesellschaften, die sich mit den Prinzipien der Delegation einverstanden erklärt und Delegirte ernannt hatten, grossenteils französische, aber in letzter Zeit sind schon ziemlich viele Gesellschaften anderer Länder vertreten; die russischen sind:

Physiko-Mathematischer Verein in Poltawa,
Gesellschaft Hahnemann in Odessa.

Die vertretene technischen Gesellschaften heissen:

Association Polytechnique in Paris,
Centro nacional de Ingenieros in Buenos Ayres,
Congrès international de l’Enseignement technique in Paris,
Associazione Elettrotecnica Italiana (section toscane),
Société centrale d’architecture de Belgique.

Der Kassirer der Delegation, Prof. Dr. L. Couturat[WS 7] in Paris, (7 Rue Nicole) hat sich u. A. auch an mich gewandt mit der Bitte, hiesige Vereine für die Frage zu interessiren und speziell den St. Petersburger Polytechnischen Verein zur Beteiligung aufzufordern.

Meine Herren! Ich hoffe soweit Interesse für die internationale Sprache geweckt zu haben, dass Sie die Bitte um Beteiligung an der Bewegung nicht versagen werden und stelle daher den Antrag:

„Die obenerwähnte Declaration der Delegirten zu unterzeichnen, einen Delegirten zu ernennen und Prof. Couturat über das Geschehene zu benachrichtigen“.


DISKUSSION.

Hr. Salemann. Ich habe mich auch mit Volapük, Esperanto und einigen von den andern Sprachen bekannt gemacht und muss bekennen, dass die Neutralsprache wegen ihrer grossen Einfachheit und leichten Verständlichkeit von allen früheren Versuchen den Preis verdient. Einen in dieser Sprache geschriebenen Brief kann Jeder verstehen. Ich selbst habe den Versuch gemacht und einem Herrn, der italienisch sprach, geschrieben. Er hat mich vollständig verstanden und den Brief richtig beantwortet.

Die Neutralsprache ist für den internationalen Verkehr gut zu gebrauchen und ist bis jetzt das erreicht, was erreicht werden konnte.

Hr. Steininger. Ist es nötig das Perfectum und Plusquamperfectum beizubehalten?

Hr. Rosenberger. Es ist besser sie beizubehalten, da die Sprache den europäischen so nah wie möglich kommen muss, ohne in deren Schwierigkeiten zu fallen.

Hr. v. Loesch. Warum ist bei der Wahl der Wortstämme das Griechische nicht mit berücksichtigt worden?

Hr. Rosenberger. Die Wortstämme der griechischen Sprache unterscheiden sich wesentlich von den Wortstämmen, die in den europäischen Sprachen vorkommen und meist romanischen Ursprungs sind. Ausserdem werden alle Termini technici, die ja zum grossen Teil aus dem Griechischen entnommen sind, so wie so mit hinübergenommen in die Neutralsprache.

Hr. Schäffer. Für den, der die lateinischen Sprachstämme kennt, ist die Sprache auf diese Weise leicht zu verstehen, ob das auch für die der Fall sein wird, welche nur die russische oder germanische Sprache kennen, ist mir zweifelhaft. Bei den Endungen, Conjugationen etc. sind die romanischen Sprachen zum Vorbild genommen worden.

Hr. Rosenberger. Man musste beim Zusammenstellen der Sprache Wörter wählen, die von den meisten Europäern verstanden werden; viele Wörter der Neutralsprache sind auch im Russischen als nationale oder als Fremdwörter zu finden; desgleichen einige grammatikalische Formen.

Hr. v.Loesch. Ausserdem wird die Neutralsprache in Russland wohl den Wenigsten Schwierigkeiten machen, denn hier sprechen die meisten gebildeten Leute ausser der Landessprache noch deutsch und französisch.

Hr. Schäffer. Warum ist beim Conjugiren und Decliniren die Person genannt, wesshalb liegt die Bemerkung der Person nicht in der Endung? Das Praktische hat sich bis jetzt im Verstehen der Correspondenz gezeigt, wird das Erlernen der Sprache für den Deutschen und Russen wohl leicht sein?

Hr. Rosenberger. Es ist nicht nötig, dass man die Sprache lernt um einen Brief zu verstehen. Ich habe bis jetzt nur mit mehr oder minder sprachlich gebildeten Menschen correspondirt. Einmal schrieb ich auch in der Neutralsprache dem Inhaber einer kleinen deutschen Velocipedfabrik, dieser antwortete deutsch ganz correct auf meine Fragen, also hatte er sie verstanden. – Wahrscheinlich hat er die Neutralsprache für Russisch gehalten.

Hr. de Muyser. Man müsste jetzt dafür sorgen, dass die Sache Verbreitung findet, ich kenne Leute, die sagen, sie würden die Sprache nicht eher lernen, als bis eine Million Menschen sie erlernt hat.

Hr. v. Loesch. In Bezug auf die Notwendigkeit einer neutralen Weltsprache scheint mir der Umstand zu wenig Beachtung gefunden zu haben, dass wir die Zeugen sind des Todesurteils der alten Sprachen, welche bisher in der wissenschaftlichen Welt als die internationalen, geistigen Verkehrsmittel gegolten haben.

Unter allgemeinem Beifall ist das Joch der toten alten Sprachen gesunken, aber dabei die Unterlassungssünde begangen worden, dass für keinen Ersatz, mit Rücksicht auf den heutigen Völkerverkehr[WS 8], Sorge getragen wurde, und sowohl wir wie unsere Nachkommen nunmehr in der Lage sind unter der Last des Erlernens ungezählter fremder Sprachen zum Nachteil der Wissenschaft zu leiden.

Aus diesen Gründen ist es nicht Zeitvertreib oder Liebhaberei eine neutrale Weltsprache zu schaffen, sondern zwingende Pflicht, ja eine Notwendigkeit, an der Entwicklung einer neutralen Weltsprache zu arbeiten. Wie diese Sprache heissen wird oder welche der konkurrirenden Weltsprachen die Oberhand gewinnen wird, dürfte heute noch nicht zu entscheiden sein, aber das energische Anpacken dieser Frage ist für uns hier ebenso unerlässlich, wie das Studium und die Förderung technischer Fragen Zweck und Aufgabe unseres Vereins.

Die kurze und klare Darlegung des geschätzten Referenten, Herrn Rosenberger, giebt uns das Bild einer sehr einfachen Schöpfung, aber es frägt sich, ob die anderen Nationen, die bei der Wahl der Stämme nicht berücksichtigt worden sind, denselben Beifall zollen werden. Im Interesse des hohen Ziels wäre es wünschenswert, dass kleinliche Hindernisse nicht entgegengestellt werden und wir alsbald zu einem befriedigenden Resultate gelangen. Gestatten Sie, dem Herrn Referenten in Ihrem Namen nicht nur für den heutigen Vortrag, sondern auch für seine Initiative auf diesem Gebiete den besten Dank auszusprechen.


Auf Antrag des Herrn W. Rosenberger beschliesst die Versammlung einstimmig per Acclamation sich den Bestrebungen der „Délégation pour l’adoption d’une langue auxiliaire internationale“ in Paris anzuschliessen.

Der zweite Antrag, Herrn Ing. Eduard Papmehl als offiziellen Vertreter des P. P. V. in die genannte Delegation zu wählen, wird einstimmig angenommen.


Дозволено цензурою 2 Апрҍля 1903 г. С.-Петербургъ.

Типографія А. Бенке, Новый переулокъ № 2.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. a b Vorlage: Kerkhoffs.
  2. Vorlage: „Novilatiin“.
  3. Vorlage: Beerman.
  4. Vorlage: Akademieen. Im folgenden Text stets mit einen e geschrieben.
  5. Vorlage: Durschsicht.
  6. Vorlage: allmälich.
  7. Vorlage: Coutnrat
  8. Vorlage: Völkerverhehr.