Notdurft zu ringen. Ihr Blick weitet sich und ihr Ziel wird ein größeres. Sie sehen das Wirken der Sozialdemokratie und lernen von den Lehren, die sie gibt. Sie hören von der Gleichberechtigung aller Menschen und lernen fragen: Wo sind unsere Rechte? Warum verwehrt man uns das Recht, gleich unseren Arbeitsbrüdern, unseren Gatten und Vätern an der Gesetzgebung mitzuwirken?
Die Sozialdemokratie verheißt in ihren Programmen den Frauen die Befreiung von der Lohnknechtschaft, von jeder Form der Unterdrückung, von der politischen Rechtlosigkeit. Und die Frauen sammeln sich unter dem Banner der Sozialdemokratie und fordern alle, die sich des ihnen zugefügten Unrechtes bewußt sind, zu Kampf und Wehr auf. Den erwachten Unterdrückten erscheint es niemals zu früh, den Kampf gegen die Unterdrückung zu beginnen. So haben auch die österreichischen gleich den deutschen Genossinnen dem Frauentag als Kundgebung für die Forderung nach dem Stimmrecht der Frauen jubelnd zugestimmt. Wir wissen wohl: wir stehen erst am Anfang des Kampfes. Dieser Kampf soll aber so begeistert, so zielbewußt und lebendig geführt werden, daß Freund und Feind die Überzeugung gewinnt: es ist ernst.
Und die schwarzen Kolonnen, die man als Schreckgespenst anführt! Den Klerikalismus, der die Frauen des Proletariats in seinen knöchernen Armen halten und ihren Geist in Fesseln zwängen soll? Fürchten wir uns nicht. Der Katholizismus ist gewiß eine gewaltige Macht, der Klerikalismus ein heimtückischer Feind. Aber fürchten wir ihn nicht. Der Industrialismus, der die Frau aus dem Heim gerissen hat, hat sie auch, wenn auch oft ihnen selbst noch nicht bewußt, aus den Krallen des religiösen Fanatismus gerissen.
Die Agitation für das Frauenwahlrecht wird diese Arbeit weiterführen. Jede von den Hunderttausenden Flugschriften, die für den Frauentag verbreitet werden, die zahlreichen Versammlungen ziehen die Frauen immer näher in den Bannkreis des welterlösenden Sozialismus. So stellt sich der Frauentag nicht nur als eine mächtige Kundgebung für das erwachende proletarische Bewußtsein der Frauen dar, sondern auch als eine wertvolle Agitation für die gesamte sozialdemokratische Partei.
Der 19. März 1911 wird die sozialistischen Frauen Deutschlands und Österreichs auf dem ersten großen Feldzug um die gleichen Rechte der Frauen sehen, und dem Sozialismus werden gleichzeitig neue Bataillone zugeführt werden.
In diesem Sinne möge der erste Frauentag unserer verbrüderten Parteien nicht nur ein Kampfestag für die Frauen, sondern ein Ruhmestag für die Sozialdemokratie sein. Gibt es noch eine Partei, die es uns gleich tun kann aus eigener Kraft, aus eigenem Streben, bewußten Sinnes und festen Wollens?
Um zu erkennen, wie es trotzdem möglich wird, in der kapitalistischen Produktionsweise das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumtion immer wieder herzustellen, muß man noch eine weitere Scheidung der produzierten Waren nach ihrer leiblichen Besonderheit machen. Zu der Scheidung in Produktionsmittel und Konsumtionsmittel und der Scheidung der letzteren wieder in
Adelheid Popp: Zum Frauentag! In: Die neue Zeit: Wochenschrift der deutschen Sozialdemokratie 29,1 (1911), Heft 24, S. 836–838, hier S. 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Zum_Frauentag_3.gif&oldid=- (Version vom 9.3.2024)