Verschiedene: Wünschelruthe | |
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Die Mutter der hübschen, freundlichen Helena hatte einen neuen Laden gemiethet, ihr Zuckergebäck und anderes Confect aufzustellen, mit dessen Bereitung und Verkauf sie sich nährte. Sparsam war der Erwerb in der kleinen Reichsstadt; aber Helenens Mutter hatte sich damit durch ihren Witwenstand bis hierher durchgebracht, und die Wohlhabenden im Städtchen wie die Durchreisenden kauften gern, um des freundlichen Gesichts und der anmuthigen Weise Helenens willen, womit sie, immer hübsch gekleidet, im netten Laden saß und alles fein abwog und darbot, während die Mutter daheim dem Ganzen vorstand. Helene wußte den Kindern gar zu artige Geschichtchen zu erzählen, wenn diese ihren Müttern oder Muhmen bedeutsam die hübschen schimmernden Waaren zeigten[WS 1]; und die Junggesellen im Ort fanden Helenens Auge noch süßer und durchsichtiger als ihr krystallenstes Zuckerwerk, und ihre Lippen noch lieblicher wie die gewürzten Kirschen im hellen Glas; aber sittsam war sie und bescheiden; oft, wenn arme Kinder mit sehnenden Augen durch die spiegelhellen Fenster in dem[WS 2] Laden hereinsahn, nahm Helene ein Zuckerbrodt und vergoldete Nüsse, und legte das den armen Kindern heraus. Wiewohl allerhand Gelegenheit dazu war, ließ sie sich in keine Liebeleien ein; auch hatte sie ihre Hand Gottfried, einem braven Schreiner, zugesagt, der redlich um sie geworben aus wahrer treuer Liebe, jetzt aber noch eine Zeit lang in einer benachbarten Stadt als Gesell arbeitete, denn er wollte seinen Haushalt mit Helenen gern schuldenfrei anfangen, und dann ihrer Mutter zugleich auch die Handthierung erleichtern.
Als er deshalb in die Fremde ging, hatte er beim Abschiednehmen Helenen ein Kätzchen anempfohlen, das immer neben ihm bei der Arbeit gesessen, und ihm von wegen einer alten Großmutter der es angehört, sehr lieb war; nun wollte er es aber doch, um des Spotts der anderen Gesellen willen nicht mit in die fremde Werkstatt nehmen. Behalten, sagte der ehrliche Gottfried dabei, wollte ich das Kätzchen doch gern; denn wenn ich ihm schön that, sagte die Großmutter immer, ei freu’ dich daß du die Kätzchen so gern hast, denn es bedeutet dir eine gute Frau. Und, setzte Gottfried hinzu, scheint es doch, daß Großmutter und Kätzchen recht prophezeie!
Helene und ihre Mutter konnten auch die Katze sehr gut brauchen; denn der einzige Tadel, der an dem[WS 3] wohlgelegnen netten Laden war, rührte von einer unbeschreiblichen Menge Ratten und Mäuse her, die, gleichsam recht listig, erst nachdem alles aufgeputzt war, aus unbekannten Schlupfwinkeln hervorkamen und ihren Lustwandel durch die Feereien von Zucker und eingemachten Früchten, Gewürz und feinen Mehlwaaren hielten. Das Kätzchen erhielt daher seinen Platz neben Helenen im Laden, und es gefiel den Leuten und unterhielt sie, wie ehrbar und sich immer putzend es neben dem hübschen Jungfräulein saß und wie man es, gleich der artigen Helene, niemals die allerliebsten Zuckersachen benaschen sah, was seinen Grund in den anderen Leckereien hatte, die dem Kätzchen lebendig in die Küche liefen.
Indessen wollten sich sie Mäuse doch immer noch nicht genugsam mindern, und eben betrachtete Helene eines Tags eine von ihnen durchnagte Würzschachtel mit Schmerz, als ein junges Mannsgesicht, mit bedeutsamen Zügen, auf dem Kopf ein scharlachrotes Barett, unter welchem die kohlschwarzen Haare und die großen blitzenden Augen sich wundersam
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: zeigte. Siehe Druckfehler S. 144.
- ↑ Vorlage: den. Siehe Druckfehler S. 144.
- ↑ Vorlage: den. Siehe Druckfehler S. 144.
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_121.jpg&oldid=- (Version vom 27.5.2023)