Zum Inhalt springen

Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 013.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Wünschelruthe

Wo man’s nicht denkt, da springt der Hase auf.




Nachts.

Wenn ich so einsam in der Kammer sitze,
     Hoch über mir die Sternendeck’ seh’ breiten,
     Die Lust fern höre durch die Gassen schreiten,
     Und fern nur schau’ des Frühlings Freudeblitze:

5
Da frag’ ich mich, was meinem Herzen nütze

     Denn all’ dieß Späh’n in nie gemessne Weiten,
     Dieß rastlos Kämpfen gen der Erde Neiden,
     Dieß endlos Ringen zu des Lichtes Sitze?
Und glauben möcht’ ich, all’ das sey vergebens,

10
     Die Freude nah’ mir nie auf meinen Wegen,

     Und nie werd’ mir ein Ziel und Lohn des Strebens.
Doch kehr’ ich weinend dann in mich zurücke,
     So ahn’ ich tief, mir blüh’ der Zukunft Segen:
     Ich sehe Dich, wie Dich der Brautkranz schmücke.

Dr. J. P. v. Hornthal.




Märchen von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.
Aus mündlicher Ueberlieferung, mitgetheilt v. Wilh. Grimm.


Ein Vater hatte zwei Söhne, davon war der älteste klug und gescheidt und wußte sich in alles wohl zu schicken, der jüngste aber war dumm, konnte nichts begreifen und lernen und wenn ihn die Leute sahen, sprachen sie: „mit dem wird der Vater seine Last haben!“ Wenn nun etwas zu thun war, so mußte es der älteste allzeit ausrichten; hieß ihn aber der Vater noch spät oder gar in der Nacht etwas holen und der Weg ging dabei über den Kirchhof oder sonst einen schaurigen Ort, so antwortete er wohl „ach, Vater es gruselt mir!“ denn er fürchtete sich. Oder wenn Abends beim Feuer Geschichten erzählt wurden, wobei einem die Haut schaudert, so sprachen die Zuhörer manchmal: „ach, es gruselt mir!“ Der jüngste saß in einer Ecke und hörte das mit an und konnte nicht begreifen, was es heißen sollte. „Immer sagen sie: es gruselt mir! es gruselt mir! mir gruselts nicht; das wird wohl eine Kunst seyn, von der ich auch nichts verstehe.“

Nun geschah es, daß der Vater einmal zu ihm sprach: „hör du in der Ecke dort, du wirst groß und stark und mußt auch etwas lernen, womit du dein Brot verdienst. Siehst du, wie sich dein Bruder Mühe giebt, aber an dir ist Hopfen und Malz verloren.“ „Ei Vater, antwortete er, ich will gern was lernen; ja, wenns anging, so mögte ich lernen, daß mirs gruselte, davon versteh ich noch gar nichts.“ Der älteste lachte, als er das hörte und dachte bei sich: „du lieber Gott, was ist mein Bruder ein Dummbart, aus dem wird mein Lebtag nichts; was ein Häckchen werden will muß sich bei Zeiten krümmen“. Der Vater seufzte und antwortete ihm: „das Gruseln, das sollst du schon noch lernen, aber dein Brod wirst du damit nicht verdienen.“

Bald darnach kam der Küster zum Besuch ins Haus, da klagte ihm der Vater seine Noth und erzählte, wie sein jüngster Sohn in allen Dingen so schlecht beschlagen wäre, er wisse nichts und lerne nichts. „Denkt euch als ich ihn gefragt, womit er sein Brot verdienen wolle, hat er gar verlangt, das Gruselen zu lernen!“ „Ei, antwortete der Küster, das kann er bei mir lernen, thut ihn nur zu mir, ich will ihn schon abhobeln.“ Der Vater war es zufrieden und der Küster nahm den Jungen zu sich ins Haus, und er mußte ihm die Glocke läuten. Nach ein paar Tagen weckte er ihn um Mitternacht, hieß ihn aufstehn, in den Kirchthurm steigen und läuten. „Da wirst du schon lernen, was Gruseln ist“ dachte er, doch um ihm noch einen rechten Schrecken einzujagen, ging er heimlich voraus und stellte sich ins Schallloch. Der Junge stieg ruhig den Thurm hinauf,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_013.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)