Verschiedene: Wünschelruthe | |
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Alles Fremde, was in die deutsche Natur aufgenommen wurde, hatte sich noch am wenigsten bei Johann von Mabuse gesetzt und geordnet, der daher immer sehr viel vom deutschen Charakter behielt, während er das südliche Feuer bis zu gewaltsamer Heftigkeit der eigenen raschen Beweglichkeit anpaßte. Es ist gleich belehrend ihn in ruhigen und bewegten Momenten zu verfolgen. Uebrigens ist er einer der Maler, die sehr selten leicht und bestimmt in ihren Werken zu erkennen sind, indem er in der That, wie es scheint, seine Manier in seinem unstäten Leben mehreremale stark veränderte; besonders ist das, was man unter seinem Namen gelten läßt, oft von den verschiedenartigsten Eigenschaften. So hätten wir eine Kreuzabnahme in der Sammlung nicht für ein Werk von ihm gehalten, besonders wegen des Mangelhaften in Farbe und Ausführung; ist sie es wirklich, so ist uns das Bild bedeutend, weil hier seine Heftigkeit, zum Theil bis zum Krampfhaften gesteigert, neben mancher Schauspielerbewegung doch auch mit manchem Wahren und Tiefempfundnen verbunden erscheint. Sehr vorzüglich ist eine Maria mit dem Kinde, in der man den Meister sogleich erkennt; hier ist das Italiänische mit dem Deutschen auf eine wunderliche Weise vermischt, die aber nicht ohne Lieblichkeit ist, noch mehr wenn man sich in die Eigenthümlichkeit des Malers zu versetzen sucht. Mit einem eignen fremdartigen und doch anziehenden Lächeln blickt die Mutter das Kind an, das auf ihrem Schooße steht oder vielmehr schreitet, und scheint über die rasche Bewegung zu verwundern, in der es sie umfaß während es das Köpfchen weit abwärts wendet. Neben ihr steht der gewohnte Tisch mit Trauben und anderm Obst, hinter ihr ein Baum neben dem man auf eine dunkle Landschaft hinsieht. Das Colorit ist etwas dunkel, aber blühend und die Schatten rein. Sehr viel von dem Geist des Mabuse haben zwei Gemälde von Bernhard von Orlay, eine Abnahme vom Kreuz und ein wohlcomponirtes, an Figuren reiches Flügelbild, die Kreuztragung, Kreuzigung und Auferstehung vorstellend, welches viele vortreffliche Einzelnheiten enthält.
Schulen und Manieren scheiden sich nun immer mehr; während auf der einen Seite der Einfluß des Italiänischen zunimmt, ziehen sich andere ganz in ihre eigne Individualität zurück, und neben diesen steigt die oberdeutsche Schule. Wir können aus dem großen Reichthum der Sammlung aus dieser Zeit nur weniges anführen. Eines der herrlichsten Bilder ist der Heiland mit der Weltkugel, zum Segen die Hand erhebend; wie es heißt von Schoreel, der, wie wir oben gesehen haben, immer sehr problematisch ist; – ein verdeutschter Leonardo, den der Meister gut gekannt haben muß. Ist gleich der Typus menschlicher als auf älteren Bildern, so ist doch der Ausdruck voll großer Würde und göttlicher Ruhe. – Rührend in Stellung und Zügen ist eine Mater Dolorosa im Brustbilde, angeblich von Johann von Avesse, doch wohl späteren Ursprungs; Bedeutung und Wesen wird immer menschlicher, ohne an Charakteristik zu gewinnen. – Ganz titianisch, besonders in der Ausführung, und doch den Deutschen deutlich beurkundend, ist eine Kreuzabnahme von Johann van Calcar; weiter getrieben hatten wir die Nachahmung des Italiänischen noch nicht gefunden, indeß ist es ein merkwürdiges und schönes Bild. – Von hier aus kann man dem Gange der Niederländer folgen, unter denen Hemskerck, Johann van Hemessen nebst seiner Tochter Catharina, Carl van Ypern u. A. bemerklich sind, bis auf Franz Floris und Martin de Vos herunter, während sich aus der Reihe derer, die ihren eigenen Weg gingen, zwei Bilder, wie es heißt von Quintin Messys, zur Begleichung darbieten.
Werfen wir nun von hier einen Blick zu den Oberdeutschen hinüber, so müssen wir stets von neuem mit bewundernder Ehrerbietung dem reichen und treuen Geiste
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 221. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_221.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)