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Seite:Zürcher Diskußjonen (16–17) 012.jpg

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sind regelmäßig, sehr angenehm und enthalten etwas Stolzes, was mich besonders anzieht. Er ist blond wie Graf M. Ich sah ihn öfters im Lesezimmer der Harmonie, ich saß oft neben ihm und verließ mehrmals mit ihm zugleich das Haus, ich begegnete ihn auf der Straße, und alles dies trug bei, meinen Wahn zu bestärken und eine völlige Leidenschaft bei mir festzusetzen, die aber doch immer einen milden Charakterzug trug, obgleich sie oft zu einer heißen Sehnsucht gesteigert wurde. Ich hatte damals noch keine Idee, daß ein strafbares Verhältniß zwischen zwei Männern existiren könne, sonst würde mich dieser Gedanke vielleicht zurückgeschreckt haben. .... Einige Zeit später fand ich zwar in mehreren Schriften die Männerliebe erwähnt und schenkte diesem Gegenstande zuerst meine Aufmerksamkeit, da er mir in früheren Jahren bei Lesung des Plutarchs gänzlich entgangen war. Aber auch jetzt ignorirte ich noch, daß sinnliche Wollust dabei im Spiele sein könnte, dies unselige Geheimniß wurde mir erst durch einige unzüchtige Bücher von Piron[1] klar, die mir in Frankreich in die Hände fielen. Nie aber hat Begierde meine Neigung zu Federigo entweiht“ (Tagebücher S. 140–141).

Was auch hier wieder mit voller Evidenz hervorgeht, ist die, auch in Krafft-Ebing’s autobiografischen Mitteilungen von Urningen bestätigte Tatsache, daß, im Gegensaz zur heterosexualen Liebe zwischen Mann und Weib, die simpatische Neigung unter Homosexualen in der übergroßen Mehrzahl der Fälle eine flache, in der Psiche stekenbleibende, dem quietistischen Charakter des Urning entsprechende, sich paßiv und reservirt verhaltende, nicht, oder nur selten, zum Sinlichen und Motorischen vordringende Seelenerschütterung darstelt, und daß dies insbesondere bei Platen der Fall gewesen. Wir glauben annehmen zu dürfen, daß nach dieser Richtung die weiteren Bände der „Tagebücher“ keine neuen Ueberraschungen bringen werden. Hamann, der bekante Magier des vorigen Jahrhunderts, meint zwar in seinen „Sokratischen Denkwürdigkeiten“ u. A.: „man kann keine lebendige Freundschaft ohne Sinnlichkeit fühlen, und eine metaphysische Liebe sündigt vielleicht gröber am Nervensaft, als eine thierische an Fleisch und Blut“ (Hrsg. v. E. Kühn. Leipzig, Reklam,


  1. Es ist der französische Dichter Alexis Piron [† 1773], deßen Ode à Priape „fameuse par l’immoralité“ ihm den Verlust der Zughörigkeit zur französischen Akademie durch Ludwig XV. einbrachte. Fontenelle, der Sekretär der Akademie, sagte damals: „Wenn Piron die Ode gemacht hat, dann muß man ihm zwar zürnen, ihn aber in die Akademie aufnehmen; hat er aber die Ode nicht gemacht, dann hinaus mit ihm!“ Si Piron a fait la fameuse Ode, il faut bien le gronder, mais l’admettre; s’il ne l’a pas faite, fermons lui la porte! – Was Platen hier anlangt, so wäre wirklich die Frage gestattet: Wie komt es, daß er gerade die unzüchtigsten Werke Piron’s, die niemals mit seinen übrigen Werken zusammengedrukt, und damals wie heute äußerst selten und schwer zu beschaffen waren, so genau kent?
Empfohlene Zitierweise:
Oskar Panizza u. a.: Zürcher Diskußjonen. Zürich, Paris: , 1897–1900, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Z%C3%BCrcher_Disku%C3%9Fjonen_(16%E2%80%9317)_012.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)