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Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 169.jpg

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Verschiedene: Wünschelruthe

Je mehr gesatzt, je weniger Recht.




Lose Blätter
zu der Sammlung von Minnesingern gehörig.
von Benecke.




II.

Jedes Volk hat sein goldenes Zeitalter, sein Reich des Saturnus; und die Urkunden dieser Zeit bewahrt die Poesie. Für unsere Deutschen Dichter des zwölften und dreyzehenten Jahrhunderts war dieses Saturnische Reich die Regierung Karls des Großen. Aber die Dichter sagen nur was jeder Edle ihres Volkes weiß, und glaubt, und fühlt, selbst aber zu sagen nicht vermag. Jener Glaube an Karl war also Volksglaube, eine Stimme Gottes, welche die wahrhafte Größe des edlen Franken kräftiger ausspricht als Hunderte von Pergamenten, mit wohl erhaltenen Siegeln behangen, zu thun vermöchten. Wo der Himmel noch so spät in die Nacht hinein mit rosenfarbigem Schimmer erquickt und entzückt, da muß eine große Sonne untergegangen seyn; und unsere Dichter sind also nicht Erdichter, sondern unverwerfliche Zeugen, denen man glauben müßte, wenn man auch kein anderes Zeugniß hätte.

1. Karls Hof war einfach und prunklos, Treue, Zucht, und Ehre wohnten bey dem edlen, milden, weisen Fürsten.


Bi Karles ziten was ein site,
     Des ist nu vil vergan!
     Man sach bi Karles hove niht wan triuwe, zuht, unde ere.
Nu ist valschiu diet den herren mite.
     Daz wizzet sunder wan.
     Swer in die lenge volget vil, dern hat niht wise lere.
Rein ingesinde
u. w.[1].

2. Wir wissen aus den Capitularien, wie angelegentlich Karl für richtiges Maß und Gewicht sorgte; Karles lot war daher ein sprichwörtlicher Ausdruck für haarscharfe Genauigkeit, und mit Karles lote wider wegen oder gelten hieß, etwas nach der größten Strenge erwidern, nicht das Geringste übersehen oder zu Gute halten (Wilh. d. H. 1. 115. b. Trist. 172. Frib. Trist. 1671). Wenn Wirnt von Gravenberch in seinem schönen Rittergedichte, Wigalois, die Treue, mit der die Königinn Liamere ihren erschlagenen Gemahl betrauert, als das höchste schildern will, was man je von Frauentreue sah, so sagt er (Z. 10073) ir truiwe wac fur Karles lot, überwog das strengste Richtloth.

3. Vor allem aber stand Karls Gesetzgebung und seine Sorge für unparteyische Rechtspflege in dem größten Rufe. Damahls wußte man von keinen Pandecten, und keinem Justinian. Karlenbuoch war das Einzige was in jedem Lande zu dem alten, von den Vätern ererbten Rechte hinzutrat. Wigalois, so erzählt uns der eben erwähnte Wirnt hatte ein Reich, Korentin genannt, erobert. Dieses Reich lag nicht auf Deutscher Erde, und kann nur auf der Karte der Romantischen Poesie aufgesucht werden. Auch sind Wigalois,


  1. Der Gutaere, alt Meister-Gesangb. S. 1. – die dritte Zeile lautet im B. 2. der Sammlung deutscher Gedichte (Berlin, 1785) Man sach bi Karles tziten mynne. tzucht unde ere. Sinn und Versmaß verlangten eine Verbesserung, und wer das ganze Lied vergleicht wird ohne Zweifel der hier gemachten beystimmen.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 169. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_169.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)