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Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 166.jpg

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Verschiedene: Wünschelruthe


Stimmung angenommen, und wie einige Thiere die Farbe des Laubes bekommen worauf sie leben, hat es immer den Charakter und die Farbe der Gegend und des Lebens angenommen wo es klingt; daher aber auch, weil menschliche und äußere Natur sich doch überall gleicht, diese seltsame Aehnlichkeit zwischen den Volksliedern aller Nationen, dieselben Gedanken, Wendungen, Worte, die aber freilich in jeder menschlichen Brust gut gegründet. Sie sind mit den epischen Heldenliedern genau durchwachsen, und wir würden, wenn die Historie nicht so dürftig, gewiß eine Periode in der Geschichte finden, wo noch die Nibelungen, die Sagen, Mährchen und Lieder des deutschen Volks, einander ergänzten und in einander übergingen, und durchdrungen von einer Naturreligion den ganzen Kreis des sich selbst bewußten menschlichen Gemüths erfüllten. Dieß konnte aber nur eine Zeit sein wo alle gleich hoch oder tief in geistiger Hinsicht standen, wer gebildeter war, hatte bloß ausländische (römische) mit dem Vaterlande noch nicht verwachsene Bildung, die aber auf folgende Generationen vererbt, mit dem Christenthum vereinigt, nach und nach den Gedankenkreis änderte und weitete. Da mußte eine Stufenreihe im Volke entstehen, die sich mit den Jahrhunderten immer schärfer schied. Die Dichter, die früher das Organ des ganzen Volks waren, wurden es jetzt nur von einer gebildeten Klasse, fremdem Einflusse unterworfen[1]. In den untern Klassen blieb zwar das Volkslied noch herrschend, nebenbei kamen aber eben durch vielfachen Verkehr auch andere Bestandtheile hinzu, die wiewohl auch aus den Volke entstanden, doch viel individueller sind, und nicht jenen großartigen naturnothwendigen Charakter haben; dazu gehören die historischen Gedichte, die durchgehends wie die Geschichte die sie beschreiben individuell und beschränkt sind, daher sie auch, wie das Andenken an die Thaten wolkiger und verhüllter wurde, selbst verschwanden und neuen Platz machten. Daraus erklärt sich das sonderbare, daß wir von allen allgemein verbreiteten Liedern die die Limburger und andere Chroniken anführen, durchaus keine lebendige Spur mehr finden. Wir haben in neuester Zeit dieselbe Erscheinung; im 7-jährigen, dem Revolutions- und den neuesten Kriegen sind unzählige Lieder entstanden, die allgemein gesungen, doch nach und nach wieder verlohren gegangen sind. Nur wenige haben sich so gut erhalten, wie z. B. der Prinz Eugenius, vielleicht durch Hülfe einer schönen Melodie.

(Die Fortsetzung folgt).




Das Jägerhaus.




(Fortsetzung).

Sie gab nicht zu, daß er länger als einen Tag bei ihr blieb, so viel sie sich Beide auch zu sagen hatten. Sie selber gab ihm, wie neulich, das Geleite und führte ihn weinend aus dem Thale hinaus. Es steht ein uralter Bildstein im Gebirge, der Eginhards und Emma’s treue Liebe und ihre Versöhnung mit dem Kaiser Karl, in tiefverwitterten Schriftzügen kündet, und wohl noch von Reisenden aufgesucht wird. An diesem Stein - dem rührendsten Monument im deutschen Vaterlande - gab sie dem Geliebten den Scheidekuß und konnte sich lange nicht von ihm trennen. "Wie es auch immer mit uns enden möge" sprach sie mit fast erlöschendem Laut "erhalte mir nur dein stetes Vertraun, das ich gewiß treu um dich verdiente; und was du der Braut nicht verrathen magst, laß ja der liebenden Freundin wissen!" Edmund stand wie geblendet. Er wollte ihr Alles, auch das Geringste gestehn, was bei der Neckarfahrt vorgefallen, - doch sein Mund war gelähmt, seine Lippen versagten. "Laß mich nicht von dir" sprach er noch zulezt: "mir ahnets, wir sehen uns so nicht wieder!" - "Wir werden uns wiedersehn um uns nie zu trennen!" erwiederte sie, kehrte sich schnell und muthig ab, und verschwand im Gebirge. - Unwillkürlich, fast gedankenlos, schritt Edmund aus der Waldstraße weiter.

Seit dem Morgen war schon mancher Tag, mancher Monat vergangen, doch Edmund noch immer nicht zurückgekehrt, ja auch Marie ohne alle Nachricht. Da ritten eines Abends, schon im Herbst, zwei hohe männliche Gestalten neben einer Dame die beinah prächtig gekleidet war und einen stattlichen Zelter trabte, in das schöne Mümmlingthal nieder. Der eine der Männer der voran ritt sah ziemlich mürrisch in sich hinein und schien fast des endlosen Treibens müde, jedoch das hinter ihm folgende Paar hatte sich gar vieles mitzutheilen, und der Ritter erwieß der Dame so unendliche Artigkeit, daß man gar leicht erachten konnte, daß mehr als Galanterie hier im Spiele sey, und Amor sehr blutige Pfeile versende. Als nun das Städtchen Neustadt in der Rosenau und drüber der ehrwürdige Breuberg erschien, und man von hier aus die Neigung des Thals tief


  1. Anmerkung. Dies zeigt sich z. B. aus der eignen Erscheinung, daß den schwäbischen Dichtern die Nationalsagen fast fremd geworden waren, daher die wenigen Berührungen mit den Nibelungen-Sagen, bei vorherrschender Neigung zu den fremden vom Artus, der Tafelrunde und dem obgleich von der einen Seite rein historischen doch zum epischen gezwungenen Carolus M.
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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_166.jpg&oldid=- (Version vom 5.7.2016)